Dienstag, 14. Dezember 2021

Lesbos 10/12 2021

Es ist sonnig, und ich setze mich vor dem Café Bazaar an einen Tisch in der Sonne. Giorgos kommt etwas zu spät, in einer leuchtend roten Wolfskin-Jacke. Als ich sage, dass mir seine Jacke gefällt (und auch die schwarze Strickjacke, die er darunter trägt), sagt er: "my girl ist taking care of me". Er muss seine türkische Freundin daran hindern, ihm ständig Sachen zu kaufen. Als sie die rote Jacke kaufte, wollte sie eigentlich eine gelbe und grüne noch dazu kaufen, aber er ging entrüstet aus dem Geschäft und sie hat es dann bei der roten belassen. Im Moment hat er Husten und ist die ganze letzte Woche erkältet gewesen. Es ist jetzt schon besser, aber er hatte Angst. Der Covid-Test war negativ, man hat ihm jedoch gesagt, dass er mit dem Rauchen aufhören soll, sagt er, und zündet sich eine Zigarette an. Er ist erstaunt darüber, dass der Laden seiner Ex-Freundin zum Verkauf angeboten wird. Zum letzten Mal hat er vor einer Woche mit ihr gesprochen. Sie ist gerade in Athen, wegen eines Gesundheits-Checks. Ich muss sie anrufen, sagt er, und wegen dem Laden fragen.

Wir entrüsten uns über Impfgegner und er erzählt, dass er jetzt den Antrag auf Rente einreichen wird. Ich sehne mich danach, zu genießen, was ich tue, sagt er. Jetzt denke ich ständig ans Geschäft, an das, was ich tun muss, aber dann kann ich einfach einen Kaffee trinken und den Augenblick genießen. So einfach ist das nicht, denke ich für mich, widerspreche ihm aber nicht. Er versuchte den Laden an seine Angestellte zu verkaufen, für einen Spottpreis, aber sie hat abgelehnt. Ich hätte die Summe auf drei Jahre aufgeteilt, und im ersten Jahr hätte sie nur eine sehr geringe Miete zahlen müssen, sagt er, aber sie wollte nicht. Wieder einmal beklagt er sich darüber, dass ich ihm nicht mit dem Kastrieren seiner Katzen helfe. Dann will er wissen, was eine Operation kostet. Ich sage es ihm. Unmöglich. Er schüttelt den Kopf. 

Nach dem Kaffee fährt er mich mit dem Auto zu meinem Fahrrad. Wir machen aus, uns morgen zum Mittagessen bei Ignatios zu treffen. Immer wieder schimpft er über die dummen Griechen, auch, als wir an der kindischen Weihnachtsdekoration im Dorf vorbeifahren. Überladen, sagt er, und geschmacklos.

Ich verbringe den Nachmittag damit, zu lesen (versuche zu lesen). Jetzt ist es 19:00. Der Gedanke an meine Abreise macht mir Angst. Es ist besser, wenn man wieder zu Hause ist, sagt P. Ich weiß. Und es tut gut zu wissen, dass wir nicht die Einzigen in dieser Situation sind. Auch B und M lassen ihre Katzen in der nächsten Woche allein. Sie haben wie wir eine Bekannte, die ihnen einmal am Tag Futter bringt. Im Dorf ist es schwerer, sagt P. Hier haben sie es besser. Wieder einmal muss ich ihr Recht geben.

23:03
Cleo schnurrt neben mir. Tiny verfolgt Tausendfüßler, die jetzt, wo es feuchter ist, unter der Tür wieder ins Haus kommen. Louis liebt die Rolle, die gegen die Zugluft an der Türschwelle liegt. Er zerrt sie vor und umarmt sie dann leidenschaftlich und ein bisschen brutal. Ich habe heute wieder ein Bild fertig gemalt und jetzt "nur" noch fünf Leute auf meiner Liste. Dieses Mal belastet mich die Liste mehr als im letzten Sommer. Damals war es einfach eine Beschäftigung. Jeden Tag habe ich ein Bild gemalt. Jetzt bin ich perfektionistischer geworden. Ich brauche drei Tage für ein Bild und erwarte mir dann dementsprechend viel Begeisterung, bin enttäuscht, wenn sie ausbleibt..

Giorgos erzählte mir von seinen Augenproblemen. Seine Freundin habe ihn sofort in die Augenklinik gezerrt, als er über Lichtempfindlichkeit klagte. Vier Stunden haben sie mich untersucht, sagt er, es war furchtbar, vier Stunden! Von einem Stockwerk zum nächsten, von einer Untersuchung zur nächsten. Ich konnte nicht einmal rausgehen, um eine Zigarette zu rauchen. Er bekam eine Diagnose, etwas mit der Retina, und man riet ihm zur Operation. Er glaubt aber, dass die türkischen Ärzte nur daran interessiert sind, Geld zu verdienen. Gleichzeitig ist er auch furchtbar unzufrieden mit dem Gesundheitssystem in Griechenland. Sie kriegen die Covid-Situation in den Krankenhäusern nicht in den Griff. Die Covidsterblichkeit in Griechenland ist im Moment eine der höchsten in Europa. Er schiebt die Situation auf die furchtbare Regierung. Was denkt man in Schweden über die griechische Regierung? Nichts, sage ich, die Leute wissen nichts darüber.

Und was machst du heute noch?, frage ich. Er repariert grade einen Holzofen, der im Haus seiner Mutter steht. Es ist eine schmutzige und anstrengende Arbeit. Einige Teile müssen ausgewechselt werden, und er muss sie erst bestellen. Und dann wird er kochen, abspülen und so weiter. Du weißt schon, die ganze langweilige Hausarbeit, sagt er. Die letzten Wochen hat er damit zugebracht, bei sich zu Hause auszumisten. Wenn man nichts wegwirft, dann blockiert man sich, sagt er. Damit etwas Neues entstehen kann, muss man das Alte loswerden. Du bist also eine Woche länger hier als geplant?, fragt er dann. Ja, wegen dir, sage ich. Er windet sich auf seinem Stuhl. Erst hatte er keine Zeit, Probleme mit dem Auto, das andauernd stehenblieb und einem Mechaniker, der den Fehler nicht fand, dann wurde er krank, aber das Telefon stresst ihn auch. Wenn er sich nicht längere Zeit nicht gemeldet hat, kriegt er ein schlechtes Gewissen, und dann meldet er sich erst recht nicht. Ich dachte schon, du willst mich vielleicht nicht mehr sehen, sage ich. Er verneint es vehement. Ist es besser, wenn ich dich anrufe?, frage ich Ja, das ist vielleicht besser.

Zum Abendessen brate ich mir eine Aubergine so, wie ich es im letzten Jahr von Giorgos gelernt habe. Ich hacke eine Tomate, die ich darum herum drapiere und reibe harten Ziegenkäse darüber. Während ich esse, lese ich in der New York Times einen Artikel über den Beatles-Dokumentarfilm von Peter Jackson und beschließe, ihn mir anzusehen, wenn ich wieder zu Schweden bin.

Keine Kommentare:

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...