Montag, 18. Dezember 2017

Morgenei

In der Nacht das unmissverständliche Würgen. Hoffe, dass ich in der Dunkelheit nicht hinein trete in die feuchte Masse, gehe auf Zehenspitzen. Als Kind. Der Vater im Schlafanzug, die Mutter im Nachthemd. "Mutti, ich muss brechen!" Ich sollte am nächsten Tag auf dem Schulkonzert spielen. Brahms. Der kalte Fliesenboden auf dem Klo. Das winzige Fenster, hoch angebracht. Es machte mir Angst. Jemand konnte dort hereingeschlüpft kommen. Aber wie soll er denn so hoch kommen? - Ein Mann, immer ein Mann. Er fliegt natürlich, wie Pan Tau. Pan Tau auch unheimlich, obwohl er lächelt.

Die Abfallmänner sind da. Ein missachteter Beruf, und was wären wir ohne sie. Die Illusion der Überlegenheit verschwindet sofort, wenn diese Menschen sich verweigern. Erstickt doch in eurem Müll und Dreck! Wir haben uns daran gewöhnt, als gäbe es keine Alternative.

Der Kaffee, jeden Morgen ein Grund zum Aufstehen. Barfuss in die Küche. Die Katzen erwartungsvoll, wie jeden Tag. Wir gaben ihnen indische Namen  und hofften, sie würden so den Frieden im Haus wieder herstellen. Warum wollte S gestern unbedingt sehen, was die Katzen fressen, er studierte die Aufschrift auf dem Futterpaket. Der Kater kam und schnupperte an seinen ausgestreckten Fingern. Katzenmann, aber Angst vor Bindung, Verantwortung. Sein rotflammiges Gesicht, die Magenkugel, eine verwüstete Landschaft sein Körper. Drei Zigaretten in drei Stunden. Hinterher brauchte ich mehrere Stunden Alleinsein. Auf dem Fußboden, eine Decke über mich gezogen.

Jetzt geht die Tinte aus, ich muss nachfüllen. Snob. Goldfeder. Schreibbuch. Morgen ein neues Schreibbuch kaufen. Schon wieder ein Jahr vorbei. Zeitlosigkeit und Endlichkeit in einem. Unbegreiflich, die Zeit. Die Katzen versuchen es nicht, der Mensch kann nicht anders.  Zählbarkeit. Als junger Mensch wollte ich die Welt auf den Kopf stellen, lehnte mich auf gegen das Zählbare, das Geordnete. Jede Generation begeht ihre Irrtümer. Wir kommen nicht darum herum, über unsere Irrtümer zu reden, sie auf den Tisch zu legen.

Die Katzen haben sich schon wieder hingelegt und schlafen. Es ist eine Art Schlaf, aber die Ohren immer aufgestellt, reagieren beim kleinsten Laut. Ich hörte den Stuhl gestern knacken, nahm es aber in Kauf, hinderte ihn nicht am Kippeln. Vielleicht war es überhaupt er, von Anfang an. Eines Tages war die Lehne angeknackst, ich versuchte, sie notdürftig zu flicken, mit einem Metallbügel, den ich im Werkzeugregal fand. Ich müsste dort aufräumen. Und das Bücherregel. Abstauben. Trug gestern wieder Sachen auf den Speicher. Wenn ich sterbe? Es gibt keine Kontinuität. Vergehen wie eine Pflanze, ins Meer gespült wie ein Sandkorn.

Mittwoch, 8. November 2017

Kurz notiert



Im arabischen Restaurang sitzt sie an einem kleinen Tisch und trinkt ein Glas süßen Tee, während das Essen in der Küche und hinter der Theke zubereitet wird. Neben ihr spricht ein Mann auf arabisch in sein Handy. Vor ihm steht auch ein Glas mit Tee. Er lächelt ihr zu.

Sie fühlt sich wohl hier, würde gerne länger hier sitzen bleiben, Tee trinken, in dieser Stille, dieser Konzentration. Drei Personen arbeiten jetzt für sie. Es ist Ernst in den Bewegungen, eine Würde, etwas Aufrechtes. Es fällt ihr auf, dass keiner hier spricht, oder wenn, dann mit leiser Stimme. Einer schichtet Styroporbehälter in eine Plastiktüte, legt eine Tüte mit Fladenbroten daneben.

Man lässt sie in Ruhe ihren Tee austrinken, dann kommt der Jüngste von ihnen, der eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd trägt, und deutet auf die Tüten.

Ist das mein Essen, fragt sie und lacht, und er lacht auch und nickt.

Aufs Fahrrad steigen. Die Plastiktüten an den Lenker hängen. Der kurze Augenblick der Ausgelassenheit. Das Leben ist einen Moment lang gut. Mehr erwartet sie nicht.

***

Der junge Physiotherapeut drückt einen Ball in seine verkrümmten Hände. Er macht eine Grimasse, zeigt die Zähne, fällt mit einem Plumps zurück auf die Behandlungsliege. Der Physiotherapeut feuert ihn an. Du bist jetzt fünf Meter gegangen, ohne Gleitstrumpf, und obwohl du dich in einer Stress-Situation befindest. Das ist nicht übel, darauf kannst du schon stolz sein. Er malt ihm aus, dass er in der Wohnung kleine Strecken hinter sich legen kann. Zu welchem Zweck, denkt sie. Er kann nichts in die Hand nehmen, sich die Hose nicht selber aufknöpfen oder gar hinunterziehen. Er kann keine Karotte schneiden, kein Brot schmieren, keine Tasse Tee einschenken, keinen Teller in die Geschirrspülmaschine stellen.

Der Raum ist fensterlos, aber hell erleuchtet. Überall stehen oder sitzen Menschen an Geräten und machen ihre Übungen. Manchen ist nichts anzumerken, wenn sie durch den Raum gehen, andere bewegen sich schlurfend, langsam, unsicher. Ein junger Mann in einer engen Jeans macht Übungen, die seine Knie stärken sollen. Er lässt das eine Bein nach vorne gleiten, auf einer Gleitplatte. Dann lässt er es zur Seite gleiten. Der Physiotherapeut steht daneben und schaut ihm mit ernsten Augen zu.

Er ist der Einzige mit einem Rollstuhl. Neugierige und mitfühlende und einschätzende Blicke folgen ihm, als er mühsam Schritt um Schritt macht, das hilflose Bein nachziehend.

***

Sie nimmt die Thermohose vom Haken. Den Reißverschluss der Hosenbeine bis zur Hälfte öffnen. Irgendjemand muss diese Arbeit machen, warum also nicht ich. Die Hosenbeine über die hilflosen Beine ziehen. Den Fuß anheben. Diese Nähe, ohne Intimität, ohne Gefühl. Ich kenne seinen Geruch, das Gefühl seiner Haut unter meinen Händen, ich kenne ihn nackt, ich habe ihn berührt, alle Stellen seines Körpers, und doch ist da nichts, nur Sachlichkeit, die Notwendigkeit des Augenblicks. Er friert so leicht.

***

Andauernd sind ihre Ohren aufgesperrt. Jederzeit kann er etwas wollen, etwas brauchen. Ein Glas Sprudelwasser bitte. Kannst du nachschauen, ob Post für mich da ist? Manchmal erklärt er Dinge unnötig genau. Als wüsste sie nicht, wie man eine Adresse auf einen Umschlag schreibt. Dann wieder schickt er sie los, Wein kaufen. Du kannst selbst entscheiden, welchen. Er muss nur zum Lamm passen. Sie fühlt sich, als hätte sie einen wichtigen Auftrag bekommen.

Mittwoch, 25. Oktober 2017

Die Kraft, die in mir war



Es ist Abend. Es ist dunkel. Der Kaktus, dessen Namen ich nicht weiß, hat in den letzten Tagen Blüten von einem leuchtenden Rot bekommen, die bald ausschlagen werden.


Ich schreibe nur als eine Art Strategie, um zu überleben.


Ich schlage Kacheln von der Wand ab. Ich entdecke Unregelmäßigkeiten, ein Rohr, das aus der Wand ragt. Ich versuche, das Rohr abzusägen, ich säge das Rohr mit einer kleinen Metallsäge und einer Stichsäge an, aber es gelingt mir nicht, das kleine Rohrstück abzuschneiden. Ich stehe an der Spüle und strenge mich an, um dieses alte Metallstück ein wenig zurück zu stutzen, damit es mein Leben nicht mehr stört, aber es gelingt mir nicht. Man sieht nur, dass jemand sich daran ausgetobt hat, dass jemand es misshandelt hat.


Kaum bin ich zu Hause, entsteht eine Riesen-Unordnung. Ich lasse es zu, dass eine Riesen-Unordnung entsteht. Ich drehe mich um, und schon ist alles in einer Unordnung, die ich nicht mehr durchblicke.


Es ist mir nicht klar, warum um mich herum diese Unordnung entsteht, beinahe ohne mein Dazutun. Ich versuche die Unordnung in Schach zu halten. Ich zwinge mich mehrmals am Tag, zehn Dinge, die irgendwo herum liegen, an ihren Platz zurück zu legen. Ich gehe abends noch einmal durch die Wohnung, mache die selbe Übung, ich laufe mir selber hinterher, ich räume weg, was ich irgendwo habe liegenlassen. Es geht so viel Zeit dabei drauf. Ich weiß nicht, wie es dazu kommt, es ist ein Phänomen, das ich nicht verstehe, aber ich verstehe nicht viel.


Ich schreibe. Die Schultern sind steif, die Schultern sind zusammen gezogen, nach oben gezogen. Ich habe Schmerzen im Rücken, manchmal fährt ein Schmerz in meinen Rücken, der mich zusammenzucken lässt. Ich mache am Morgen Rückenübungen, bevor ich mich den Rest des Tages Tätigkeiten widme, die meinen Rücken völlig ruinieren.


Ich gehe mit Meißel und Hammer auf die Wand los. Ich gehe mit einem Spachtel auf die Wand los. Ich haue auf die Wand ein. Eine Kachel nach der anderen segelt auf den Boden, und ich höre nicht auf zu schlagen. Die Kacheln zerbrechen, und ich schlage weiter. Ich schlage so lange, bis alle Kacheln abgeschlagen sind. Dann habe ich ein völliges Desaster vor mir, eine Wand, die aus Löchern besteht, aus alten Mörtelbetten, und auch diese sind teilweise locker, so dass ich sie löse, mit Hilfe des Schraubenziehers, des Meißels.


Ich tue alles Mögliche, um zu vermeiden, dass ich Geld ausgeben muss, und am Ende muss ich mehr ausgeben, als wenn ich es von Anfang nicht vermieden hätte.


Ich kaue im Baumarkt Kaugummi. Ich versuche, an der Kasse gleichgültig auszusehen, mich nicht darum zu scheren, freundlich zu sein. Ich bin jetzt ein Bauarbeiter, der im Baumarkt ein paar Nägel kauft und eine Mörtelmasse.


Ich sehne mich nach Deutschland. Wenn ich nach Deutschland zurückgekehrt bin, werde ich mich wieder von Deutschland wegsehnen. Ich werde dann daran denken, wie ich hier in meiner Wohnung saß, wie ich an den Abenden schrieb, ich werde vielleicht sogar an den heutigen Abend denken, an die Unordnung in meiner Wohnung, an meine Entschlusskraft, an die Kraft, die in mir war.

Montag, 23. Oktober 2017

Aus dem (Katzen-)Leben

15. Sept (Mytilini)
An einem Tag von einer Klimazone in die nächste.
Kopfschmerzen, Erkältung – und stundenlanges Glotzen aufs Tablet.
Morgen Haare schneiden! Übung für den Internetkurs vorbereiten. Glasbehälter für die Kratky-Methode (hydroponics). Völlig besessen heute von meiner Idee der „grünen Wand“, dann wieder Gemüseanbau in der eigenen Küche, auch im Winter.
Von einer Homepage zur nächsten. Kauferregung, am liebsten sofort!
Esse in einem kleinen Lokal, Fava, weiße Bohnen, kleine Fische, Salat, Wein, alles zusammen 18 EU. In Brüssel kaufe ich ein Sandwich und eine kleine Waffel, später im Flugzeug gibt es vegetarisches Essen für mich: Kartoffelbrei mit Bohnen und Möhren.
Mein Gepäck war nicht nach Mytilini mitgekommen, es wurde mir später ins Hotel gebracht. Deshalb musste ich wach bleiben, obwohl ich furchtbar müde war, nach einer kurzen Nacht, trotz Schlaf im Flugzeug.
Vom Hundertsten ins Tausendste. Ja, eine Kratky-Station mit T5-Leuchte, vielleicht aber auch einfach eine Blumen-/Pflanzenwand ohne unmittelbaren Nutzen. Vielleicht auch mehr Beleuchtung im Schlaf-/Wohnzimmer?
Der Bus geht morgen um 9:30. Es ist jetzt 23:00. Um sieben Uhr aufstehen, duschen, packen, dann runtergehen, frühstücken, wegen den Zimmern verhandeln…

16. Sept (Mytilini)
Heute muss ich das Hotelproblem lösen, mir die Haare schneiden lassen, mich in Molivos installieren, meine Gedanken ordnen, den Kurs weiter planen.
Ich habe eigentlich Urlaub, muss nichts Besonderes leisten, aber ich möchte innerlich/äußerlich ins Gleichgewicht kommen. Meditieren. Täglich trainieren, gehen, schwimmen. Regelmäßig fasten, wenn auch nur für 12 Std./Tag, zwischen 8 Uhr abends und 8 Uhr morgens. Vielleicht auf Milchprodukte verzichten, keine Süßigkeiten, nur mäßig Alkohol.
Ich schlief bis 6 Uhr, dann lag ich hauptsächlich wach im Bett. Suchte nach der Creme, zur Behandlung von Mückenstichen, schmiss alles einfach auf den Boden.
Ich öffnete die Terrassentür. Die Morgenluft ist etwas kühler.
Ich saß gestern auf einer der kleinen Straßen im Zentrum, sah den Leuten zu, die vorbei kamen. Familien, Freundinnen, Mütter mit Kindern. Männer alleine und miteinander. Keine Idylle. Genervte Gesichter, weinende Kinder, eine Mutter, die ihre kleine Tochter am Haar zieht.

18. Sept (Molivos)
In den ersten zwei Tagen habe ich
-          mir Sorgen um den Kater Claudius gemacht (wegen einer bösen Wunde am Kopf)
-          ein Paar Jeans, die mir zu eng waren, zu Bermudas umgewandelt
-          zwei Lampen ausgewechselt (Birnen)
-          zweimal im Meer gebadet
-          viel Salat und Schafskäse gegessen
-          bei Mary einen Hamam-Salat gegessen
-          die Armbänder für KP inspiziert
-          Giorgos auf der Straße getroffen
-          Katzenfutter gekauft
-          mir die Haare schneiden lassen
-          einen Motorroller gemietet
-          mir Gedanken über das griechische Leben gemacht
-          ein paar Mal bei Milelja Brunnenwasser geholt
-          meine Erkältung mit Honig behandelt
-          frische Feigen gegessen
-         Schlief auch in der zweiten Nacht gut und acht Stunden lang. Freute mich, dass Claudius am Morgen vor der Tür stand. Bin hin- und hergerissen, ob ich versuchen soll, ihn zum Tierarzt zu bringen oder ob ich der „Natur“ ihren Lauf lassen soll. K schlug gestern Selbstbehandlung vor, mit Jod und Silbersalbe.

19. Sept
Habe einen großen Fehler gemacht u gestern mit K nachmittags Kaffee u Kuchen gegessen u abends dann 2 Gin Tonic getrunken. Resultat: eine weitere Nacht mit sehr wenig Schlaf. Die Gedanken kreisen um Claudius – wie soll ich ihn in den Käfig bringen? Und wie dann nach Petra? Geht es nur um Geld? Offensichtlich. – Ich könnte ein Auto für zwei Stunden mieten, es ist denkbar. Ihn mit dem Taxi hinschicken? Noch einen Tag warten?
Am Morgen (jetzt) kommt er nicht, ist bis jetzt noch nicht aufgetaucht. Hat er sich irgendwo zum Sterben hingelegt? Soll ich mich überhaupt einmischen, aufspielen als „Retterin“? Fühle mich in diesen Dingen allein, auf mich gestellt.
Trinke jetzt Kaffee. Baltis hat sich ein Eckchen auf dem Zweitbett auserkoren. Immer dieser Schmerz, mit den Katzen verbrunden: die Sicherheit, die er sucht, kann ich ihm nicht geben. Wieviel ist Projektion, wieviel Wirklichkeit? Manchmal sehe ich die Katzen dasitzen, ganz offensichtlich befinden sie sich in einem meditativen Zustand. Zwar versuchen sie Schmerz zu vermeiden, aber sie akzeptieren ihn dann auch, ohne zu klagen.
Meine Tage mit K: „Wenn man zweimal weggegeben wurde, sieht man zu, dass das nicht wieder passiert.“ Sie verlässt ihre Männer, ohne Reue, ohne noch einmal zurückzublicken. So sagt sie selbst.

20. Sept.
- Claudius im Käfig und in Petra, aber er entkommt, läuft Amok im Keller der Tierarztpraxis. Ich schreie Michalis zu, er soll die Tür zumachen. M rennt die Treppe hoch (wie in Zeitlupe, kommt es mir vor), schafft es gerade noch rechtzeitig.
- Mit den riesigen Handschuhen der Praxis bekomme ich keinen guten Griff, Claudius beißt durch sie hindurch, völlig in Panik, reißt sich los – ich muss ihn fallen lassen, das Ganze ist absurd – wie soll ich ihn in die Riesenbox hineinbringen?
- In der anderen Box liegt eine hübsche kleine Katze, die an den Hinterbeinen gelähmt ist. Mal sehen, ob sie morgen noch Reflexe hat, sagt die Tierpflegerin, die selber völlig kaputt aussieht, ausgemergelt, mit großen Zähnen in einem ungesund wirkenden Gesicht, Gabi aus Deutschland, die sich mit einer etwas schrillen Stimme darüber beschwert, dass manche Tiere sich nicht helfen lassen wollen.
- Sie stellt eine Falle auf, mit Futter u Wasser, daneben ein Katzenklo, in der Hoffnung, dass Claudius in der Nacht in die Falle geht, auf der Suche nach Futter. Sperrt die Treppe ab mit einem Riesenkarton.
- Mein Szenario: Er springt über den Karton, passt bei der Tür den Augenblick ab, in dem die Tierärztin morgen früh öffnet, flieht, verschwindet, in eine fremde Umgebung, in der er sich nicht auskennt. Findet vielleicht den Weg zurück in sein altes Revier, aber verletzt, geschwächt etc., wird vielleicht beim Hinauslaufen von einem Auto überfahren.
- Oder die Falle funktioniert nicht, löst aus, ohne dass er drin ist. Oder er holt das Futter mit seiner Pfote durch das Gitter. Die Tierpflegerin war so zittrig, selber so aufgebracht, fingerte mit der Falle herum, ich schaute zu.
- Eine dritte Möglichkeit: Alles geht gut, Claudius sitzt in der Falle, hat sich beruhigt. Wird behandelt und kastriert, kommt heute Abend nach Hause.
Ich habe Nachbarn bekommen, ein Ehepaar aus Österreich. Ein Aschenbecher steht auf dem Terrassentisch, ich höre jemanden husten.

22. Sept.
Holte Claudius am Mittwoch ab, wir fuhren ihn mit dem Roller nach Hause, dann ließ ich ihn über Nacht in der Box – er sollte sich „seinen Rausch ausschlafen“, so Gabi. (Remmidemmi in der Nacht)
Um kurz vor sechs die Gittertür geöffnet, er rannte hinaus (dann den ganzen Tag vergeblich auf ihn gewartet).
"Eine wildere Katze haben wir noch nie in der Praxis gehabt", sagte Gabi. "Und keine intelligentere", sagte die Tierärztin.
Natürlich ging er nicht in die Falle - sie mussten ihn mit einer Spritze betäuben, um ihn einfangen zu können. 
Jetzt Warten auf Claudius, Cleo, Caesarion.
Das frische Aufwachen am Morgen, nach dem Regen in der Nacht – als wäre eine große Bedrückung weggewaschen.

23. Sept.
Cleo ist gekommen. Sofort Katzenkrieg. Afro greift Agnes an und vertreibt sie. Blut neben der Türmatte. Baltis kommt am Morgen, aber Cleos Ankunft verschreckt ihn – er drückt sich in die Ecke. Cleo geht sofort aufs Katzenklo, ohne zu „müssen“.  -
Jetzt kommt Baltis vorsichtig herein, legt sich auf „seinen“ Platz. Cleo weg. Afro lugt ins Haus, aber ich stampere sie hinaus. Gestern zu spätes Abendessen.
Heute in der Dusche hatte ich die Idee, dass die Ich-Erzählerin E einsperren könnte, oder dass sie in einer völligen Misere landet. Sie zieht von zu Hause aus, landet auf der Straße, lässt sich treiben.
Wir aßen Fava, Rote Bete, Lamm, gefüllte Champignons. Es war zu spät und ich war viel zu satt, als ich nach Hause kam.

25. Sept.
Immer noch kein Claudius – hoffe, dass er irgendwo an Futter kommt, dass ihn niemand erschlagen hat, dass er seine Naht nicht aufgebissen hat (oder sonst irgendwelche Komplikationen aufgetaucht sind), dass kein anderer Kater ihm eins gewischt hat.
Habe gestern Kommentare geschrieben. Saß im Café Balkonaki. Zwei kleine Jungs (Zwillinge) mit starken Brillengläsern saßen mir gegenüber an einem Tisch (nebeneinander), tranken Fruchtsmoothies mit Strohhalmen (jeder Smoothie eine andere Farbe). Die Großmutter, die genauso starke Brillengläser hatte und mit den Eltern an einem anderen Tisch saß, sah ihnen derweilen verzückt zu.
Der Alte vom Perikles ist gestorben, in der Nacht, nachdem wir dagewesen sind. Andere, die länger da waren, erzählten davon, dass er später am Abend gesungen und getanzt hat, einen Sologesang, bei dem es plötzlich mäuschenstill gewesen sei im Lokal. Um 3 Uhr habe er dann seine Gummistiefel angezogen, um nach den Schafen zu schauen. Später erfuhren wir, dass er am Morgen nicht mehr aufgewacht war. Die Beerdigung fand gestern statt. Ich sah den Sohn, als ich vom Meer kam, mit seinem wilden, grau gesprenkelten Haarschopf, neben der kleinen Wegkapelle. Ein Auto fuhr an den Wegrand, der Fahrer beugte sich hinüber, um ihm durch das Beifahrerfenster die Hand zu schütteln. Er wurde 78. Kein richtiges “Alter“, aber alle sagen auch, „was für ein Abgang, was für ein schöner Tod“!

Ich ging im Sonnenuntergang baden u dann früh ins Bett.

NB: Eine Woche später tauchte Claudius wieder auf. Seine Kopfwunde heilte. 

Freitag, 24. Februar 2017

Es wird Abend am Herzbuckelweg

Heute habe ich in meinem blauen Buch alles durchstreichen dürfen, was ich mir für den heutigen Tag vorgenommen habe:

- ein Regalbrett abstauben
- 10 Minuten am Pullover arbeiten
- nachschauen, wie viel Geld ich noch habe

Und jetzt ist es Zeit, ins Bett zu gehen und wieder zu träumen, um zu begreifen, wo ich herkomme, wo ich hingehe (vielleicht auch: wo ich mich gerade befinde).

(Unterdessen verbringt der französische Künstler Abraham Poincheval 7 Tage in einem Stein.)

Samstag, 18. Februar 2017

Heimkehr nach langer Abwesenheit

Immer noch ist es wie Heimkommen. Am Herzbuckelweg darf ich sein.

1. Am Herzbuckelweg gibt es z.B. keinen Widerspruch zwischen der Herstellung von Sauerteigbrot, fermentiertem Tee, Waschnuss-Sud und dem Lesen von "It can't happen here" von Sinclair Lewis.

2. Am Herzbuckelweg wird gelesen, geköchelt, geschrieben und gezweifelt.

3. Am Herzbuckelweg steht oft ein halb ausgepackter Koffer herum, in dem fast immer eine zusammengerollte Katze liegt.

4. Am Herzbuckelweg ist die Luft plötzlich schön kühl, und es läuft fast immer irgendjemand über den Hinterhof, der in ein Telefon spricht.

5. Am Herzbuckelweg ist immer Aufbruchs- und Heimkehrstimmung zugleich, hier halte ich es aus, weil ich weiß, dass ich schon bald wieder wegfahre.

6. Am Herzbuckelweg spielt es eigentlich keine Rolle, dass die Zeit vergeht oder sich in die Länge zieht, hier gibt es keinen Anfang, kein Ende, eigentlich geht es nicht, am Herzbuckelweg Zeit zu vergeuden.

7. Der Herzbuckelweg verzeiht mir, wenn ich zwischendurch vergesse, dass es ihn gibt.

Es ist möglich, gleichzeitig am Herzbuckweg zu sein und ganz woanders

Freitag, 27. Januar 2017

5 Sätze (Flaschenpost aus dem Alltag)

Der Kater spielt mit einem Ohrenstäbchen, das er aus der Ohrenstäbchenbox gefischt hat. Im ersten Moment dachte ich, er hätte wieder mal eine Maus in die Wohnung gebracht.
Wie lange kann ich still sitzen, ohne einen Teil meines Körpers zurechtzurücken? Warum habe ich das Gefühl, wahnsinnig zu werden, wenn ich dem Impuls mich zu bewegen, nicht nachgebe? Wie würde sich mein Leben verändern, wenn es mir möglich wäre, zwei Minuten lang völlig still zu sitzen? 

Mittwoch, 4. Januar 2017

Alltag im Neuen Jahr

Ich saß im Bibliothekscafé, trank einen Kaffee und aß eine Zimtschnecke, blätterte in einem Buch, das ich bestellt hatte, und sah dem somalischen Café-Angestellten zu, wie er murmelnd und stöhnend mit der Zubereitung einer Trinkschokolade kämpfte. Hin und wieder blickte er prüfend zu mir her (vielleicht um zu sehen, ob ich auch nicht über seine Ungeschicklichkeit lachte. Natürlich nicht!). Es regnete draußen. Ich hatte eine 6-er Packung Eier in der einen und 4 CDs in der anderen Jackentasche. Das Buch trug ich dann in der Hand nach Hause, im feinen Nieselregen.

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...