Mittwoch, 26. Dezember 2012

admiral-hipper-straße

ich habe darüber schon geschrieben
es ist immer noch zuhause

solange ich die adresse auf briefumschläge
ansichtskarten schreibe aber seltener
immer seltener

manchmal nimmt mein vater zum beweis
die große zigarrenschachtel hervor
briefe flattern heraus, bunt beklebt
eng beschrieben, mein drang nach mitteilung

von allen enden und ecken der welt
zu denen es mich trieb
nur fort immer weiter
der entfliehen, die nicht ich war
(so glaubte ich)

braune, grüne, lila tinte
dünnes chinesisches papier
und ein stück pappe
abgerissene kalenderblätter
knisternde luftpostumschläge

deine unleserliche schrift
sagte meine mutter

ich schrieb seltener
immer seltener
inzwischen
nur ein urlaubsgruß
da und da
auf einer gedankenlos gekauften ansichtskarte

wir telefonieren jetzt
die telefonnummer ist die gleiche
der name, wenn am anderen ende
jemand abhebt

„hier auch“, sage ich





Freitag, 14. Dezember 2012

"Was hast du heute gemacht?"

Sitze in meinem Sessel. Eine Katze schläft auf dem Bett, die andere untersucht gerade die Notenbox, die auf dem Teppich steht, weil ich heute Weihnachtsnoten herausgesucht habe.

Was hast du heute gemacht, fragte P mich gerade am Telefon? Was ich heute gemacht habe? Es fällt mir schwer, mich zu erinnern. Einmal war ich draußen, nein zweimal, nein dreimal, das erste Mal, um die Katzenleiter aufzustellen, das zweite Mal, um den Müll rauszubringen und die Katzenleiter wegzunehmen, das dritte Mal, um beim Postladen auf der anderen Seite des Platzes ein Paket abzuholen, das noch nicht angekommen war und jetzt wohl erst am Montag kommt. Ich habe weder gelesen noch geschrieben noch sonst irgendetwas gemacht, was man erzählen könnte. Einige Zeit habe ich mit dem Versuch verbracht, eine bösartige Toolbox von meinem Computer zu entfernen. Vergeblich. Das Ganze endete damit, dass ich Google Chrome völlig deinstallierte und stattdessen Opera installierte.

Ich bekam mit der Post einen Steuerbescheid, der mich wieder zurück katapultierte in die Zeit, in der E noch in meinem Leben war, wenn auch fern, sehr fern. Sie legte damals - wir saßen in ihrem Büro vor ihrem Computer - kurz die Hand auf meinen Rücken, und das war vielleicht das letzte Mal, dass meine Körperwärme und ihre Körperwärme aufeinander trafen. Für sie war das damals schon eine bedeutungslose Geste, für mich waren noch alle Gesten mit Bedeutung aufgeladen. Sie half mir mit meiner Steuererklärung, etwas, wogegen sie sich vorher die ganze Zeit gewehrt hatte. Vielleicht war die Tatsache, dass sie mir an jenem Tag im April plötzlich ihre Hilfe anbot, ein Zeichen dafür, wie groß ihre Gleichgültigkeit, ihr innerer Abstand inzwischen schon geworden war.



wo ich lebe

Montag, 10. Dezember 2012

Die Pelzmütze meines Vaters

Ich dachte heute an die Pelzmütze meines Vaters. Eine dunkelbraune Pelzmütze, die hart war und schwer. Die Ohrenklappen waren immer nach oben geklappt und mit zwei dünnen Bändern zusammengebunden. Er kippte diese Mütze auf seinen Kopf, wo sie dann schwer und fest saß, wenn er hinaus ging in die Kälte, zu seinem Auto (er begab sich nie irgendwohin ohne sein Auto).
Mein Vater ist mein ganzes Leben lang erwachsen gewesen. Ich hatte Angst davor, erwachsen zu werden, also vermied ich es. Jetzt, wo ich manchmal erwachsen sein will, muss ich einsehen, dass es zu spät ist dazu.


Im Schnee

Ich habe die Bibliothek wieder entdeckt. Zwischen den Regalen in der Poesie-Abteilung umhergehen, völlig willkürlich ein Buch herausziehen, darin blättern und lesen, es vielleicht mit nach Hause nehmen. //

Die Frau an der Kasse der Bibliothek betrachtete fasziniert den Umschlag der DVD, die ich mir auslieh. Ein persischer Film, stellte sie fest. Sie war wohl selber aus Persien und sagte, sie habe nie etwas von diesem Film gehört ("Circumstances"). Fast widerwillig überließ sie mir den Film wieder, ich steckte ihn in meinen Rucksack. //




Im Halbdunkel lief ich durch den verschneiten Park, den Blick auf den Boden gerichtet. Kurz sah ich auf und blickte einer Frau ins Gesicht, die mir entgegen kam. Kurz phantasierte ich, dass es (...) sei, der ich hier in die Augen blickte und dass wir einfach aneinander vorbei liefen, obwohl wir einander erkannt hatten.//

Freitag, 7. Dezember 2012

Bad news - good news

“The bad news is you are falling through air, nothing to hang on to, no parachute. The good news is there is no ground.” (Chögyam Trungpa Rinpoche)


Rückblick (eine Woche später)


"Was mich freut: die alltägliche Freundlichkeit des Verkäufers in dem kleinen Lebensmittelladen in Molyvos z.B., der sagt, dass es morgen regnen wird und das ein Grund ist, morgen etwas länger im Bett zu bleiben. Oder die kleine Katze Cleo, so hungrig nach Liebe und Zuneigung und doch so ängstlich, scheu. Sie bewacht das Haus, setzt sich vorsichtig auf die Decke, die ich auf die Sonnenliegen gelegt habe, die Beine unter dem Körper eingezogen, hält mutig eine Weile still, wenn ich meine Hand näher schiebe, zuckt aber im letzten Augenblick zurück. Der stille, alte Olivenbaum vor dem Haus, und selbst das Wetter, das Wetter, dieser Sturm, der jetzt über die Insel zieht, ein warmer Sturm, zwanzig Grad sind es. All das, was eine eigene Kraft hat, sich verausgabt, sich zeigt, ganz und gar, was lebt, seine Schwächen und Stärken einfach offenlegt, ohne Verstellung, ohne sich darum zu kümmern, was sich ziemt, was recht ist. Der Sturm kennt kein Maß. Freilich, würde mir jetzt das Dach überm Kopf wegfliegen, würde ich vielleicht auch etwas anderes sagen. Ich sitze ja hier im Sicheren, im Trockenen, im Warmen, mit drei wohlgenährten müden Katzen, die sich hindrapiert haben auf die Betten, auf den Stuhl."

Freitag, 30. November 2012

Ich fuhr mit dem Auto nach Vatoussa



Ich fuhr mit dem Auto nach Vatoussa, es war Regen für den Tag angesagt worden. Im Auto sitzen fühlt sich gut an. Einfach aufs Gaspedal drücken. Der Himmel ist schwer und hängt herunter.

In Vatoussa stellte ich das Auto auf dem Parkplatz ab und stieg erst hoch, in das "Zentrum". Ein zahnloser alter Mann begegnete mir auf einer der engen Gassen, er trug eine Ladung morsches Holz über der Schulter, es sah schwer aus.

Ich setzte mich in kleinere der zwei Tavernen des Orts, um einen Toast zu essen, bevor ich losging, ich war der einzige Gast, in der Ecke an der Wand lief ein Fernseher, eine politische Diskussion auf griechisch, irgendwo in Athen, und im Hintergrund sah man ab und zu Bilder aus dem deutschen Bundestag, "Finanzhilfe für Griechenland" war darunter zu lesen, die Athener Intellektuellen, drei Männer in den Fünfzigern, unterhielten sich, lautstark zum Teil, die langhaarige, junge Moderatorin versuchte ab und zu, Ordnung ins Gespräch zu bekommen, und hier in diesem kleinen Bergdorf Vatoussa auf Lesbos saß ich und aß einen Toast mit Schinken und Käse und trank Tee mit Zucker aus einer geblümten Tasse, während die Besitzerin, die irgendwo um die sechzig war, an der Theke herumgruschelte und ein Mann hereinkam und sich schweigend an einen Tisch setzte, ohne jedoch etwas zu bestellen, er schaute zu dem Fernseher hin, zeigte keine Regung, und ich bezahlte, packte meine Sachen zusammen und ging hinaus, um mit meiner Wanderung zu beginnen.

Kaufte mir erst ein Brot in der winzigen Bäckerei, die in meinem Wanderführer vermerkt war und die ich sonst übersehen hätte, in der der zahnlose Mann von vorhin jetzt Brote verkaufte, die im Holzofen gebacken waren, eine dunkle Kammer, wie aus einer anderen Zeit, mit rußgeschwärzten Wänden, 40 Cent kostete der Sesamring, und er bestand darauf, mir zehn Cent zurückzugeben auf meine fünfzig, und dabei strahlte er mich zahnlos an. Ich dachte an die Bäckereien zuhause, an die maschinengefertigten Brötchen, und was für ein Unterschied das ist, und in welcher Krankheit wir leben, was würde dieser zahnlose Bäcker sagen, der wahrscheinlich seit Jahrzehnten das Brot hier im Dorf im Holzofen backt, wenn er diese Bäckereien sehen würde. Wenn ich in fünf Jahren wieder komme, ist er vielleicht nicht mehr da, und was kommt an seiner Stelle, irgendeine Bäckereikette womöglich, mit Verkäuferinnen, die vom Brotbacken keine Ahnung haben, mit Brot, das leblos schmeckt, Todesbrot. Zum Glück ist dieses Dorf so weit weg von allem, es wird vielleicht nie erfasst von der Gleichmacherei, aber andererseits, die Entwicklung macht nicht halt, kriecht voran, es ist wirklich wie eine schleichende Krankheit, die alle erwischt, früher oder später.

Es war windig, regnete aber kaum, als ich mich auf den Weg hoch in die Pinienwälder machte. Die Wanderung sollte drei Stunden dauern, ich hatte als Proviant den Sesamring dabei und etwas Wasser. War wieder einmal völlig überrascht von der landschaftlichen Vielfalt dieser Insel. Man muss wirklich gehen, loslaufen, um das zu erleben, zu erfahren, man kann es nicht auf Abstand, schon gar nicht aus dem Autofenster beurteilen.

Als ich nach gut zwei Drittel der Wanderung nach Pterounda kam, hatte es angefangen, richtig zu regnen. Ich wollte mich jedenfalls nicht verlaufen, machte deshalb vorsichtshalber noch einmal eine Runde durchs Dorf und glich alles mit meinem Wanderführer ab, ob ich auch richtig lief. Aus der Taverne des Ortes riefen mir Männer zu, ich sollte kommen. Sie hatten mich wohl schon durchs Fenster gesehen, eine Fremde im strömenden Regen, die über die Treppen des Dorfs irrt, sie riefen, "Ela, ela!", machten die typische Handbewegung, winkten mich mit den Fingern nach unten zu sich heran, und ich dachte, ich könnte genauso gut hier etwas essen und warten, bis der Regen etwas nachließ.


Wie soll ich diese Taverne beschreiben. Noch nie zuvor habe ich so etwas gesehen. Der alte Besitzer schlurfte mit einer Ohrenkappe in Tarnfarben herum, seine Frau hatte einen Schal um den Hals gewickelt, in der Mitte des Raumes stand ein Kanonenofen und ein gewinkeltes langes Rohr führte davon weg, in die Wand hinein. Der Fußboden bestand aus nacktem Zement, die Stühle und Tische sahen aus, als wären sie nachlässig in dem großen Raum verteilt worden, ungefähr zehn Männer saßen da, tranken Ouzo, abgearbeitete, aber freundliche Gesichter, keiner konnte auch nur ein Wort Englisch, sie versuchten zu verstehen, was ich hier machte, ob ich allein hier sei. Es regnet, sagten sie auf griechisch, "Wasser", halfen sie mir, einer fragte ob ich was trinken wollte, ich sagte, eine Lemonada, und der alte Mann mit der Ohrenklappe schlurfte los, um mir eine Flasche zu bringen. Zu essen gab es nichts, später stellten sie einen Teller mit harten Rosinenbiskuits vor mich hin, schienen mich zwischendurch zu vergessen. Ich betrachtete den Raum. Die eine Wand war tapeziert mit ausgebleichten alten Schallplattencovern, über der Theke hingen Bilder, eine Uhr, die sogar die richtige Uhrzeit anzeigte. Diese Taverne war ein Männerort, das völlige Gegenteil von heimelig, sah aus wie eine Werkstatt, trotz den Bildern an der Wand, und diese vom Wetter runzlig gewordenen Gesichter, diese zahnlosen Münder, diese offene Anteilnahme, die kindliche Neugier, die Lust am Schabernack.

Der Mann, der mich auf die Lemonada eingeladen hat, bedeutet mir, dass er mich nach Vatoussa bringen kann, mit seinem Auto, er muss nur noch seinen Schnaps austrinken, den er soeben bestellt hat, und plötzlich kann ich die wenigen Wörter, die ich auf Griechisch gelernt und behalten habe, doch gebrauchen, ich nehme sein Angebot gern an, habe keine Ahnung, was die anderen Männer dazu zu bemerken haben, und als wir in seinem Pickup die drei Kilometer durch den strömenden Regen zurücklegen, schaffen wir es, nach anfänglichem Schweigen, uns einige Dinge mitzuteilen, mithilfe einiger griechischer Wörter und des Zeigefingers, mit dem wir Zahlen in die beschlagene Windschutzscheibe schreiben, 77 Orte gibt es auf Lesbos, 80000 Bewohner (wenn ich die Zahl 80 richtig deutet), sein Volkswagen Pickup ist aus dem Jahr 1984, und mein Mitsubishi zuhause aus dem Jahr 1993, aber sein Auto ist ein Diesel, meines läuft mit Benzin, das ist teurer, wir sagen auch, dass es in Deutschland kalt ist (dass ich eigentlich in Schweden lebe, kann ich nicht richtig vermitteln), und sogar schneit, was ich mithilfe der Wörter "weiß" und einer Bewegung mit der Hand sagen kann, er sagt, dass der Regen gut ist für die Tiere, jedenfalls verstehe ich das so (er sagt etwas über Tiere), weil alles grün wird ("grün" ist ein Wort, das ich verstehe). Ich sage ihm, dass ich auf dem großen "megalo" Parkplatz stehe, wir tauschen dann noch unsere Namen aus, er heißt Dimitris, und wir geben uns die Hand, er sagt, ich solle die Schüssel gleich aus der Jackentasche nehmen, damit ich nicht unnötig nass werde (ich verstehe das Wort "Schlüssel", den Rest aus dem Zusammenhang), und dann fahre ich über die gewundenen Straßen zurück nach Molyvos, das mir plötzlich vorkommt wie eine Metropole.

In Angelos Taverne esse ich Oktopus in Rotweinsoße und eine Art griechischen Mangold dazu, alle reden deutsch in dem Lokal, da Angelos Frau Petra aus dem Ruhrgebiet kommt und gerade nur deutsche Gäste da sind. Eigentlich schließen sie schon um 15 Uhr, nicken aber, als ich kurz nach 15 Uhr hereinkomme. Ich höre dann den Gesprächen zu, Angelos und Petra haben vor, nach Deutschland zu ziehen, weil man hier in Griechenland "nicht überleben" kann (wie Angelos sagt, wozu Petra ein wenig die Augen verdreht), er bezahlt inzwischen 60% Steuern. Sie haben schon ein Lokal gefunden, irgendwo, es war früher ein italienisches Restaurant, hatte einen guten Umsatz, und das "weiß", wie sie betonen. Ich lasse mir eine Aluminiumpackung geben, in der ich den Rest vom Gemüse nach Hause nehmen kann, fahre dann zum Meer, um noch einmal in der heißen Quelle zu baden, aber es ist heute geschlossen, und auch morgen und am Sonntag, weil am Montag eine Wasserprobe entnommen wird, von der Gemeinde, wegen der Sauberkeit, und da ist es wichtig, dass kein menschlicher Schmutz mehr im Wasser vorhanden ist. Die Frau, die ich antreffe, ist nur zum Putzen da, sie spricht so gut Englisch, dass ich es schon fast schade finde, dann fahre ich unter dem überhängenden Himmel zu meinem Haus, fahre mit dem Auto den Weg auf dem Gras hoch zum Haus, um nicht im Regen entladen zu müssen, bereue es aber, als ich beim Zurückfahren zweimal beinahe steckenbleibe im Schlamm.

Donnerstag, 29. November 2012

Es tat plötzlich nicht mehr weh



Es tat plötzlich nicht mehr weh, und als der Schmerz weg war, wusste sie nicht mehr, wie er sich eigentlich angefühlt hatte.

Montag, 26. November 2012

Schweigen ist vielleicht besser






In dem kleinen Bergdorf Vafios hört sie Gesang, Frauenstimmen vor allem, aus dem Lautsprecher der orthodoxen Kirche, sie riecht den Duft von Weihrauch, sie geht an einer kleinen Taverne vorbei, vor der die Stühle zusammengestellt, aufeinander gestapelt sind, und durch die Glasscheibe sieht sie einen alten Mann und eine alte Frau, die hinblicken zu ihr, die Besitzer wahrscheinlich, sie nickt ihnen zu, es ist seltsam, wenn man so gar nicht mit den Menschen sprechen kann, aber was hätte sie auch zu sagen, Schweigen ist vielleicht besser.

Samstag, 24. November 2012

Something is...different

Phil: Something is... different.
Rita: Good or bad?
Phil: Anything different is good.


(Groundhog Day, film 1993)

BILDERTAGEBUCH



Novemberlesvos





Ich erwäge, ein Jahr hier zu wohnen. Was berührt mich hier: Die alten gebückten Frauen, die Sichtbarkeit und Würde des Alters. Der zahnlose Alte im makellosen schwarzen Anzug vor seinem Ouzo-Glas. Die Sichtbarkeit des Lebenskampfes, der einfachen Überlebensarbeiten. Es gibt Arbeit, und sie muss getan werden, und sie wird getan.

Mittwoch, 21. November 2012

Die Frau am Strand



Ich muss jetzt noch einmal von der Frau schreiben, die ich am Strand heute sah. Erst sah ich nur aus der Ferne eine Gestalt mit einem Hut, die sich hin und wieder bückte, ich dachte zuerst, ein Angler, eine Anglerin. Sie strahlte so eine Leichtigkeit aus. Sie verlieh der ganzen Landschaft etwas Träumerisches, Verträumtes. Ich verlangsamte auch meinen Schritt, sah mich um, drehte mich einmal um meine eigene Achse, fühlte mich plötzlich verspielt, experimentierfreudig. Dann ging ich tastend am Ufer entlang und balancierte über die Steine, die mich über das Wasser zu einer trockenen Landzunge bringen sollten. Es waren sehr intensive Augenblicke, ich spürte die Gegenwart der Gestalt, die mit irgendetwas Rätselhaften beschäftigt war, ganz stark, ohne jedoch zu ihr hinzublicken, und als sie mir einen Gruß zurief und ich ihr antwortete, verlor ich das Gleichgewicht und trat mit dem Fuß ins Wasser.

Sie sprach mich an, ich sah, dass sie in einer Plastiktüte leere Muscheln sammelte. Sie deutete zu der Ruine am Wasser und sagte etwas, ich glaubte, sie wollte mir sagen, dass sie in dieser Ruine lebt, ich wiederholte ihre Worte, wir schüttelten beide den Kopf und lachten, dann ging ich weiter.

Wäre ich eine Filmmacherin, dann würde ich solche Szenen filmen wollen. Begegnungen, in denen nur eine unvollständige oder völlig unzureichende Kommunikation möglich ist, in denen aber trotzdem etwas Schönes passiert, etwas sehr Lebendiges.

Montag, 12. November 2012

Träume


1. Träumte, dass ich Freund B anrief, den ich lange nicht gesehen hatte und sagte, dass ich ihn gern treffen wollte. Nein, sagter er. OK, sagte ich und legte auf.

2. Ich war dabei, wieder zurück nach R zu ziehen. N war schockiert, sagte, aber die Sommer sind doch so schön in S. Ja, plötzlich fing ich an, S schon zu vermissen.

3. Es gehörte irgendwie zur Steuererklärung, dass ich mit einem jungen Mann ringen sollte. Wie bisher auch immer gewann ich. Er war auch zu schwächlich, ich konnte nicht einmal Mitleid mit ihm empfinden.

4. Ich fand irgendetwas, was mich freute oder erstaunte. Einen Gegenstand. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, er tauchte einfach auf, und ich hatte ihn schon immer besessen.


Dienstag, 6. November 2012

Fischschuppenshampoo









Eine Frau in der Warteschlange zur Fähre gestern, die mit dem Mann, mit dem sie unterwegs war, so redete, als wäre er auch eine Frau. So unbefangen, locker, so ohne sich drum zu scheren, ob ihn das interessierte, was sie zu erzählen hatte. Sie erzählte von ihrem Haarshampoo, dass es aus Fischschuppen gemacht sei, redete dann davon, dass man irgendwo (ich weiß jetzt nicht wo) entdeckt hat, dass die Männer, die den ganzen Tag lang Fische schuppten, keine rauen Hände hatten, so wie es man vielleicht hätte erwarten hätte können, sondern ganz weiche Haut. Der Grund dafür: die pflegende Substanz, die in den Fischschuppen ist. Der Mann hörte ihr zu, warf Fragen ein, z.B. "Riecht das Shampoo nach Hering?", machte aber die ganze Zeit einen interessierten Eindruck, auch als sie später dann erzählte, dass sie, anstatt so einen "ekligen Haarbalsam" zu verwenden, ihr Haar nach dem Waschen mit kaltem Wasser spüle; es würde nämlich davon ganz weich und kämmbar (Ich musste das heute gleich ausprobieren, konnte aber nicht richtig aufs Balsam verzichten). Beide Gesprächspartner waren etwas über sechzig. Sie schienen kein "altes Paar" zu sein (sonst hätte er ja sicher schon vom Shampoo gewusst und von all ihren Haargewohnheiten). Sie trug eine ziemlich abgeschabte und ausgewaschene und an den Taschen und Ärmeln ausgefranste Jacke, die irgendwie formlos an ihr herunterhing, und abgetretene Turnschuhe zu recht verbeulten Jeans. Ihr Haar war grau und ging ihr bis zur Schulter. Offensichtlich hatte sie nicht viel Zeit auf eine "Frisur" verwendet, ließ das Haar einfach fallen, wie es wollte, ein wenig chaotisch. Eine Haarspange hing am Hinterkopf lose im Haar und hatte gar keine Funktion. Sie erzählte ihrem Begleiter auch, dass sie ihr Haar selber schneide, nachdem eine Friseuse ihr - "freundlicherweise" - einmal erklärt hatte, wo ihre Wirbel säßen. Sie sah insgesamt nicht aus wie jemand, der viel Geld hat, aber auch nicht wie jemand, dem das viel ausmacht. Ihre Brille war bestimmt schon älter, ein silbernes Gestell, mit großen Gläsern. Er war auch salopp gekleidet, aber irgendwie properer, mit schwarzer Jeans, schwarzer Jacke, sorgfältig geschnittenem Haar und Bart und einem über die Schulter geworfenen Rucksack. Was für eine Geschichte verbarg sich hinter dieser unkomplizierten kleinen Szene? Wieso sucht unser Hirn immer nach der Geschichte, nach den Fäden dahinter, nach irgendwelchen größeren und begreiflichen Zusammenhängen?

Sonntag, 4. November 2012

Vorbereitung aufs Leben

Beim Kunstmuseum Louisiana gab es einen kleinen Abhang. Die Kinder liebten es, dort hinunter zu rennen oder sogar zu rollen. Eine Familie mit Kleinkind im Kinderwagen und zwei kleinen Mädchen kam an, eines der Mädchen wollte auch den Abhang hinunterlaufen, aber der Vater verbat es ihr, weil das Laub sicher "rutschig" sei. Dabei war es doch ganz deutlich zu sehen, dass kein einziges Kind ausrutschte und dass sie alle riesigen Spaß hatten. Widerwillig, aber gehorsam, wich das Mädchen auf die Steintreppe aus. Der Vater wachte mit Argusaugen vom höchsten Treppenabsatz über sie und rief immer wieder hinunter, "die Treppe, habe ich gesagt, du sollst auf der Treppe gehen". Als das Mädchen wieder hochkam, sah ich, dass sie, immer wenn die Aufmerksamkeit des Vaters von etwas anderem in Anspruch genommen war, wenigstens mit einem Fuß auf der Wiese lief, während der andere Fuß brav die Steintreppe hochging. So wird sie ihr ganzes Leben leben, dachte ich. Die Mutter sagte während der ganzen Zeit nichts, sah dieser traurigen Szene unbeteiligt zu. Später sah ich die Familie noch einmal beim Zug. Ich ging an ihnen vorbei und hoffte irgndwie, dass der Vater meine Missbilligung merkte...

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Alles ist ein Brief an dich

Märi versteht nicht, dass alles, was ich schreibe, mit ihr zu tun hat, selbst wenn ich sie darin nicht erwähne. Alles ist ein Brief an dich, Märi, eine Flaschenpost, eine in den Himmel geschossene Signalpatrone. Den Anfang habe ich fast vergessen, das Ende habe ich in meinem Innern tausend Mal nachgespielt. Ich spüre noch in meiner Handfläche, wie dein Schlafanzug sich anfühlte, an der Hüfte, auf die ich meine Hand legen durfte, und wie es sich anfühlte, als du mir erlaubtest, deine geschlossenen Lippen zu küssen. Ich sehe dich noch durch die Fensterscheibe in der Nacht, sehe dich da stehen, die Hände aufs Fensterbrett gestützt, in dem ausgewaschenen braunen Bademantel, den du übergeworfen hattest, weil du wusstest, dass ich noch einmal zurückkommen würde, kurz vor Mitternacht. "Ein letztes Mal", hattest du gesagt und hattest dir keine Versprechungen entlocken lassen, keine Zukunftsprognosen. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, ich weiß nur, dass ich dich in dem Moment auch ein wenig bewunderte, weil du tatest, was ich nie in meinem Leben fertiggebracht habe: aufhören, wenn es am schönsten ist, einfach alles abzuschneiden, bevor es einen jämmerlichen Erstickungstod stirbt, bevor es langsam dahinsiecht, sich in eine lang hingezogene Qual verwandelt. Ich weiß nichts, Märi. Ich weiß nicht, wieviele Tränen ich im vergangenen Jahr geweint habe und immer noch weine. Ich habe nicht gewusst, dass Tränen so heiß sein können, wie sie aber auch kühlen können, während sie langsam über die Wangen hinunter rinnen und dann den Vorsprung der Lippe überklettern, bis man ihren Geschmack auf der Zunge wahrnehmen kann. Überall habe ich Tränenspritzer, Tränentropfen, Tränenseen hinterlassen. Ich habe Tränenbäche, Tränenflüsse, Tränenströme geweint, einen Niagarafall aus Tränen, einen Tränen-Amazonas, einen Yang-Tse nur aus Tränen, einen Ganges, der sich durch die Landschaft wälzt, Täler gräbt, Steine höhlt und abschleift und sich selber ständig verbreitert und mächtiger, gewaltiger wird. 

Yang-Tse-Kiang

Ich weiß, dass du nicht weinst, Märi, und ich weiß auch, dass du nicht weinen darfst. Du musst das Leben ohne mich jetzt schöner finden, leichter, einfacher, du musst dich selber jetzt lieber mögen als vorher, du musst größere Freude haben an deinen Unternehmungen und Planungen, in denen ich jetzt nicht mehr vorkomme, in die du jetzt andere Menschen hineinnimmst, in deren Gegenwart du dich froher fühlst, unkomplizierter, mehr du selbst. Du musst jetzt die Erleichterung spüren darüber, dass ich dich nicht mehr anrufe, dass ich nicht mehr am Morgen vor deiner Tür stehe, weil wir ausgemacht haben, zusammen zu frühstücken, dass ich nicht mehr mit meinen Wanderstiefeln und einem Rucksack voller Picknick angetanzt komme, dass ich dich nicht mehr so anschaue, wie du nicht angeschaut werden willst, plötzlich nicht mehr angeschaut werden wolltest, dass ich nicht mehr deine Hände auf dem Tisch in meine nehme, dass ich nicht mehr deinen Oberarm berühre oder eine Decke über unsere Knie lege, wenn wir vor dem Fernseher sitzen und einen Film anschauen, den wir beide sehen wollen. Du musst jetzt die Luft zum Atmen lieben, die ich in deinem Leben hinterlassen habe, die Abwesenheit von Zweifeln und Scham, und vom ständigen Zwang zum Nachspüren in deinem Innern. Du wirst dir im Spiegel wieder selber zulächeln können, wirst das Gefühl des Unbehagens, das der Gedanke an mich jetzt in dir hervorruft, über die ganze Zeit ausbreiten, so dass nichts mehr übrigbleibt, was nicht davon getränkt ist. Du wirst dich fragen, wie es möglich sein konnte, wirst an die ersten Wochen denken wie an einen undeutlichen Traum, der nichts mit dir zu tun hat. Du wirst dir selber sagen, dass du dich weiterentwickelt hast, dass du damals kindisch warst, unreif, dich hast mitreißen lassen, in einem komischen Rausch, der dir jetzt peinlich vorkommt und von dem du niemals jemandem erzählen wirst. 

Sonntag, 14. Oktober 2012

Von jetzt an...

...ist das tägliche Minimum EIN Wort.

"wütende Haut" - damit habe ich das Tagespensum bereits um 100% überschritten und kann mich schlafen legen


(Sie erzählte mir: "Fünfunddreißig Jahre später bat sie mich, ihr zu verzeihen, was sie mir angetan hatte. Dabei  konnte sie gar nicht wissen, wie schlecht es mir damals gegangen war. Heute sind wir gut, sehr gut befreundet, wir telefonieren fast einmal die Woche miteinander.")

"...and I'm here, in this stupid little flat, on my own..." (Nick Hornby: High Fidelity)

(Ich habe keine Ahnung, wo dieses Jahr hingeflogen ist.)

Mittwoch, 12. September 2012

Der Mann, der gekommen war, um mich zu töten

Der Mann, der gekommen war, um mich zu töten, war eigentlich kleiner als ich und wohl auch schwächer. Ich wusste genau, was er geplant hatte, sagte es sogar ("Sie wollen mich umbringen") und strich ihm über den Kopf mit dem schütteren Haar. Wir waren sehr freundlich zueinander, ich fragte mich bloß, wann er seinen Plan in die Tat umsetzen würde. Ich weiß nicht mehr, ob er einen Auftrag hatte und von wem und woher ich eigentlich wusste, weshalb er gekommen war. Ich wehrte mich jedoch ein wenig zu früh und irgendwie auch halbherzig, als glaubte ich nicht, dass es ihm wirklich ernst war oder dass ich dieser Situation nicht irgendwie entkommen würde können. Es gelang ihm also ohne große Mühe, eine Schnur um mein Handgelenk schlingen und mich damit am Stuhl festzuzurren. Ich kann noch die raue Schnur spüren und wie er sie um mein Handgelenk zuzog. In dem Augenblick wusste ich, dass ich ihm ausgeliefert war, dass er jetzt tun würde, was er zu tun gekommen war.

(Und dann wachte ich natürlich auf.)


Donnerstag, 6. September 2012

Tastende Schritte im Dunkeln

‎"Und meine Reisen in China haben wahrhaftig wenig Bedeutung verglichen mit den tastenden Schritten im Dunkeln vom Bett zur Küche, auf der Suche nach einem Glas Wasser." 

(Ennio Flaiano)

Sonntag, 19. August 2012

unfold and flower

Stuck energy from our past keeps us contained in a partial, compromised identity. When we hold on to pockets of stuck energy, we feel we need to defend ourselves against anything that might undermine our protective self-structure. When we rest in awareness in an unconditional and receptive way, this blocked energy is unlocked and invited to flow freely. This enables our lives to unfold and flower, for all identity structures to be released, and for us to boldly express who we are and the love that we feel in a natural and spontaneous way.




—Shinzen Young

Dienstag, 14. August 2012

Umgewöhnung

Meine Gedanken können sich noch nicht daran gewöhnen, dass sie aus meinem Leben verschwunden ist.

Montag, 13. August 2012

Du bist nicht mehr wie früher

Lao Wei: "Liebst du sie immer noch?"
Li Qi: "Die Liebe hatte ihr Limit überschritten. Danach war die Welt nicht mehr wie vorher."

Aus: Lao Wei: Mein Komplize Li Qi.


Mittwoch, 18. Juli 2012

was this all there was in marriage?

"...was this all there was in marriage, this evasion and suspicion and lack of ease? When people confessed to him in terms of passion, was this all they meant - the hard bed and the busy woman and the not talking about the past...?"

Graham Greene: The Power and the Glory

Montag, 16. Juli 2012

The Warrior's Way





"As far as the warrior's steps go, there is no defeat at all, there are no mistakes at all. Both positive and negative are the path, the general pattern. Any negative experience which occurs is an invitation or vanguard of positive experiences as well. It just happens that way."

Transcending Madness. Chögyam Trungpa

Samstag, 14. Juli 2012

Vielleicht

"Vielleicht hätten wir es bei diesem ersten Kuss belassen sollen, im Regen, unter dem Baum. Vielleicht war alles, was hinterher kam, überflüssig, zum Scheitern verurteilt. Wie bringt man etwas in eine Form, für das es keine Form gibt? Wie kann man verhindern, dass etwas in eine Form drängt, für die es nicht geeignet ist? Hätten wir es bei diesem Kuss belassen, dann wäre uns so viel erspart geblieben. Wir hätten uns die Enttäuschung aneinander erspart. Ich hätte mir die allmähliche Ermüdung ihrer Stimme, ihres Blicks erspart. Den Augenblick, in dem ich wusste, dass sie dabei war, sich zu entziehen. Dass dieser Nachmittag unter dem Baum nicht mehr zurückkehren würde. Dass es nicht möglich war, ihn festzuhalten, ihn zu wiederholen. Dieser Nachmittag, an dem unsere Hände sich in der Luft trafen, ineinander verflochten."


Donnerstag, 12. Juli 2012

Freiheit

"Freedom is the possibility of being generous. You can afford to open yourself and walk on the path easily - without defending yourself or watching yourself or being self-conscious all the time. It is the absence of ego, the absence of self-consciousness. That is ultimate freedom. The absence of self-consciousness brings generosity. You don't have to watch for dangers or be careful that you are going too far or too slow. It is the confidence which is freedom, rather than breaking free from chains of imprisonment, exactly. Developing confidence and breaking out of psychological, internal imprisonment brings freedom naturally. In other words, it is generosity."

- gelesen in Chögyam Trungpa: Transcending Madness. The Experience of the Six Bardos



Dienstag, 3. Juli 2012

You're

(...)

Vague as fog and looked for like mail.

Farther off than Australia.

(...)


(Silvia Plath)



Samstag, 16. Juni 2012

Tageswörter

Was hat dir an ihr gefallen, fragte mich Maria, meine Therapeutin. Es war vielleicht dieses Unbestechliche an ihr. Diese Weigerung, irgendjemandem zu Gefallen zu sein. Sich nicht zu jemandem machen, der man nicht ist. Sie sprach nicht wie jemand, dessen Meinung schon fest ist, unverrückbar, sondern tastend und wie überrascht von jedem Wort, das aus ihrem Mund kam. Sie war neugierig und liebenswürdig, sie hatte eine Sanftheit den Katzen gegenüber und allem gegenüber, was sie berührte.

so eine katze

Freitag, 15. Juni 2012

Begegnungen

Während ich den Geräteschuppen aufräume, höre ich Homers Odysee. Erinnere mich jetzt daran, wie ich die Odyssee las, in Köln, in der grünen Wohnung unter dem Dach. Denke an die Frau, die unter mir wohnte und die mich eines Tages unvermittelt gegen die Wand des Treppenhauses drückte und zu küssen versuchte. Oft begegnete ich ihr mit einer Plastiktüte voller klirrender Flaschen. Diese Frau muss unbedingt in meinem Buch vorkommen. All diese Menschen, die mich ohne Vorsicht in ihr Leben hineinzogen. Und ich ließ mich ziehen, gerne. Immer dankbar für diese Begegnungen. Die irgendwelche Grenzen überschritten. Es gab im Lauf der Jahre viele solcher Begegnungen. Sie waren schnell vorbei. Sie sind vorbei, wenn man anfängt zu sprechen, sich zu unterhalten, sich in ein zivilisiertes Land der Worte hinein zu begeben.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Vom Festsitzen

Eigentlich denke ich, dass das Gefühl des "Festsitzens" zum Menschsein gehört. Zwar glaubt man, dass es irgendwo die Freiheit gibt und dass es Menschen gibt, die diese verwirklicht haben, aber letztlich sitzt man immer irgendwo fest und sei es nur in der Gewohnheit, sich nie auf irgendetwas festzulegen, in einem zwanghaften Nomadentum. Die wirkliche Freiheit ist wirklich irgendwo im Innern, in diesem "wesentlichen" Teil unseres Selbst. Da, wo wir uns nicht von Neurosen fangen lassen. Da wo wir "frei" sind, uns festzulegen. Da, wo wir das "Festsitzen" irgendwie hinter uns gelassen haben, so dass es uns nicht mehr festhält, nicht mehr wirklich. Aber vielleicht ist das auch nur ein Wunschgedanke, für mich jedenfalls.

Sonntag, 10. Juni 2012

This is, in fact, her life

"(...) (S)he sees how easily she could slip out of this life - these empty and arbitrary comforts. She could simply leave it and return to her other home, where neither Sally nor Richard exists; where there is only the essence of Clarissa, a girl grown into a woman, still full of hope, still capable of anything. It is revealed to her that all her sorrow and loneliness, the whole creaking scaffold of it, stems simply from pretending to live in this apartment among these objects, with kind, nervous Sally. and that if she leaves she'll be happy, or better than happy. She'll be herself. She feels briefly, wonderfully alone, with everything ahead of her. 
Then the feeling moves on. (...) This is, in fact, her apartment, her collection of clay pots, her mate, her life. She wants no other."


Michael Cunningham: The Hours


Freitag, 8. Juni 2012

Tagesfreude

Wie sehr kann man sich über Strohblumen freuen, die plötzlich aus der Erde spitzen? Sehr!
Vor etlichen Tagen habe ich sie in zwei Terracottatöpfe gesät und täglich mit meiner Aufmerksamkeit (und mit Wasser) bedacht. Und in beiden Töpfen sind heute kleine gelbgrüne Keimlinge zu sehen, die gerade mit all ihrer Kraft die Erdkrumen beiseite schieben, um ans Licht zu kommen.

Sonntag, 3. Juni 2012

Sometimes

Sometimes you hear a voice through
the door calling you, as fish out of
water hear the waves, or a hunting
falcon hears the drum's come back.

"This turning toward what you deeply
love saves you......."

~Rumi



Unvermittelte Erinnerung

Er hatte mich in der Mensa der Universität gesehen, mit meinem riesigen grünen Pullover, häufig ein Buch in der Schlange zur Essensausgabe lesend, hin und wieder mit der Französin, für die er irgendeine abfällige Bezeichnung benützte, als er sie erwähnte ("buio" nannte er sie, fällt mir nachträglich ein). Ich sah also viele Wochen später ihn in Begleitung einer Frau, die ihn untergehakt hatte, und wir waren beide etwas befangen, ich, weil ich in jener Nacht, an jenem frühen Morgen, die Wohnung einfach ohne Kommentar verlassen und ihn von da an gemieden hatte, er, weil er meine Zurückweisung verschmerzt und jemanden gefunden hatte, der zu Gegenseitigkeit in der Lage war, zu etwas Lebbarem, Lebendigem.


Samstag, 2. Juni 2012

Total Abandonment

The mind that holds something in reserve, the mind that has a vested interest, the mind that clings to position, power, prestige, the mind that is respectable, which is a horror - such a mind can never abandon itself.


Krishnamurti

Freitag, 1. Juni 2012

träumte

Meine Schwester und ich wohnten zusammen in einer Wohnung, und wir richteten unsere Zimmer ein. Ich entdeckte, dass mein Badezimmer in einem ziemlich katastrophalen Zustand war. Verstand nicht, dass ich das nicht früher gesehen hatte. Dunkle Flecken hinter einer zweifelhaften Konstruktion an der Wand. Ich sah ein, dass ich alles herunterreißen und das Bad neu renovieren musste. Als ich in das Zimmer meiner Schwester ging, fühlte ich mich sofort unterlegen, weil es so schön eingerichtet war. Geschmackvoll, mit hellen Möbeln und einer angenehmen Energie. Ich machte eine unbedachte Bewegung und verkratzte dabei eine Schubladenfront, entschuldigte mich und sagte, ich würde sie ihr natürlich so schnell wie möglich ersetzen.


Dienstag, 29. Mai 2012

Manchmal braucht man einfach jemanden,

der einem bloß zuhört und vermittelt, dass das, was man so stoßweise daherredet, einen begreiflichen Zusammenhang ergibt und zu einem Menschen gehört.

Donnerstag, 17. Mai 2012

Unsere Geschichte verfliegt

Unsere Geschichte verfliegt, sagte mir eine innere Stimme, als ich wieder zu mir kam und mir klar war, dass sie nach Hause gegangen war. 


Evgen Bavcar, Das absolute Sehen

Doch die Zärtlichkeit

Doch die Zärtlichkeit, die ich in ihrer unmittelbaren Gegenwart für sie empfand, hinderte mich daran, auf den Auslöser zu drücken. Statt dessen wischte ich nur einige zerbröckelte Flügel vom Objektiv. 



Evgen Bavcar, Das absolute Sehen

Samstag, 28. April 2012

Es war an einem Tag im April

Die Katzen schliefen. Eine Nachbarin, die in einen türkisblauen Frottee-Overall mit Kapuze gekleidet war, stapelte Holzbretter auf dem Hinterhof, und ihr kleiner struppiger Hund sah ihr dabei zu.

Donnerstag, 26. April 2012

Schon wieder

Ja, schon wieder träumte ich von dir.
Du sagtest, es habe dir so gut getan, dass er dir während des Sommers Aufmerksamkeit schenkte. Ich stellte ihn mir vor wie einen sehr jungen Mann mit einer Mütze aus Papier.

Mittwoch, 25. April 2012

Jemanden zu lieben

"Jemanden zu lieben war ein Wagnis, die Muschel öffnete ihre Schale, die Katze
legte sich auf den Rücken, man wollte dabei ungeschoren davonkommen. Man liebte
und wurde verletzlich, schon eine Stecknadel riss tiefe Wunden, man stülpte das
Innerste nach außen unter der Bedingung, dass der andere ebenso verletzlich war
wie man selbst. Schmerz wurde mit Schmerz vergolten, das war die Warnung, beide
mussten sich vor den Konsequenzen des Verrats im selben Maß fürchten.
Andernfalls war diese ungeheuerliche Entblößung des Herzens nicht zu
verantworten. Einseitigkeit war lebensgefährlich, hier ging es um ein exaktes
Gleichmaß der Schwäche. Und Liebe war nichts anderes als wunderbare, köstliche,
schreckliche Schwäche. Man wurde erpressbar, verführbar, war leicht zu
täuschen, hielt Augen für das Zentrum des Kosmos, und Worte kamen Organen
gleich, ohne die man nicht leben konnte. Übertreibung war das tägliche Brot,
Enttäuschung die Suppe, in die man das Brot tunkte. In etwas derartig
Verrücktes durfte man sich nicht hineinbegeben. Nur wenn beide verrückt waren,
verlor man nicht den Verstand."


Aus Linus Reichlin: "Er"

Montag, 9. April 2012

Zwei Minuten

"Ich werde jetzt rastlos", sagte sie. "Ich muss jetzt zwei Minuten lang in mein Instrument blasen. Und du schreibst jetzt."
Sie holte ihren kleinen Klarinettenrucksack hervor, setzte die Klarinette zusammen, feuchtete die hölzerne Zunge an. Auf dem Herd stand die Espressokanne und brodelte. Ihre Küche war außerdem noch Musikzimmer und Wohnzimmer. Ein Küchenschrank war zum Notenschrank umfunktioniert, an der Wand stand ein Klavier und auf einem Bartisch, der in den Raum hineinragte, das Mischpult und ein Mikrofon. Auf dem niedrigen Tisch waren noch die Reste unseres Frühstücks, ich saß in einem Sessel, die Katze Önskan auf meinem Schoß. Sie drückte mir ein blaues Papier und einen Stift in die Hand.
"Ich kann nicht", sagte sie.
"Schreib", sagte sie.
Als sie gegangen war, um ihre kleine Tochter abzuholen, räumte ich ab, stellte das Essen in den Kühlschrank, spülte das Geschirr. Dann setzte ich mich wieder in den Sessel und schrieb.
"Schreib", hatte sie gesagt, bevor sie die Tür hinter sich zuzog.
Es war lange her gewesen, dass jemand mir eine Gemeinsamkeit anbot, in der jeder das tat, was er eigentlich tun wollte.
Wir versprachen uns beim Abschied, von jetzt an jeden Tag mindestens zwei Minuten der Tätigkeit zu widmen, für die wir auf der Welt waren.
"Shit", sagte sie noch, "ich hab dich wirklich vermisst."

Freitag, 6. April 2012

Wollen wir spielen?

"Bist du noch hier, wenn ich zurück komme", fragt das kleine Nachbarmädchen.
"Ich muss mir was Wärmeres anziehen. Aber dann möchte ich mit dir spielen."

Samstag, 31. März 2012

Samstag morgen

Am Samstag morgen ist es kalt auf dem Balkon. Ich verwische meine Spuren in der Wohnung.
Irgendwas Schönes wartet heute auf mich, weiß ich beim Aufwachen. Ach ja: Treppen putzen!
Der Kühlschrank ist irgendwie so randvoll, ich weiß gar nicht, wo ich mit dem Essen anfangen soll.

Freitag, 30. März 2012

Auf Reisen in meinem Alltag

Der Tag beginnt um 5:40. Mitten im Traum wache ich auf.
Katzenfüttern in der einen Wohnung, Kaffee trinken und Zeitung durchblättern in der anderen Wohnung.
Die Autobahn ist noch still so früh. Trotz Einspurigkeit kein Stau.
Die Arbeit verläuft friedlich und ein wenig schläfrig.
Danach fahre ich zum Einkaufen, packe ein Hühnchen in meinen Korb und bezahle beim Automaten.
Die Katzen tun fürchterlich hungrig, wollen aber auch raus.
Auf dem Hof gibt es ein kleines Gemenge von Hunden und Katzen.
Meine Nachbarinnen trinken Wein, ich hole eine Büchse Bier aus meinem Kühlschrank.
Im Ofen brutzelt Wurzelgemüse. Der Fisch ist schon durch.

Dienstag, 20. März 2012

Halbes Herz

Nichts tat sie mit einem ganzen Herzen. Die eine Hälfte ihres Herzens stand immer ein wenig abseits und wunderte sich. Die andere Hälfte ihres Herzens wunderte sich auch, über die Abwesenheit der anderen Herzhälfte. Damit war sie ein einziges großes Wundern.

Mittwoch, 14. März 2012

Was ich kürzlich lernen musste

“No truth can cure the sorrow we feel from losing a loved one. No truth, no sincerity, no strength, no kindness can cure that sorrow. All we can do is see it through to the end and learn something from it, but what we learn will be no help in facing the next sorrow that comes to us without warning.”
— Haruki Murakami, Norwegian Wood

Montag, 12. März 2012

Traumnotierungen

Traum 1:

Ich besuchte eine Aikidostunde, kam aber zehn Minuten zu spät. Erst nach einer Weile bemerkte ich, dass ich die Einzige war, die Aikidokleider trug. Die anderen saßen in blauen Kleidern auf der Matte. Vorne an einem Tisch saß ein "Meister", der "Anwärtern" mithilfe einer Zange kleine Gewebeproben entnahm. So sollte geprüft werden, ob sie sich als "Schüler" eignen. Die Gewebeproben in der Größe von ca. einem Quadratmillimeter wurden in einem Schraubglas gesammelt (und ich fragte mich nicht, wie sie später identifiziert werden sollten.)

Traum 2:

Auf der Suche nach einer Toilette in einer Jugendherberge landete ich in dem persönlich eingerichteten Zimmer einer jungen Frau, die dort dauerhaft wohnte. Die Toilette befand sich also direkt im Zimmer, wie in einer Gefängniszelle, und ich bemerkte es nicht sofort, dass die "Toilette" bewohnt war, entschuldigte mich aber dann bei der jungen Frau für mein Eindringen. Ich fand schließlich ein Stehklo, wie sie in Mittelmeerländern üblich sind, das aber ganz überschwemmt war, und ich musste auf Zehenspitzen hineingehen. Meine kleine Katze kam auch ganz neugierig herein, blieb aber nicht lange, und ich fand sie später woanders wieder, habe aber vergessen, wo.

Traum 3:

Ich war in Rom und fuhr mit einem Taxi, das mich irgendwo hinbringen wollte. Ich kannte den Weg nicht, der Taxifahrer aber schon. Als die Straße in Matsch überging, konnten wir nicht weiterfahren. Ich verließ das Auto und fragte den Taxifahrer etwas auf Italienisch. Ich glaubte, er wollte mich irgendwie reinlegen. Er bat mich, wieder einzusteigen, ich sah aber schon, dass das Auto angefangen hatte, in dem Matsch einzusinken.


Am nächsten Tag war im Reiseartikel meiner Zeitung ein Artikel über Rom und ich spürte eine große Lust, mal wieder dorthin zu fahren.

Donnerstag, 8. März 2012

Also was jetzt

Soll ich mal ein bisschen tagebücheln?

Vielleicht ein paar Bemerkungen über das Wetter? Oder darüber, was ich gestern so alles gemacht habe?

Oder heute? Momentan sitze ich jedenfalls am Schreibtisch, es duftet nach frisch gebackenem Brot, im Magen beginnt der Hunger langsam zu singen.

Ich habe einen Flug nach Berlin gebucht und habe die deutschen Großbuchstaben satt. Ich mag das Lächeln auf den Lippen eines gewissen Menschen, wenn ich zwischendurch mal was auf Deutsch sage. Dann frage ich mich, wie das wohl klingt, und klinge selber fremd für mich.



Manchmal, wenn ich in meinem Zimmer stehe und die Arme ausbreite oder meinen Kopf hinunter zu den Knien beuge, dann freue ich mich am Leben. Irgendwie gesammelt und heute ganz in schwarz.

Zum Wetter noch: Es ist heute abwesend.

Mittwoch, 7. März 2012

That passed the time

Vladimir: That passed the time.
Estragon: It would have passed in any case.
Vladimir: Yes, but not so rapidly.

- Samuel Beckett: Waiting for Godot

Dienstag, 6. März 2012

Verschlafener Morgen

Verschiedene Gedanken fahren mir durch den Kopf, während vor dem Fenster der Morgen graut.
Die Kälte ist unwirklich. Es ist doch schon viel wärmer gewesen. Im Sonnenschein tanzen die Staubflocken. Die Katze taucht mit dem Kopf voraus in die Bioabfalltüte, wo ein paar Hühnerknochen ruhen.

Montag, 5. März 2012

Katzenkonsequenz

Kaum ist das Fenster zu, will die Katze um jeden Preis hinaus.
Kaum ist es geöffnet, trottet sie in die Wohnung und legt sich aufs Bett zum Schlafen.
Mir selber ist es zu kalt, vor allem an den Zehen.

Mittwoch, 29. Februar 2012

Wenn du nur nicht so vorhersehbar wärst

"Sie könnte nicht sagen, ob sie Männer oder Frauen liebt, im Moment oder lange schon gilt in dieser Hinsicht ein weder-noch, das sie nicht aufzulösen gedenkt. Letztlich siegt in ihr immer noch die Angst, sie könnte, wenn sie sich auf eine Sache festlegte, eine andere Sachen versäumen, sie würde ihre Freiheit verlieren, die, wenn man es schonungslos ausdrücken will, vor allem die Freiheit ist, so wenig wie möglich mit der Wirklichkeit zu tun zu haben." (1998)

Dienstag, 21. Februar 2012

Die Frau mit dem blonden Pferdeschwanz

"Am Tisch gegenüber saß eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz und einem ironischen Lächeln. Sie trug einen langen und weiten Pullover über der Jeans und sprach und lachte mit den beiden Männern, die bei ihr saßen, warf ab und zu einen Blick zu mir herüber. Ich saß da und rührte im Glühwein. Eine Geschichte wurde nicht daraus. Der Zucker war in das Glas hinabgesunken, auch der Löffel konnte ihn nicht erreichen in dem engen Fuß, doch der Rest des Weines war dick und körnig und machte den Mund klebrig. Nach dem zweiten Glühwein war mein Augenspiel schon so weit gediehen, dass ich gehen musste, in mein Vierbettzimmer mit dem knarrenden Holzboden. Nur ein dünnes Rinnsal kam aus dem verkalkten Wasserhahn, und in der Nacht quälte ich mich durch eine Schlaflosigkeit, machte das Licht an, trank einen Tee aus Zitronenmelisse." (1996)

Der Junge mit dem Glasauge

"Auf dem Schlosshof begegnete mir noch einmal der sanfte blonde Junge mit dem Glasauge, der mir im Bus gegenüber gesessen und in einer Zeitung gelesen hatte, die er sehr dicht vor sein Gesicht hielt. Ab und zu fuhr seine Hand zu dem Glasauge, als wollte er sich vergewissern, dass es noch da war und nicht herausgefallen, und immer wieder zog er mit einem schnellen Griff das Augenlid etwas weiter über das Auge, das dann eine Weile halb verdeckt war, bis es sich wieder öffnete, worauf er die Bewegung ohne jede Unruhe wiederholte. Im Schlosshof trug er einen langen schwarzen Mantel und führte einen Hund an der Leine, und die Schöße seines Mantels wehten hinter ihm."

(1996)

The way we treat ourselves is also the way we treat others

Also brüllte ich heute wie eine Löwin, wenn auch nur auf dem Papier. Mein Nachbar beginnt, ein Loch in meinen Schädel zu bohren.

Donnerstag, 9. Februar 2012

Das Licht

"Du bist am Morgen gegangen und hast gesagt, gut, dass ich dich schon so bald wiedersehe. Wir haben im Treppenhaus gestanden, in das das Licht immer so schön herein fällt, und du hast gesagt, dass das Licht hier immer schön ist, aber noch schöner, wenn wir da stehen." (1996)

Mittwoch, 8. Februar 2012

Zwei Zustände

"Um wieviel besser wäre es, wenn man leben könnte ohne den ständigen Wunsch des Zusammenkommens und anschließend des wieder voneinander Loskommens, so dachte ich, und dass ich mein Leben immer entweder im einen oder im anderen Zustand verbracht hatte, und dass kein Grund bestand anzunehmen, dass sich das jemals ändern würde." (1998)

Dienstag, 7. Februar 2012

Irgendwie

Beim Durchblättern alter Papiere die Einsicht: Irgendwie habe ich doch alles schon irgendwann mal gedacht, getan, gesagt, geschrieben. Wieso soll ich es denn nochmal denken, tun, sagen, schreiben? Woher dieser Zwang zur Wiederholung des Altbekannten, warum diese Angst vor dem wirklich Neuen, vor der offenen, atemberaubenden Landschaft?

Freitag, 3. Februar 2012

Tigers to butter

“How much do you love me?” Midori asked.
“Enough to melt all the tigers in the world to butter,” I said.



(Haruki Murakami: Norwegian Wood)


Sonntag, 29. Januar 2012

(Der Abend horcht an den Scheiben)

Bei dir ist es traut: 
Zage Uhren schlagen
wie aus weiten Tagen.
Komm mir ein Liebes sagen -
aber nur nicht laut.
Ein Tor geht irgendwo
draußen im Blütentreiben.
Der Abend horcht an den Scheiben.
Laß uns leise bleiben:
Keiner weiß uns so.



(Rainer Maria Rilke)



Freitag, 27. Januar 2012

Mildred Pierce - the final lines

Bert: “To hell with her” 
Mildred: “To hell with her.” 
'But it’s less a liberation than a suicide; all that the two of them have left to do is “get stinko.” '

Dienstag, 24. Januar 2012

Ich fühle mich seltsam wohl neben ihr

"Sie redet nicht viel. Wenn sie sich aber dazu entschließt, etwas zu sagen, dann verstehe ich selten, was sie eigentlich sagen will. Es ist, als rede sie mit sich selber. Zwischendurch sieht sie mich auffordernd an, als erwarte sie irgendeine Reaktion, doch zu mehr als zu einem eingestreuten mhm oder ja bin ich nicht in der Lage. Sie erzählt mir von Hunden, Schafen und anderen Dingen, von denen ich keine Ahnung habe und die mich auch nicht sonderlich interessieren. Anscheinend ist sie voller Geschichten, doch diese Geschichten bleiben irgendwie auf der Schwelle hängen. Sie finden zwar den Weg in ihren Mund, doch in einer Form, die unmöglich für einen außenstehenden Menschen gedacht sein kann. Für sie hängt alles zusammen, ich aber fühle mich verwirrt. Fetzen schnappe ich auf. Der Hund hat jemanden gebissen, aber welcher Hund und wen und wann und wie schlimm, all das erfahre ich nicht. Eigentlich haben wir hier eine Gemeinsamkeit, denn auch ich habe nie die Fähigkeit besessen, etwas zu erzählen, weder aus meinem eigenen Leben noch aus dem Leben anderer. Sie sieht fast immer aus, als wäre sie gerade von etwas erschreckt worden. Wenn ich sie anblicke und lächle, erwidert sie meinen Blick erst trotzig, dann mit einem etwas schüchternen Lächeln, einem Verziehen des Mundes, das auch als Missbilligung gedeutet werden könnte, aber ich weiß es besser. Ich fühle mich seltsam wohl neben ihr. Ich suche ihre Nähe, versuche sogar manchmal eine Hand auf ihren Schenkel oder ihre Schulter zu legen. Wenn ich ihr auf der Straße begegne, winke ich ihr zu. Ich bin dann immer ein wenig erstaunt darüber, dass sie mich erkennt. Als würde ich nicht glauben, dass ihre Erinnerung an mich anhält, wenn sie sich von meinem Haus entfernt hat. Sie hebt die Hand, sie sagt "hallo", und dann gehen wir aneinander vorbei, als wären wir sehr flüchtige Bekannte. Dabei weiß ich, dass sie morgen schon wieder vor meiner Tür stehen wird, mit diesen rastlosen dunklen Augen, mit diesen kleinen weißen Fäusten, die sie fast immer geballt hält, mit den unförmigen Kleidern und diesem unmissverständlichen Wunsch, in meiner Nähe zu sein." (2002)

Montag, 23. Januar 2012

Gibt es keine Leidenschaft mehr in unserem Leben?

Sie liegt auf dem Boden, die Sitzkissen meines Korbsessels unter den Kopf geschoben. Seit dem letzten Mal ist sie schon wieder schmaler geworden. Sie hat rotlockiges Haar, trägt eine graue Arbeiterhose und eine weinrote Samtjacke. Die Jahre sind vergangen, sie sind gut zu uns gewesen, aber wir haben das Gefühl nicht verloren, dass wir auf etwas Wesentliches warten, das nie eintrifft.

"Sie hat mich verflucht, in einem Brief, sie hat geschrieben, dass sie mich hasst und immer hassen wird. Dabei habe ich gedacht, dass sie jetzt glücklich ist, mit ihrem englischen Gentleman, der übrigens nett aussieht, mit seinem in den Kragen gesteckten Seidentuch, seinen tadellosen Manieren."

"Als würde eine Trennlinie gehen zwischen den Frauen, die Kinder haben und denen, die keine Kinder haben. Ich bin nicht neidisch, sie gehen mir bloß auf die Nerven, weil sie sich auch noch was drauf einbilden, dass sie ihr Lebensproblem an ein unschuldiges Wesen weitergereicht haben."

"Ich glaube, ja, ich will mit ihm zusammenziehen. Er wirft mir vor, dass ich immer meinen Willen durchsetzen will. Aber er äußert selbst keine Wünsche, reagiert hauptsächlich auf das, was ich sage. Die Freunde, die er trifft, hält er streng getrennt von mir. Ich dagegen wünsche mir, dass er an meinen Freunden ein Interesse hat, dass er sie treffen will, dass sie auch seine Freunde werden."

"Ich glaube, sie will Sicherheit, es war eine Art Torschlusspanik, weil sie ihre Arbeit verlor, als sie schwanger war. Und jetzt macht sie Nägel mit Köpfen, das hat auch mit Verantwortung zu tun, mit mir wollte sie es nicht, mit dem Mann aber schon, für den es übrigens auch höchste Zeit wurde. Wenn er jetzt nichts Eigenes mehr auf die Reihe kriegen würde, dann wäre es für ihn gelaufen."

"Was mich am meisten auf die Palme bringt, ist dass sie alles schön findet. Ich habe keine Lust mehr, sie zu fragen, wie sie es hier oder da gefunden hat, die Antwort ist sowieso immer die Gleiche: 'schön, nett'", äfft sie.

Ich sage, dass ein Leben ohne Bosheit langweilig ist, und sie lacht, aber ich frage mich, ob ich mich nur bei ihr beliebt machen will.

Gibt es denn keine Leidenschaft mehr in unserem Leben, außer vielleicht dem Neid auf die Naiveren? (2001)

Dienstag, 17. Januar 2012

Go Back

Go back and take care of yourself. Your body needs you, your feelings 
need you,
 your perceptions need you. Your suffering needs you to
acknowledge it. Go home and be there for all these things...



Thich Nhat Hanh

Montag, 16. Januar 2012

Ich musste wieder weg

"Ich musste wieder weg, fast jeden Ort machte ich mir zum Feind.

Eine weitere Bushaltestelle, ein schnurgerader Weg durch Hitze und Staub."

(1998)

Freitag, 13. Januar 2012

Sie

"Sie hat Angst vor der Extase, vor der Auflösung, vor der Entäußerung. Sie flüchtet immer wieder zurück in Überschaubares. Sie hält sich an den Wänden ihrer Wohnung fest. Sie ist ein Hohlraum. Sie hat keine Idee, wie die Dinge sein sollten. Sie hat keine Theorie, wie die Welt aussehen sollte. Sie ist wie eine auf den Wellen eines Sees tanzende leere Schale. Sie IST ganz einfach. Tierhaft. Und wenn sie ein Gegenüber hat, redet sie viel zu viel. Worte ohne Mitte, ein zerfahrener Wind." (2000)

Donnerstag, 12. Januar 2012

Erinnern heißt vergessen

"Wie lange wird es dauern, bis du alles vergessen hast? Die Wege, die Abzweigungen, die Abfahrtszeiten der Busse. Schon hast du alle Hausnummern vergessen und manche Straßennamen. Alles ist so vage. Du weißt, dass die Stadt am Wasser lag. Du weißt, dass dort ein Weg über das Eis führte, den du einmal im Dunkeln gegangen bist. Du weißt, jenes Haus war blau. Könntest du es zeichnen? Wie sah es aus? Haben sie jetzt die Brücke über die Gleise gebaut? Die Menschen blickten auf den Boden. Die Gedichte waren in einer fremden Sprache geschrieben, die du nicht verstehen konntest. Es gab so viel Stille. Die Stille hüllte dich ein. Du siehst die Felsen, das Eis. Du kennst das kratzende Geräusch der Schneeschaufel im Hof. Du kennst die Farbe des Himmels, wenn die Fähren am Hafen anlegen. Du weißt, wie es sich anfühlt, wenn man im Bauch eines Schiffes liegt, gegen dessen Rumpf die Eisbrocken krachen." (1999)

Mittwoch, 11. Januar 2012

Halbes Herz

"Ich selbst bin ja nie über den ersten Impuls zu fliehen hinaus gekommen, habe ihm immer nachgegeben, in einem irren Ehrgeiz, keine Unaufrichtigkeit in meinem Leben zu dulden, und wenn ich auch jetzt, im Rückblick, froh bin, dass ich in keinem der Zustände ausgeharrt habe, die mir so halbherzig erschienen und auch heute noch halbherzig erscheinen, so frage ich mich heute, warum ich in all diese Halbherzigkeiten immer wieder hinein geraten bin, als wäre ich gestolpert oder man hätte mich mutwillig gestoßen, was natürlich nicht der Fall war. Ich trug jedes Mal meinen Kopf erhoben und war sicher, dass ich der Stimme meines Herzens folgte, doch als eine Weile vergangen war, wurde mir bewusst, dass die Stimme meines Herzens mich wieder einmal in die Irre geführt hatte. Wem soll man noch vertrauen, wenn man einmal die scheckliche Wahrheit erkannt hat, dass auch das eigene Herz sich selbst eins ums andere Mal belügen und betrügen kann?" (1998)

Sonntag, 8. Januar 2012

Die Fotos

Ich starre auf Fotos. Sie sind vor ziemlich genau eineinhalb Jahren entstanden. 

Was ist passiert seitdem?

Als wäre die Farbe aus meinem Leben verschwunden.

Oder als könnte ich die Farbe immer erst im Nachhinein sehen. Auf den Fotos.


(Könnte ich die auf den Bildern sein. Ich sehe, dass sie ein Mensch ist aus Fleisch und Blut, anders irgendwie als ich. Sie ist sich nicht selber eine Fremde, sie ist bei sich selber ganz anders als ich.)


Sie sagte: "Versprich mir etwas."


Ich: "Ja, bloß was."


Sie: "Dass du sie wieder findest."

Sonntag, 1. Januar 2012

Neujahrsorakel

Each experience will tell you something new - allow yourself to flow with the experience and be led by your inner voice. When the time comes, you will know exactly what to do. It is through your "inner" awareness that you will know what is the appropriate action to take in any situation. Allow your old fears and habits to die away into the past. Calm down, avoid extremes and use the balance you have so carefully developed.
http://www.crystal-reflections.com






"Love in its lower manifestations turns into law by forming habits." Hazrat Inayat Khan (Sufi master):



Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...