Dienstag, 14. Dezember 2021

Lesbos, 12/12 2021

In der Nacht wurde ich zweimal von einer Wespe gestochen, die aus unerfindlichen Gründen unter die Bettdecke geraten war. Ich fand sie erst am nächsten Tag tot auf dem Laken und hatte damit eine Erklärung für das, was mir in der Nacht solche Angst bereitet hatte. Meine nächtlichen Phantasien waren völlig ausgeflippt, als ich von dem Schmerz aufgewacht war (erst in der Bauchgegend, dann am Oberarm). Vielleicht war es ein Parasit, den ich in der heißen Quelle aufgeschnappt hatte und der mich jetzt invadierte? Auf dem Weg nach Eftalou hatten wir in einer Pfütze ein paar fadendünne Würmer gesehen, die sich im Wasser ringelten und auf den ersten Blick aussahen wie Grashalme. Ich hatte einen davon aus dem Wasser gefischt und ihn hochgehalten und er hatte sich weiter an meinem Finger gekrümmt, man hatte sogar am Ende des Fadens etwas wie einen Kopf ausmachen können. Vielleicht hatte dieser Wurm irgendwie etwas auf meiner Haut hinterlassen, das sich jetzt Eingang in meinen Körper verschafft hatte. Ich hatte ein fiebriges Gefühl und ging ins Badezimmer, um im Spiegel zu sehen, wie die Stellen aussahen. Tatsächlich war es, als würde sich unter meiner Haut etwas ringeln. Natürlich konnte ich nun nicht mehr schlafen, machte dann um halbsieben Yoga Nidra und stand hinterher auf, kochte Kaffee, fing an, das Bett neu zu beziehen und fand die Wespe, die alles erklärte. Die Stiche waren inzwischen angeschwollen und rot, und ich fühlte mich immer noch ziemlich mitgenommen.

Putztag. Es dauerte doch länger. Wie immer. Zog erst das Bett hervor, dann die Bettkästen. Fegte: Spinnenweben, Katzenhaare, verendete Insekten und Tausendfüßler. Ordnete das, was herumlag, in zwei Haufen: eins, kommt unters Dach, zwei, wird gepackt. Zog alle Möbel hervor, wischte die Stuhlbeine ab, die Ritzen der Korbstühle. Draußen regnete es in Strömen. Schüttelte die Teppiche aus. Leerte den Komposteimer, fegte die Terrasse, schrieb eine Mitteilung an Anna und schickte ein Foto mit, auf dem der große Katzenfuttersack zu sehen war. Ich weiß nicht, was so lange dauerte. Gegen drei Uhr machte ich mich auf den Weg ins Dorf, um Geld zu holen und etwas über den Weihnachtsmarkt zu schlendern, der für heute angesagt war. Leider war nichts los, denn der Weihnachtsmarkt wegen des Wetters verschoben. Im Geldautomaten bekam ich außerdem kein Geld. Dafür sah ich ein phantastisches Wolkenschauspiel am Himmel, das ich auch sofort auf meine Handykamera bannte. Kurz schaute ich bei dem griechisch-englischen Paar vorbei, die den Laden "Made in Molyvos" im Hafen haben. Wir unterhielten uns ein wenig, über Weihnachten und andere Feste (beide waren Weihnachts- und Geburtstagsverweigerer), und ich zeigte ihnen auf meinem Handy einige meiner Bilder, natürlich mit dem Hintergedanken, auf diesem Weg allmählich ein paar Auftrage aus dem Dorf zu kriegen. Wir verabschiedeten uns gut gelaunt. Nette Menschen.

Eigentlich war ich darauf eingestellt gewesen, Polyxeni heute Abend einen Vorschuss für das Katzenhüten und für alle nötigen Behandlungen zu geben, aber am Telefon reagierte sie erstaunt, als ich sagte, dass ich im Moment leider nur 90 Euro hätte. Wofür willst du mich bezahlen? Wir einigten uns darauf, dass ich Myrsini die notwendigen Behandlungen nachträglich erstatte. Ich holte die Katzenbox aus dem Keller. Tinys Medikamente und ihr Futter legte ich in den Korb, in dem sie in der letzten Zeit oft geschlafen hat, und den ich auch mitnehmen wollte. 

Es war schon dunkel, als ich mit J nach Petra fuhr, und es regnete. Polyxeni wartete im Straßelabyrinth von Petra auf uns. Während J beim Auto blieb, ging ich mit ihr zu ihrem Haus. Sie hatte schon einen Käfig für Tiny vorbereitet, denn sie muss sie einige Zeit von den anderen Katzen isoliert halten. Es ist total vernünftig und notwendig, wegen der ansteckenden Ringwurm-Infektion, tat mir aber trotzdem weh. Tiny protestiere nicht im Geringsten, als ich sie in den Käfig setzte, und blieb dort eingeschüchtert hocken. Plötzlich sah sie sehr winzig aus. Wir stellten den Korb hinein. Polyxeni kannte sich mit den Medikamenten besser aus als ich, ich brauchte ihr nichts zu erklären. Sie nimmt kleine Kätzchen auf und versucht dann, ein neues Zuhause für sie zu finden, oft im Ausland. Außerdem bringt sie Streuner zum Kastrieren zu Myrsini. Tiny kann sie aber erst zur Adoption anbieten, wenn sie besser aussieht. 

Das Haus machte einen sehr gepflegten und gemütlichen Eindruck, trotz der vielen Katzen, die auf der Treppe saßen, durch die Zimmer liefen oder zusammengekuschelt auf dem Bett lagen (zwölf seien es im Moment, sagte Polyxeni). Ein letzter Blick auf Tiny. Dann war ich wieder auf der regennassen Straße. 

Zuhause angekommen, machte ich mir etwas zu essen, obwohl ich eigentlich keinen besonderen Appetit hatte. Ich trank ein kleines Glas Ouzo, und hinterher kamen C und J noch auf einen winzigen Abschiedstrunk vorbei. Goodbye, take care, bis nächstes Jahr, dann stapften sie in die Dunkelheit hinaus. Ich spülte ab, putzte noch das Bad, legte den Sicherungsschalter für die Außenbeleuchtung um, ging mit Schirm und Taschenlampe in den Keller, um die Heizungsanlage abzuschalten. Die Katzen ließ ich unter dem Dach schlafen (ihr Lieblingsplatz), zur Feier des Tages, und damit ich eine ruhige Nacht bekam. Stellte den Wecker auf sechs Uhr. Dachte an Tiny in ihrem Käfig, ein bisschen melancholisch, aber auch froh und stolz, weil ich wusste, dass ich die denkbar beste Lösung für sie gefunden hatte.

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