Montag, 3. August 2020

27. Juli -

2020/07/27 08:28 



Meine „splendid isolation“ ist wiederhergestellt. Verabschiedete mich gestern von U und T mit je einem Kegel Geburtstagsmarzipan, die sie erst gar nicht annehmen wollten. Seit 47 Jahren ein Paar. Gemeinsame Ausbildung, gemeinsame Arbeit, gemeinsame Wohnung, jetzt Rentner. Und die Liebe zu der Insel, seit über 15 Jahren schon. Wie fühlt es sich an, wegzufahren? Scheiße! Ihre Flüge für Oktober sind schon wieder storniert worden, aber sie hoffen, dass sie dieses Jahr nochmal kommen können. Es war schön, bestätigen wir uns gegenseitig. Natürlich keine Umarmung. 



Nach drei Tagen Ausnahmezustand mit dem Besuch in Kalloní am Freitag, den Geburtstagsfeiern Abend zuvor und am Samstagmorgen und mit den ausgedehnten Besuchen in der heißen Quelle von Eftalou an allen drei Tagen hintereinander bin ich jetzt wieder in einem Alltagszustand gelandet. Fahrrad ans Meer, ein paar Worte mit Artemis gewechselt. Es sind eigentlich nur nicht-griechische Frauen, die hier am Morgen zum Schwimmen kommen. Eine Holländerin zieht lange Bahnen an der Strandkante entlang: Kraulen, Rückenschwimmen. Es sieht professionell aus, auch wegen der schwarzen Schwimmbrille. Bei jedem sechsten Kraulzug atmet sie, Kopf an die Luft geworfen. Unsere Bahnen kreuzen sich, als sie gemächlich in Rückenlage dahinzieht, wir grüßen uns. Ihre Hunde laufen ihr am Strand nach, bellen besorgt. Ich lege meine Kleider inzwischen in einem Häufchen ab, die Flipflops ganz unten, mit Steinen beschwert. 


Mit S gestern beim Eisessen im Café Sunset am Meer und dann Fahrradtour nach Eftalou. Die heiße Quelle hatten wir zunächst für uns, aber es ging ein ständiger Strom von Strandbesuchern den unwegsamen und teilweise vom Wasser überspülten Weg an der Wasserkante entlang Richtung Badestrand, einige mit Sonnenschirm, Badestühlen, Matten beladen. 


Haben Sie heute nichts vergessen? fragte der junge Kellner in der Taverne, in Anspielung auf meine Brille und darauf, dass ich beim Gehen mein Käppi am Stuhl hängen gelassen hatte. Als ich ging, verhakte sich sein Armband in meinem Handtuch, das an meinem Rucksack festgeschnallt war. Ich nehme Sie mit, sagte ich. Er lachte. Auf dem Weg zum Klo durch einen schmalen Gang am Haus entlang ging man erst an einer Reihe Gefriertruhen vorbei, um dann auf eine weiße Gruft auf dem benachbarten Klostergelände zu blicken. Ein surreales Erlebnis. 


Juan Rufo: Pedro Paramo. Ein Buch, das nur 150 Seiten lang ist und das trotzdem lange herhält und im Inneren nachhallt. Ein Chor der Toten. Ich lese es in Etappen. Ein Buch, das Einsatz fordert. 


Wieder tauchte wie ein Fitzlibutzli aus der Versenkung Eleftheria auf, als wir in Molyvos beim Eisessen am Meer saßen. Sie war im Bikini und hatte ein Tuch um den Kopf geschlungen, darüber einen Sonnenhut. Außerdem eine große Sonnenbrille. Ich hätte sie beinahe nicht erkannt, sie sah aus wie eine Diva auf Sommmerurlaub. In all den vergangenen Jahren war sie die Hüterin der heißen Quelle, und ihr Mann Filippo war der Wächter. Ich kann nicht zur heißen Quelle gehen, ohne in meinem Inneren ein Bild von ihm zu sehen, wie er unter dem Sonnendach sitzt, mit Blick aufs Meer und einem breiten Lächeln. Ich höre ihre Stimme und sehe sie mit ausgebreiteten Armen auf mich zukommen. Jetzt verkommt das Gebäude, nur ein paar Streunerkatzen sind noch da, eine davon die alte "Eleftheria", gefüttert von der amerikanischen Yogalehrerin, die ein wenig weiter ins Land hinein ein Haus hat, auch das von Katzen bevölkert. Am Eingang der heißen Quelle liegen ein paar Papiere auf Griechisch, die wohl darüber informieren, dass die Benutzung untersagt ist. Gestern waren sie schon vom Tisch heruntergeweht, lagen auf dem Boden, neben einem Haufen von anderem Müll. 


Denke an den Tag, an dem ich zur heißen Quelle kam und Eleftheria in Schwarz und in Tränen antraf, und an dem alles anfing, den Bach hinunterzugehen. Das ist jetzt eineinhalb Jahre her. 


19:11 


Alle praktischen Probleme haben sich heute von selber gelöst. Vielleicht ist es das Meer, in das ich jeden Tag eintauche, bis ich meinen Namen nicht mehr weiß. Heute warfen mich die Wellen an den Strand. Ich stand auf und ging. 


Anna war heute auf der Nachbarterrasse. Wir begannen zu reden. Sie erzählt von ihre Neffen, der in Malmö lebt. Er macht "alle" Arbeiten. Ich sage nicht, dass wir seine Telefonnummer schon haben. Gebe ihr meine und Ps Nummer. 


Sie fragte nach den Katzen. Soll ich sie füttern? Ich weiß ja, dass sie Geld braucht und im Moment wenig Arbeit hat. Ich rief P an. Kurze Beratschlagung. Ja, wir wollen, dass du die Katzen fütterst. Wir bezahlen dich dafür. Ich beschrieb die Katzen. Ein dicker weißer Kater mit kleinen grauen Flecken (Bibi). Eine kleine grauweiße Katze mit einem abgeschnittenen Ohr (Julia). Drei braunweiße Katzen. Punxy muss ich nicht mitzählen, sie geht schnurstracks zu ihrem anderen (unbekannten) Zuhause, wo man ihr wieder die wilde Mähne zähmen wird. Sie deutet auf Caesarion, der auf der Sonnenliege liegt. Ja, der auch. 


Die Tomatenpflanzen nimmt sie mit sich nach Hause. Erleichterung. 


Dann kam ich auf die geniale Idee, sie zu bitten, dass sie mir beim Putzen hilft. Sonst hätte ich heute schon mit dem Putzen angefangen. Schränke ausräumen, unterm Dach saubermachen, Katzenhaare entfernen, Schubläden auswaschen. Sachen, die nicht für Gäste gedacht sind, über die Leiter nach oben bringen. Waschen. Die Matratze vorziehen, nochmal unterm Kastenbett staubsaugen. Fenster und Glastüren putzen. Du spinnst, schreibt P, du hast doch jede Woche Großputz gemacht! 


Mit Giannis ging ich alles noch einmal durch. Er hatte mir eine Tüte mit Tomaten und eine Gurke mitgebracht. Ich fotografierte hinterher alle Hähne und schickte sie ihm. Es kam ein „Daumen hoch“ zurück. 


Machte Essen: gefüllte Tomaten, Tzatziki und Rote-Bete-Salat und lud S. dazu ein. Wir saßen auf der Terrasse, bis es dunkel war und die Mücken uns halb aufgefressen hatten. Sie verdient einen Haufen Geld. Ein Tag Arbeit reicht für einen Monat Leben. 



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