Montag, 3. August 2020

2. August -

2020/08/02 13:49 

Drei Tage später, jetzt in meiner Wohnung in Schweden. Diese Aufzeichnungen sind mein Pro Memoria, damit die letzten Tage und die Erlebnisse auf der Reise nicht ins Vergessen absinken. 

Die Nacht nach den Chips und dem Wein war schlecht, und ich ging übermüdet in meinen letzten Tag auf Lesbos. Beim Morgenbad begegnete mir niemand. Ich frühstückte Reste aus dem Kühlschrank(Ei, Gurke, Tomate, Ladotiri, Oliven) und Käseplätzchen. 

Trug die restlichen Sachen über die Leiter nach oben unters Dach, fegte den Keller, schaltete die Heizungsanlage aus, schrieb einen Zettel mit Anweisungen für die nächsten Bewohner. Wusch den Kühlschrank aus. Packte den Koffer. 

Entdeckte, dass Caesarion eine Wunde am Kopf hatte. Wusch sie notdürftig aus und mache mir seitdem Sorgen. Ein loses Ende. Diesen Schmerz, diese Einsamkeit annehmen. 

Fuhr noch einmal in den Ort, um mich von Theodos zu verabschieden, kaufte Retsina und Sodawasser für P, wenn sie das nächste Mal ankommt, aß auf der Terrasse eine Linsensuppe zu Mittag. Schob mein Fahrrad in den Schuppen, schloss es ab, verschloss den Schuppen, ließ aber den Schlüssel im Schloss für Anna. Stellte Katzenfutterschalen auf die Terrasse, füllte eine Schale mit frischem Wasser. 

In der Nachmittagshitze zum Bus. Kein Mensch begegnete mir. Die Katzen waren auch nicht da. Sie fühlen es schon Tage vorher, wenn man wieder abreist und verschwinden gewöhnlich am Abreisetag. 

In Mytilini teile ich ein Taxi mit einer jungen Frau. Da der Taxifahrer keine Kreditkarten akzeptiert, muss ich am Flughafen noch einmal Euros zu einem horrenden Wechselkurs herauslassen, um der jungen Frau den Anteil zu geben, den sie für mich ausgelegt hat. Dann hat sie schließlich kein Wechselgeld für meinen 20 Euro-Schein und winkt ab: "Es sind ja nur 5 Euro". 

Der kürzlich renovierte Flughafen weckt in mir das Gefühl, an einem fremden Ort zu sein. Es gibt Maskenpflicht und Markierungen auf dem Fußboden, die den Abstand anzeigen, den man einhalten soll. Das Einchecken wird nach Sitzplätzen organisiert, aber die Ansage ist so schnell, dass ich nie verstehe, wer gerade dran ist, und ich stelle mich einfach in eine Schlange. 

Der Gedanke, dass ich in Athen ein Hotel haben werde, beruhigt mich. Doch als ich nach der Landung wie vereinbart dort anrufe, sagt mir eine Männerstimme, dass er meine Reservierung nicht finden kann. Das ist unmöglich, sage ich. Der Sammelbus hat aber gerade den Flughafen verlassen. Ich soll jetzt "10-12 Minuten" warten. Halten Sie Ausschau nach einem großen Typen mit einem roten Käppi. Die 10-12 Minuten wachsen sich zu 40 Minuten aus. Schließlich kommt ein großgewachsener Mann mit einem roten Käppi und winkt mir, ihm zu folgen. Es fängt schon an, dunkel zu werden. Eine deutsche Familie mit einem kleinen Jungen und ein englisches Paar werden mit mir in den schwarzen Kleinbus geladen. Die Fahrt geht erst über die Autobahn. Dann biegt der Fahrer ab und plötzlich ist man in einer anderen Welt. Enge Straßen, Wohnhäuser, Grundstücke hinter Mauern. Man lädt uns und unser Gepäck aus. Das "Hotel" hat eine unpersönliche "Loggia", eine Art Schalter, hinter der ein junger Mann vor seinem Buchungsschema sitzt. Ein geschmackloser Springbrunnen plätschert hinter einer Schiebetür. 

Das Hotel heißt "Tina's Apartments", aber es sind nur Männer zu sehen. Wir werden registriert und bezahlen. Sie machen offensichtlich ein gutes Geschäft mit den Fluggästen, die sich ganz einfach nur nach einer ruhigen Nacht sehnen. Wegen Covid ist es außerdem zurzeit gar nicht erlaubt, auf dem Flughafen zu schlafen. Da dieses Haus voll ist, soll ich mit der deutschen Familie zu einem Haus mit "Beachview" gefahren werden. Das englische Paar findet, dass das gut klingt und schließt sich an. Wieder eine wilde und verwirrende Fahrt, wir kommen in einen Ort mit Läden und Restaurants und Straßenständen. Zur rechten Seite ein Strand mit Bastschirmen und Menschen, die ein Abendbad vor dem dunkelblauen Abendhimmel nehmen. An einem Straßenstand werden Maiskolben gegrillt. Alte Männer sitzen vor gesichtslosen Cafés mit Neonbeleuchtung um Tische herum, reden wahrscheinlich über Politik, aber vielleicht nicht so viel über Erdogan, wie man das auf Lesbos tut. 

Das Auto hält vor einem dunklen Haus, wo ein weiterer junger Mann bereitsteht. Alle außer mir sollen dort untergebracht werden. Ich warte mit meinem Koffer beim Auto, doch das englische Paar kommt auch wieder zurück. Es gab Probleme mit dem Schlüssel. Wir sollen woandershin gebracht werden. Ich habe Flashbacks, fühle mich an Indien erinnert. Mein Gepäck soll ich wieder in den Minibus einladen, dann entscheiden sie aber, dass wir doch mit dem Personenwagen des anderen fahren sollen. 

Nach ein paar Minuten Autofahrt kommen wir in ein anderes Viertel, halten in einer Geschäftsstraße zwischen zwei Souvlaki-Grills vor einer weißen Tür, die in einen dunklen Treppenaufgang geht. Ich bin froh, dass ich in Gesellschaft des englischen Paares bin. Wir steigen die enge Treppe hoch, ein Stockwerk, zwei Stockwerke. Dann öffnet der junge Mann, der uns begleitet (Aki), zwei Türen, in denen bereits Schlüssel stecken. 

Zwei Stunden nach meiner Ankunft habe ich endlich ein Zimmer. Ich bin so erleichtert, dass ich vergesse, nach dem Klo und der Dusche zu fragen. Erkundige mich aber nach dem Frühstück, das mir versprochen wurde. Aki sagt, er kommt später mit etwas vorbei. Ich sage, falls ich nicht da bin, kann er es auch an die Tür hängen. Ich öffne die Balkontür und habe einen phantastischen Blick aufs Meer. Aber von oben blicke ich auch auf eine Bar, in der zwar keine Besucher zu sehen sind, aber trotzdem laute Musik gespielt wird. 

Die Engländer helfen mir, ein Klo mit Dusche ausfindig zu machen, das offensichtlich zu meinem Zimmer gehört. Ich schalte die Klimaanlage ein, schließe das Zimmer ab und gehe die schmale Treppe hinunter und hinaus auf die Straße, um mir etwas zu essen und zu trinken zu kaufen. Bewege mich vorsichtig, weil ich fürchte, ich könnte nicht wieder zurückfinden. Die Situation und die Stimmung auf der vermüllten Straße erinnern mich an Indien. Alles wirkt heruntergekommen und etwas chaotisch. An einer Straßenecke steht eine Gruppe Polizisten, die scheinbar irgendeinen Auftrag haben. Bin unbeschreiblich müde und kaufe schließlich nur einen Toast, eine Dose Bier und eine große Flasche Wasser, die ich mit ins Zimmer nehme. 

Aki ist (natürlich?) nicht mit dem Frühstück gekommen. Ich beschließe, mich nicht darum zu kümmern, mache das Licht aus und lasse die Klimaanlage laufen. Der Wecker ist auf 5:45 gestellt, das Auto soll um 6:30 kommen. Angeblich sind es 10 Minuten bis zum Flughafen. Was tue ich, wenn es nicht kommt? Kurz vor fünf bin ich schon wieder wach und stehe auf, mache die Türen zum Balkon auf, gehe hinaus, atme die Meeresluft. Direkt vor dem Fenster liegt ein Badestrand, mit mehreren Reihen von Bastschirmen. Ich höre, dass die Engländer mit ihren Koffern die Treppe hinunter gehen. Sie fliegen schon eine Stunde früher als ich. 

Ich nehme eine ausgiebige Dusche in dem winzigen Klo, in dem es zwar keine Duschkabine gibt, aber einen Schlauch mit Duschkopf, der aus der Wand kommt. Kleine Fläschchen mit Shampoo und Duschgel stehen auf der Ablage vor dem Spiegel, was mir trotz allem das Gefühl gibt, dass ich in einem Hotel bin. Auf dem Bett lagen zwei frisch gewaschene Handtücher, und alles war sauber, auch die Wände frisch geweißt. Die Nachttischlampe von Ikea. In der Ecke hing ein Fernseher und auf dem neuen Kühlschrank stand eine Minikochplatte, auf die man eine Espressokanne oder ein griechisches Kaffeekännchen stellen könnte. 

Als ich um 20 nach 6 die Treppe hinunter gehe, kommt mir Aki schon entgegen. Kein Wort wegen dem Frühstück, und ich lasse es auf sich beruhen. Auf der Fahrt zeigt er mir seine Fahrtenliste. Er ist schon seit vier Uhr unterwegs, Leute zum Flughafen bringen. Jetzt ist er müde. Ich sage, dass ich fünf Monate auf Lesbos war, er lacht entzückt. Am Flughafen ein Händedruck (gehe mir dann sofort die Hände waschen) und ein Kalo taxídi, "Gute Reise". Ich bekomme ein Minifrühstück in einem Steh-Café am Flughafen. Espresso und Toast. Dann gehe ich zum Security Check. Trinke in der Warteschlange das restliche Wasser aus meiner Flasche, das mir das Kinn und den Hals entlang rinnt. 

Am Gate wird mein Handgepäck wird gewogen. 8,6 kg. Das ist zu viel, sagt der Steward. Aha, sage ich. Wollen Sie, dass ich was rausnehme und wegwerfe? Eine Frau vom Bodenpersonal springt ein. Es ist schon in Ordnung. Ich würdige den Steward nachher keines Blicks, selbst als er mir am Scanner eine gute Reise wünscht. Vielleicht hatte er nur die Unruhe in meinen Augen sehen, sich einen kurzen Augenblick der Macht gönnen wollen. Andere Reisende hatten sogar zwei Gepäckstücke dabei, obwohl nur eines erlaubt ist, aber er winkte sie durch. 

Habe jetzt ein Visier über der Maske, wie auch einige andere Passagiere im Flugzeug. Sitze neben einem jungen Mann, der die meiste Zeit schläft. Hinter uns der Notausgang, so dass wir unsere Sitze nach hinten kippen können. Das Flugpersonal verteilt wie auch schon auf dem ersten Flug Papiertüten mit etwas zu essen. Ich finde ein belegtes Sandwich und ein Tütchen mit Schoko-Müsli-Keks in Herzform. Außerdem eine kleine Flasche Wasser. Ein Blatt mit Verhaltensregeln in Coronazeiten. Eine kleine Plastiktüte, in die man seine Maske nach dem Flug stecken soll. Ich bestelle einen Orangensaft und eine Tasse Kaffee. Natürlich müssen alle die Maske von Mund und Nase ziehen, um essen und trinken zu können. Lese Zeitung auf dem IPad, dann "Sonntage im August" von Patrick Modiano und schlafe hin und wieder ein wenig. Der junge Mann neben mir ist still. Er schläft fast die ganze Zeit, lässt sich irgendwann einen Becher Kaffee geben, den er still austrinkt, um dann wieder weiterzuschlafen. 

***

Dann die Landung in Kopenhagen. Ein schöne, angenehme Sommerwärme anstatt der brennenden Hitze der letzten zwei griechischen Monate. Passkontrolle direkt nach dem Aussteigen. Wohnen Sie in Kopenhagen? fragt der Beamte, weil mein deutscher Pass in Kopenhagen ausgestellt ist. Nein, in Malmö, sage ich. Er lächelt und winkt mich weiter. Dann kommt eine weitere Passkontrolle. Wo wollen Sie hin? Nach Schweden, sage ich. Haben Sie eine Fahrkarte? Die Zollbeamtin studiert die Fahrkarte in meinem Handy und reicht es mir dann wieder durch das kleine Fenster. Have a good time. Ein Lächeln. 

"Exit" und Warten auf den Zug. Beinahe verpasse ich den Ausstieg in Malmö, weil ich vertieft bin in irgendeinen Artikel der NYT. Am Ausgang wartet P auf mich, mit dem Fahrrad, im Sommerkleid. Wir gehen nach Hause. 

Und damit ist dieses griechische Abenteuer zu Ende. 

30. Juli -

2020/07/30 23:44

Letzter ganzer Tag. Morgens Kaffee, dann ans Meer. Traf Artemis, wir redeten über ihre Töchter. Die eine studiert schon in England (Norfolk) Psychologie, die andere möchte gerne Kriminalistik studieren, ist aber auch unentschlossen. Einen Studienplatz in Edinburgh, der ihr schon zugesagt worden war, hat sie abgelehnt. Nach Frankfurt zu ihrem Onkel will sie auch nicht. Bei der Schwester in England wohnen hat irgendwelche andere Haken. Ach ja, es ist teuer. Sie hängen den ganzen Tag vor dem Computer, so Artemis, die trotzdem leicht klingt und ihr Lächeln nie verliert, deshalb besteht sie darauf, dass sie wenigstens abends den Hund ausführen.

35 Grad Höchsttemperatur heute. In Schweden ist "Hochsommer" angesagt für das Wochenende: 20 Grad... P hat heute ihren Corona-Test gemacht. Ich verstehe ihre Symptome nicht, ihre Gelassenheit, wenn sie darüber spricht.

Anna kommt um 10 Uhr. Eigentlich hoffe ich, dass es nicht länger als zwei Stunden dauert, aber obwohl Anna eine halbe Stunde länger bleibt, muss ich den ganzen Nachmittag weiter putzen. Wie kannst du in der kleinen Wohnung nur so viel putzen? fragt Giorgos, mit dem ich zum Mittagessen in einem wunderschönen Lokal am Meer zwischen Petra und Anaxos sitze. Eigentlich wollten wir bei Katarina essen, zu den bewährten 10 Euro, aber dann wurde es eine richtige Taverne und eine hohe Rechnung, obwohl der Besitzer uns auf den Ouzo einlud. Giorgos wirft mir vor, dass ich faul sei, weil ich Anna um Hilfe gebeten habe. Sie braucht Geld, sage ich. Ich brauche auch Geld, erwidert er. Du hättest mich fragen können. Dann lacht er. Redet von seiner türkischen Freundin und den Träumen, die er hat. Ich möchte kochen. Ich möchte ein großes Zimmer, in dem ich malen kann. Ich habe bisher nie Platz gehabt zum Malen. Er erklärt mir dann seine Philosophie, was Beziehungen angeht. Man sollte in einem Konflikt nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen und dann lieber zu einem anderen Thema überwechseln. Er stimmt mir auch zu in meiner Diagnose der Ausländer, die in Molyvos leben. Sie folgen einem Traum und sind dann darin gefangen. Die Frauen, die sich in einen Griechen verlieben, sind schlimm dran, sagt er. Er möchte mit seiner Freundin in Istanbul, in Molyvos, in Ayvalik leben, und dann reisen, reisen. Im Februar wird er Rente beantragen, es wird dann ein halbes Jahr dauern, bis sein Antrag durch ist. Wieder regt er sich über seine Landsleute auf. Über die Dorfbewohner. Er hat ausländische Freunde, die wegen dieser Situation nicht mehr nach Molyvos kommen. Er seufzt. Die Kunst in Molyvos kann nur nachahmen, da gibt es nichts Eigenes, Authentischen. Er möchte gar nicht hören, was ich von der Ausstellung in der Bibliothek zu berichten habe, die ich gestern besucht habe, es macht ihn ganz krank, daran zu denken. Er sieht uns in der gleichen Kategorie. Wir haben zwar kein Geld, aber alles dreht sich nicht ums Geld, sagt er und öffnet die Mappe mit der Rechnung, die der Kellner gebracht hat. Ich sage, lass uns die Rechnung teilen. Es ist undenkbar für ihn. Ich bin wie eine alte Münze, sagt er, ich bin ganz einfach so geprägt. An einem Punkt im Gespräch versuchte ich, ihn daran zu erinnern, dass er nicht so arm ist, wie er es oft darstellt. Er hat Besitz, will ihn bloß nicht verkaufen, weil er vor zehn Jahren mehr als das Doppelte dafür gekriegt hätte. So geht es im Moment vielen.

Fahre nach Hause, liege müde in der Hitze auf dem Bett, raffe mich dann zu einem weiteren Putzumgang auf. Schleppe Sachen unters Dach, räume die Schränke um, obwohl es ganz unsicher, ob im August wirklich jemand hier wohnen wird. Lese die Bedingungen der Fluggesellschaft und sehe ein, dass ich wirklich nur 8kg mitnehmen kann. Außer dem, was ich am Körper trage, ist das nicht viel. Abends bei Giorgos kaufe ich ein Armband für meinen Bruder, und er macht mir wieder einen guten Preis. (Als ich dann noch etwas in die Hand nehme, ruft er: "Kauf das nicht! Dann muss ich dir wieder einen guten Preis machen!" - Ich hätte sagen sollen: "Hör endlich damit auf, mir gute Preise zu machen!")

Haareschneiden bei Rania, die einfach auf Griechisch drauflos plappert. Was hast du bezahlt? fragt Giorgos mich hinterher und ist wieder mal unzufrieden mit mir. Er bezahlt die Hälfte bei seinem "Barber". Ja, sage ich, aber du bist ein Mann. Na und? Aber wir haben denselben Haarschnitt.

Zwei Ladungen Wäsche, noch ein letztes Mal Garten gießen. Alles ist plötzlich ganz anders. Ich fühle mich im Zimmer, als wäre ich ein Hotelgast. Es ist gut, dass ich morgen keine Eile habe, keinen Wecker stellen muss. Ich bin jetzt fertig mit Molyvos, mit der Hitze, sagte ich heute zu P. Es ist nur schade, dass ich die Katzen sich selber überlassen muss. Aber ich habe wirklich alles getan, was ich konnte.

Lese auf der Terrasse in der NYT über die Beerdigung von John Lewis. Ein schöner, ein gewaltiger Mensch, über den ich jetzt mehr wissen und lesen möchte. Trump sinniert unterdessen (wahrscheinlich aus Eifersucht) darüber nach, dass er die Wahl gerne verschieben würde, das garantiert ihm natürlich Aufmerksamkeit. Zum Glück geht das nicht einfach so.

Mary lädt mich auf ein Glas Wein ein und schenkt mir ein Fläschchen Ouzo und einen Luftkuss hinter der Maske. Anni und ich formen Herzchen mit unseren Händen und machen erst einen Ellenbogen- und dann einen Hüft-Bump. Ich verabschiede mich von Theodos' Frau und sage ihr, dass ich mich morgen auch von ihrem Mann verabschieden werde. Er mag dich wirklich sehr, sehr gerne, sagt sie nachdrücklich, und ich sage, ich mag ihn auch. 

Sogar Giannis von Tropicana traf ich heute zufällig. Du siehst aus wie ein Holiday Boy, sagte ich, weil er mit einem Strohhut am Steuer seines Jeeps saß. Das bin ich erst im November, sagte er, aber ich tue auch jetzt das Beste, um das Leben zu genießen. Er reicht mir seine Hand durch das geöffnete Fenster. Es hat ihn sehr gefreut, mich kennenzulernen. Ich meine es ernst, als ich ihm erwidere, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.

Wenig konstruktiv stopfe ich auf der Terrasse Chips in mich hinein und trinke noch ein Glas Weißwein, während ich auf meinem Telefon einen Essay lese, den John Lewis einige Tage vor seinem Tod geschrieben hat. Beeindruckend und inspirierend. 

29. Juli -

2020/07/29 22:39 



Effektiver Tag: Morgenbad. Frühstück. Fuhr dann mit dem Fahrrad nach Petra, kaufte 7kg Spezialkatzenfutter und eine 20l-Box zur Aufbewahrung. Traf Dinu, dem ich das Bild zeigte, das ich von seinem Moped gemalt habe. Er hat es schon auf Facebook gesehen, sagte er, und hat es auf seinem Telefon gespeichert. Die Assistentin im Tierladen hatte eine winzige Katze auf dem Behandlungstisch, der sie die Augen wusch. Jemand hat sie wahrscheinlich vor dem Laden abgesetzt, ungefähr 5/6 Wochen alt. Was macht ihr mit ihr? Vielleicht kann sie im Laden bleiben. Oder wir finden ein Zuhause für sie. Sie hatte sie über Nacht bei sich zu Hause. Vielleicht gibt es auch ein anderes Happy End: Ihr Hund, der mit Katzen eigentlich nicht auskommt, hatte sich rührend um sie bemüht. Solange sie so klein ist, sagte ich, kann er vielleicht eine Vaterrolle übernehmen. Sie strahlt mich an, als wäre sie von selber nicht auf den Gedanken gekommen. Sie hat die sieben kg Katzenfutter auf zwei Plastiktüten verteilt, damit ich sie auf dem Fahrrad besser transportieren kann. Ich muss trotzdem bei der Steigung absteigen, zum ersten Mal seit ich hier bin. 


Gleich ans Meer, mit S, die heute zum letzten Mal da ist. Wir liegen am Nacktbadestrand im Schatten und unterhalten uns und gehen zwischendurch immer wieder ins Meer. Ein Urlaubstag, den wir mit einem Mittagessen in der Pooltaverne vom Delphinia abschließen. Ich esse einen griechischen Salat, sie eine riesige Portion Spaghetti und einen Auberginensalat. Dann Abschied vor meinem Haus, um vier Uhr kommt ihr Taxi. Ich schlafe ein wenig und rufe dann bei dem Hotel in Athen an. Soll später noch einmal anrufen. Es sieht aus, als wäre alles belegt, aber es kann sich noch ändern. 


Von der Hitze gelähmt. Setze mich in den Schatten und fange an, ein bisschen lethargisch in meinem Skizzenbuch herum zu kritzeln. Mache schließlich eine Sammlung von Wassergläsern, die mir richtig gut gefällt. Kobaltblau, Maigrün, etwas Zitronengelb, etwas Indigo. Schatten und Spiegelungen in verschiedene Richtungen. Ein Sommerbild. 


Dann wieder ins Dorf, bei Mary eine Flasche Bier getrunken. Plastik-Mundschutze sind jetzt nicht mehr erlaubt. Die Maskenpflicht ist wieder strenger. Rufe noch einmal im Hotel an und kriege die Übernachtung bestätigt. Ich soll mich vom Flughafen in Athen telefonisch melden, dann sind sie innerhalb von zehn Minuten da. Ich bin total froh über diese Lösung und darüber, dass ich nicht die ganze Nacht wie ein Gespenst auf dem Flughafen herumirren muss. 


Gehe zu Giorgos, kaufe das Wassermelonen-Bild. Er hat schon wieder vergessen, dass ich es kaufen wollte. Bist du dir denn sicher? Ja. Er geht mit dem Preis fast 50% herunter. Bist du dir denn sicher? Ja. Im September fährt er für eine längere Zeit in die Türkei zu seiner Freundin. Wenn es dann noch möglich ist. Wir wissen nichts. Willst du einen Kaffee? Ja. Zucker? Ach ja, er erinnert sich. Es gibt noch eine halbe Packung vom letzten Mal. Das ist gut, sagt er. Wenn wir heiraten, dann kostest du mich nicht viel. Ja, sage ich, und du darfst zu deiner türkischen Freundin fahren, so oft du willst. Das würde ich nicht tun, sagt er. Eine Bekannte von ihm kommt in den Laden. Man merkt, dass sie Aufmerksamkeit gewöhnt ist. Legt einen Ausstellungskatalog auf die Theke, mit ihren Arbeiten. Sie ist eine bekannte Künstlerin, sagt er zu mir. Sie streitet es ab. Sie haben irgendein Verkaufsgespräch, ich blättere unterdessen in ihrem Katalog, und als sie gegangen ist, sagt er, dass er mit ihren Sachen nichts anfangen kann. Ich sage, ich finde sie dekorativ, aber ich würde sie nicht als Kunst bezeichnen. Sie ist eine Nachfahrin des Mannes, der das Kunstmuseum in Mytilini gegründet hat und lebt in Petra und Athen. Eine reiche Familie. Er sagt, sie war eine Schönheit, aber ganz plötzlich ist sie sehr alt geworden. Sie ist ein Jahr jünger als du, sage ich. Ich habe es in ihrem Katalog gelesen. Ja, aber ich sehe jünger aus. Stimmt’s? Ich sehe jünger aus. Er lacht wie ein Junge. Wir müssen morgen einen Ouzo trinken, sagt er. Ruf mich um halb Eins an. 


Zuhause mache ich mir Spaghetti mit Tomatensoße, trinke haufenweise Wasser, spüle ab, gehe zum Trinkwasserbrunnen und fülle meinen Dreiliterkanister. Eigentlich müsste ich die Tomaten noch gießen, aber ich bin jetzt zu müde. Ich werde sie sowieso nicht mehr essen können. 



28. Juli -

2020/07/28 22:43 



Heute (gestern auch) "Elses Traum" angefangen. Szenen entworfen. Wolkig. 


Muss mich selber draußen vorlassen. Else führt den Stift. Die Aufzeichnungen meines Vaters hervorholen. Mit Recherchen bis zum Schluss warten. 


Schlechte Nacht, die ich am frühen Morgen mit Yoga Nidra beendete. Nach der Arbeit fuhr ich an den Strand, versuchte, etwas zu schlafen, im fleckigen Schatten, zwischen langen Aufenthalten im Wasser. Danach Mittagessen mit Christina. Mezedes. Ein halber Liter Wein dazu. Sie isst zwei Gurkenscheiben, ich esse den Rest. Ich sehe gut aus, findet sie. 


P hat heute einen Coronatest bestellt, weil sie einen Druck auf der Brust hat, schon seit März, und immer noch hustet. Ich glaube nicht, dass es Covid-19 ist, dazu redet sie jetzt schon zu lange von diesen Symptomen, aber ich mache mir etwas Sorgen. 


Punxy steht vor der Tür und gibt lautstark kund, dass sie hereingelassen werden will. Ihr kleines Gesicht taucht am Fenster auf. Ich muss lachen. Caesarion im Schlepptau, in seinem schlenkerigen Gang. Jetzt zwei schnurrende Katzenpakete auf dem Bett. Caesarion fängt an zu zucken. Vielleicht träumt er mit offenen Augen. 


Habe heute eine Überschwemmung bei D verursacht, aber er war nicht sauer, es ist wohl schon oft vorgekommen, und bei dem Wetter wird es auch schnell trocknen. Wie konnte es nur passieren? Ich habe mich zu sicher gefühlt, bin mit einem Gefühl der Überlegenheit und Unbesiegbarkeit zwischen Brunnen und Pumpe hin- und hergesprungen. 


Nachmittags lag ich auf dem Bett und schlief, im Windzug des Ventilators. Wachte dann wieder mal mühsam auf, kochte mir Kaffee, den ich draußen trank, während ich eine Zeichnung vom Olivenbaum machte. Möchte, wenn ich wieder zu Hause bin, über Van Gogh lesen. Seine Bilder studieren. Einer meiner ersten Welt- und Seelenöffner. 


Kaufte wieder Masken in der Apotheke. Dann war ich mit S im Kleiderladen verabredet, wo sie ein handgeschneidertes Kleid abholen lassen wollte, aber es war noch nicht fertig und soll ihr jetzt mit der Post nachgeschickt werden. Es tat mir Leid für sie. Schließlich hatte ich sie in den Laden geschleppt. Die dänische Besitzerin klagte darüber, dass das Geschäft nicht gut gehe, aber, so S hinterher, es spricht nicht gerade für ihren Geschäftssinn, dass sie das Kleid verspricht und dann nicht fertig hat und auch nicht anruft, damit die Kundin sich den Weg spart. Stattdessen kam sie zu spät und wollte S. dann auch noch einen anderen Stoff aufschwatzen, vielleicht, um davon abzulenken, dass sie sich nicht an die Abmachungen gehalten hatte. Jetzt hoffe ich nur, dass das Paket nicht viereinhalb Wochen unterwegs ist, denn dann ist der Sommer um. 


Fuhr nochmal ans Meer. Nur einmal rausgeschwommen und wieder zurück. Dann gemütlicher Abend. Ein wenig Gartenarbeit. Wässern (mit dem Überschwemmungsunglück, weil ich die Hähne nicht umgelegt hatte), Reste-Essen und ein Glas Wein in der warmen Abendluft, bis die Mücken zu aufdringlich wurden. 


Informierte mich bei Aegean wegen eines Upgrades zur Business Class, aber es rentiert sich nicht. Habe jetzt beschlossen, mir stattdessen ein Hotelzimmer in der Nähe des Flugplatzes zu nehmen, ein Tipp von S. Man wird abgeholt und am Morgen wieder hingefahren. Ein Mini-Frühstück ist auch inklusive. 60 Euro. Dieser Entschluss füllt mich auch mit einem Gefühl der Erleichterung. Der einzige "Luxus", den ich mir in 5 Monaten leiste. 




27. Juli -

2020/07/27 08:28 



Meine „splendid isolation“ ist wiederhergestellt. Verabschiedete mich gestern von U und T mit je einem Kegel Geburtstagsmarzipan, die sie erst gar nicht annehmen wollten. Seit 47 Jahren ein Paar. Gemeinsame Ausbildung, gemeinsame Arbeit, gemeinsame Wohnung, jetzt Rentner. Und die Liebe zu der Insel, seit über 15 Jahren schon. Wie fühlt es sich an, wegzufahren? Scheiße! Ihre Flüge für Oktober sind schon wieder storniert worden, aber sie hoffen, dass sie dieses Jahr nochmal kommen können. Es war schön, bestätigen wir uns gegenseitig. Natürlich keine Umarmung. 



Nach drei Tagen Ausnahmezustand mit dem Besuch in Kalloní am Freitag, den Geburtstagsfeiern Abend zuvor und am Samstagmorgen und mit den ausgedehnten Besuchen in der heißen Quelle von Eftalou an allen drei Tagen hintereinander bin ich jetzt wieder in einem Alltagszustand gelandet. Fahrrad ans Meer, ein paar Worte mit Artemis gewechselt. Es sind eigentlich nur nicht-griechische Frauen, die hier am Morgen zum Schwimmen kommen. Eine Holländerin zieht lange Bahnen an der Strandkante entlang: Kraulen, Rückenschwimmen. Es sieht professionell aus, auch wegen der schwarzen Schwimmbrille. Bei jedem sechsten Kraulzug atmet sie, Kopf an die Luft geworfen. Unsere Bahnen kreuzen sich, als sie gemächlich in Rückenlage dahinzieht, wir grüßen uns. Ihre Hunde laufen ihr am Strand nach, bellen besorgt. Ich lege meine Kleider inzwischen in einem Häufchen ab, die Flipflops ganz unten, mit Steinen beschwert. 


Mit S gestern beim Eisessen im Café Sunset am Meer und dann Fahrradtour nach Eftalou. Die heiße Quelle hatten wir zunächst für uns, aber es ging ein ständiger Strom von Strandbesuchern den unwegsamen und teilweise vom Wasser überspülten Weg an der Wasserkante entlang Richtung Badestrand, einige mit Sonnenschirm, Badestühlen, Matten beladen. 


Haben Sie heute nichts vergessen? fragte der junge Kellner in der Taverne, in Anspielung auf meine Brille und darauf, dass ich beim Gehen mein Käppi am Stuhl hängen gelassen hatte. Als ich ging, verhakte sich sein Armband in meinem Handtuch, das an meinem Rucksack festgeschnallt war. Ich nehme Sie mit, sagte ich. Er lachte. Auf dem Weg zum Klo durch einen schmalen Gang am Haus entlang ging man erst an einer Reihe Gefriertruhen vorbei, um dann auf eine weiße Gruft auf dem benachbarten Klostergelände zu blicken. Ein surreales Erlebnis. 


Juan Rufo: Pedro Paramo. Ein Buch, das nur 150 Seiten lang ist und das trotzdem lange herhält und im Inneren nachhallt. Ein Chor der Toten. Ich lese es in Etappen. Ein Buch, das Einsatz fordert. 


Wieder tauchte wie ein Fitzlibutzli aus der Versenkung Eleftheria auf, als wir in Molyvos beim Eisessen am Meer saßen. Sie war im Bikini und hatte ein Tuch um den Kopf geschlungen, darüber einen Sonnenhut. Außerdem eine große Sonnenbrille. Ich hätte sie beinahe nicht erkannt, sie sah aus wie eine Diva auf Sommmerurlaub. In all den vergangenen Jahren war sie die Hüterin der heißen Quelle, und ihr Mann Filippo war der Wächter. Ich kann nicht zur heißen Quelle gehen, ohne in meinem Inneren ein Bild von ihm zu sehen, wie er unter dem Sonnendach sitzt, mit Blick aufs Meer und einem breiten Lächeln. Ich höre ihre Stimme und sehe sie mit ausgebreiteten Armen auf mich zukommen. Jetzt verkommt das Gebäude, nur ein paar Streunerkatzen sind noch da, eine davon die alte "Eleftheria", gefüttert von der amerikanischen Yogalehrerin, die ein wenig weiter ins Land hinein ein Haus hat, auch das von Katzen bevölkert. Am Eingang der heißen Quelle liegen ein paar Papiere auf Griechisch, die wohl darüber informieren, dass die Benutzung untersagt ist. Gestern waren sie schon vom Tisch heruntergeweht, lagen auf dem Boden, neben einem Haufen von anderem Müll. 


Denke an den Tag, an dem ich zur heißen Quelle kam und Eleftheria in Schwarz und in Tränen antraf, und an dem alles anfing, den Bach hinunterzugehen. Das ist jetzt eineinhalb Jahre her. 


19:11 


Alle praktischen Probleme haben sich heute von selber gelöst. Vielleicht ist es das Meer, in das ich jeden Tag eintauche, bis ich meinen Namen nicht mehr weiß. Heute warfen mich die Wellen an den Strand. Ich stand auf und ging. 


Anna war heute auf der Nachbarterrasse. Wir begannen zu reden. Sie erzählt von ihre Neffen, der in Malmö lebt. Er macht "alle" Arbeiten. Ich sage nicht, dass wir seine Telefonnummer schon haben. Gebe ihr meine und Ps Nummer. 


Sie fragte nach den Katzen. Soll ich sie füttern? Ich weiß ja, dass sie Geld braucht und im Moment wenig Arbeit hat. Ich rief P an. Kurze Beratschlagung. Ja, wir wollen, dass du die Katzen fütterst. Wir bezahlen dich dafür. Ich beschrieb die Katzen. Ein dicker weißer Kater mit kleinen grauen Flecken (Bibi). Eine kleine grauweiße Katze mit einem abgeschnittenen Ohr (Julia). Drei braunweiße Katzen. Punxy muss ich nicht mitzählen, sie geht schnurstracks zu ihrem anderen (unbekannten) Zuhause, wo man ihr wieder die wilde Mähne zähmen wird. Sie deutet auf Caesarion, der auf der Sonnenliege liegt. Ja, der auch. 


Die Tomatenpflanzen nimmt sie mit sich nach Hause. Erleichterung. 


Dann kam ich auf die geniale Idee, sie zu bitten, dass sie mir beim Putzen hilft. Sonst hätte ich heute schon mit dem Putzen angefangen. Schränke ausräumen, unterm Dach saubermachen, Katzenhaare entfernen, Schubläden auswaschen. Sachen, die nicht für Gäste gedacht sind, über die Leiter nach oben bringen. Waschen. Die Matratze vorziehen, nochmal unterm Kastenbett staubsaugen. Fenster und Glastüren putzen. Du spinnst, schreibt P, du hast doch jede Woche Großputz gemacht! 


Mit Giannis ging ich alles noch einmal durch. Er hatte mir eine Tüte mit Tomaten und eine Gurke mitgebracht. Ich fotografierte hinterher alle Hähne und schickte sie ihm. Es kam ein „Daumen hoch“ zurück. 


Machte Essen: gefüllte Tomaten, Tzatziki und Rote-Bete-Salat und lud S. dazu ein. Wir saßen auf der Terrasse, bis es dunkel war und die Mücken uns halb aufgefressen hatten. Sie verdient einen Haufen Geld. Ein Tag Arbeit reicht für einen Monat Leben. 



26.7. -

2020/07/26 09:07 



Gestern konnte ich wieder nicht einschlafen. Das Surren, das Jucken, das Krabbeln. Ein hellwaches und doch stumpfes Hirn. Dann wachte ich auf, als die Sonne grade über den Horizont kletterte. Mit einem Schlag war es hell. Vergeblich versuchte ich, wieder einzuschlafen. Hörte leise Stimmen von der Nachbarterrasse. Die österreichischen Nachbarinnen, von denen ich mich gestern Abend schon verabschiedet hatte. Ich ging hinaus. Heute hatten sie ihre leichten Urlaubskleider gegen ein sportliches Reise-Outfit ausgetauscht. Noch ein "Ba-baa". Man wünscht den anderen jetzt in erster Linie "Gesundheit". Sie werden mir fehlen - und ihr Österreichisch, in dessen Nähe ich mich zu Hause fühlte -, aber ich bin auch froh, dass ich jetzt nicht mehr so vorsichtig sein muss. 



Las mich durch große Teile meines Blogs. Nichts Besonderes, aber ich bin trotzdem froh, diese Erinnerungsfetzen zu haben. 



Für die nächsten Tage stehen viele praktische Sachen an. Was mich am meisten belastet: 1) Mit Giannis noch einmal wegen dem Garten reden, inklusive der Probleme, die auftauchen können. 2) Eine Lösung für die Tomatenpflanzen finden und für die Kürbispflanze. 



Der rote Kater mit dem traurigen Gesicht hat sich jetzt auch einen Mittagstisch erschlichen. 



Traf Ch. mit ihrem neuen Lebensgefährten. Wie ein Kater ist er bei ihr eingezogen, kurz nachdem seine Frau gestorben war, und sie hat die Verantwortung für ihn übernommen. Praktisch, weil sie Ärztin ist und er Diabetes hat. Mit einem Lächeln, das mich an die Cheshire-Katze denken ließ, saß er neben ihr am Cafétisch, auf dem zwei Biergläser standen und ein Schälchen mit Erdnüssen. 






25. Juli -

2020/07/25 18:36 



Gestern in Kalloní in einem Café gefrühstückt. Greek Cream Pie und Cappuccino. Abstandsjustierung. Lese Pedro Paramo. Im Supermarkt bekommt man Karten mit der Information, dass man in Schlangen 6 qm Platz lassen soll. Maskenpflicht. Bei Nichtbeachtung 150 Euro (falls Kontrollen stattfinden). Ich kaufe Oliven, einen Spülschwamm, ein Baguette, ein Wasserglas (als Ersatz für eines, das mir zerbrochen ist), eine Packung Espresso. Ein alter Mann ohne Maske atmet mir an der Kasse in den Nacken. 



Bei einer Frau auf der Straße kaufe ich Auberginen, eine Melone, Gurken, Tomaten. Wo ich herkomme, möchte sie wissen. Molyvos, sage ich. Dann erst fällt mir ein, dass sie vielleicht mein Herkunftsland wissen will. Oder wo ich lebe. Schweden, sage ich. Lebst du allein? Nein, sage ich. 



Kaufe Entwurmungstabletten in einem Garten- und Tiershop. Hier war ich auch mal mit Cleo, als sie einen Abszess hatte. Ihr Skelett auf dem Röntgenbild. Es war in derselben Woche, in der mein Vater starb. Ich war hier, ich fürchtete mich davor, mit ihm am Telefon zu sprechen. Meine Schwester rief mich an und weinte. Cleo kotzte auf dem Weg zurück, das ganze Auto roch nach halbverdautem Katzenfutter. Die anderen kümmerten sich zu Hause um das Sterben meines Vaters. Besuchten ihn, rasierten ihn, kämmten ihn, sprachen mit dem Ärzten. Mary sagte, hast du noch, was du mit deinem Vater klären musst? Nein, sagte ich. Dann brauchst du nicht nach Hause fahren. An seinem letzten Morgen schrieb meine Schwester, es geht ihm anscheinend besser. Eine halbe Stunde später kam der Anruf. Ich musste meinen Kurs abschließen. Es gibt ein Bild in Marys Taverne. Ich lache, inmitten der Teilnehmerinnen. Erst als ich in Rgbg war, mit geliehenen Kleidern, die mir nicht richtig passten, weinte ich. Da hatten die anderen schon fertig geweint. Mein Abschiedsritual am Meer. Blumen, die ich ins Wasser warf, das Segel aus zusammengeklebten Teebeuteln, das im Wind davonflog. Der Stein in Herzform, den ich vom Strand aufklaubte und im Koffer mitnahm und der jetzt auf seinem Grab liegt. Die Insel ist schon mit mir und meinem Leben verwachsen. 



Eine 100-jährige Frau, so erzählte Giorgos heute, als ich bei ihm im Laden saß, wurde heute begraben. Gegenüber von seinem Laden liegt die Kirche. Sie ist nicht hier gestorben, wurde aber für die Beerdigung hierher gebracht. Wie? Mit dem Flugzeug? Mit dem Boot? Keine Ahnung. Mit der Post wahrscheinlich nicht, sagt er. Wir lachen, während die Trauergäste mit Masken durch das Tor kommen. 



Eine Frau versucht mit dem Moped den Anhang hochzufahren. Sie lässt den Motor immer wieder aufheulen. Es nervt ihn, er stellt sich in die Tür, die Hände in die Seiten gestemmt. Die Shorts hängen an ihm dran. Ich sage ihm, wie alt ich heute geworden bin. Er kann es nicht fassen, dabei ist das nicht das erste Mal, dass ich ihm sage, wie alt ich bin. Er hat auch vergessen, dass ich das letzte Mal Zucker in meinen Espresso wollte. Eine ganze oder eine halbe Packung? Eine halbe. Gut, sagt er, dann hebe ich die andere Hälfte für nächstes Mal auf und schreibe deinen Namen drauf. Ich stelle mich jeden Tag auf den Kopf, sage ich, und habe gelesen, dass man dadurch den Alterungsprozess bremst. Aha, sagt er ohne großes Interesse. Ich glaube an Sex. Es macht was mit einem, man kriegt Energie. Aber wir können ja zurzeit keinen Sex haben, fährt er sachlich fort. 


Heute mein Geburtstag. Viel Gelächter auf meiner Terrasse gestern Abend, als wir in den Tag hineinfeierten. Mitternachtstanz, Ständchen, sogar Geschenke, Kerzen, die ich ausblasen sollte. 


Am nächsten Tag: Theodos schenkt mir eine Flasche Weißwein, die er aus seinem Weinregal holt. Wir trinken den oft zu Hause, sagt er. Mary lädt mich auf ein Glas Wein ein. Taxia singt mir ein Ständchen auf Griechisch. Ich verteile kleine Marzipankegel (handgemacht aus Mandeln und Honig). Theodos nimmt seinen Kegel sorgfältig mit einer Papierserviette aus der Plastikschachtel. Mary fließt über. Oh, meine Liebe, viel Erfolg. Luftkuss. Auf Zoom treffe ich schwedische Freunde und KP und R obendrauf. Zwei Freunde aus Malmö setzen sich Engelsschmuck ins Haar und singen ein umgedichtetes Weihnachtslied für mich. KP und R singen ein deutsches Geburtstagsständchen im Kanon. Gianni, der in der Küche steht, ruft mir hinterher: Alles Gute zum Geburtstag! Ein alter Mann streckt mir die Hand hin. Glückwunsch. Wenn wir traurig sind, möchten wir alleine sein, sagt er. Wenn wir uns freuen, möchten wir unter Menschen sein. Die zwei älteren Griechinnen (wahrscheinlich so alt wie ich), die am Nachbartisch vor einem Teller mit griechischen Plätzchen sitzen, gratulieren mir. Ich singe das Lied jetzt nicht nochmal, sagt Taxia, als die Schweden klagen, dass sie nichts gehört haben, sonst fliegen die Vögel weg. 


Bei der heißen Quelle finde ich nach dem Bad im Meer meine Brille nicht mehr. Ich bitte eine andere Baderin, die gerade aus dem Meer kommt, mir beim Suchen zu helfen. Sie strengt sich an, kann aber auch nichts sehen. Dann laufe ich hin und her auf dem steinigen Weg, frage im Restaurant nach, ob was abgegeben wurde. Zwei junge Touristen, denen ich zuvor den Weg zum Strand gezeigt habe, versprechen mir, auf dem Rückweg die Augen offen zu halten. Ich gehe noch einmal zurück. Plötzlich sehe ich etwas unter der Bank in der Umkleide. Offensichtlich habe ich die Brille unwissentlich mitgeschleift, als ich den Rucksack "sicherheitshalber" mit mir in die Nähe des Beckens nahm. Der alte Mann vom Restaurant fragt den Kellner: Hat sie sie wieder gefunden? Ja. Wo war sie? Er bekommt eine Erklärung auf Griechisch. 


Ich setze mich an den höchst gelegenen Tisch, esse gefüllte Zucchiniblüten und grünes Gemüse und blicke aufs Meer und auf die türkische Küste. Eine kleine griechische Flagge ist in einen Felsen gerammt. Ich stelle mir die Flüchtlingsboote vor, die hier gelandet sind, die Flüchtlinge, die wussten, dass sie jetzt "in Sicherheit" waren, aber nicht, was sie jetzt noch erwartete. Der komplette, radikale Neuanfang. 


Jedes Mal, wenn ich in dem Wegewirrwarr in den Olivenhainen unterwegs bin, denke ich mir, dass ich über die Wasserleitungen etwas schreiben will. Wasserknotenpunkte mit Wasseruhren. Schläuche liegen an den Wegen entlang, immer mal wieder hat einer ein Loch, und oft ist das Loch notdürftig geflickt. Das Wasser sprudelt um die geflickte Stelle heraus, es bilden sich grüne Oasen, sumpfige Pfützen. Manche der Kupplungen, die scheinbar chaotisch über den Brunnenöffnungen liegen, sind isoliert mit Blasenplastik. Irgendwo zurrt ein Draht was zusammen oder ein Stuck abgerissenes Gewebe von einem Olivensack. 


Ich denke mir auch, dass ich über die Männerreiche schreiben will. Diese halbwilden Grundstücke, die improvisierten Lösungen, ein Rest von Ungezähmtheit. Hunde im Rudel, Hütten und Unterstände, aus Müll gebaut. Irgendwo findet man immer etwas, dass man umfunktionieren kann, dem man ein neues Leben geben kann. Es ist nicht nur Geldmangel, sondern auch praktisches Denken. 


Deshalb sind Giorgos Arbeiten so griechisch. Ich benütze nur Müll, sagt er stolz, "rubbish". Ein feiner Herr war da vorgestern da, erzählt er, und hat fünf von seinen Flüchtlingsbooten gekauft. Er hatte einen grauen Anzug an und sprach nicht viel, Giorgos weiß also nicht, was den Mann zu diesem Kauf bewegte. Am selben Tag hat er dann in seiner Werkstatt sieben neue Boote gebastelt. Ich bin an dem Abend an deinem Laden vorbeigegangen, sage ich, und schildere meinen Eindruck von dem leeren, halbdunklen Laden. Er lehnt sich zurück und will es genau wissen. Erst später, bei meinem Bad im Meer, fällt mir das Wort ein: der Laden strahlt etwas "Heiliges" aus. Auf English klingt es besser: "sacredness". 


Ich bin dünner geworden, sagt Giorgos und streicht sich über den flachen Bauch, stimmts? Wieder fragt er mich, ob ich Ouzo trinke. Warum fragt er mich das jedes Mal, wir waren doch schon zweimal auf einen Ouzo in Petra, und vor ein paar Tagen nur hat er mich das Selbe gefragt! Ich erzähle ihm, dass meine Mutter jeden Abend vor dem Schlafengehen einen Schluck Ouzo trinkt. Er sagt, seine Mutter nahm immer mal wieder winzige Schlückchen aus einer kleinen Ouzoflasche. Alle paar Tage musste er ihr eine neue Flasche bringen. Er macht vor, wie sie an der Flasche zutzelte und schlürfte. Es schmeckt ihnen, sagt er und lacht. 


In der Apotheke kaufe ich Masken für Kursteilnehmerinnen in Schweden und ein Visier für meinen Flug. 


Ich möchte auch über den Abfall schreiben, der die Straßenränder säumt. Jedes Mal, wenn ich mit dem Bus nach Kalloní fahre, nehme ich mir das vor. Gedankenlos aus dem Fenster geworfene Plastikflaschen, Bierdosen, Kaffeebecher. Wenn die Leute es nicht einmal fertigbringen, ihren Müll zu sammeln und in die Mülltonne zu werfen, wenn sie bei vollem Bewusstsein Plastikabfall in die Landschaft schleudern, was ist das für eine Welt, die sie sich wünschen? Was denken, was fühlen diese Männer? Wer soll ihren Müll aufsammeln? Wieso denke ich, dass es hauptsächlich Männer sind, die sich auf diese Weise der Welt aufdrängen, ihr Revier markieren, sich aggressiv und respektlos verhalten? Was steckt für ein Impuls dahinter? Fühlt es sich unmännlich (schwach) an, Abfall in die dafür vorhergesehene Behälter zu werfen? Verliert man seine Stellung im Rudel? Ist es eine Geste der Auflehnung, der Rebellion, und gegen wen und was? 



Bei einem Wortspiel am Abend zuvor sollte ich das Wort "spucken" erraten - ich war schon nahe dran, kam aber erst drauf, als eine meiner Mitspielerinnen sagte, "vor allem Männer machen es". 



Der Busfahrer und sein Kompagnon haben ein kleines Betrugsspiel entwickelt. Dummen Ausländern (mir) wird ein Fahrschein mit dem Aufdruck 0,00 Euro verkauft. Wenn der Assistent während der Fahrt alle Passagiere kontrolliert, nimmt er den "kostenlosen" Fahrschein an sich, während er die anderen wieder an die Fahrgäste zurückgibt. Wenn man das bei jeder Fahrt bei einem Passagier macht, dann bezahlt das sicher alle Frappés des Tages. Ich überlege mir, ob ich beim Aussteigen etwas sagen soll, lasse es dann aber bleiben. 




24. Juli -

2020/07/24 07:03 



Sitze im Bus nach Kalloní. Es muss einen Grund dafür geben, dass ich so früh aufwache, dachte ich heute, und entdeckte dann, dass das Spezialfutter für Caesarion aus war. 

Gestern Abend saß ich in der Dunkelheit lange auf der Terrasse und malte, zu einem Glas Apfelschorle. Ich habe keine Ahnung, wann ich mich schlafen legte. Muss jedenfalls vor sechs Uhr wieder aufgewacht sein, denn als ich auf die Uhr schaute, war es sechs. Dann etwas unentschlossen herumgelegen. Als ich aufstand, um die Katzen zu füttern, sah ich, dass der Katzenfutterbeutel im Schrank so gut wie leer war. Plötzlich hatte ich es eilig. Geduscht, Bett gemacht, Maske eingepackt, Wasserflasche, Geld, Skizzenbuch, extra Rucksack, die Einkaufsliste, an der ich schon seit Wochen herumbastle. Das fast leere Handy, das ich im Schuppen hatte, ein wenig aufgeladen. Mit dem Fahrrad den Abhang hinunter gesaust. 


Saß gestern lange bei Mary, trank ein Bier, aß Kartoffelchips aus der kleinen Schale, die man dazu bekommt. Buchte auf dem Ipad eine Zugreise nach Rgbg. Die Strecke Malmö-Kopenhagen war für die Buchung gesperrt. In der Hoffnung, dass ich das Problem "Kopenhagen" von Malmö aus lösen kann, habe ich dann als Abreiseort Kopenhagen angegeben und "Stornierungsschutz" angekreuzt. Da ich zwei Voucher hatte, musste ich "nur" 40 Euro drauflegen. War am Ende total erschöpft, auch weil ich bei jedem Versuch P bitten musste, die Kreditkarte zu bestätigen. 


Am Nachmittag mit meinen Nachbarinnen zum Kaffeetrinken auf der Terrasse. Wieder hörte ich die Theorie, dass man bloß krank wird, wenn man "Angst" hat. Muss man jetzt Angst davor haben, dass man Angst hat? Und wenn man krank wird, werden die anderen dann den Kopf schütteln und sagen, "das ist nur passiert, weil du Angst hattest"? 


Es gehört außerdem zur kritischen Ausstattung, das Tragen von Masken zu bezweifeln, den Regierungen, die Ausgangssperren angeordnet haben, autokratische Impulse zu unterstellen und den Medien Angstmacherei. Die Zahlen sind sowieso "nicht aussagekräftig". Ich würde in diesem Zusammenhang sagen, "im Zweifel für den Angeklagten", also für die Maske. Auch wenn sie nur 20% Schutz bietet und zwar den anderen. 


Der Bus jetzt in Petra und hat gerade getankt. Die Morgensonne scheint. Fast jeder im Bus trägt eine Maske. Wir kommen in die Olivenhaine hinein. Terrassiertes Land. 


Eine Frau aus Finnland in rosa Hosenanzug kam in Marys Lokal (ohne Maske) und bestand auf einer Umarmung. Wahrscheinlich gerade mit dem Flugzeug angekommen. Hinter ihrem Rücken rollte Mary verzweifelt mit den Augen. 




23. Juli -

2020/07/23 16:22 



Und, was machst du heute, fragte mich S am Morgen. Ich hatte keine Ahnung, was ich antworten sollte. Jetzt ist es schon später Nachmittag, ich sitze auf der Terrasse und trinke Kaffee, und es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern, was ich tagsüber getan habe. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich diese Aufzeichnungen schreibe. Es geht ein heißer Wind. Auf dem Tisch liegt Pedro Paramo von Juan Rulfo, ein Buch, das ich schon einmal gelesen habe. Es ist wie ein Traum und passt zu der allgemeinen Stimmung. In der Früh war ich beim Schwimmen im Meer. Nach dem Frühstück habe ich zwei Lektionen Griechisch gemacht. Ich habe gesehen, dass meine „Zucchinipflanze“ ein Kürbis ist. Ich habe den Kompost gewendet und drei Ladungen Wäsche gewaschen (auch die meiner Nachbarinnen), während ich die wöchentliche (letzte) Mail für meinen Schreibkurs schrieb und ein paar abschließende Gedanken in den Computer tippte. Darüber wurde es Mittagszeit. Kochte mir Spaghetti mit Zucchini und Tomatensoße und geriebenem Ladotiri und aß unter dem Olivenbaum. Machte das Mini-Kreuzworträtsel der NYT und las einen Artikel über einen polnischen Opernregisseur, der in Salzburg lebt und dort spannende Inszenierungen schafft. Er sagte, die Stadt sei schwer für ihn zu ertragen. Während der Ausgangssperre sei es ihm leichter gefallen. Legte mich aufs Bett und fiel in einen anstrengenden Schlaf, aus dem ich aufwachte, weil A mir eine Nachricht schickte. P hat ein virtuelles Geburtstagsfrühstück für mich organisiert, mit schwedischen Freunden. Lud meine Nachbarinnen auf einen Spieleabend ein für morgen Abend. Stellte mir vor, dass ich nach Kallonì fahre, dort Sekt und Katzenfutter kaufe und nach einer Komposttonne Ausschau halte. Kochte mir einen Espresso im griechischen Kaffeekännchen, mit Zucker und Milch, und sortierte die Wäsche, die schon trocken war. 



Gestern Abend mit S. bei Mary. Zuvor die monatliche Sitzung unserer Wohn-Coop, mit Bier. P backt schon Kuchen für meine Heimkehr. Ich möchte gerne nach Hause kommen, fürchte mich aber vor dem Abschied. 



Giorgos gestern Abend, unrasiert, schlecht gelaunt. Was ist passiert? Nichts. Es passiert nichts! Wir warten alle darauf, dass etwas passiert, etwas Großes, das unser Warten hier rechtfertigt, aber es passiert nichts! Ich wünsche mir den Winter zurück! Ich hatte S. mitgenommen. Etwas unbeholfen versuchte ich sie für die Sachen zu interessieren, die er in seinem Laden hat. Auf dem Weg nach unten gingen wir im Laden einer Dänin, die maßgeschneiderte Sommerkleider verkauft. Vor dem Laden saß eine Schwedin aus Stockholm. Sie sprach mich im Stockholm-Akzent an, aber ich ging sofort auf Englisch über. Schwedisch fühlt sich schwerfällig an auf meiner Zunge, vor allem, wenn ich mit jemandem reden soll, der aus Stockholm ist. Das makellose schwedische Blondsein und die unverbindliche Freundlichkeit lösen bei mir sofort einen inneren Widerstand aus. 




21. Juli -

2020/07/21 21:17 



Bin ich denn überhaupt hier gewesen? Oder bin ich die ganze Zeit davor geflohen? 



Heute Arbeit am A-Text. Ich zweifle an jedem Satz. "Mach es jetzt einfach fertig", schreibt P. "Es ist gut." 



Es soll wieder heißer werden. Noch heißer. Nachmittags lag ich wieder erledigt auf dem Bett, schlief über eine Stunde, wackelte dann hinaus in die Nachmittagshitze, nähte einen Knopf an meine Shorts. 



Jetzt auf der Terrasse. Die Sonne ist untergegangen. Die Zikaden sägen, die Hunde bellen, der Himmel über dem Dorf ist eine Symphonie von Farben. Die Burg ist angeleuchtet. Wie kann man sich an jemals daran gewöhnen? Diese Schönheit. Aus dem Abstand. Je näher man kommt, desto mehr bröckelt die Schönheit. 



Der Käfer: Etwas krabbelte an meinem Bein, als ich gerade den Knopf an die Shorts nähte. Ich rieb mit dem Fuß dagegen. Als ich schaute, sah ich, dass es ein großer Käfer gewesen war. Zwei Beine lagen auf dem Boden, daneben der reglose Körper. Schlechtes Gewissen. Warum habe ich nicht nachgeschaut, einfach nur meinen Impulsen blind gehorcht? Eine Weile später sehe ich, dass der Käfer nicht tot ist. Völlig versehrt kämpft er darum, sich fortzubewegen, schleppt sich im Kreis herum. Auch Fliegen ist nicht mehr möglich. Ich wünsche, dass eine Katze käme, dieser Qual ein Ende bereiten würde. Aber nach einer Weile muss ich einsehen, dass ich selbst es machen muss. Gehe, um einen Stein zu holen. Entschuldige mich bei der Kreatur, der ich solches Leid zugefügt habe. Entschuldige mich, weil ich ihm jetzt das Leben nehme. Schlage mit dem Stein zu, nehme den zerquetschten, toten Käfer an einem Bein und werfe ihn in den Rosmarinbusch. Was ging in ihm vor, als er sich so mühselig über den Boden schleppte? Hinterher denke ich mir ein Szenario aus, in dem ich mit ihm zur Tierärztin fahre und sie bitte, ihm einen kleinen Rollstuhl zu basteln. Wir leben zusammen, bis der Tod uns scheidet. Plötzlich sind wir Verbündete, karmisch miteinander verschweißt. Werde ich diesen Moment auch vergessen, wie das meiste sonst? Oder wird er in meinem Gedächtnis bleiben? 



Meine Mutter ist heute mit dem Bus zum Treffen mit ihren ehemaligen Klassenkameradinnen gefahren, schrieb meine Schwester. "Eine schöne Entwicklung." Gestern sprach ich mit ihr (unserer Mutter). Erst zählte sie mir alle Argumente her, die gegen dieses Treffen sprachen, aber kurze Zeit später hatte sie sie vergessen. 



Präsent sein ist die größte und die schwierigste Aufgabe. Immer wieder ziehen wir etwas hervor, das uns von dem jetzigen Augenblick trennen kann, weil wir ihn nicht aushalten. Warum? Weil er kein Futter für unser Ego bietet. Er ist einfach nur da. Immer versuchen wir, ihn in ein System, in eine Kategorie einzuordnen, unserer Weltsicht zu unterwerfen. Warum? Weil unser Ego Angst vor der Auslöschung hat, weil es nicht erträgt, ein Teil von einem Ganzen zu sein. Aber warum sind wir so konstruiert? Wenn ich erlebe, dass Tiere mich als Bedrohung sehen, dass sie versuchen, mir zu entkommen, frage ich mich, was in ihnen vorgeht? Geht etwas ihn ihnen vor? Gibt es einen Funken Bewusstsein, der sich gegen den Tod, gegen die Auslöschung auflehnt? Und was unterscheidet mich von den Ameisen, die ich von der Arbeitsfläche am Spülbecken wische? 



Heute sah ich eine weitere von Artemis' Töchtern: eine faszinierende, natürliche Schönheit. 




20. Juli -

2020/07/20 13:32 



Sitze auf der Terrasse. Komische, unruhige, gedrückte Laune. 



Eigentlich könnte ich froh und erleichtert sein, weil ich gerade gelesen habe, dass Tiere, die ab und zu fasten, insgesamt gesünder sind und länger leben als Tiere, die andauernd Futter zur Verfügung haben. Wenn man Katzen intermittierend fasten lässt, ihnen also an einem Tag kein Futter gibt, am nächsten aber so viel wie sie wollen, fressen sie weniger als Tiere, die regelmäßig gefüttert werden. Dasselbe gilt auch für Menschen. 



Ein Argument dafür, warum mein herannahender Abschied mich nicht so belasten sollte. 



Vormittags Griechisch, Yoga, Meditation, Arbeit am A-Text. Mittagessen: Zucchini und Linsen, dazu gekochte Kartoffeln. Ein Salat aus Tomate und Avocado. 



Meine selber gezogenen Tomaten haben zwar viele Früchte, aber sie sind alle noch grün. Der Zucchinischwanz ringelt sich übers Mäuerchen und hat viele Knospen und Blüten, aber bisher noch keine Frucht. Ich überlege schon seit Wochen, wem ich die Töpfe zur Adoption überlassen kann, wenn ich hier zumache. Täglich gieße ich sie zweimal und freue mich an ihrem Wachsen. Einmal habe ich bisher eine Portion Salat gegessen. 



Hin und wieder frage ich mich, was aus diesem Tagebuch werden soll. Soll etwas daraus werden? 



Las gestern in der NYT ein Interview mit Charlie Kaufmann. Mehr von ihm lesen. Abgefahrene, verrückte Gedanken lösen bei mir ein Glücksgefühl aus. 



P schickt Bilder von neuen Wasserhähnen im Garten. Endlich. Sie haben schon seit Jahren getropft. Der eine ging gestern gar nicht mehr abzudrehen. Sonst hätten wir wahrscheinlich noch ein Jahr gewartet. 




19. Juli

2020/07/19 21:35


Gestern nichts geschrieben. Es war Putztag, Waschtag. Am Abend ans Meer. Dann auf der Terrasse ein Bier und den Rest der Pistazien. Machte mir ein kretonisches Trockenbrot mit Olivenöl, Tomaten und Oliven, darüber Feta. Las weiter in "The Lake District Murder", ein klassischer englischer Krimi von John Bude aus dem Jahr 1930.


Meine Schwester schickt Bilder von meiner Mutter und meiner Tante, die sich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder gesehen haben. Beide gehen inzwischen mit Rollator. Diese Wiederbegegnung der beiden Schwestern ist ein großes familiäres Ereignis.


Am Morgen am Meer erzählte mir Artemis, dass der Besitzer der Terrorhundegruppe angezeigt worden ist und deshalb jetzt seine Hunde in einem eingezäunten Bereich seines großen Grundstücks hält, wo auch Schafe grasen. Erst hatte er wohl versucht, sich herauszureden: es seien nicht seine Hunde, jemand habe sie ihm über den Zaun geworfen, aber das hatte ihm nichts geholfen. Ich war also nicht die Einzige gewesen, die sich bedroht gefühlt hatte. Und bekam endlich eine Erklärung dafür, warum ich die Hunde seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte. Ich hatte vermutet, dass sie entweder überfahren worden waren oder dass man sie eingeschläfert hatte, oder dass er sie weggegeben hatte. Es geht ihnen gut, sagte Artemis. Das Grundstück ist groß. Natürlich geht keiner mit ihnen spazieren oder kümmert sich um sie. Sie sind jetzt wilde, eingezäunte Hunde.


Zum Frühstück Pfannkuchen mit Honig und noch ein kretensisches Brot mit Tomate und Oliven. Wanderung mit S, die ich seit vielen Jahren immer wieder hier treffe. Es kommt dann zu intensiven und erinnerungswürdigen Begegnungen, und dann sehen wir uns wieder ein paar Jahre lang nicht. Ich hatte eine Wanderung nach Vafios vorgeschlagen, verlief mich aber an einer Abzweigung (an der ich mich schon mal verlaufen habe) und wir liefen in der glühenden Sonne zu hartnäckig weiter, kletterten über Stacheldrähte, krochen durchs Gestrüpp, gingen in unwegsamem Gelände, bis wir schließlich einsahen, dass wir doch umkehren mussten. Zu meiner Überraschung erzählte sie mir, dass sie sich von dem Mann scheiden lässt, von dem sie vor zwei Jahren mit so großer Freude erzählt hatte. Das Geld, das sie laut Ehevertrag von ihm bekommen soll, eine Summe, bei der mir der Kiefer runterklappt, hält sie momentan noch zusammen unter demselben Dach.


Wir kehren in einer Taverne in Vafios ein, essen gefüllte Zucchiniblüten, Weinblätter, Tsatsiki und Fava. Eine kleine Katze ist an einer Leine an einem Tisch festgebunden, sehnt sich aber nach Streicheleinheiten. Es kommen griechische Familien und lassen sich reichlich Sonntagessen auftischen. Auf dem Rückweg verliefen wir uns gleich am Anfang, aber ich merkte es noch rechtzeitig, bevor wir schon zu weit bergab gelaufen waren.


Insgesamt waren wir sieben Stunden unterwegs gewesen, als ich nach Hause kam. Ich duschte kalt, legte mich aufs Bett und schlief, ging dann schließlich noch einmal schwimmen, kaufte im kleinen Laden Weintrauben und setzte mich mit einem eisgekühlten Retsina auf die Terrasse. Etwas Sonne abbekommen, trotz Babymilch mit Sonnenschutzfaktor 30.



Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...