Dienstag, 21. Juli 2020

16. Juli -

2020/07/16 10:09



Gehe wieder zu meiner bewährten Tagesroutine zurück. Griechisch, Meditieren, Yoga. Nur so kann ich meinen Kopf über Wasser halten. Dazu kommt inzwischen mein Morgenbad im Meer, mein Morgenkaffee, das Croissant.



Unterhielt mich heute länger mit Artemis, die wieder mit ihrem Hund unterwegs war, neugierig, warum sie hier ist, was sie hier tut. Job ist natürlich nicht drin dieses Jahr, sagt sie, man hat normalerweise die üblichen Saisonjobs, aber das fällt ja jetzt weg. Sie hat Glück, dass ihr griechischer Vater, der auf dem Festland wohnt, eine gute Rente hat und sie unterstützt. Außerdem bauen sie hier in ihrem Garten Gemüse an. Vor ein paar Jahren hatten sie Ziegen. Man wird zum Bauer, das ist auch eine Arbeit. Warum sie hier ist? Die übliche Geschichte: eine Sommerliebe. Daraus wurde dann eine Heirat, eine Familie, ein Leben. Ihr Mann ist sehr verwurzelt hier und kann sich nicht vorstellen, von hier wegzugehen. Sie ist in Berlin Spandau aufgewachsen, ist dann, als ihre erste Tochter geboren wurde, nach Wilmersdorf/Charlottenburg gezogen. Seit siebzehn Jahren lebt sie hier. Wir reden dann über die Lage des Tierschutzes hier auf der Insel. Es ist besser geworden, dank all der Ausländerinnen, die hier mit Griechen verheiratet sind und sich in der Frage sehr engagieren. "Einen Hund haben" heißt hier trotzdem immer noch oft, ihn den ganzen Tag auf der Straße herumlaufen lassen. Man füttert ihn, das ist dann schon alles. Der Hund ihrer Nachbarin kommt einfach mit, wenn sie mit ihrem eigenen Hund spazieren geht.



Sie hat schon lebende Katzenjungen und Welpen im Müll gefunden. Leute stecken die neugeborenen Tiere in eine Tüte, legen einen Stein hinein und werfen sie ins Wasser anstatt ihre Tiere kastrieren zu lassen. Ich sage, bei uns war es früher auch so. Ich habe es zwar nicht erlebt, aber davon gelesen. Vielleicht ist es hier und da auf Bauernhöfen in Deutschland immer noch üblich, dass man die neugeborenen Katzenjungen in einen Sack steckt, den man dann an die Scheunenwand drischt.



Ihren Hund hat ihr Mann in Mytilini aufgelesen. Nachdem sein voriger Hund viel zu jung gestorben war, weil ein Wurm in sein Herz gewandert war, wollte er keinen mehr haben. Der Schmerz war zu groß. Aber irgendetwas hat ihn an dem kleinen Straßenhund mit den krummen Beinen berührt, und er nahm ihn kurzerhand im Auto mit.



Hin und wieder schleichen sich komische Endungen und Präpositionen in ihr Deutsch ein. Daraus könnte ich wahrscheinlich ableiten, wie die griechische Grammatik funktioniert.



22:06



Habe Giorgos heute gefragt, was ich mit dem Fischer tun soll. Sein (griechischer) Rat: lass es sein. Du kannst nicht alles organisieren. Wenn du zu ihm gehst und mit ihm redest, dann wird alles nur kompliziert. Er denkt dann vielleicht, dass es deine Katzen sind. Katzen kommen zurecht, sagt er, vor allem im Sommer. Außerdem: Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Der Fischer wird sie füttern.


"You can't organize everything. Otherwise life will loose its taste."


Wir sitzen in seinem Laden. Er singt ein griechisches Lied mit, das über seine Lautsprecher kommt und übersetzt es mir. Ah, wir haben diese wunderschönen tragischen Texte, sagt er. Aber wir haben auch das Gegenteil - die Komik. Er ist irgendwie aufgedreht. Zeigt mir seinen Mundschutz, ein durchsichtiges Plastikteil, das ich heute schon bei einer jungen Frau in Petra gesehen habe und später dann in der Apotheke. Ich bin ein Italiener, sagt er, ich habe Stil, und dann fragt er mich, ob ich einen Espresso will. Warum nicht. Willst du auch Zucker? Ja. Warum braucht ein süßes Mädchen noch Zucker? Ahh, sagt er, jetzt habe ich geredet wie ein dummer alter Mann. Er tanzt zur Tür. Aber ich bin ein Italiener. Warum braucht ein süßes Mädchen noch Zucker? Geht dann zu seinem Motorrad und holt mir Tabak. Er hat übrigens die Maske ziemlich bald wieder abgenommen. Ich kann hier nicht so mit dir sitzen, jetzt sind wir schon so lange zusammen. Ich nehme meine selbstgenähte Maske auch wieder ab, die er mit den Worten kommentiert hat: "Du bist halt ein Familienmensch". Das ist eine interessante Beobachtung. Ich bin wirklich ein Familienmensch, bloß ohne Familie, weil ich viel zu viel Freiraum brauche, oder weil ich zu viel Angst vor Nähe habe, oder auch, weil ich nie Geld hatte. Er sitzt jetzt vormittags und abends in seinem Laden und klettert die Wände hoch. Normalerweise ist seine Angestellte an den Vormittagen hier, aber das kann er sich jetzt nicht leisten. In einer Woche hat er 120 Euro verdient, viel, nicht wahr, haha?

Ich sage, dass ich gerade meine Wohnung vermietet habe und 500 Euro bekommen habe,

Du bist reich, sagt er. Willst du mich heiraten? Ich würde dich heiraten.

Heirate lieber deine türkische Freundin, sage ich. Außerdem bin ich schon verheiratet.

Ach ja, natürlich, sagt er. Ich will mich nicht zwischen euch drängen. Dann: Ich kann nicht den ganzen Tag hier sitzen. Ich habe viel zu viel zu tun. Zu Hause, im Garten. Ikonen malen, aufräumen. Ich kann mich gar nicht um mein Gemüse kümmern. Das Einzige, was ich jetzt tue ist Gießen. Aber ich will ja Blättchen abzupfen, sie umpflanzen, ihnen Zeit widmen.

He, sagt er und steht plötzlich auf, wie geht das nochmal mit diesem Aikido. Ich greife dich jetzt an. Es ist unmöglich in dem engen Laden, aber ich versuche eine Technik zu machen. Wenn er in die Nähe eines Konflikts kommt, so sagt er, versucht er einfach ruhig zu bleiben. Dann erzählt er, wie er einem in Athen es einmal jemandem gezeigt hat, der ihn angegriffen hat, mit den Fäusten: bumm, bumm. Aber die Ruhe hat er dabei nicht verloren.

Ich erzähle ihm, dass ich heute in Petra allein in "unserem" Lokal war und dass die Besitzerin mich gefragt hat, ob ich auf ihn warte. Hat sie dir wenigstens einen guten Preis gemacht? Nicht wirklich, sage ich und sage, was ich bezahlt habe. Ah, sagt er. Das ist ein Problem. Wir behandeln die Leute verschieden. Was hast du gegessen? Er will es ganz genau wissen. Sardinen. Wie viele? Acht. (Zwei davon habe ich den bettelnden Katzen gegeben, weil ich zwar hungrig war, aber nicht so viel essen konnte.) Es war teuer, konstatiert er. Es ist schon in Ordnung, beruhige ich ihn. Ich habe eine Quittung bekommen, sie muss also Steuern bezahlen. Ja, das stimmt auch wieder.



Sitze jetzt im Dunkeln auf der Terrasse. Endlich, nach viereinhalb Monaten, tue ich das. Die Mücken sind aber auch weniger aggressiv, oder ich habe mich daran gewöhnt



Was machst du, fragte Giorgos, als ich sagte, ich geh jetzt. Ich setze mich auf meine Terrasse und trinke ein Glas Retsina. Wo? Zu Hause. Und schaue den Himmel an. Wo? Zu Hause. Danke für deinen Rat, was den Fischer angeht. Ist schon in Ordnung, sagt er. Es kostet heute nichts. Danke für den Kaffee, für die Zigarette. Es war schön, dich zu sehen. Melde dich.



Er hat jetzt schon geplant, dass ich im November, wenn ich wiederkomme, mit seinem Auto nach Kalloní fahre und seine blinde Katze sterilisieren lasse. Sie haben dort ein Gratis-Programm. Du machst das sicher, sagt er, weil du so nett bist. Sie hat gerade vier Junge bekommen, aber weil sie blind ist, kann sie sich nicht so gut um sie kümmern. Er muss das tun. Bisher hat er seine Katzen nie sterilisieren lassen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass das unverantwortlich ist. Natürlich mache ich es, sage ich.



Wir redeten über Corona, über Impfungen, über die Zukunft. Es ist seltsam, dass wir überhaupt nicht wissen, wo wir in einem Jahr sind, Corona-mäßig. Und dann reden wir über die Hagia Sofia, die Erdogan, der Idiot, in eine Moschee umwandeln wird.



Artemis geht mit ihrer Tochter an seinem Laden vorbei und winkt uns zu. Er mag sie auch, sagt er, und erzählt mir dann, dass sie drei Töchter und zwei Söhne hat. Jemand, der keine Angst vor dem Leben gehabt hat.



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