Dienstag, 21. Juli 2020

17. Juli -

2020/07/17 08:55



Am Morgen am Meer. Als ich aus dem Wasser komme, ist einer meiner Flipflops weg, aber weit und breit niemand zu sehen, außer den Frauen mit ihren Hunden am hinteren Ende des Strands. Nachdem ich in Gedanken mehrere Erklärungen durchgegangen bin, aufs Wasser gestarrt habe und ein paar Schritte in die eine und in die andere Richtung gemacht habe, komme ich zu dem Schluss, dass es einer der Hunde gewesen sein muss. Richtig - nach hundert Metern sehe ich den Schuh im Sand liegen, dank Leuchtfarbe aus der Entfernung gut zu erkennen. Wie der Hund es geschafft hat, die Strecke hin- und herzurennen, ohne dass ich das Geringste mitbekommen habe, ist mir zwar ein Rätsel - aber mein Schuh und ich sind glücklich wiedervereint.



Erschöpft. Ich möchte in einen anderen Modus überwechseln – einen Modus des Seins. Sobald ich mit anderen Menschen zusammen bin, werde ich geschwätzig und verliere den Kontakt mit mir selber.

16. Juli -

2020/07/16 10:09



Gehe wieder zu meiner bewährten Tagesroutine zurück. Griechisch, Meditieren, Yoga. Nur so kann ich meinen Kopf über Wasser halten. Dazu kommt inzwischen mein Morgenbad im Meer, mein Morgenkaffee, das Croissant.



Unterhielt mich heute länger mit Artemis, die wieder mit ihrem Hund unterwegs war, neugierig, warum sie hier ist, was sie hier tut. Job ist natürlich nicht drin dieses Jahr, sagt sie, man hat normalerweise die üblichen Saisonjobs, aber das fällt ja jetzt weg. Sie hat Glück, dass ihr griechischer Vater, der auf dem Festland wohnt, eine gute Rente hat und sie unterstützt. Außerdem bauen sie hier in ihrem Garten Gemüse an. Vor ein paar Jahren hatten sie Ziegen. Man wird zum Bauer, das ist auch eine Arbeit. Warum sie hier ist? Die übliche Geschichte: eine Sommerliebe. Daraus wurde dann eine Heirat, eine Familie, ein Leben. Ihr Mann ist sehr verwurzelt hier und kann sich nicht vorstellen, von hier wegzugehen. Sie ist in Berlin Spandau aufgewachsen, ist dann, als ihre erste Tochter geboren wurde, nach Wilmersdorf/Charlottenburg gezogen. Seit siebzehn Jahren lebt sie hier. Wir reden dann über die Lage des Tierschutzes hier auf der Insel. Es ist besser geworden, dank all der Ausländerinnen, die hier mit Griechen verheiratet sind und sich in der Frage sehr engagieren. "Einen Hund haben" heißt hier trotzdem immer noch oft, ihn den ganzen Tag auf der Straße herumlaufen lassen. Man füttert ihn, das ist dann schon alles. Der Hund ihrer Nachbarin kommt einfach mit, wenn sie mit ihrem eigenen Hund spazieren geht.



Sie hat schon lebende Katzenjungen und Welpen im Müll gefunden. Leute stecken die neugeborenen Tiere in eine Tüte, legen einen Stein hinein und werfen sie ins Wasser anstatt ihre Tiere kastrieren zu lassen. Ich sage, bei uns war es früher auch so. Ich habe es zwar nicht erlebt, aber davon gelesen. Vielleicht ist es hier und da auf Bauernhöfen in Deutschland immer noch üblich, dass man die neugeborenen Katzenjungen in einen Sack steckt, den man dann an die Scheunenwand drischt.



Ihren Hund hat ihr Mann in Mytilini aufgelesen. Nachdem sein voriger Hund viel zu jung gestorben war, weil ein Wurm in sein Herz gewandert war, wollte er keinen mehr haben. Der Schmerz war zu groß. Aber irgendetwas hat ihn an dem kleinen Straßenhund mit den krummen Beinen berührt, und er nahm ihn kurzerhand im Auto mit.



Hin und wieder schleichen sich komische Endungen und Präpositionen in ihr Deutsch ein. Daraus könnte ich wahrscheinlich ableiten, wie die griechische Grammatik funktioniert.



22:06



Habe Giorgos heute gefragt, was ich mit dem Fischer tun soll. Sein (griechischer) Rat: lass es sein. Du kannst nicht alles organisieren. Wenn du zu ihm gehst und mit ihm redest, dann wird alles nur kompliziert. Er denkt dann vielleicht, dass es deine Katzen sind. Katzen kommen zurecht, sagt er, vor allem im Sommer. Außerdem: Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Der Fischer wird sie füttern.


"You can't organize everything. Otherwise life will loose its taste."


Wir sitzen in seinem Laden. Er singt ein griechisches Lied mit, das über seine Lautsprecher kommt und übersetzt es mir. Ah, wir haben diese wunderschönen tragischen Texte, sagt er. Aber wir haben auch das Gegenteil - die Komik. Er ist irgendwie aufgedreht. Zeigt mir seinen Mundschutz, ein durchsichtiges Plastikteil, das ich heute schon bei einer jungen Frau in Petra gesehen habe und später dann in der Apotheke. Ich bin ein Italiener, sagt er, ich habe Stil, und dann fragt er mich, ob ich einen Espresso will. Warum nicht. Willst du auch Zucker? Ja. Warum braucht ein süßes Mädchen noch Zucker? Ahh, sagt er, jetzt habe ich geredet wie ein dummer alter Mann. Er tanzt zur Tür. Aber ich bin ein Italiener. Warum braucht ein süßes Mädchen noch Zucker? Geht dann zu seinem Motorrad und holt mir Tabak. Er hat übrigens die Maske ziemlich bald wieder abgenommen. Ich kann hier nicht so mit dir sitzen, jetzt sind wir schon so lange zusammen. Ich nehme meine selbstgenähte Maske auch wieder ab, die er mit den Worten kommentiert hat: "Du bist halt ein Familienmensch". Das ist eine interessante Beobachtung. Ich bin wirklich ein Familienmensch, bloß ohne Familie, weil ich viel zu viel Freiraum brauche, oder weil ich zu viel Angst vor Nähe habe, oder auch, weil ich nie Geld hatte. Er sitzt jetzt vormittags und abends in seinem Laden und klettert die Wände hoch. Normalerweise ist seine Angestellte an den Vormittagen hier, aber das kann er sich jetzt nicht leisten. In einer Woche hat er 120 Euro verdient, viel, nicht wahr, haha?

Ich sage, dass ich gerade meine Wohnung vermietet habe und 500 Euro bekommen habe,

Du bist reich, sagt er. Willst du mich heiraten? Ich würde dich heiraten.

Heirate lieber deine türkische Freundin, sage ich. Außerdem bin ich schon verheiratet.

Ach ja, natürlich, sagt er. Ich will mich nicht zwischen euch drängen. Dann: Ich kann nicht den ganzen Tag hier sitzen. Ich habe viel zu viel zu tun. Zu Hause, im Garten. Ikonen malen, aufräumen. Ich kann mich gar nicht um mein Gemüse kümmern. Das Einzige, was ich jetzt tue ist Gießen. Aber ich will ja Blättchen abzupfen, sie umpflanzen, ihnen Zeit widmen.

He, sagt er und steht plötzlich auf, wie geht das nochmal mit diesem Aikido. Ich greife dich jetzt an. Es ist unmöglich in dem engen Laden, aber ich versuche eine Technik zu machen. Wenn er in die Nähe eines Konflikts kommt, so sagt er, versucht er einfach ruhig zu bleiben. Dann erzählt er, wie er einem in Athen es einmal jemandem gezeigt hat, der ihn angegriffen hat, mit den Fäusten: bumm, bumm. Aber die Ruhe hat er dabei nicht verloren.

Ich erzähle ihm, dass ich heute in Petra allein in "unserem" Lokal war und dass die Besitzerin mich gefragt hat, ob ich auf ihn warte. Hat sie dir wenigstens einen guten Preis gemacht? Nicht wirklich, sage ich und sage, was ich bezahlt habe. Ah, sagt er. Das ist ein Problem. Wir behandeln die Leute verschieden. Was hast du gegessen? Er will es ganz genau wissen. Sardinen. Wie viele? Acht. (Zwei davon habe ich den bettelnden Katzen gegeben, weil ich zwar hungrig war, aber nicht so viel essen konnte.) Es war teuer, konstatiert er. Es ist schon in Ordnung, beruhige ich ihn. Ich habe eine Quittung bekommen, sie muss also Steuern bezahlen. Ja, das stimmt auch wieder.



Sitze jetzt im Dunkeln auf der Terrasse. Endlich, nach viereinhalb Monaten, tue ich das. Die Mücken sind aber auch weniger aggressiv, oder ich habe mich daran gewöhnt



Was machst du, fragte Giorgos, als ich sagte, ich geh jetzt. Ich setze mich auf meine Terrasse und trinke ein Glas Retsina. Wo? Zu Hause. Und schaue den Himmel an. Wo? Zu Hause. Danke für deinen Rat, was den Fischer angeht. Ist schon in Ordnung, sagt er. Es kostet heute nichts. Danke für den Kaffee, für die Zigarette. Es war schön, dich zu sehen. Melde dich.



Er hat jetzt schon geplant, dass ich im November, wenn ich wiederkomme, mit seinem Auto nach Kalloní fahre und seine blinde Katze sterilisieren lasse. Sie haben dort ein Gratis-Programm. Du machst das sicher, sagt er, weil du so nett bist. Sie hat gerade vier Junge bekommen, aber weil sie blind ist, kann sie sich nicht so gut um sie kümmern. Er muss das tun. Bisher hat er seine Katzen nie sterilisieren lassen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass das unverantwortlich ist. Natürlich mache ich es, sage ich.



Wir redeten über Corona, über Impfungen, über die Zukunft. Es ist seltsam, dass wir überhaupt nicht wissen, wo wir in einem Jahr sind, Corona-mäßig. Und dann reden wir über die Hagia Sofia, die Erdogan, der Idiot, in eine Moschee umwandeln wird.



Artemis geht mit ihrer Tochter an seinem Laden vorbei und winkt uns zu. Er mag sie auch, sagt er, und erzählt mir dann, dass sie drei Töchter und zwei Söhne hat. Jemand, der keine Angst vor dem Leben gehabt hat.



15. Juli -

2020/07/15 10:10



Fuhr ans Meer, mit Gaskocher und Espressokanne. Heute hatte ich sogar ein langärmliges T-Shirt übergezogen. Ging zum Nacktbadestrand, wieso eigentlich nicht früher? Kein Mensch außer mir war da. Das Wasser war kalt, erfrischend. Dann Kaffee und Croissant auf dem Mauerabsatz. Heute kamen keine Hundebesitzer vorbei. Mittwoch.



Werde mit Giorgos über den Fischer reden. Vielleicht kann er ihm die ganze Angelegenheit erklären. Ich bringe es nicht fertig, heute noch einmal in der glühenden Sonne vor dem Haus zu stehen und zu rufen. Es verwandelt sich in einen seltsamen Traum, in dem man irgendwo auf der Stelle tritt und nicht weiterkommt.



Die ganze Zeit denke ich an den Text, den ich angefangen habe zu schreiben. Ich versuche, mich auf meine Intuition zu verlassen, muss aber nachträglich die Fäden zusammenknüpfen. Heute fühle ich mich mutlos.



Seltsame Parallelen zu meinen Kindheitsgefühlen: Erlaubnisse werden in Verbote verwandelt. Freundlichkeit ist nicht von Dauer. Es ist keine unbeschwerte Freiheit möglich, weil ich weiß, dass ich, egal, was ich tue, etwas „falsch“ mache.



22:45



Wassermelone und Feta. Abends: eine von Giorgos' Auberginen, gewürfelt in Tomatensoße, dazu wieder Feta. Das Kreuzworträtsel der NYT, das ich heute nicht lösen konnte.



Als ich mit der Lampe meines IPhones zum Sicherungskasten des Brunnenhäuschens und wieder zurück gehe, sehe ich eine Frau, die ihr Fahrrad auf dem Sandweg abstellt und dann "in die Büsche" geht. Glaubt sie, denn es ist der Weg zu meinem Haus. Sie entschuldigt sich vielmals. Das macht doch nichts, sage ich. Ich musste so dringend pinkeln, sagt sie. Wegen mir brauchen Sie sich keine Sorgen machen, sage ich.



Morgens kein Wasser, und bis ich herausfinde, woran es liegt, ist der Vormittag schon gelaufen. Es war ein allgemeiner Wasserstop, wegen irgendwelcher Reparaturarbeiten. Wäre nicht gestern der Klempner hier gewesen, dann hätte ich mir keine weiteren Gedanken gemacht. Hole Trinkwasser auf dem Seminargelände.



P bittet mich, zur Bank zu fahren und "Maria" um "pink slips" zu bitten, für "Dino", den Steuerberater. Ich stelle mich in die Schlange vor der Bank. Frage bei meiner Ankunft, wer der Letzte vor mir gewesen ist. Man deutet auf eine alte Frau, die ihr Bankbuch in einer Plastiktüte mit sich trägt. Die Frau schaut mich ausdruckslos an. Als sie schon vor der Tür steht, stellt jemand anderer sich hinter sie. Ich frage, wer von uns zuerst dran ist. Er sagt, erst die Frau und dann er. Ich erwarte mir, dass die Frau bestätigen wird, dass ich nach ihr drankomme, aber sie lässt sich auf Griechisch aus (offensichtlich über mich), mit einer Wut den Augen und in der Stimme, die mich verblüffen. Sie macht weiter mit ihrer Zornestirade, noch als ich mich schon hinter den Mann gestellt habe.



In der Bankfiliale herrscht die übliche schlechte Laune. Ich frage nach "Maria", die sich missmutig zu erkennen gibt. Ich brauche "pink slips" für "Dino", sage ich und reiche ihr Ps Bankbuch. Ihr Missmut war wahrscheinlich nur der Unwille, Englisch zu sprechen oder irgendeine komplizierte Ausländerfrage zu beantworten. Als sie weiß, was ich will, ist sie freundlich und entgegenkommend. Später, als ich schon wieder zu Hause bin, ruft Dino an und ich bin froh, dass ich ihm sagen kann, dass die „pink slips“ bei der Bank auf ihn warten. Er fährt mit seinem Moped auf der Insel umher und besucht seine Kunden. Er hat lange in Deutschland gelebt. Deshalb ist er für die Deutschen, die hier leben, ein Geschenk des Himmels.



Dann Einkaufen bei Theodos, der heute die Maske wieder vor dem Gesicht hat. Wie gehts? Gut, und dir? Gut. Weißt du schon? fragt er. Nein. In Kalloni ist ein Mann positiv getestet worden. Jetzt muss man wieder vorsichtiger sein. Ein Tourist? Nein, ein Grieche, der verreist war. Wenn ich krank werde, sagt Theodos, muss ich das Geschäft zumachen. Also muss ich mich schützen. Ich sage, du musst darauf schauen, dass deine Kunden auch dich schützen.



Mittagessen: gebratene Champignons mit geriebenem Käse, Feta-Wassermelone, als Salat angemacht.



War wieder unbeschreiblich müde am Nachmittag, lag auf dem Bett, las "The Buried Giant", schlief ein, wachte auf, las weiter, schlief wieder ein, wachte auf. Machte mir einen griechischen Kaffee, um wach zu werden. Strich den Tisch und flickte eine Unterhose, die schon mehrmals geflickt worden war. Dann Weiterschreiben am Text. Ich muss einsehen, dass es einfach nicht geht. Ich habe kein Talent fürs Erzählen. Ich verbringe meine Schreibzeit in Agonie, es ist, als könnte ich nicht atmen. Das Hochgefühl des Anfangens stürzt unweigerlich nach ein paar Seiten ab. Ich bin dieser Aufgabe schlicht und einfach nicht gewachsen.



Abends am Meer. Zuhause den Garten gewässert, Abendessen, ein Bier.



14. Juli -

2020/07/14 17:20



Schlief schon um 22:00 ein, wachte um 3:00 auf, lag im Bett und las Kazuo Ishiguros "The Buried Giant". Es war kühler, und ich hatte das große Fenster geschlossen. Die Katzen waren auch hereingekommen und lagen auf dem Bett. Machte das Licht wieder aus, wieder an, wieder aus. Schlief dann bis Viertel nach acht. Kein Morgenbad, weil ein Handwerker angekündigt war, der die Warmwasseranlage des Hauses anschauen wollte und dazu über meine Leiter Zugang zum Speicher brauchte.



Machte mich gleichzeitig daran, den Kühlschrank wieder abzutauen. Kochendes Wasser in einen Topf, den ich dann hineinstellte. Das Knacken, das Tropfen. Mein Arzt aus Schweden rief an und bestätigte, dass meine Schilddrüsenwerte normal seien. Anfang September neue Proben, dann in Schweden. Er habe im August Urlaub, wisse aber noch nicht, ob er nach Lesbos fahren werde. Dann ein Tipp, wie ich mich am Flughafen Kastrup verhalten solle: Am besten das Zugticket schon vorher kaufen. Bei dem deutschen Pass ist ja nicht sicher, ob mir überhaupt irgendwelche Fragen gestellt werden.



Vergebliche Suche nach meinem BH. Solche Sachen machen mich wahnsinnig. Ich habe nur einen (fadenscheinigen) BH hier, den ich anziehe, wenn ich ins Dorf fahre, und er verschwindet regelmäßig. Nachdem ich an allen Orten geschaut hatte und er nicht aufgetaucht war, zog ich ein T-Shirt unter meine weiße Bluse. Natürlich viel zu warm. Die Aufgabe des Tages: Den Fischer finden.



Seit Jahren hat U vom "Fischer" gesprochen, wenn von den Katzen die Rede war. "Die gehen zum Fischer." Dabei hatte sie vage in die Richtung jenseits des Zauns gedeutet, aus der die Katzen oft auftauchen und in die sie oft verschwinden. Ich war ein paarmal im Winter (wenn sonst niemand hier war) an einer passenden Stelle über den Zaun gestiegen und hatte mich umgeschaut, aber ich war nie besonders weit gekommen. Vor ein paar Tagen habe ich U noch einmal gefragt und eine Wegbeschreibung bekommen



Nach mehreren Versuchen und mehrmaligem Fragen nach dem "Fischer Lucas" hatte ich tatsächlich den richtigen Weg eingeschlagen, denn es zeigte sich, dass der glatzköpfige Mann, der mir auf einem Moped entgegenkam, ein paar Müllbeutel am Lenker, tatsächlich der Mann war, nach dem ich suchte. Er sei gerade auf dem Weg zur Bank, sagte er, verdutzt, dass ich mit ihm reden wollte. Später, rief er im Weiterfahren. Wann? In zwei Stunden. Oder hatte er gesagt "in einer Stunde"? Oder vielleicht "um zwei Uhr"? Ich wusste eigentlich gar nicht genau, was ich ihm mit ihm reden wollte. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass er die Katzen vermisste und erleichtert wäre, wenn er wüsste, dass sie oft bei uns sind. Außerdem wollte ich ihm vorschlagen, etwas zum Katzenfutter beizusteuern für die Zeiten, wenn wir nicht hier sind, aber ich wusste nicht, ob das wirklich eine gute Idee war. Nach einem "Club-Sandwich" und einem Mineralwasser im Dorf (erledigte ein paar Mails und Bankangelegenheiten) machte ich noch einen Versuch und kam (nach nochmaligen Nachfragen) an sein Haus. Das Moped stand davor. Der Pick-Up mit den Styroporkisten für die Fische war in der offenen Garage. Vor dem Eingang hing ein Käfig mit einem kleinen Vogel. Zwei Hunde, ein kleiner und ein großer, tauchten auf. Der kleine kläffte ein bisschen, der große kam auf mich zu und begrüßte mich freundlich. Ein Grill, dem man ansah, dass er oft benützt wurde, stand neben der Treppe, die zur Terrasse führte. Ich rief ein paar Mal. Die Tür war offen, ein Fliegenschutz bewegte sich im Wind, aber ich bekam keine Antwort, also fuhr ich wieder. Kaufte eine riesige Wassermelone und endlich eine Spülbürste im kleinen Laden auf dem Weg, radelte nach Hause. Ass Wassermelone auf den Stufen vor dem Haus und legte mich dann wieder aufs Bett - müde, erschöpft, müde. Erlaubte mir, erschöpft und müde zu sein, schlief ein und träumte, dass ich auf dem Bett lag und müde und erschöpft war. Dieser Traum war ein wenig durchzogen von Spuren des Buchs, das ich gerade lese und in dem ich zwischendurch weiterlas. Kochte mir dann eine Kanne Kaffee, die ich mit einer meiner Nachbarinnen teilen konnte. Kaffee so spät am Tag ist immer ein Risiko, aber ich hatte das Gefühl, ohne Kaffee überhaupt nicht funktionsfähig werden zu können.



00:01



Schon ein Abschiedsschmerz. Und das Gefühl, dass ich meine Erwartungen an mich enttäuscht habe.



Die Katzen haben Vertrauen gefasst, sind zutraulich geworden. Und dann muss ich die Tür wieder zuschließen, sie wieder hinausschicken. Und doch, es gibt den Fischer, sein Haus, es gibt diesen Mann wirklich. Das Leben, das sie hier haben, ist eine Art Kuraufenthalt, Urlaub vom griechischen Katzen-Alltag.



Brachte es nicht fertig zu schreiben, dachte aber daran. Kämpfe mich weiter durch den begrabenen Riesen. Das Malen ist plötzlich ganz weit weg.



Muss einen Kamm kaufen für Punxys Fell, das ganz zottig wird. Jetzt die Fenster in den Flügeltüren auch geschlossen, nach all den Wochen, in denen ich verzweifelt alles öffnete, was zu öffnen ging, und trotzdem keine Linderung.



Morgen den Tisch streichen.



Fuhr gegen Abend nochmal zum Haus des Fischers. Obwohl ich nicht näher ging als bis zur Treppe, fühlte ich mich plötzlich wie ein Eindringling. Er lebt sein ganzes Leben so wie ich hier die ersten vier Monate. Die letzten zwei Wochen sind mir übrigens zu viel geworden. Ich habe meine Tage nicht mehr richtig genießen können. Es ist schlimmer, von Leuten umgeben zu sein, an die man nicht herankommt, von denen man sich kritisiert oder misstrauisch betrachtet fühlt, als alleine zu sein. So wie der Fischer leben, in einem eigenen, verschrobenen Reich. So im Nachhinein kann ich mich fragen, woher die junge Frau im Tui Reisebüro ihn kannte und wusste, wie man zu ihm kam. Inselwissen.



Ich kam an einer Gänsefarm vorbei. Die Gänse waren frei, es gab kein Zaun, der sie einsperrte. Sie wählten, sich in einem Pool zu tummeln. Poolparty. Diese ganzen Mikrokosmen. Wohin man auch geht. Es gibt überhaupt keine einfache Version der Wirklichkeit. Das Tempo immer weiter zurücknehmen, die Radien immer mehr verringern, bis man im Schneckentempo über ein winziges Stück Erde kriecht und alles genau betrachtet.



Interessant, dass das Erste, was Touristen tun, wenn sie an ihrem Ziel ankommen, ist, sich ein Mietauto nehmen, um von dort wieder wegzukommen.



Nach meinem Abendbad 25 Minuten Unkrautjäten unter dem Mandarinenbaum. Eine stille, zufriedenstellende Arbeit. Dann selbst gezogener Salat mit Tomaten, Feta, Wassermelone. Ein Kartoffelfladen. (Auf der Terrasse.)



13. Juli -

2020/07/13 08:24



Gestern hier nichts geschrieben. Langes Telefongespräch mit P am Abend. Es ist, als wäre ich nach Monaten der relativen Zufriedenheit plötzlich in ein Loch gefallen. Vielleicht weil meine Abreise langsam wirklicher wird. Weil ich plötzlich von Menschen umgeben bin, in deren Blick ich mich spiegle.



Zurück zum Braindump, 5 Minuten morgens, 5 Minuten abends. Tagsüber schrieb ich an einer neuen Version des Künstlerhauses, angeregt von anderen Büchern, die ich während meines Aufenthalts hier gelesen habe. Ich schrieb mehrere Stunden lang, am Ende waren es etwa 8 Seiten geworden und ich fühlte mich völlig ausgelaugt. Vielleicht auch deshalb mein Stimmungstief. Es ist eine anstrengende emotionale und intellektuelle Arbeit. Meine "Planung" ist momentan, nichts zu planen und mich während des Schreibens von spontanen Einfällen leiten zu lassen. Am Morgen am Meer war ich auf die Idee einer Zeitstruktur gekommen, die mich immer weiter in die Zukunft hineinführen würde. Tag 1, Tag 10, Tag 100, Tag 1000, Tag 10000, Tag 100000, Tag 1000000, das wären also am Ende fast 3000 Jahre. Die Hauptperson wäre dann ein Insekt auf einer menschenleeren Erde. Man kann es natürlich nicht so schematisch durchziehen. Außerdem ist es schon wieder eine Planung, und Planungen entmutigen mich immer nach einer Weile.



Heute zum medizinischen Labor in Petra fahren. Neue Schilddrüsenproben machen lassen. Baden. Einkaufen. Dann zu Hause schreiben.



21:48



Eigentlich würde ich diesen Tag gerne in der Versenkung verschwinden lassen. Ich fühle mich geächtet, kritisiert, in eine Rolle gesteckt, in der ich mich nicht wiedererkenne. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass ich mich in die Rolle meines "Ungeliebtseins" hineingesteigert und damit andere vor den Kopf gestoßen habe.



Fuhr zur Blutprobe nach Petra. Wie immer geht es schnell und nach kurzer Zeit habe ich das Ergebnis in meiner Mailbox und schicke sie an meinen Arzt in Malmö. Als ich nach Hause fuhr und in den Sandweg einbog, der zum Haus führt, spielte mein Herz plötzlich wieder verrückt und es dauerte mindestens eine Stunde, bis es sich wieder beruhigt hatte.



Dann strich ich die Schutzkante der Eingangstür, die von der Salzschwelle, die wir hier immer gegen die Tausendfüßler auslegen, etwas abgescheuert war. Strich die Kante des blauen Metalltischs, der mir vor ein paar Tagen von der Treppe herunter gefallen war. Setzte mich zum Schreiben an den Schreibtisch, ohne zu wissen, wohin ich auf dem Weg war. Erst fühlte ich, dass ich mich in eine Sackgasse manövrierte, zwang mich aber dazu, einen Ausweg zu finden. Auf dem Weg zum Meer später beschloss ich, dass alles ein Traum gewesen war und dass die Ich-Person in dem viel zu kurzen Bett ihres neuen Zimmers aufwachen soll.



Der Tag war emotionell so erschöpfend, dass ich jetzt, noch vor zehn Uhr, so müde bin, dass mir die Augen zufallen. Eine meiner neuen Nachbarinnen holt ihre Reisegefährtin, um mit "den anderen" ein "total lustiges Spiel" zu spielen. Ich weiß nicht, wer die anderen sind, aber ich bin etwas traurig, dass sie mich nicht fragen.



Machte mir eine Aubergine mit Joghurt und einem Tomatenring und hatte noch einige gekochte Linsen, die ich mit Zitronensaft anmachte. Fuhr ans Meer und las dort in dem Kazuo Ishiguro-Roman. Kaufte mir geröstete Pistazien und ein Bier, setzte mich auf die Treppe vor dem Haus und las.



Endlich sind die Temperaturen erträglicher.



11. Juli -

2020/07/11 22:48



Heute Samstag = Putztag.



Ich denke andauernd daran, wie ich schreiben möchte, was ich schreiben könnte. Nicht so, in einem gehetzten Tagebuchstil. Auf die kleinen Dinge achten. Die Fliegen. Die Insekten, die ich aus der Schüssel unter dem Wasserhahn auf der Terrasse klaube. Die meisten sind schon tot, aber manche habe ich gerettet, erschöpft kriechen sie über die Bodenfliesen.



Akzeptieren, dass alles ein Traum ist, eine Phantasie. Ich brauche es nicht festzuhalten. Frage mich immer wieder, ob es zum männlichen Erfolgskonzept, dem Frauen auch folgen müssen, wenn sie Anerkennung haben wollen. das einzig Denkbare ist. Wo ist unser Recht auf Rückzug, auf die Freude am Kleinen, den alltäglichen Arbeiten, in der richtigen Geisteshaltung ausgeführt. Das männliche Erfolgskonzept läuft darauf hinaus, die alltäglichen Arbeit jemand anderem aufzuladen, mit dem Geld, das man verdient, sein Ego zu boosten.



Ich fahre abends an den Strand. Habe keine Lust, jemanden zu treffen und gehe zum hinteren Teil des Strands. der für Nacktbader reserviert ist. Ich möchte aber auch nicht nackt baden, also bleibe ich an der äußersten Grenze.



10. Juli -

2020/07/10 09:40



In der Früh ans Meer. Das Wasser war kalt, nach einer windigen Nacht. Hundehalterinnen, die mit ihren Hunden am Meer spazieren gehen.



23:13



Gianni kommt gegen 9. Ich erkläre ihm die Bewässerungsanlage und wir machen einen Rundgang im Garten. Er empfiehlt, dass wir den wilden Olivenbaum, der in einem Oleanderbusch hochgewachsen ist, weiterwachsen lassen und später veredeln. Er rupft schon mal ein wenig Unkraut im Vorübergehen und hat einen Vorschlag, wie man die Akazie beschneiden könnte. Er wird das Gras mähen und die Oliven abernten, wenn es so weit ist. Jedes Mal, wenn er den Garten wässert, wird er ein bisschen hier und da arbeiten. Den Gartenabfall wegtransportieren. Ich bin mir sicher, dass es ein guter Beschluss war. Wir einigen uns auch, was das Finanzielle angeht.



Einkaufen bei Theodos. Dann ein neues Bild - das Motiv des Restaurants Hamam, von dem ich vor ein paar Tagen schon eine Skizze gemacht habe.



Die Kursteilnehmerin, die schon mehrmals ihre Unzufriedenheit kundgetan hat, teilt mir mit, dass sie den Kurs verlässt, zwei Wochen vor Ende. Keine Erläuterung. Es löst bei mir ein Gefühl der Kraftlosigkeit aus.



Dann ruft P an, dass eine Kursteilnehmerin für unsere Tanzwoche im August abgesagt hat, wegen einer Knieoperation. Es bedeutet einen enormen finanziellen Verlust für uns, eine weitere Absage und wir müssen den Kurs stornieren, um nicht draufzuzahlen.



Fahre ans Meer, bevor ich zu Mary fahre. Gespräche am Tisch: das Glück. in der freien Natur aufzuwachen. Strategien des Griechischlernens. Eine Silke aus Chemnitz erzählt von dem Bauernhof, den sie allein leitet, seit ihr Mann sie vor zwei Jahren verlassen hat. Sie wirkt mädchenhaft, unsicher, introvertiert, aber ich fühle auch die Kraft, die in ihr steckt, eine Traktor-Kraft. In der Corona-Zeit konnten sie sich vor Bestellungen gar nicht retten, erzählt sie. Wir essen Tsatsiki, verschiedene gefüllte Teigtaschen, Hamam-Salat, Fava, Rindfleisch aus dem Ofen, Oktopus in Rotweinsoße, gebackener Fisch mit Pommes Frites und Rote-Bete-Salat. Nachtisch: Schokoladenkuchen mit Vanille- und Schoko-Eis und eingelegten Früchten.



Mary und die Bedienung Anni, tragen weißen Mundschutz. Nach dem Essen wird getanzt. Anni führt einen Mundschutz-Striptease vor, zu kreischendem Gelächter. Ich tanze nicht, fotografiere und filme stattdessen. In der Dunkelheit fahre ich nach Hause. Sehe Giorgos, der mit ein paar Männern im Platanaki sitzt und bremse mit dem Fahrrad neben ihm. Wann sehe ich dich? Er hat jetzt den Laden vormittags und abends geöffnet. Schau vorbei. Es ist typisch für ihn. Er legt die Initiative in meine Hände. Die Katzen warten schon am Abhang auf mich. Ich bin müde, schon bereit fürs Bett.



9. Juli -

2020/07/09 09:34



Träumte von B, mit der ich seit Jahren keinen Kontakt gehabt habe. Unsere Freundschaft ist einfach im Sand verlaufen. In meinem Traum lag sie auf einem Bett und las in einem Medizinbuch. Keine von uns verlor ein Wort über das jahrelange Schweigen zwischen uns. Ich war erleichtert, weil ich mit Vorwürfen gerechnet hatte. Schließlich war ich es gewesen, die damals gesagt hatte, ich würde zurückrufen und die es dann nie tat. Ich hatte mir monatelang Entschuldigungen und Rechtfertigungen ausgedacht - mein Stimmungstief, das Gefühl der Scham wegen meiner verkorksten Lebenssituation -, aber dann habe ich es einfach absinken lassen, versucht zu vergessen. Im Traum vertraute B mir an, dass sie sich jetzt zu alt fühle, um noch all die medizinischen Fakten in ihren Kopf zu prügeln. Sie hatte ihr Medizinstudium immer noch nicht abgeschlossen (in Wirklichkeit natürlich schon), kämpfte immer noch. Im Aufwachen (oder noch im Traum) dachte ich, dass das eigentlich eine Projektion meiner eigenen Situation ist. Ich kämpfe immer noch um etwas, das ich wohl nie erreichen werde, und je älter ich werde, desto unwahrscheinlicher ist es.



Plötzlich erinnere ich mich daran, wie wir vor der Staatsbibliothek in Berlin im Gras saßen und sie zu den anderen Medizinstudentinnen von unserer gemeinsamen Zukunft redete. Sie werde das Geld nach Hause bringen, sagte sie, während ich zu Hause sitzen und Bücher schreiben würde. Damals wusste ich schon, dass das ein schöner Traum war, der nicht in Erfüllung gehen würde. Schon damals wappnete ich mich gegen eine Vorstellung von Glück.



Zum Frühstücken wieder am Meer. Ich habe meine eigene Ecke hergerichtet, mit einem flachen Stein für die Espressokanne an einer windgeschützten Stelle. Ein anderer Stein diente mir als Teller für das Croissant. Artemis kam wieder vorbei, mit ihrem Hund und dem Hund ihrer Nachbarin. Wir wechselten ein paar Worte. Ich begegnete auch den Gärtner und Hausmeister des Hotels Delphinia, der gerade die Müllbehälter ausleerte. Wir kennen uns inzwischen, er winkte mir zum Gruß zu.



P schickt mir einen Link. Ein Gratiskurs Griechisch an der Uni Lund. Ich soll mich bewerben. Ich schreibe, hoffentlich ist es kein Anfängerkurs, sonst sterbe ich vor Langeweile. Dann denke ich daran, dass ich schon vor zehn Jahren angefangen habe, Griechisch zu lernen und immer noch grade mal die grundlegendsten Sachen kann. Allerdings habe ich es auch nicht konsequent verfolgt und immer wieder lange Pausen eingelegt.



Gerade kam I und fragte mich, ob ich morgen mit zu Mary zum Essen gehen möchte, in einer großen Gruppe. Alle sind dabei. Ich nehme das Angebot, weil ich in dem Augenblick nicht an Corona denke. Ist es klug? Nein, sicher nicht. Viele der Leute sind eben erst angereist. Ich bin unsicher.



Sitze am Nachmittag im Café von Ranias Sohn, an einem kleinen Tisch auf der Dorfstraße, trinke einen Cappuccino und später eine selbstgemachte Limonade und lese/schreibe Mails, bezahle Rechnungen, schaue nach, wieviel Geld ich noch habe. Es reicht noch für sieben Monate.



8. Juli -

2020/07/08 16:35



Aus meinem Nachmittagsschlaf aufgewacht, weil Punxy piepste, dass sie raus wollte. Ich war auch im Traum müde, schlief auf dem Boden eines Ladens ein, der T-Shirts in Farben von Fußballmannschaften verkaufte und wo ich ein T-Shirt in den Farben der portugiesischen Nationalmannschaft kaufen wollte, das es aber dann nicht in meiner Größe gab, sondern nur zu klein und zu groß. Ich rollte mich auf dem Fußboden der Umkleidekabine zusammen und schlief, zu müde, um wieder aufzustehen. Eine flüchtige Bekannte, die ich dort getroffen hatte und die Krankenschwester war, überprüfte mein Herz mit einem speziellen Metallchip und sagte, es sei zu schwach. Wir waren beide Teil einer Aktionsgruppe, die illegale Bepflanzungsaktionen unternahm. Später war ich in einem Park und versuchte, dort irgendetwas zu tun, aber ich konnte nicht, weil ich zu müde war.



P hat jetzt wieder im Gesundheitszentrum angerufen, wegen einem Druck auf der Brust und Husten. Man muss einen Boten (einen Verwandten) mit seiner ID-Karte ins Testzentrum schicken, der dann den Test ausgehändigt bekommt und ihn hinterher zurück ins Testzentrum bringt. Umständlich, findet P. Sinnvoll, finde ich. Es gibt auch die Möglichkeit, in der Apotheke einen Antikörpertest zu machen, der 500kr kostet, aber da muss man symptomfrei sein. Eigentlich sind es die gleichen Symptome wie im März, sagt sie, aber jetzt in Verbindung mit einer Erkältung. Laut Auskunft der Krankenschwester am Telefon haben viele Leute diese Art von Symptomen, die sich über Monate hinziehen können. Es gibt momentan keinen Grund zur Unruhe. P hat sich jetzt jedenfalls krankgeschrieben, damit sie ihre Urlaubstage später zurückbekommt. Eigentlich hätte sie jetzt vorgehabt, oft zum Schwimmen zu gehen. Eigentlich wollte sie Leute treffen. Jetzt begibt sie sich erstmal wieder in Quarantäne. Mit Tee und Buch auf dem Bett.



Ich habe am Morgen einen Artikel in der NYT über Schweden gelesen, das, was die Todeszahlen angeht, viel schlechter abschneidet als seine nordischen Nachbarn. Vor allem in Stockholm sind die Zahlen hoch. Es wird in der Kommentarsektion über den Sinn und Unsinn der schwedischen "Nicht-Regeln" diskutiert, viele Schweden beteiligen sich. Einige sagen, dass die schwedischen Zahlen so hoch sind, weil so viele Pflegeheime für alte Menschen von Corona betroffen waren. Die wären auch im Fall eines Lockdowns nicht geschützt gewesen, weil die Zustände dort so verheerend sind (was man angeblich vorher nicht wusste). Auch Immigranten sind in Schweden zahlenmäßig häufiger betroffen, weil sie mehr als Schweden oder europäische Ausländer in beengten Verhältnissen leben, öfter Raucher sind und öfter die Regeln nicht verstehen oder nicht beachten. Die Zahlen sind angeblich auch deshalb so hoch, weil Schweden alle Toten als Coronatote aufführt, bei der die Toten am Coronavirus erkrankt waren (auch wenn sie vielleicht nicht daran starben). Das wird wohl nicht in allen Ländern so gehandhabt. Die hohen Zahlen seien außerdem dadurch zustande gekommen, dass 10% der Schweden in den Wintermonaten verreist waren und den Virus aus Ländern wie Italien und Österreich ins Land brachten. Das Tragen von Masken wird in Schweden immer noch nicht empfohlen. Einige Schweden schreiben in ihren Kommentaren, dass eine Maske nach 10 Minuten keinen Sinn mehr macht, weil sie dann feucht wird und gewechselt werden müsste. Auf dem Papier hat Schweden im Verhältnis zur Einwohnerzahl 40% mehr Coronatote als die USA.



Ein Bild von einem Badeplatz in Malmö ist dem Artikel beigefügt. Junge, schlanke Menschen liegen und sitzen auf den Badeplanken, neben einem großen gelben Reklameschild, das zum Abstandhalten auffordert. Darauf sind zwei stilisierte Menschenfiguren abgebildet und ein Herz, das sie auf Abstand hält. Darunter steht: "In Malmö sind die Abstände nicht groß. Aber jetzt halten wir Abstand voneinander." Wenn etwas "typisch schwedisch" ist, dann genau dieses Schild. Die Freundlichkeit, der Appell an positive Gefühle, an das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen. Aber auch die Verharmlosung, Verkindlichung.


Je mehr Zeit vergeht, desto weniger bin ich der Ansicht, dass der Weg, den Schweden eingeschlagen hat, so eindeutig der falsche war. Die Frage bleibt bestehen, ob die Lage im Fall eines Lockdowns besser gewesen wäre. Es herrschen fürchterliche Zustände in den privatisierten Pflegeheimen, das ist jetzt deutlich geworden. Man kann beobachten, dass andere Länder, die ihre strengen Lockdown-Regeln gelockert haben, sie jetzt wieder anziehen. Wie lange, wie oft ist das möglich? Es scheint, als hätte Schweden einen mittleren Weg eingeschlagen, der langfristig vielleicht aufs Gleiche rauskommt, mit dem Unterschied, dass es den Leuten psychisch besser geht.


Gleichzeitig nervt es mich, dass Schweden sein "Besonderssein" wieder mal hervorkehren musste. Der schwedische "Exzeptionalismus".


Mary Trump, Trumps Nichte, hat jetzt ein "Enthüllungsbuch" über Trump-Familie herausgegeben. Von dem Wenigen, was ich darüber gelesen habe, gibt es nichts, was mich erstaunt. Es liegt doch alles offen. Ich habe schon vor vier Jahren gewusst, dass Trump ein boshafter, unersättlicher Narziss und Egomane ist. Ich brauche jetzt nicht auch noch zu wissen, dass er ins Kino gegangen ist, als sein Bruder mit einem Herzanfall ins Krankenhaus kam. Der Erbschaftsstreit in der Familie interessiert mich weder noch wundere ich mich darüber. Letztlich sind das Petitessen. Das Buch wird außerdem ohne Konsequenzen bleiben, da Trumps Anhänger da, wo man einen moralischen Kompass haben sollte, eine Leerstelle haben.



Ich nehme jetzt jeden Morgen meine Espressokanne, einen Gaskocher und eine kleine Flasche mit Milch mit ans Meer, kaufe mir auf dem Weg ein Croissant und trinke dann meinen Morgenkaffee am Strand, nachdem ich eine Runde geschwommen bin. Eine der jungen Frauen, die mir fast jeden Abend dort mit ihren Hunden begegnet sind, war heute früh auch unterwegs, und ich sprach sie an. Artemis. Nach einer Weile Englisch begann sie akzentfreies Deutsch zu sprechen. Woher kommt‘s? Sie ist Deutschland geboren, die Mutter ist Deutsche, der Vater Grieche.



Weil vor dem Nachbar-Apartment momentan der Putz der Terrassensäulen ausgebessert wird, habe ich mich heute nach langer Zeit wieder mal unters Dach zurückgezogen, für meine Stunde Meditation und Yoga. Dort lag das Buch eines tibetischen Lamas, das ich aus Schweden mitgebracht hatte. Ich öffnete es nach dem Zufallsprinzip und las. Verrückterweise ging es genau um das Thema, das mein Leben hier in den letzten Tagen etwas vergiftet hat. Sofort zog ein großer Frieden in mein Herz ein. Es ganz einfach sein lassen, mich in die Konflikte hineinzusteigern, die mich so aufgewühlt haben. Damit aufhören, andere zu beurteilen und zu kritisieren, böse Dinge über sie zu denken und zu sagen. Ich brauche niemandem mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, das mich in den letzten Tagen gequält hat, wird davon auch nicht besser. Das heißt nicht, dass man Ungerechtigkeiten generell nicht zur Sprache bringen soll. aber man sollte es für andere tun, nicht nur für sich selber.



Habe "Brooklyn" von Colm Toibín ausgelesen. So genau in der Beobachtung der Details, so fein die Gefühlsstimmungen einfangend. Entwicklungsschichte, Gesellschaftsroman und Erzählung über ein klassisches Dilemma. Am Ende ist man als Leser über die Entscheidung der Hauptperson erleichtert, obwohl eine grundtiefe Traurigkeit bleibt. Die Verluste, die das Leben mit sich bringt.



6. Juli -

2020/07/06 09:58



Wachte schon früh auf und fuhr um sieben Uhr zum Strand. Die zwei Frauen wieder in ihren Schlafsäcken. Sie waren gerade aufgewacht, setzten sich auf, und ich sprach sie an.



Das Ganze resultierte darin, dass ich nach Hause fuhr und alles holte, was man für einen Kaffee am Strand braucht. Gaskocher, Espressokanne, Espresso, Milch, Wasser, ein Feuerzeug. Ich machte beim kleinen Laden halt und kaufte Croissants und Rosinenbrötchen.



Dann saßen wir lange auf dem Mauerabsatz und redeten. Eine Griechin und eine Belgierin, die in Mytilini bei einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge arbeiten. Wir redeten über das Konzept des "Helfens", über die Trance der "Helfer", über oft fehlgeleitetes Mitleid, über Leute, die ihre Schuhe weggeben wollen, wenn sie Flüchtlinge sehen, die barfuß gehen. In Moria gibt es auch Freude, sagte die eine, Effi, und erzählte, dass Leute sie zum Tee einladen, wenn sie dorthin kommt. Wir streiften die Situation in Molyvos. Die Bewohner des Dorfs haben keinen guten Ruf. Aber die Stimmung in Mytilini spitzt sich momentan auch zu.



Die Beobachtung von Adichie, dass jede Situation verschiedene "stories" enthält, trifft auf alle Bereiche des Lebens zu. Deshalb ist das Erzählen von Geschichten so wichtig. Es gibt nicht DEN "armen Flüchtling". Es gibt nicht DEN "Syrier", DEN „Afghanen“. Unser eigenes Leben könnte man auch in unzählig vielen verschiedenen Versionen erzählen. Deshalb ist es so wichtig, dass Menschen sich aufgefordert fühlen, ihre Geschichte zu erzählen. Und indem wir uns für die Geschichten der anderen interessieren, lernen wir, die Vielfalt der Geschichten anzuerkennen. Das Schlimmste ist, wenn die verschiedenen Geschichten einander gegenübergestellt werden als ausschließliche und rivalisierende Versionen desselben Sachverhalts.



5. Juli -

2020/07/05 10:06



Morgens:



Das Tor zum Strand ist zugesperrt, wahrscheinlich wegen der lauten Strandparty in der vorletzten Nacht, aber ich kenne inzwischen die Schleichwege, nehme eine andere Einfahrt, von der ein Weg direkt zum Hotel hochführt, biege zum dem terrassierten Teil des Grundstücks ab, über den man zum Strandweg kommt. Ich weiß jetzt auch, dass solche Eskapaden toleriert werden, habe keine Angst, dass man mich fortschickt, obwohl nicht weit von mir ein Hotelangestellter mit irgendetwas beschäftigt ist.



Erst glaube ich, dass der Strand ganz menschenleer ist. Dann sehe ich zwei junge Frauen, die im Schatten der Strandmauer in ihren Schlafsäcken daliegen und schlafen.



Als ich aus dem Wasser komme, macht sich ein deutsches Touristenpaar gerade fertig für das erste Morgenbad auf Lesbos. Sie erinnern mich an meine Eltern: die Badetasche, die schlanke Figur und knappe Badehose des Mannes, die Bademütze der Frau, ihr Badeanzug, ihre Sorgfältigkeit. Als sie ins Wasser gehen, kommentieren sie die Wassertemperatur. Dann schlagen sie verschiedene Richtungen ein, genießen die Freiheit des Meers, die Weite des Himmels, legen sich auf den Rücken und lassen sich treiben. Noch als ich schon fertig zum Gehen bin, sind sie im Wasser.



Ich überlegte, den jungen Frauen ein Frühstück oder wenigstens eine Tasse Kaffee anzubieten, falls sie aufwachen sollten, solange ich da wäre. Ich könnte die Espressokanne und den Gaskocher holen, dachte ich. Aber sie schliefen tief und fest.



Worüber schreiben, wenn nichts passiert? Das ist die Herausforderung der kommenden Wochen.



Da ich jetzt (wegen Corona-Bestimmungen) den Wifi-Anschluss des Seminargeländes nicht mehr benützen und auch mein Trinkwasser nicht mehr von dort holen kann und außerdem von allen Seiten eingekreist bin von deutschen Nachbarn, muss ich mich und mein Leben hier neu verorten.



Heute Nacht wachte ich auf und ging zur Spüle, um einen Schluck Wasser zu trinken. Ich habe mein Trinkwasser in ausgediente Glasflaschen gefüllt. Also schraubte ich eine dieser Flaschen auf, setzte an und nahm einen tiefen Schluck, nur um festzustellen, dass es Ouzo war (ich hatte gestern versucht, mit Ouzo die Klebereste eines Kreppbands vom Kühlschrank wegzumachen, und die Flasche stehen lassen). Spülte meinen Mund mit Wasser aus. Schlief aber hinterher gut.



22:39



Die Nachbarn schalten jetzt ihre Klimaanlagen an. Die Hunde bellen im Dunkeln. Ich wässerte den Garten. Um zum Pumpenhäuschen zu gehen, muss ich jetzt eine große Runde machen, den Abhang hinunter und dann den Sandweg hoch, weil ich nicht mehr an den anderen Apartments vorbei gehen kann.


Heute die erste Runde Lack auf den Kühlschrank. Trage die Kochplatte nach draußen und mache mein Mittagessen da: Zucchinifrittata mit altbackenem Brot, Zwiebeln und Ei. Geriebener Ladotiri. Hinterher Mittagsschlaf, Abspülen. Dann nähe ich einen Rock aus dem weißen indischen Hüfttuch, für das ich nie eine richtige Verwendung gefunden habe. Bei dieser Hitze sind leichte Röcke am angenehmsten. Ich mache das Modell "Fischerhose", eine Art Wickelrock mit einem Band.


Zwischendurch immer wieder ein großes Apfelschorle mit Eiswürfeln. Lese "Brooklyn" von Colm Toibín.


Als ich zum Strand hinunterfuhr, kam plötzlich die Erinnerung an die Angst und Verzweiflung hoch, in der vor zehn Jahren feststeckte, als ich meine erste Woche hier allein verbrachte. Um sie zu lindern, ging ich in den Nächten mehrmals zum Müllcontainer, um Sachen wegzuwerfen. Ich schwamm weit ins Meer hinaus, ging im Regen nach Eftalou und wieder zurück. Damals gab es noch Wifi-Cafés. Selbst wenn ich eine Mail bekommen hatte, dann konnte sie meine Angst nicht lindern. Diese Unersättlichkeit. Die Angst vor der Nicht-Existenz, vor der völligen Auslöschung, falls mir diese Liebe wieder entzogen würde, was sich da schon andeutete. Ich war nicht einmal eine ganze Woche hier, aber die Zeit erschien mir endlos, unerträglich. Ich war über die Türkei angereist gekommen, verbrachte ein paar Tage in Istanbul, und flog dann auch von dort wieder zurück nach Kopenhagen.



Der heutige Tag war einerseits schwierig, aber auch ruhig und produktiv. Als ich kurz vor Sonnenuntergang am Delfinia-Strand auf dem Mäuerchen saß und meine Füße abtrocknete, blickte aufs Meer. Plötzlich sah ich etwas, war mir aber nicht sicher, ob ich mich nicht getäuscht hatte. Dann tauchte es wieder auf: Es war eine Delphinflosse. Ich stieß einen Laut des Erstaunens, der Freude aus. Eine Frau, die sich ein paar Meter von mir entfernt gerade die Haare abtrocknete, schaute mich fragend an. Delphine, sagte ich und deutete aufs Meer. Oh, sagte sie und schaute in die Richtung meines Fingers. Komisch, dass es nur einer ist, sagte sie. Kurz danach tauchte eine zweite Flosse neben der ersten auf. Sie waren sicher hundert Meter von uns entfernt, und trotzdem starrten wir wie gebannt auf die kleinen Silhouetten der Delphinflossen vor dem Licht der untergehenden Sonne. Dass Gefühl, als würde mein Herz ganz groß und hätte fast keinen Platz in meiner Brust. Nach ein paar Minuten verschwanden sie. Ich konnte mit dem Lächeln nicht aufhören, als ich nach Hause radelte.



Abendessen: sauer eingelegte Fischchen, Oliven, Fetakäse, Salatgurke mit Salz und etwas Brot mit Olivenöl. Dazu Wasser.



4. Juli -


2020/07/04 22:23


Abends in der Wärme.


Samstag.


Putztag. Nach schwieriger Nacht, einigen wachen Stunden, in denen ich das Licht eingeschaltet hatte. Alle Fenster mit Mückennetzen waren weit offen. Immer wieder strampelte ich das Laken von mir. Schwer im Magen das Essen, das ich gestern spät bei Mary gegessen habe, an ihrem Eröffnungstag: Aubergine in Tomatensoße mit viel Knoblauch und viel Öl und ein Tzatziki. Saß auf dem Balkon, machte eine Skizze von der Aussicht in der Abenddämmerung. Am Nachbartisch der Keramiker mit seiner Frau und ein befreundetes Paar. Ich verstand, dass sie über die Hotelgeschichte sprachen. Zwar begriff ich, was sie im Detail sagten, aber es war deutlich, dass sie sich rührend einig waren. So viel Falsches kommt in die Welt, weil wir uns nur mit Gleichgesinnten umgeben wollen. Als der Keramiker mich sah, konnte ich an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass es ihm unangenehm war, dass ich am Tag zuvor seine Auseinandersetzung mit Giorgos bezeugt hatte. Ich grüßte ihn und lächelte. Ich brauche schließlich nicht auch noch dazu beizutragen, dass die Gräben im Dorf sich vertiefen.


Wie es mir gehe, fragte Mary. Hm, heute nicht so gut, antwortete ich. Nicht? sagte sie (sie hatte ihre Nasen-Mund-Maske nach unten geschoben). Du siehst aber gut aus. Seit du operiert worden bist (sie meinte die Schilddrüsenoperation), siehst du viel besser aus. Du bist ein bisschen runder geworden im Gesicht, aber es steht dir gut. Wir warfen uns Luftküsse zu, als ich ging. Die wunderbare Mary.


Heute das volle Programm: Griechisch, Meditation, Yoga. Dann Großputz im Haus. Wieder mit der Zahnbürste der Dusche zu Leibe gerückt. Den Herd abgeschrubbt. Die Türen der Küchenschränke eingeschäumt und abgewischt. Das Zimmer geputzt, die Terrasse. Dann den Kühlschrank grundiert. Eine Aquarellskizze gemacht. Habe beschlossen, im kommenden Monat nur Live-Bilder vor Ort zu malen. Keine Fotos. Gestern: der Olivenbaum vor dem Haus. Heute einer der Feigenbäume. Beide mit Blindtechnik und auf das Papier gespritzter Farbe. Auf Distanz zu Instagram gehen.


Friseurtermin bei Rania. Keine Spur von Maske oder Abstandhalten. In dem kleinen Lokal saßen die Dorffrauen dicht beieinander, tauschten sich aus. Niemand trug eine Maske. Plötzlich war ich sehr müde. Ich hatte auch keine Maske auf. Der Virus ist ein Problem, sagte Rania. Ja. Ich weiß. Damit war das Gespräch beendet. Sie hat ihre Preise gesenkt, weil die Leute weniger Geld haben. Ich gab ihr den alten Preis. 15 Euro. In seinem Café nebenan saß ihr Sohn. Er sah resigniert aus. Keine Kunden. Wie seit Wochen. Bei Mary sah ich zwei Kunden auf dem Balkon. Heute trug Mary nicht nur Maske, sondern auch einen Schutz auf dem Haar. Sie ist die Einzige im Dorf, die sich an0 die Regeln hält. Ich rechne ihr das hoch an.





Freitag, 3. Juli 2020

3. Juli -

2020/07/03 09:45

Eigentlich wollte ich gestern noch schreiben, aber es war zu heiß. Jetzt mit dem Pomera auf dem Bett, der Kaffee auf dem Hocker neben mir. Habe zwei Riesenbrote mit Butter und Aprikosenmarmelade vertilgt (Giorgos würde die Augenbrauen hochziehen - Butter ist bei ihm verpönt). Heute habe ich meine erste kleine Tomate entdeckt. Die "Goldwasser"-Düngung (Urin-Wasser 1:10) hat auch den Salatpflanzen geholfen. Sie sind in die Höhe geschossen, tiefgrün und kräftig.

Giorgos kam gestern mit einer Tüte an, in der Zucchini, eine Aubergine und eine Gurke waren. Weißt du, was Zucchini sind? Natürlich! Alle Eigenanbauer essen zurzeit Zucchini. Eleftheria saß auf der Bank vor dem Friseursalon und aß Zucchinibratlinge aus einer Aluminiumfolie. Sie hat ihre Massagepraxis wieder geöffnet. Die heiße Quelle wird gerade repariert, soll aber im Sommer noch geöffnet werden.

Giorgos bestellte sich einen kleinen Kaffee und ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Es folgte ein lebhaftes Gespräch mit den Cafébesitzern, das er immer wieder unterbrach, um sich bei mir zu entschuldigen. Jemand kam an den Tisch und bat um Tabak für eine Zigarette. Halt Abstand! rief Giorgos und streckte den Arm aus, während er ihm seinen Tabakbeutel reichte. Hinterher sagte er mir, dass der Mann, der aussah wie ein altgewordener griechischer Hippie, gerade aus Marokko zurückgekehrt war, über Spanien und Italien.

Dann begann er, mir zu übersetzen, worüber er mit den Cafébesitzern gesprochen hatte. In der Nacht sind Leute aus dem Dorf zu einem Hotel in Eftalou gefahren, das Asylanten aufnehmen will, Flüchtlinge, deren Asylantrag bereits bewilligt ist und die jetzt nirgendwo einen Platz zum Wohnen haben. Der Hotelbesitzer bekommt natürlich Geld, ziemlich viel sogar, und das ist wohl u.a. eine Tatsache, die die Dorfbewohner aufgebracht hat. Es ist zu lautstarken Protesten gekommen - die Autoreifen des Hotelbesitzers wurden aufgeschlitzt. Die Argumente: Flüchtlinge schrecken Touristen ab. Wir haben kein Geld zum Leben, und den Flüchtlingen wird es hinten reingeschoben. Verständlich, aber die Wut ist trotzdem fehlgerichtet. Natürlich gibt es auch eine große Gruppe, die misstrauisch gegenüber allen Muslimen ist. Das alte Thema. Der gleiche Neid. Der gleiche Fremdenhass. Und letztlich geht es um Geld. Auch der Hotelbesitzer, der jetzt angefeindet wird, war früher gegen Flüchtlinge. Jetzt, wo er Geld damit machen kann, ist er zum anderen Lager übergewechselt.

Giorgos ist erschöpft, hat die Borniertheit der Dorfbewohner satt. Am liebsten ist er bei sich zu Hause, in seinem Garten, seiner Werkstatt, mit seinen Katzen. Mangelnde Bildung, sagt er. Alle, die aus dem Dorf weggehen, um zu studieren, kommen nicht zurück. Es ist so viel Gemeinheit, so viel Bosheit hier. Immer wieder geht es um Geld, um Konkurrenz. Er hat keine Freunde mehr hier. Letzte Woche hat jemand die Hausfassade von Jenifers Tochter mit dreckigen Wörtern vollgeschmiert, weil sie sich in der Flüchtlingsfrage engagiert. Giorgos hat diese Aktion auf Facebook kritisiert, aber kein Mensch hat einen Kommentar hinterlassen. Die, die keine Faschisten sind, haben Angst vor den Faschisten. Außer Mary. Sie hat gute Gedanken. Und sie spricht sie aus. 

Ich bestelle eine Ikone bei ihm: Den heiligen Franziskus. P und ich haben gestern vorsichtshalber gegoogelt und haben die Information gefunden, dass der Hl. Franziskus in der orthodoxen Kirche als vom Teufel besessen gilt. Ich frage Giorgos, ob ihm das etwas ausmacht. Er schaut mich mit großen Augen an. Glaubst du denn, dass ich so engstirnig bin? Hast du außerdem vergessen, dass ich in San Francisco gelebt habe, viele Jahre? Ich habe es nicht vergessen. San Francis. Wir schauen einige Bildbeispiele auf meinem Handy an. Ich kann es machen, sagt er. Er muss erst das Holz bestellen. Wir einigen uns auf einen Preis. Alle sollen zufrieden sein, sagt er. Du, ich, P.

Er fährt zu seinem Laden, den er für die Saison herrichten muss, obwohl er keine Lust hat. Ich gehe auch hoch, will im Keramikladen ein paar Becher und Paletten für Wasserfarben bestellen. Mary ist in ihrem Lokal, als ich daran vorbeigehe. Sie sitzt an einem Tisch, einen Block vor  sich, und spricht ins Telefon. Sie winkt mich rein. Möchtest du eine Orangenlimonade? Wir setzen uns auf den Balkon. Sie macht morgen auf. Es gibt so vieles, was sie jetzt einkaufen muss. Das kostet, selbst wenn sie keine großen Mengen bestellt. Sie sieht trotzdem gut gelaunt aus. Barfuß, mit riesigen Schlabbershorts, T-Shirt und einem Tuch, das das verschwitzte Haar aus dem Gesicht hält. Ich frage, ob sie weiß, was  in der Nacht passiert ist. Sie hat es noch nicht gehört. Eine Freundin hatte sich wegen den vielen Autos und Motorrädern gewundert, die gleichzeitig nach Eftalou fuhren. Eine Hochzeit, hatten sie vermutet. Giorgos hatte das Gleiche gedacht.

Was ich ihr dann erzähle, macht sie fertig. Das ist Faschismus. Sie sagt das Gleiche wie Giorgos. Sie hat keine Freunde hier im Dorf. Die Dorfbewohner kommen nicht in ihr Restaurant, nur die Ausländer. Dann sagt sie mir, dass Ignatios, bei dem ich in den letzten Jahren oft gegessen habe, ein übler Faschist ist. Du kannst bei ihm essen, sagt sie, aber du musst wissen, was er für ein Mensch ist. Seine Frau, naja, sie ist nicht so schlimm, aber sie sagt auch nicht so viel. Mary hat manchmal Angst, dass man ihren Laden demolieren oderihrem Hund etwas antun könnte. Sie ist deutlich gegenüber den Leuten. Sie wiederholt, was sie schon am Anfang meines Aufenthalts gesagt hat. Sie sagt den Dorfbewohnern, dass sie drei Alternativen haben: Entweder ihr kauft euch eine Kalaschnikow und mäht alle Flüchtlinge nieder, oder ihr hebt Lesbos aus dem Meer und setzt es an einem anderen Ende von Griechenland wieder runter. Oder ihr arrangiert euch mit der Situation, auf eine menschliche Weise.

Der Keramikladen ist noch nicht richtig geöffnet, aber die Tür steht offen. Ich rede mit der Frau des Keramikers. Die zwei sind große Katzenfreunde. P hat sie über die Jahre oft unterstützt und Sachen bei ihnen bestellt. Sie müssen erst alles in Ordnung bringen, sagt sie. Dann bin ich willkommen. Ich fühle mich als große Wohltäterin. Gehe weiter zu Giorgos' Laden. Eine Gruppe von Männern steht davor. Darunter auch der Keramiker. Laute Stimmen. Ich sehe an den Augen des Keramikers, dass er wütend auf Giorgos ist, als er auf ihn einredet. Und Giorgos hält dagegen, mit seinem tiefen Bass. Ich verstehe, dass es um Islam geht. Jemand sagt "Pakistan". Es ist leicht, sich die Argumente dahinter auszudenken. Die Gruppe zerstreut sich. Ich gehe mit Giorgos in seinen Laden.

Irgendwie ist es, als würde mir der Boden heute unter den Füssen weggezogen. Der Keramiker hat also auch Angst, dass die Anwesenheit von Menschen, die einer anderen Kultur angehören, hier alles kaputtmachen wird. Kann ich jetzt noch in seinen Laden gehen? Kann ich jetzt noch Becher bei ihm bestellen? Das Dorf scheint mir plötzlich vergiftet, hasserfüllt, auch wenn der Hass sich nicht gegen mich richtet. Mary sagte, sie versucht den Dorfbewohner klarzumachen, dass die Touristen, die nach Molyvos kommen, keine bornierten Idioten sind, sondern denkende, weltoffene Menschen. Dass der Faschismus dem Tourismus mehr schadet als die Flüchtlinge. Ah, es ist alles so falsch, so verkehrt.

Giorgos zeigt mir seine neuen Sachen. Mit einer kindlichen Begeisterung lässt er sich über die kleinen Holzesel aus, die er diesen Winter gemacht hat. Er hat blauweiß gestreifte Stoffbeutel über ihren Rücken gehängt, gefüllt mit Oregano. Einige große, detailreiche Häuser. Wieviel kann ich dafür nehmen? 250 Euro? Auf jeden Fall! Boote in allen Größen, manche dreidimensional. Alles aus Müll gemacht, sagt er, "rubbish". Er hat auch noch einige der kleineren Boote, die er aus dem Material der Flüchtlingsboote und Rettungswesten hergestellt hat, mit der Aufschrift "Hope". Auch wegen ihnen ist er angefeindet worden. Ich bin links, sagt er, kein Kommunist, aber links, weil ich der Ansicht bin, dass die linke Politik in der Regel menschlicher ist.

Als ich mich zum Gehen anschicke, fragt er, was ich zu Mittag essen werde. Keine Ahnung, sage ich. Er hat eine Idee. Wir können auf einen Ouzo nach Petra fahren. In zwanzig Minuten vor dem Schulhaus? Er will sein Auto holen. Ok.

Schließlich kommt doch mit dem Motorrad an. Geht das? Natürlich. Wir brausen über die Küstenstraße. Er stellt das Motorrad ab, wir setzen uns wieder an einen der Tische bei Katarina, essen Mezedes (ich esse doppelt so viel wie er) und trinken ein kleines Fläschchen Ouzo. Reden über Gott und die Welt. Er bekommt eine Mitteilung von seiner türkischen Freundin und scrollt auf seinem Telefon. Ah, sie hat ein paar Kilo zugenommen! sagt er. Die Türken lieben Süßigkeiten und Butter! Wegen den Corona-Beschränkungen haben sie sich seit Monaten nicht sehen können. Er erzählt auch, dass Erdogan die Hagia Sofia in eine Moschee verwandeln will. Wir erinnern uns beide unabhängig voneinander an das ehrfürchtige Erlebnis beim Betreten dieses Kirchenbaus. Als ich dort war, lag die Furcht vor Bombenanschlägen in der Luft. In welchen Zeiten leben wir eigentlich? Und wie wird es in ein paar Jahren sein? Gestern fühlte ich mich nicht besonders hoffnungsvoll.

Wir gehen noch zu einer Lottostelle und kaufen uns jeder ein Los. Leider kein Hauptgewinn. Brausen nach Molyvos. Er bringt mich zu meinem Fahrrad, das vor dem Schulhaus steht, und sagt: Fahr nicht zu schnell! Wir sehen uns!



2. Juli -

2020/07/02 10:18

Dieser ganze Juli liegt leer und unbeschrieben vor mir. Es gibt eigentlich keinen Grund dafür, weiterhin hier zu sein, außer, dass es auch keinen Grund dafür gäbe, in Schweden zu sein. Was soll ich also tun? Irgendwo gibt es ja immer noch den Gedanken, dass all das sich "rentieren" soll. Es soll etwas "dabei herauskommen". Hirnrissig eigentlich. Wann hat dieses Denken sich in unsere Leben eingeschlichen? Ich habe meine Tagesroutinen (Schreiben, Malen, Meditieren, Yoga, Griechisch, Gartenarbeit).

Die Nachbarn sind angekommen, in guter Gesundheit und Urlaubsstimmung. I wollte mich gestern umarmen. "Wir sind gesund", sagte sie. "Lieber nicht, sicherheitshalber", sagte ich und wich etwas zurück. Wie kann sie das sagen, nachdem sie gerade aus dem Flugzeug gestiegen ist? Heute kommt der erste Charterflug aus Holland, sagte mir die Frau im Gyros-Imbiss, wo ich gestern mein erstes (und einziges) Gyros im Pita gekauft habe. Ich sehe ein, dass ich jetzt meine eigenen Corona-Regeln aufstellen muss. Dass ich wieder vorsichtiger sein muss, wenn ich Lebensmittel einkaufen gehe. Dass ich mir die Hände wieder öfter waschen muss, mich gegen den Sog der Normalität wehren muss. Dass ich geschlossene Räume meiden muss. Ich möchte meine Heimreise jetzt nicht gefährden. Ich möchte auch meine Gesundheit nicht gefährden und damit die Gesundheit der anderen. Immer noch verstehen Leute nicht, dass man mit der Maske nicht in erster Linie sich selber schützt, sondern die anderen. Ungefähr zwei Tage nach dem Lockdown waren Masken im Dorf yu sehen, jetzt sieht man keine mehr.

Begegnungen:

Jenifer, Illustratorin, Malerin, etwa Mitte siebzig, die vor ihrem Mann in Australien mit zwei Töchtern nach Griechenland zu "Onkel und Tante" geflüchtet ist und in Athen einen griechischen Fischer kennengelernt hat, mit dem sie im Lauf der Zeit drei weitere Töchter hatte. Inzwischen lebt sie schon seit vierzig Jahren in Molyvos. "Ich bin hier hängen geblieben", sagt sie. Mit dem Fischer war sie ein paar Jahre in Sansibar, hat dort viel gemalt, Ausstellungen gemacht, auch Bilder verkauft (u.a. an den schwedischen König), während er den Bewohnern der Insel die Technik des Lichtfischens beibringen sollte, was er auch mit Erfolg getan hat. Leider sind sie zu früh wieder nach Molyvos zurückgekehrt. Auch auf den griechischen Mann, der seit ein paar Jahren tot ist, ist sie nicht gut zu sprechen. "He was an idiot." Es ging um irgendeine Familienangelegenheit. Sie fühlte sich mit fünf Kindern in einem winzigen Haus im Hafen eingesperrt, während seine Schwester (ihrer Version zufolge) dank seinem Geld in einem geräumigen Haus wohnte. Das Haus, in dem sie jetzt lebt, ist an einer Anhöhe gelegen, der Weg dorthin ist steil in der Hitze, die Aussicht über das Meer atemberaubend. "Jeden Abend dieser Sonnenuntergang", sagt sie und verdreht die Augen. Ob ich vielleicht einen Hund haben möchte. Sie hat drei. Einer davon ist ihr zugelaufen, und seit einem Jahr versucht sie vergeblich, ein neues Zuhause für ihn zu finden. Das Haus hat sie "selber gebaut". Die Griechen konnten nicht verstehen, dass sie eine raue Steinwand im Inneren des Hauses haben wollte. Das Dach ist hoch, und an den Wänden hängen ihre eigenen Bilder. Auf dem Sofatisch Kataloge von Van Gogh und Hockney. Sie stellt grüne Oliven auf den Tisch, die sie auf Vorrat "bei Lidl" in Mytilini kauft, wir trinken Wein mit Sodawasser und Eis. Ich bin heißhungrig und stopfe mir eine Olive nach der anderen in den Mund - aber wie kann man diese nichtssagenden Lidl-Oliven kaufen, wenn man auf Lesbos wohnt? Ich hole meinen Behälter mit den dicken grünen Oliven, die ich in Petra gekauft habe und stelle sie auf den Tisch, zum Vergleich. Sie findet sie zu bitter. Wir gehen in ihr Atelier. Sonnenuntergänge, Fischerboote im Meer, ihre Töchter. Vor ein paar Tagen hat sie einen Baum an ihre Wand im Wohnzimmer gemalt und mehrere Bäume auf den Wandschrank im Schlafzimmer. Was für eine Technik? Kohle und Haarspray. Wir blättern den Hockney-Katalog durch. Ich kriege eine große Lust auf Farbe.

Einige Monate hatte sie ein irakisches Flüchtlingspaar im Haus. Sie habe da erst verstanden, dass viele Geschichten der Bibel im Koran fast identisch auch vorkommen. Ihre Tochter Melinda ist die Gründerin der NGO "starfish", die sich seit 2015 für die Flüchtlinge auf Lesbos engagiert. Im September 2015 war ihr Restaurant "The Captain's Table" im Hafen der zentrale Treffpunkt für die Volontäre aus aller Welt.

Alles strahlt zusammen. Mein "Tadzio von Lesbos", wie ich sie im Geheimen nenne, ist Jenifers Enkelin. Sie tritt im Herbst einen Studienplatz für Fotografie in Edinburgh an. Ich saß vor einigen Wochen mit ihrer Großmutter und ihrer Mutter (Melinda) auf dem Balkon einer Bar, und sie schaute kurz vorbei und grüßte höflich und wohlerzogen, so wie man die Bekannten der Mutter und Großmutter halt so grüßt. Als ich sie am nächsten Tag am Meer sah, hatte sie unsere Begegnung offensichtlich schon wieder vergessen.

Abends, auf meinem Weg vom Meer nach Hause, fuhr ich mit dem Fahrrad an Giannis vorbei, der gerade mit seinem Moped in Richtung Dorf unterwegs war, kleinen weißen (coiffierten) Hund seiner Frau auf dem Arm. Wir hielten beide an und kehrten um. Er holte ein paar Aprikosen aus der Plastiktüte, die an seinem Lenker hing und gab sie mir. Kannst du mal kommen und dir den Garten anschauen? Er ist in Deutschland aufgewachsen, wir reden Deutsch. Ich komme mal vorbei. Vormittags. Du bist vormittags zu Hause? Oft, aber nicht immer. Ok. So vereinbart man in Griechenland einen Termin.


30. Juni -

2020/06/30 07:01

Spät ins Bett und früh wieder raus. Die wunderbaren Morgenstunden, das Vogelgezwitscher, das Guckuu der Tauben. Diesen letzten Monat auf der Insel möchte ich auskosten. Vorgestern hatte ich einen totalen Einbruch oder Absturz. Las stundenlang in der New York Times, scrollte endlos auf Instagram, getrieben von diesem Jucken, dieser dumpfen Rastlosigkeit. Was gibt es Neues? Wieder irgendwelche Hiobsbotschaften von der Trump-Front. Wieder höhere Corona-Zahlen. Noch ein haarsträubender Twitter-Eintrag. Noch mehr willentliche Bosheit, Dummheit, Ignoranz. Und wieder die schier unerträgliche Wartezeit bis zur nächsten US-Wahl. 

Ich habe momentan vier verschiedene Bücher daliegen, die ich gleichzeitig lese.

Außerdem die Lettre, die ich wie jedes Mal auf meine Reise mitgenommen und dann doch nicht (kaum) gelesen habe. Gestern las ich noch einmal den Einführungsartikel von Marcus Quent, einem jungen Philosophen (Obacht: Neid!), der vom Altern handelt (dem körperlichen und dem unkörperlichen, und sie fallen zeitmäßig nicht zusammen). Sein Gedankengang ist initiiert von der Lektüre von Celines "Reise ans Ende der Nacht" und geschult an der kritischen Theorie Adornos. Wunderbare Sätze: "Der Wille zur Konservierung eines makellosen Körpers ist das sichere Zeichen für den Eintritt des unkörperlichen Alterns. Jugend ist keine Eigenschaft des Körpers, sondern Ausdruck einer unterschiedslosen Liebe.". Und was ist das für eine Liebe? "Auch dort, wo die Welt unerträglich ist, wo sich Verachtung ausbreitet und uns in ihren Kreislauf hineinzieht, müssen wir die Welt lieben, die ganze, ohne Unterschied." Diese Liebe, so schreibt Quent, ist keine Verdrängung oder Verleugnung des Negativen, sondern ein affirmatives Mittel des Widerstands. So wunderbar und elegant führt er die kritische Theorie und die Essenz des Buddhismus zusammen. Wir dürfen, ja, wir MÜSSEN sogar, lieben. Die ganze Welt. Darüber hinaus gibt es nichts. Natürlich ist das ja auch die Essenz des Christentums, allerdings in der Geschichte oft missachtet.


29. Juni -

2020/06/29 23:26

Heute überschlugen sich Wellen, schäumten an den Strand. Aber wenn man über die ersten hinweggekommen war, war das Wasser nur wenig bewegt. Der Delphinia-Besitzer grüßte mich freudig, als ich mit dem Fahrrad ankam. Erst dachte ich, es sei vielleicht verboten, den Weg am Meer entlang zu radeln. Wie geht's? Gut, und dir? Gut. Die üblichen Begrüßungsfloskeln.

Unkraut jäten um die Akazie herum. Steige auf die Leiter, um tote Äste abzusägen. Knipse kleine Terpentinpistazien ab, grabe Schafgarbe aus und Quecke. Ein Apfelbäumchen hat sich selber gesät. Mit meinen Werkzeugen gehe ich ans Werk. Wühle in der Erde, werfe Steine zur Seite. Alles ist von Ameisen untergraben. Ich glaube, dass sie die Akazie zum Absterben bringen, weil die Baumwurzeln dann ins Leere wachsen. Machte ein paar Bilder von der Schafgarbe im Gegenlicht. Schnitt verblühte Akanthus-Stängel ab, zerteilte sie, gleich in den Sack hinein.

Videogespräch mit A. Die kleinen Katzen wuseln auf dem Sofa um ihn herum. Er hatte mir am Freitag eine Nachricht geschickt. Er habe "ziemlich gute Neuigkeiten". "Jetzt machst du mich neugierig", schrieb ich. "Das war beabsichtigt", antwortete er. Am nächsten Morgen schrieb ich "Ich bin jetzt auf drei Alternativen gekommen". "Jetzt machst du mich neugierig.", schrieb er. "Das war beabsichtigt", antwortete ich. Heute wollte er erst meine drei Alternativen hören. Er hörte sie sich an, ohne mit der Wimper zu zucken. "Es ist eine von deinen drei Alternativen", sagte er: Er hat sich eine Wohnung gekauft und zieht von L weg. Er hatte alles schon durchgezogen und abgeschlossen, bevor er L überhaupt von seinen Plänen erzählte, der den Sommer in seinem Haus auf dem Land verbringt. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er eine eigene Wohnung. In Damaskus hatte er zwar eine Wohnung für sich und seine "zukünftige Familie" gekauft und sie renoviert, aber er verließ das Land, bevor er in die Verlegenheit gekommen wäre, sich eine Frau zu suchen. Die Wohnung war nur eine Hinhaltetaktik seiner Familie gegenüber. Er wusste schon damals, dass er nie heiraten wollte, jedenfalls keine Frau.


28. Juni -

2020/06/28 21:51

Das Neueste: Ich lege Gläser ins Gefrierfach, damit sie eiskalt sind, wenn ich sie mit Apfelschorle (oder heute: mit Bier) fülle. Ich habe drei Eiswürfelformen im Gefrierfach. Ich träufle Zitronensaft in das Wasser in der Eiswürfelform. Wenn noch Eiswürfel im Glas übrig sind, wenn ich (gierig, durstig) ausgetrunken habe, lege ich das Glas mit den Eiswürfeln ins Eisfach. Abends spüle ich die Stufen vor der Terrasse mit Brunnenwasser, das schnell verdunstet, aber trotzdem ein kurzes Gefühl von Frische entstehen lässt.

Vor den Mücken fliehe ich am Abend schnell ins Innere des Hauses, obwohl ich lieber draußen sitzen würde. Ich habe eine geschwollene und schmerzende Stelle unter dem linken Auge. Heute habe ich sie mit einer leichten Kortisonsalbe eingerieben. Manchmal stelle ich mir vor, das unter meiner Haut ein Insekt brütet, das beim Auskriechen die Haut zum Platzen bringt.

Auf dem Herd köcheln jetzt eine Auberginen-Tomatensoße und Spaghetti. Eigentlich bin ich von Chips, Pistazien und Bier schon satt. Nach einem Tag, an dem ich kiloweise Unkraut gestochen und abgeschnitten habe, teilweise in der sengenden Sonne.

Auf dem Weg zum Meer fuhr ich an meinem "Stalker" vorbei. Ich versuchte, ihn so natürlich wie möglich zu grüßen, bekam aber wieder nur einen starren Blick als Antwort.

Im Bett die Heuschrecke (Zikade?), die noch nicht weiß, dass Punxy nichts lieber tut als mit der Tatze nach diesem hüpfenden Spielzeug zu schlagen. Wenn ich kann, fange ich sie in meinen hohlen Händen und trage sie nach draußen.

Ich habe das Meer abends oft für mich alleine. Heute kam ein kleines hellblaues Fischerboot ans Ufer. Eine Griechin im Bikini watete ins Wasser und kletterte dann an Bord. Was ist die Geschichte dahinter?

Ich weiß noch, dass heute Sonntag ist, und wenn ich mich anstrenge, komme ich auch auf das Datum. Habe wieder nur ein Drittel von den Dingen gemacht, die ich mir vorgenommen hatte.

27. Juni -

2020/06/27 08:35

Morgen. Ein Samstagmorgen. Sitze bei geöffneter Terrassentür auf dem Bett, esse Brot mit Tahini und Honig und trinke Kaffee. Vom Dorf hört man Lautsprecherdurchsagen eines Pickup-Verkäufers. Hier Vogelgezwitscher. Schwalben segeln durch die Luft. Ich habe mein Iphone in den neu aufgeräumten Schuppen gelegt, habe aber beim Wasserholen neben dem Teepavillon bereits die NYT heruntergeladen. Die Nachrichten sind nicht ermutigend. Manchmal denke ich sogar, vielleicht ist das wirklich unsere letzte Zeit auf Erden. Vielleicht mutiert der Virus zu einer Bösartigkeit, die wir uns noch nicht vorstellen können. Aber das sind nur düstere Gedanken ohne jede Konstruktivität.

Tatsache ist, dass die Lockerungen in vielen Ländern zum Ansteigen der Infektionszahlen geführt haben, auch in Deutschland. Tönnies, eine Fabrik-Schlachterei in NRW, vermeldete über tausend Fälle. Mehrere Landkreise (Gütersloh und Waren) wurden jetzt wieder geschlossen.

In England strömten in den letzten Tagen die Menschen an die Strände. Erschreckende Bilder von Menschenmassen, die sich dicht an dicht am Meer drängen. Viele blieben im Schlick stecken und mussten von der Rettungswacht rausgeholt werden, weil sie versucht hatten, bei Ebbe ins Wasser zu gehen. Gestern sah ich auf Instagram (auf dem Konto "@2minutesbeachclean") Bilder von den leeren Stränden, nachdem die Massen nach Hause gegangen waren: eine müllübersäte Wüste. Da die Toiletten noch nicht geöffnet hatten, verrichteten mehrere Leute ihr Geschäft in Pappkartons, die sie dann am Strand liegen ließen, wo das Reinigungspersonal sie wegräumen musste.

In den Südstaaten der USA ist es auch zu Rekordanstiegen gekommen. Texas hat jetzt wieder eine Schließung der Bars angeordnet. Die sogenannten "roten" Staaten haben das Problem, dass viele Leute das Tragen einer Maske als eine Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit ansehen bzw. den Verzicht auf die Maske als politisches Statement. Auch Trump und der Roboter Pence treten immer ohne Maske auf. Es gibt offensichtlich immer noch Leute, die den Virus ernsthaft als eine Erfindung der Demokraten betrachten. Und Trump gießt Öl in die Flammen. Er wird (will?) ein brennendes Land hinterlassen, wenn er im November aus dem Amt gewählt wird, was ziemlich sicher der Fall ist (falls es ihm nicht gelingt, die Wahlvorgänge zu seinen Gunsten zu beeinflussen).

In der NYT las ich außerdem, dass immer mehr Reiche in den Vereinigten Staaten ihre persönlichen Bunker haben, geräumige, voll ausgestattete unterirdische Notunterkünfte. Was sagt uns das über das reichste Land der Erde? Was sagt es uns über Menschen?


26. Juni -

2020/06/26 11:54

Der Wahrheit ins Auge schauen: Ich habe Probleme mit meiner Selbstdisziplin.

Den Morgen verbringe ich mit ausgedehnter Lektüre der New York Times. Ich verliere mich auf Instagram, und auch wenn ich das Telefon zehnmal weglege und mir vornehme, dass ich es nicht in die Hand nehme, habe ich es kurze Zeit später doch wieder in der Hand. Und wenn ich mir vornehme, dass ich "nur kurz dies oder das nachschaue", bin ich hinterher doch wieder in der Kommentarsektion der New York Times oder schaue nach, was meine Lieblings-Instagrammer vor drei Jahren veröffentlicht haben. Zwar habe ich mir jetzt seit Monaten vorgenommen, früher ins Bett zu gehen und früher wieder aufzustehen, aber es ist doch immer wieder nach Mitternacht, wenn ich das Licht ausschalte. Ich gehe etwas ziellos im Garten herum, gieße die Tomaten, komme aber dann schnell zu dem Schluss, dass es zu heiß ist, etwas anderes zu tun und verschiebe die Gartenarbeit auf den Abend.

Ich habe ein Bullet Journal, das mir hilft, die Tage etwas zu strukturieren. Meine Erwartungen sind allerdings gesunken. Die Mail zu checken oder eine Mail zu schreiben gehört zu den Dingen, die ich mir bereits als Erfolg anrechne. Ich hätte Zeit, hier stundenlang zu meditieren oder ein dickes Buch zu schreiben, aber ich bin froh, wenn ich täglich 25 Minuten auf meinem Sitzkissen sitze und dieses Tagebuch weiterführe. Außerdem zwanzig Minuten Yoga täglich und meine Griechisch-Lektionen, die allerdings so gut wie keinen Effekt im Alltagsleben zeigen. Die griechische Hitze kann ich nicht für alles verantwortlich machen. Das meiste könnte ich am frühen Morgen, z.B. von 6 bis 9 Uhr, erledigen, aber oft ist es elf oder sogar zwölf, bis ich mit meinem Programm anfange.

Ich kann mich freilich damit beruhigen (und tue es auch), dass viele Dinge in meinem normalen schwedischen Alltagsleben viel Zeit beanspruchen, allein das Einkaufen, das Anstehen in Schlangen an der Kasse, von einem Ort zum anderen zu kommen oder unnötige Runden zum nahegelegenen Flohmarkt. Hier habe ich nichts zu tun, außer da zu sein, zu atmen, Dinge in meiner Umgebung zu registrieren, zu essen, zu schlafen. Was wie ein Mangel an Effektivität aussieht, ist vielleicht ganz einfach ein Resultat der Tatsache, dass ich mehr Zeit habe.

Ich habe in der letzten Zeit versucht, mich von der Idee zu verabschieden, dass ich mein Leben eines Tages "zum Besseren" wenden könnte. Was das bedeuten könnte, weiß ich eigentlich gar nicht. Vielleicht, dass ich mehr Geld verdiene. Dass ich für die Dinge, die ich tue, Anerkennung (in Form von Geld) bekomme. Dass ich Projekte, die ich mir vornehme, wirklich durchziehe. Das Letzte ist der heikelste Punkt, weil er wirklich etwas mit meinem Verhalten zu tun hat. Ich habe so viele gute Ideen und führe sie ganz einfach nicht ins Ziel, gebe auf, bevor ich überhaupt angefangen habe oder verliere auf dem Weg den Glauben daran. Ich habe immer noch den Traum, eines Tages einen großen Erfolg zu landen, der mich in ein Paradies aus Sicherheit und Anerkennung katapultiert. Aber ich weiß ja selbst, dass das eine Illusion ist. Es gibt keinen Zustand, mit dem man je zufrieden sein könnte. Das ist wie der Wunsch nach "Likes" auf Instagram oder Facebook. Je mehr ich davon bekomme, desto süchtiger werde ich danach. Es gibt keinen Status Quo, bei dem ich je das Gefühl habe, dass es jetzt "reicht". Ich sehne mich nach Aufmerksamkeit, nach Applaus, sogar nach Belohnung. Das ist ein seltsamer Widerspruch zu meiner Selbstgenügsamkeit, meiner Fähigkeit, mit wenig auszukommen, meinem Desinteresse an Prestige oder materiellen Dingen. Mein Wunsch nach Anerkennung ist außerdem gepaart mit meinem schwer zu überwindenden Impuls, mich zu verstecken und andere Leute von mir fernzuhalten. Tief in mir wahrscheinlich Arroganz, Egoismus, die Überzeugung, dass ich "etwas Besseres" verdient habe,

Wenn ich Freunden oder Bekannten gegenüber erwähne, dass ich faul und lethargisch bin, dann behaupten sie oft, dass sie niemanden kennen, der so viel Selbstdisziplin hat wie ich. Es ist aber nur ein Schein, vielleicht sogar von mir selber in die Welt gesetzt. Ich habe die Fähigkeit, anderen eine Version von mir zu vermitteln, die mich in einem guten Licht dastehen lässt. Deshalb haben auch meine Therapeuten (insgesamt 5) nach einiger Zeit meistens zu mir gesagt, dass sie überhaupt nicht sehen können, wo mein Problem eigentlich liegt.

Seit Jahren faszinieren mich Menschen, die aus dem Karussell ausgestiegen sind, die mit wenig oder gar keinem Geld auskommen, die dem Wahnsinn unserer Konsumgesellschaft den Rücken zudrehen. Seit Jahren bin ich erstaunt darüber, wie wenig ich eigentlich brauche, auf wie viel ich verzichten kann. Gleichzeitig weiß ich, dass diese Art von Leben nur deshalb möglich ist, weil sie auf dem Rücken der Konsumgesellschaft stattfindet, weil woanders die Leute die Arbeit für mich tun. Ich könnte nicht einmal einen Füllfederhalter herstellen, geschweige denn einen Computer. Eigentlich kann ich überhaupt nichts. Wenn alle Leute so wären wie ich, dann wäre das Leben unvergleichlich härter, dann ginge es wirklich ums nackte Überleben, nicht nur darum, sich so weit wie möglich rauszuhalten. Es gäbe keinen Strom, keine Straßen, keine Schiffe, nicht einmal ein Fahrrad oder einen Wurzelstecher, vielleicht sogar nicht einmal Knöpfe.

Hier kommen wir zu der Frage, die vor ein paar Tage bei mir auftauchte, als ich zwei Knöpfe an meine Levi's "All Duty"- Shorts nähte: Seit wann gibt es Knöpfe eigentlich? Und wo wurden sie erfunden? Wie ist jemand auf den Gedanken gekommen, und wie hat sich die Knopf-Idee weiterentwickelt? Und wer hat den „Knopf“ getauft?

Hamish und Cleo haben eine gemeinsame Sprache, es ist eine Art Gurren. Cleo benutzt diese "Sprache" nur, wenn Hamish auftaucht. Ich finde es überhaupt faszinierend zu sehen, welche Katzen Cleo & Co. akzeptieren und tolerieren und welche sie ohne Zögern von der Terrasse (oder der Nähe der Terrasse) jagen. Die verjagten Katzen (Julia, Bibi) kommen trotzdem zurück. Manchmal schaffen sie es, hier zu fressen, sogar Streicheleinheiten zu bekommen, bevor sie wieder verjagt werden. Cleo liegt jetzt schnurrend auf dem Bett. Ich habe inzwischen wieder aufgegeben, ihr die Augentropfen verpassen zu wollen, um keine Bakterienresistenz auszulösen. Muss nächste Woche mit Myrsini reden.


25. Juni -

2020/06/25 23:56

Ich habe das Gefühl, als hätte ich seit vielen Tagen nichts geschrieben, aber es war erst gestern.

Sitze auf dem Bett, eigentlich müde, will aber noch ein paar Sachen festhalten.

Es geht ein starker Wind, die Katzen sind draußen. Ich habe heute damit angefangen, gewisse Probleme, die ich beim Malen habe, anzupacken. Jeden Tag ein neues Thema. Heute: Steinwände und -mauern.

Ein alter Mann, der mir auf meinem Weg zum Meer täglich begegnet, flößt mir ein etwas unbehagliches Gefühl ein. Heute stand er neben dem Tor, in das ich einbiege, um zum Meer hinunter zu fahren. Ich war unruhig, er würde mir folgen und dankbar, dass ein paar Menschen am Strand waren, aber er kam nicht. Es ist vielleicht nur Einbildung. Das Seltsame ist, dass er meinen Gruß nie entgegnet, mich aber immer eindringlich anschaut. Vielleicht hat er mein Grüßen als eine Einladung, eine Aufforderung verstanden, vielleicht habe ich irgendeine Geste gemacht, die in seinen Augen eine doppelte Bedeutung hat? So komische Gedanken muss man sich als Frau machen. Seit ich hier bin, habe ich die Tür nie abgeschlossen, auch in der Nacht nicht, heute dachte ich kurz daran, ob ich vielleicht damit anfangen sollte. Idiotisch. Es ist sicher nur Einbildung.

Habe im Garten jetzt damit angefangen, um die Büsche herum aufzuräumen. Olivenschösslinge und kleine Terpentinpistazien siedeln sich dort an. Eine war schon einen Meter hoch gewachsen. Ich habe sie abgesägt, im vollen Bewusstsein dessen, dass sie wieder nachwachsen wird.

Der alte Mann von der Tankstelle geht jeden Abend mit einer Gießkanne zu seinen Pflanzen. Er hat auf der anderen Seite der Straße eine kleine Bepflanzung angefangen, vor einigen Jahren schon, und jetzt pflegt er sie täglich. Wie viele Betriebe ist auch die Tankstelle ein Familienunternehmen. Drei Generationen arbeiten dort. Der mittlere der Männer, Sohn des alten und Vater des jungen, hat gestern mit einem Besen den Straßenrand gefegt, mindestens hundert Meter, inklusiver der kleinen Brücke, die über das (meist ausgetrocknete) Flussbett geht. So ist es, wenn man sich tagein, tagaus an derselben Stelle aufhält: man fängt an, Verantwortung dafür zu übernehmen, es macht einem was aus, wenn es verkommt. Man gestaltet, lässt sich etwas einfallen, worum man sich kümmern kann.

Habe in den letzten Tagen den Schuppen ausgeräumt und sauber gemacht. In der unerträglichen Hitze zwang ich mich heute, wenigstens fünf Minuten am Schuppen zu arbeiten. Mit einem kleinen Besen fegte ich alle Balken ab. Als die fünf Minuten vergangen waren, machte ich weiter. Ich räumte alles bis auf ein paar Kleinigkeiten wieder hinein.

Beobachtete einen Skorpion, der aus dem Schuppen-Gerümpel hervorkroch und einen neuen Unterschlupf suchte. Der nach oben gebogene Schwanz mit dem Stachel. Ich stupste ihn mit einer Tonscherbe am Schwanz an, weil ich sehen wollte, wie er sich bewegt, und er flitzte so schnell über die Mauer auf mich zu, dass ich erschrocken zurückwich. Tödlich sind die Stiche der Skorpione wohl nicht, aber auch nicht angenehm.

Ich habe heute das Fernglas geholt, das unter dem Dach war, um mir die Vögel näher anschauen zu können. Wir haben ein Vogelbuch da, in dem ich den Vogel mit dem weckerähnlichen Ruf finden müsste. Das Fernglas habe ich von meinem Vater bekommen, ein Jahr vor seinem Tod, es war sein eigenes, noch aus den sechziger Jahren, und ich sehe ihn jetzt vor mir, in Wanderkleidung, das Fernglas um den Hals.

Die Deutsche Bahn hat heute (nach zwei Monaten) auf eine Mail von mir geantwortet. Es ging um eine Erstattung wegen Corona. Für die gebuchte Hinreise Malmö-Kopenhagen Ende April hatte ich bereits problemlos einen Gutschein bekommen und dann angefragt, ob es aus Kulanzgründen möglich wäre, auch die Rückreise erstattet zu bekommen, da ich ja nicht zurückfahren könne, wenn die Hinreise nicht stattgefunden habe. Eigentlich hatte ich mir nicht sehr viel Hoffnung gemacht und war deshalb hoch erfreut, als mir heute ein Gutschein über 68 Euro zugesendet wurde, einzulösen bis Juni 2023. Das Wort "Kulanz" ist schön. Auf Schwedisch existiert es meines Wissens nicht.

Müde. Es ist schon wieder nach Mitternacht. Ich schlafe schon seit einigen Tagen ohne Bettdecke, nur mit dem leeren Bettüberzug.


23. Juni -

2020/06/23 17:42

Es ist passiert: der Flug ist gebucht, für den 31.Juli. Geänderte Pläne, weil die Fähre nicht mit dem Flug zu kombinieren ging: Ich verbringe die Nacht in Athen auf dem Flugplatz, wie auf meiner Herreise. Vielleicht mache ich noch einen Upgrade zu Business Class, dann habe ich im Flugzeug mehr Platz, kann ein Gepäckstück mitnehmen und habe Zugang zur Lounge am Flugplatz, jedenfalls bis 23:00 Uhr. Frühstück ab 5 Uhr morgens. Als die Entscheidung gefallen war, fühlte ich mich erleichtert, vielleicht sogar etwas froh. P plant, im September und Oktober hierher zu kommen, und ich bin dann wieder für November eingeplant. Die Virus-Situation ist zwar nicht besser als bei meiner Herreise, aber ich muss einfach irgendwann einmal zurück, auch aus praktischen Gründen. Meine Zahnbehandlung. Mein Aufenthaltsstatus. Der Workshop.

Heute Früh ein erfrischender Regen. Es plätscherte wohltuend vom Dach auf die Terrasse, als ich aufwachte. Und das, nachdem ich gestern Abend noch bis zum Einbruch der Dunkelheit mit der Wasserpumpe gekämpft hatte. Schließlich sah ich, dass Vangelis den Hahn, der zu unserem Grundstück führt, im Pumpenhaus zugedreht hatte. Ein Triumph, als ich das frustrierende Rätsel endlich gelöst hatte, aber auch leichte Irritation darüber, dass er sich nicht an meine Anweisungen hält oder sie missversteht. Wir haben keine gemeinsame Sprache. U muss als Mittlerin einspringen, aber sie kennt das Pumpensystem nicht und hat auch keine Lust, sich damit zu beschäftigen. Jetzt der Morgenregen, der mir die Erlaubnis gab, ein bisschen länger im Bett zu bleiben und zu lesen.

Gestern eine Fahrradtour nach Petra und weiter Richtung Anaxos, in den Gartenladen, in dem man vor allem tönerne Blumentöpfe in allen Größen bekommt, aber auch scheußliche Gartendekoration und pseudogemauerte Brunnen. Ich wollte noch mal die Frage nach Solana stellen, aber die zwei Besitzer, die von der Hitze erschöpft im Ladenraum saßen, erkannten die Pflanze nicht einmal, als ich ihnen auf dem iPad das Bild zeigte. Ich kaufte eine kleine Dose weißen Lack für die Kühlschranktür und fuhr dann zurück nach Petra, wo ich endlich im Schreibwarenladen, von dem mir alle erzählt hatten, einen Block mit Aquarellpapier kaufte. Keine 1A-Qualität, aber zehnmal besser als alles Papier, was ich in den letzten Monaten benützt habe. Das stellt mich jetzt wieder vor andere Probleme. Wie kann ich dem Papier gerecht werden?

Im Lebensmittelladen redete mich der grauhaarige Gemüseabwieger mit "Agapi mou" an, "meine Liebe", was mich wie ein warmer Strom durchflutete. An der Frischwarentheke kaufte ich wieder eingelegte Fischchen und eine Portion grüne Oliven, die die Verkäuferin aus einer der viereckigen Kanister schöpft. Dann zwei Packungen Espresso, diesmal nicht die "goldene", sondern die "rote" Qualität, um andere Ausgaben wieder wettzumachen. Dann nach Hause, Mittagessen auf der Terrasse. Den heißen Nachmittag verbrachte ich damit, das neue Papier zu testen. Zu mehr reichte es irgendwie nicht.

Jeden Tag habe ich ein oder zwei "Aufgaben", gegen die ich einen riesigen Widerstand aufbaue. Heute habe ich Geld für meine private Rentenversicherung auf mein deutsches Konto überwiesen, wie jedes halbe Jahr eine (für mich) große Summe. Zwar hatte ich das Geld (und auch schon das, welches im Dezember ansteht) schon in meine Finanzplanung eingebaut gehabt, es gibt also nichts zu befürchten, aber es ist trotzdem jedes Mal ein ziemlicher Gefühlsakt. Hinterher fühlte ich mich erleichtert, ganz buchstäblich. Trotzdem musste ich gleich wieder mein verbleibendes Geld zählen, und ausrechnen, wie lange es reicht, um mir zu bestätigen, dass alles noch im grünen Bereich ist.

Gestern Abend, als ich bei der Bewässerungsaktion wieder übers Gelände marodierte, entdeckte ich, dass direkt neben unserem Schuppen auf dem Nachbargrundstück ein Solanabusch steht. Ich musste lachen. Die langwierige Suche nach dem Schatz, der sich dann vor der eigenen Haustür befindet.


Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...