Mittwoch, 18. März 2015

Das Schlimmste ist, dass ich angefangen habe zu vergessen

Du glaubst, dass du das Ende des Lebens erreicht hast und blickst zurück.

Das Schlimmste ist, dass ich angefangen habe zu vergessen. Dass ich mich anstrengen muss, um mich zu erinnern.

An ihrem letzten Tag gab sie mir Tee mit Zitrone. So unbedeutende Kleinigkeiten. Aber dann zweifle ich plötzlich daran. War es vielleicht nicht Tee mit Zitrone, sondern mit Honig? Ich weiß nicht, ob es eine Erinnerung ist oder die Erinnerung an eine Erinnerung.

Willst du nicht ein wenig reden?

Nein, ich trinke Tee und versuche dann zu schlafen.

Dienstag, 17. März 2015

Das grüne Hemd

So erzählte er es mir:

"Mein Vater wurde im selben Grab begraben wie mein Großvater. Ich bin für das Grab zuständig und als ich dort eines Tages ein wenig herumharkte, wurden Knochen ausgeworfen."

Er nahm einen Armknochen des Großvaters nach Hause, wurde aber von seiner Frau gescholten, er solle ihn wieder zurückbringen und vergraben, was er auch tat.

Bei einer anderen Gelegenheit grub er einen grünen Stofffetzen hervor, an dem eine Knopfleiste zu sehen war. Er wusste, dass der Großvater gewünscht hatte, in seinem grünen Hemd begraben zu werden, da es ihm viel bedeutet hatte. Er dachte an den Ausdruck "das letzte Hemd hergeben" und es kam ihm plötzlich so vor, als wolle der Großvater ihm etwas mitteilen.

Auch den Hemdfetzen nahm er in seinem Friedhofseimer mit nach Hause, seine Frau bat ihn aber, diesen zu verbrennen, was er dann ebenfalls tat.

Montag, 16. März 2015

## Erster Tag


## Erster Tag

Am ersten Tag wird Ordnung geschaffen. Die Gegenstände werden sorgfältig aneinander ausgerichtet. Bücher werden der Größe nach aufeinander gestapelt. Im Kleiderschrank hängt nichts mehr verkehrt herum. Der neue Anfang ist frisch, tut jedenfalls so. Er leuchtet aus jeder Ecke. Selbst die Katzen machen mit und setzen sich besonders schön hin, mit säuberlich nebeneinander platzierten Tatzen. Aus dem Lebenskalender werden einige Tage (Jahre) entnommen, säuberlich gewaschen und weichgespült und an einer durch das Zimmer gespannten Leine aufgehängt. Es sieht alles recht gut aus, wenn auch die Müdigkeit sich nicht leugnen lässt, ein gewisser schleppender Schritt, eine Hand, die hin und wieder zum Rücken fährt, eine zweite Hand, die über die Augen streicht und ein wenig dort verweilt, als müsse die sanfte Berührung ein wenig ausgekostet werden, als liege hinter allem die Sehnsucht nach einem langen Schlaf. Es gäbe Zeit dazu. Die Zeit ist ja in großen Mengen vorhanden. Dass sie einem manchmal knapp scheint, beruht auf einer reinen Täuschung, einer Störung in der Wahrnehmung. Am ersten Tag vor allem ist die Zeit wie ein unerschöpflicher Quell, der aus dem Verborgenen hervorsprudelt. Vieles, nein, alles scheint möglich. Jetzt hört man sogar Musik und vernimmt einen Rhythmus, der sich spürbar von unten nähert, der in die Füße, die Beine, den Rest des Körpers kriecht. Es ist wichtig, dass man jetzt keine plötzlichen und unbedachten Bewegungen macht. Sie könnten das schwebende Gleichgewicht zerstören, in dem die Wirklichkeit sich plötzlich befindet. Vor allem Eile ist völlig fehl am Platz. Sollte man jetzt eine Empfehlung aussprechen, dann ist es diese: nehmen Sie keine Position ein, beanspruchen Sie keinen festen Ort, weder auf der Erdkruste noch in ihrer eigenen mentalen Landschaft. Ein wenig Beweglichkeit scheint ja nicht zu viel verlangt, ein kleiner, winziger Schritt auf das Unbekannte zu. Es erfordert eine gewisse Bereitschaft, den alten Ballast wegzubringen, reulos und auf ein Nimmerwiedersehen. Eine Papptüte fasst alles Mögliche und man wird es nie vermissen. Noch schöner wäre es natürlich, jetzt vor dem Haus ein Feuer zu entfachen und den Flammen anzuvertrauen, was mit zu großem Gewicht an einem zieht oder (...)

Samstag, 14. März 2015

Kamm und Kämmin



Der Kamm und die Kämmin lagen sich wieder mal in den Haaren. Einzeln waren sie möglicherweise ganz nett, zu zweit jedoch unerträglich.

"Könnt ihr bitte mal einen Moment lang friedlich sein?", sagte die Haarbürste.

Daraufhin hauten Kamm und Kämmin gemeinsam so lange auf die Haarbürste ein, bis diese keinen Laut mehr von sich gab.

Zwar waren sie einzeln schwächer, aber sie hatten einander.

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...