Freitag, 3. Juli 2020

26. Juni -

2020/06/26 11:54

Der Wahrheit ins Auge schauen: Ich habe Probleme mit meiner Selbstdisziplin.

Den Morgen verbringe ich mit ausgedehnter Lektüre der New York Times. Ich verliere mich auf Instagram, und auch wenn ich das Telefon zehnmal weglege und mir vornehme, dass ich es nicht in die Hand nehme, habe ich es kurze Zeit später doch wieder in der Hand. Und wenn ich mir vornehme, dass ich "nur kurz dies oder das nachschaue", bin ich hinterher doch wieder in der Kommentarsektion der New York Times oder schaue nach, was meine Lieblings-Instagrammer vor drei Jahren veröffentlicht haben. Zwar habe ich mir jetzt seit Monaten vorgenommen, früher ins Bett zu gehen und früher wieder aufzustehen, aber es ist doch immer wieder nach Mitternacht, wenn ich das Licht ausschalte. Ich gehe etwas ziellos im Garten herum, gieße die Tomaten, komme aber dann schnell zu dem Schluss, dass es zu heiß ist, etwas anderes zu tun und verschiebe die Gartenarbeit auf den Abend.

Ich habe ein Bullet Journal, das mir hilft, die Tage etwas zu strukturieren. Meine Erwartungen sind allerdings gesunken. Die Mail zu checken oder eine Mail zu schreiben gehört zu den Dingen, die ich mir bereits als Erfolg anrechne. Ich hätte Zeit, hier stundenlang zu meditieren oder ein dickes Buch zu schreiben, aber ich bin froh, wenn ich täglich 25 Minuten auf meinem Sitzkissen sitze und dieses Tagebuch weiterführe. Außerdem zwanzig Minuten Yoga täglich und meine Griechisch-Lektionen, die allerdings so gut wie keinen Effekt im Alltagsleben zeigen. Die griechische Hitze kann ich nicht für alles verantwortlich machen. Das meiste könnte ich am frühen Morgen, z.B. von 6 bis 9 Uhr, erledigen, aber oft ist es elf oder sogar zwölf, bis ich mit meinem Programm anfange.

Ich kann mich freilich damit beruhigen (und tue es auch), dass viele Dinge in meinem normalen schwedischen Alltagsleben viel Zeit beanspruchen, allein das Einkaufen, das Anstehen in Schlangen an der Kasse, von einem Ort zum anderen zu kommen oder unnötige Runden zum nahegelegenen Flohmarkt. Hier habe ich nichts zu tun, außer da zu sein, zu atmen, Dinge in meiner Umgebung zu registrieren, zu essen, zu schlafen. Was wie ein Mangel an Effektivität aussieht, ist vielleicht ganz einfach ein Resultat der Tatsache, dass ich mehr Zeit habe.

Ich habe in der letzten Zeit versucht, mich von der Idee zu verabschieden, dass ich mein Leben eines Tages "zum Besseren" wenden könnte. Was das bedeuten könnte, weiß ich eigentlich gar nicht. Vielleicht, dass ich mehr Geld verdiene. Dass ich für die Dinge, die ich tue, Anerkennung (in Form von Geld) bekomme. Dass ich Projekte, die ich mir vornehme, wirklich durchziehe. Das Letzte ist der heikelste Punkt, weil er wirklich etwas mit meinem Verhalten zu tun hat. Ich habe so viele gute Ideen und führe sie ganz einfach nicht ins Ziel, gebe auf, bevor ich überhaupt angefangen habe oder verliere auf dem Weg den Glauben daran. Ich habe immer noch den Traum, eines Tages einen großen Erfolg zu landen, der mich in ein Paradies aus Sicherheit und Anerkennung katapultiert. Aber ich weiß ja selbst, dass das eine Illusion ist. Es gibt keinen Zustand, mit dem man je zufrieden sein könnte. Das ist wie der Wunsch nach "Likes" auf Instagram oder Facebook. Je mehr ich davon bekomme, desto süchtiger werde ich danach. Es gibt keinen Status Quo, bei dem ich je das Gefühl habe, dass es jetzt "reicht". Ich sehne mich nach Aufmerksamkeit, nach Applaus, sogar nach Belohnung. Das ist ein seltsamer Widerspruch zu meiner Selbstgenügsamkeit, meiner Fähigkeit, mit wenig auszukommen, meinem Desinteresse an Prestige oder materiellen Dingen. Mein Wunsch nach Anerkennung ist außerdem gepaart mit meinem schwer zu überwindenden Impuls, mich zu verstecken und andere Leute von mir fernzuhalten. Tief in mir wahrscheinlich Arroganz, Egoismus, die Überzeugung, dass ich "etwas Besseres" verdient habe,

Wenn ich Freunden oder Bekannten gegenüber erwähne, dass ich faul und lethargisch bin, dann behaupten sie oft, dass sie niemanden kennen, der so viel Selbstdisziplin hat wie ich. Es ist aber nur ein Schein, vielleicht sogar von mir selber in die Welt gesetzt. Ich habe die Fähigkeit, anderen eine Version von mir zu vermitteln, die mich in einem guten Licht dastehen lässt. Deshalb haben auch meine Therapeuten (insgesamt 5) nach einiger Zeit meistens zu mir gesagt, dass sie überhaupt nicht sehen können, wo mein Problem eigentlich liegt.

Seit Jahren faszinieren mich Menschen, die aus dem Karussell ausgestiegen sind, die mit wenig oder gar keinem Geld auskommen, die dem Wahnsinn unserer Konsumgesellschaft den Rücken zudrehen. Seit Jahren bin ich erstaunt darüber, wie wenig ich eigentlich brauche, auf wie viel ich verzichten kann. Gleichzeitig weiß ich, dass diese Art von Leben nur deshalb möglich ist, weil sie auf dem Rücken der Konsumgesellschaft stattfindet, weil woanders die Leute die Arbeit für mich tun. Ich könnte nicht einmal einen Füllfederhalter herstellen, geschweige denn einen Computer. Eigentlich kann ich überhaupt nichts. Wenn alle Leute so wären wie ich, dann wäre das Leben unvergleichlich härter, dann ginge es wirklich ums nackte Überleben, nicht nur darum, sich so weit wie möglich rauszuhalten. Es gäbe keinen Strom, keine Straßen, keine Schiffe, nicht einmal ein Fahrrad oder einen Wurzelstecher, vielleicht sogar nicht einmal Knöpfe.

Hier kommen wir zu der Frage, die vor ein paar Tage bei mir auftauchte, als ich zwei Knöpfe an meine Levi's "All Duty"- Shorts nähte: Seit wann gibt es Knöpfe eigentlich? Und wo wurden sie erfunden? Wie ist jemand auf den Gedanken gekommen, und wie hat sich die Knopf-Idee weiterentwickelt? Und wer hat den „Knopf“ getauft?

Hamish und Cleo haben eine gemeinsame Sprache, es ist eine Art Gurren. Cleo benutzt diese "Sprache" nur, wenn Hamish auftaucht. Ich finde es überhaupt faszinierend zu sehen, welche Katzen Cleo & Co. akzeptieren und tolerieren und welche sie ohne Zögern von der Terrasse (oder der Nähe der Terrasse) jagen. Die verjagten Katzen (Julia, Bibi) kommen trotzdem zurück. Manchmal schaffen sie es, hier zu fressen, sogar Streicheleinheiten zu bekommen, bevor sie wieder verjagt werden. Cleo liegt jetzt schnurrend auf dem Bett. Ich habe inzwischen wieder aufgegeben, ihr die Augentropfen verpassen zu wollen, um keine Bakterienresistenz auszulösen. Muss nächste Woche mit Myrsini reden.


Keine Kommentare:

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...