Mittwoch, 20. Mai 2020

L - 19.5.

2020/05/19 17:05

Kurze Zusammenfassung der letzten drei Tage:

Hitze. Heuschnupfensymptome. Ein neues Buch angefangen. The Murder Room von PD James.

Habe bei P ein paar Näpfchen Aquarellfarbe bestellt, Poste Restante. Ich bin gespannt, ob es klappt.

Die Katzen liegen wie tot auf der Terrasse herum. Ich habe jetzt ein Ameisenproblem und muss die Katzenfutterschalen sofort in Sicherheit bringen, wenn die Katzen mit dem Fressen aufgehört haben. Googelte Hausmittel gegen Ameisen und verspritze jetzt Essig auf dem Fußboden und an der Türschwelle entlang. Es hilft, eine Weile jedenfalls.

Heute vier Ladungen Wäsche gewaschen, Brot gebacken.

Die Terror-Hunde waren ein paar Tage nicht zu sehen. Ich hatte mir schon Geschichten darum gerankt. In den traurigsten Versionen sind alle fünf überfahren worden, oder man hat sie eingeschläfert, weil sie einen Radfahrer angefallen und gebissen haben. Gestern dann kamen zwei von ihnen wieder aus dem Tor herausgeschossen, giftig kläffend, und ich erlebte eine Gefühlsmischung von Erleichterung und Angst.

In den letzten Tagen Verwesungsgeruch, als ich an den Müllcontainern an der Straße entlang radelte. Auch das wurde von meinem Gehirn in Geschichten verwandelt. 

Meine Badezeit ist jetzt von 17 Uhr auf 20 Uhr verlegt. An den Wochentagen ist der Strand dann schon (fast) leer.

Gestern das schlechteste Essen, seit ich hier bin. Reis mit Linsensprossen, Petersilie und Weißkohl. Geschmacklos und trocken. Ich löffelte etwas Fava aus gelben Erbsen drüber. Stillos, verbesserte aber den Geschmack. Erinnerte mich an Campingessen, direkt aus dem Primus-Topf gelöffelt. Jedenfalls wurde ich satt davon.

Am Abend bevölkern die Insekten die Terrassentür. Sobald ich auch nur einen Spalt öffne, schwärmen sie ins Zimmer, verbreiten Rastlosigkeit und hindern mich am Schlafen. Nachtfalter, langbeinige Insekten mit dünnen langen Körpern, Käferarten, kleine Stechfliegen, Mücken. Wenn ich das Licht ausmache, schwirren die großen Nachtfalter brummend um mein Gesicht, ich ziehe die Decke über den Kopf, aber es ist viel zu warm.

Die Katzen sind jetzt in den Nächten draußen.

Meine Augen sind geschwollen und jucken von irgendwas, obwohl ich offiziell keine Allergie habe. Die Nase läuft. Ich habe den Ventilator vom Speicher nach unten geholt und den Radiator über die Leiter nach oben gehievt. Wenn man den Ventilator auf die höchste Stufe schaltet, klingt er wie ein Helikopter kurz vorm Abheben.

Gestern fing ich mit einem neuen Text an, und heute verging ich vor Angst, weil ich ein erneutes Misslingen mehr fürchte als alles andere. Habe mich also erfolgreich darum herum gedrückt, daran weiter zu schreiben. Einen neuen Mundschutz zurechtgeschnitten, mit der Zange Quecke aus dem Salatbeet gezogen. Dann auf der Terrasse frisch gebackenes Brot mit Ziegenfeta, Oliven und gedünsteten Linsensprossen gegessen. U kam vorbei, im weißen Sommerkleid, brachte mir Geld, das ich sie gebeten habe, von Ps Konto abzuheben. Leider hat sie Ps Kontobuch verlegt und musste das Geld von ihrem eigenen Konto nehmen. Wasser vom Brunnen geholt, im 3-Liter-Kanister, und gleich einen Liter auf einen Zug ausgetrunken.

Zwei Minuten Yoga-Kopfstand heute. 

XLIX - 16.5.


2020/05/16 07:48

Mit dem Pomera im Bett. Die Tür steht weit offen. Ich habe heute Nacht zum ersten Mal mit offenem Fenster geschlafen. Kam zu spät ins Bett, weil ich Julian Clarys Briefs Encountered nicht weglegen konnte. Als ich es ausgelesen hatte, war es schon fast eins. Musste auch Noel Coward googeln, von dem ich bis dahin nichts gewusst hatte, meine Internet-Restriktionen ignorierend, wie so oft in den letzten Tagen. Da öffnete sich wieder mal eine ganz neue Welt.

Mitte Mai, und ich muss mein Leben wieder in den Griff kriegen. Seit ich meine #otherpeopleshomes-Serie abgeschlossen habe, bin ich ins Treiben gekommen und habe die Dinge etwas schleifen lassen. So ein Tag vergeht immer irgendwie. Wenn ich meine Routinen nicht einhalten kann, dann zerfällt etwas.

Ich hoffe, dass etwas passiert, das mich aus meiner Tatenlosigkeit erlöst. Dass ich den richtigen Anfang einer Geschichte finde z.B. Gestern dachte ich, wenn ich nur eine, eine einzige Sache finden würde, der ich mich den Rest meines Lebens jeden Tag widmen könnte, dann wäre ich der glücklichste Mensch.

Gedanken an meine Mittelmäßigkeit, meine Passivität, meine mangelnde Originalität plagen mich hin und wieder, aber ich kenne diese Gedanken zu gut, sie haben mich den größten Teil meines Lebens gepeinigt und mir nicht weitergeholfen. Ich könnte sie also genauso gut ganz einfach links liegen lassen.

Heute: Haus putzen. Im Garten arbeiten. Den Blauregen beschneiden, der vom Nachbarhaus seine Ranken sehnsüchtig herüber streckt. Ordnung herstellen.

Vorgestern Arztbesuch. Ich zog mich wieder präsentabel an, steckte meine Maske in die Tasche und fuhr ins Dorf. Vor der Arztpraxis saßen schon ein alter Mann und eine alte Frau, beide mit Maske, neben der Statue eines Arztes, der hier im 20.Jahrhundert gewirkt hat. Ich setzte mich auf einen Treppenabsatz und betrachtete das Geschehen um mich herum. Immer mehr Leute kamen an. Jeder Neuankömmling wurde, falls maskenlos, zum Maskenkauf in die nächste Apotheke geschickt. Es wurde diskutiert, wie man die Maske aufsetzt. Wo ist vorne, wo ist oben und unten? Eine Frau hatte sich ein Eigenbau-Modell umgebunden und betrachtete das Geschehen gelassen. 

Das Dorf bietet eigentlich fast immer eine Art Gratis-Schauspiel. Es gibt hier kein Kino und kein Theater, aber das braucht man hier auch nicht, da das Schauspiel schon von täglich von selbst stattfindet, und alle sind Schauspieler und gleichzeitig Zuschauer. Vor einiger Zeit noch behauptete ich, dass ich es hier nicht länger aushalten würde, weil es keine "Kulturangebote" gibt. Aber das Leben an sich ist hier das Kulturangebot! Das Dorf ist die Bühne, auf der die menschliche Komödie sich abspielt. Könnte man sich hinsetzen und das alles aufschreiben, die Gespräche, die Wortfetzen, das Geschwätz, dann wäre das ein Mikrokosmos des Weltgeschehens. Dazu müsste man bloß alles verstehen. Bisher rate ich zu 99%, was die Leute zueinander sagen.

Der Arzt (mit maskulin schwarzem Mundschutz) hörte sich mein Anliegen offensichtlich ungeduldig an, zerriss dann ein A4-Blatt in zwei Teile und schrieb auf das eine mit Kugelschreiber ein Rezept für ein Schilddrüsenmedikament und auf das andere Anweisungen ans Labor. Stempel drauf. Unterschrift. Und wie viel bin ich jetzt schuldig? Kostet nichts.

Ich taumelte hinaus in die Sonne, erleichtert darüber, dass ich einen Schritt weiter gekommen war, mit einem vagen Schuldbewusstsein, weil ich mich doch eigentlich gesund fühle und trotzdem die Ressourcen des Landes benütze.

Brachte die Hälfte eines frisch gebackenen Brots bei Theodosos vorbei. Ich  bekomme heute ein besonders gutes Essen, sagte er, und freue mich, dass ich dein Brot dazu essen kann. Kein Ton ist bei ihm falsch. Er sagt immer die richtigen Worte, ist immer präsent. Wenn ich nicht von seiner Frau gehört hätte, dass er zu Hause endlose Stunden vor dem Computer verbringt, dann würde ich glauben, dass er einen großen Teil seines Lebens auf einem Meditationskissen verbringt.

Am nächsten Tag Laborbesuch in Petra. Es war noch früh am Vormittag und schon sehr heiß. Kämpfte mich die Steigungen hoch. Ich kenne den Weg jetzt schon sehr gut, die leichteren und die schwereren Passagen. Registrierte mich, legte meine zerknitterte Überweisung auf die Theke, bezahlte 30 Euro. Der mürrische Arzt oder Pfleger winkte mich zu sich, setzte sich auf dem Weg zum Behandlungsstuhl eine Maske auf. Blutentnahme und das winzigste Pflaster der Welt. In drei Stunden könne ich die Ergebnisse abfragen, geht auch per Mail.

Ich kaufte einen Beutel Spezialfutter für Caesarion in der Tierarztpraxis, die gleich neben dem Labor liegt. Dem Kater geht es besser, sagte ich. Das ist schön zu hören, sagte die Assistentin, die heute allein im Laden war und wegen Nackensperre den Kopf schief hielt. Auf dem Weg zum Fahrrad, das vor dem Labor stand, merkte ich, dass mein Blusenärmel ganz nass war.

Der Laborarzt war nicht beeindruckt, als ich ihm meinen blutigen Arm zeigte. Hast du was getragen? Nur einen Beutel Katzenfutter. Ich dachte, es sei selbstverständlich, sagte er, dass man nach einer Blutentnahme nichts tragen soll. Inzischen wieder maskenlos, wischte er meinen Arm sauber, drückte einen  neuen Wattebausch in meine Armbeuge und kramte dann in einem Erste-Hilfe-Täschchen, offensichtlich auf der Suche nach einem größeren Pflaster. Er fand aber keines, es wurde also wieder das kleinste Pflaster der Welt. Du darfst dich jetzt erstmal nicht anstrengen. Ich muss aber Fahrrad fahren. Warte fünf Minuten.

Ein paar Stunden später kamen die Laborergebnisse per Mail an. Ich schickte sie an meinen Arzt in Schweden und war erstaunt, als er mich sofort anrief. Er bräuchte noch die Referenzwerte. Ich mailte wieder an das Labor, bekam sofort wieder Antwort.

Ich beschreibe all das so ausführlich, weil es mich faszinierte. Dass ich unbedeutender Mensch in den Genuss einer solchen Fürsorge komme, dass mein Wohlergehen einen Wert an sich darstellt. Diese selbstverständliche und fraglose Humanität. 

Mein Arzt rief mich auch umgehend wieder an, und das an einem Freitag 16:00 MEZ. Wieder einmal war auch er beeindruckt davon, wie schnell das Labor geantwortet hatte. Die Werte zeigten, dass ich eine eine neue Dosis brauchte. Komisch eigentlich, sagte ich, es geht mir ja gut. 

Diese Werteverschiebungen äußern sich erst nach einer Zeit in Symptomen, sagte er. Wir verabschiedeten uns dann überschwänglich, mit guten Wünschen für das Wochenende, für die nächste Woche, für den Rest des Lebens.

Das Ende vom Lied. Der Aufwand war also doch nicht umsonst.

Fuhr ans Meer. Das Wasser war dick und glänzte silbrig in der Sonne. Die Grenze zwischen Himmel und Wasser war beinahe ausgewischt. Als würde ich in einer grenzenlosen Unendlichkeit schwimmen. Mensch und Universum. Universum und Mensch.

Ohne Probleme bekam ich in der Apotheke übrigens das Medikament in der gewünschten Stärke auch ohne Rezept (das Rezept vom Arzt war ja in der alten Stärke ausgestellt gewesen). Zuhause entfaltete ich den griechischen Beilagezettel, mindestens einen Meter lang, auf beiden Seiten bedruckt. Ein Glück, dass du es nicht lesen kannst, schrieb P.

Abendessen; Salat mit Roter Bete, die ich in Petra gekauft hatte. Kartoffelfladen mit geriebenem Ricotta. Retsina.


Mittwoch, 13. Mai 2020

XLVIII - 13.5.


2020/05/13 15:28

Auf der Terrasse im Schatten. Eigentlich müde, aus keinem besonderen Grund. Als ich nach dem Essen auf dem Bett einen angestrengten Schlaf schlief, redete in meinem Kopf jemand ständig auf Englisch, eine Art Kommentator des Weltgeschehens. Resultat meiner extensiven, fast zwanghaften Lektüre der New York Times.

Nachdem mein Arzt mir gestern aufgetragen hat, das Gesundheitszentrum in Petra anzurufen, habe ich es ein paar Mal versucht, leider vergeblich. Auch Anrufe bei der Polizei, wo ich endlich meine Anwesenheit auf der Insel anmelden wollte, weil es ja jetzt doch Monate werden, klingelten ins Leere. Heute beschloss ich deshalb, nach dem Frühstück ins Dorf zu radeln, um diese Dinge irgendwie zu klären. Außerdem wollte ich bei Mary vorbeischauen, der ich schließlich meine Hilfe versprochen hatte, die ich aber telefonisch auch nicht erreichte.

Das Telefon klingelte, als ich mit meinem Morgenkaffee auf dem Bett saß. "Vicky" meldete sich, meine Zahnärztin aus Schweden. Vor zwei Monaten ist mein Schneidezahn gezogen worden. Jetzt stünde eigentlich der nächste Schritt an - der Zahnersatz. Ich erklärte ihr die Lage. Sie lachte laut und herzlich, als ich beschrieb, wie ich mich mit der provisorischen Prothese herumschlage. Dass sie aus Rumänien stammt, hat sicher etwas damit zu tun, dass sie eine gewisse Gelassenheit gegenüber Herausforderungen an den Tag legt und auch schnell versteht, wenn etwas nicht so läuft, wie man es geplant hat. Die Schweden haben meiner Erfahrung nicht so viel Flexibilität oder Improvisationsgabe. Sie erwarten meistens, dass alles in den altbekannten festen Gleisen verläuft. Melde dich, wenn du wieder zurück bist, sagte sie bloß. Genieß die Wärme. Ob aus ihrem Urlaub im Juli etwas wird, weiß sie nicht. Die Flüge sind gebucht, aber man kann jetzt natürlich nichts sagen.

Die Fahrt ins Dorf fühlte sich beinahe feierlich an. Ich hatte eine weiße Bluse angezogen und eine frisch gewaschene Hose. Außerdem hatte ich meinen neuen Mundschutz um den Hals gehängt, den ich vorgestern aus dem Überschuss-Stoff von zwei Kissenbezügen genäht habe, die immer zu groß gewesen sind.

Es war auch eine gewisse Aufbruchsstimmung im Dorf zu spüren. Die Geschäftsinhaber bereiten sich momentan darauf vor, ihre Geschäfte zu öffnen, aus dem Café am Dorfeingang hörte man Musik. Ein paar Leute saßen an den Tischen, die Plastikplane, die in den Wintermonaten als Windschutz dient, war hochgezogen. Vor einem Laden malten junge Frauen Metallregale blau an.  Bei dem Laden daneben war der Ständer mit den Sonnenhüten schon vor die Tür geschoben.

Ich ging den Weg hoch ins Dorf und kam an Ranjas Friseursalon vorbei. Ihre nepalesische Freundin Effi saß davor an dem winzigen Tisch. Außer der Tatsache, dass Effi auch einen Mundschutz um den Hals baumeln hatte, schien alles wie sonst. Ich fragte Ranja kurz entschlossen, ob sie Zeit hätte, mir die Haare zu schneiden, und sie winkte mich hinein. Ich hatte mir meine Maske umgebunden, sie nahm auch eine Maske vom Haken. Wie kurz? Kurz! Effie fungierte als Übersetzerin, und mir wurde wieder mal schmerzlich bewusst, dass mein Griechisch zu nichts taugt. Leute kamen am Laden vorbei, grüßten, Rania wechselte ein paar Worte mit ihnen. Ich hörte "Eftalou" und das griechische Wort für "Boot". Effi übersetzte, es seien in den letzten Tagen afrikanische Flüchtlinge am Strand von Eftalou angekommen. Zwei von ihnen wurden angeblich positiv auf Corona getestet und sind jetzt in Quarantäne. Das Dorf sei durch diese neuen Ankünfte in Panik versetzt. Ich hörte den Namen Erdogan, immer wieder. Der Diktator, sagte Rania, und dieses Wort verstehe ich auch. Als ich Rania fragte, wie es ihrer Mutter gehe, sagte sie, dass diese vor zehn Tagen gestorben sei, ich schloss es jedenfalls aus ihren Gesten, ihrem Gesichtsausdruck. Hinterher ging ich hinaus, nahm die Maske ab, rieb mir mit den Händen die kleinen Haare aus dem Gesicht und machte damit alle meine großartigen Vorsichtsmaßnahmen zunichte.

Der nächste Programmpunkt ist die Arztpraxis. Natürlich ist geschlossen. Es hängt ein handgeschriebener Zettel auf Griechisch neben dem Eingang. Mit Kugelschreiber sind einige Zeiten eingetragen, dann wieder ausgestrichen. Ich werde nicht schlau draus. Frage zwei Männer, die in der Nähe auf einer Treppe sitzen. Morgen, glaubt der eine, wird ein Arzt da sein. Ich solle sicherheitshalber noch bei den "Nurses" fragen, die in einem Raum sitzen, den ich immer für ein Architekturbüro gehalten habe. Auch meine Frage nach der Polizeistation können die Männer - einer von ihnen ist der Buchhändler des Ortes -  mir beantworten und sie erklären mir auch den (komplizierten) Weg dorthin. Eine Frau in dem "Architekturbüro" bestätigt mir dann tatsächlich auch, dass morgen ein Arzt im  Dorf ist. Wunderbar. Ich bin wieder einen Schritt weiter gekommen.

Nächster Schritt: Mary aufsuchen. Ich sehe sie durchs offene Fenster ihres Hauses. Komm rein! Sie ist gerade am Saubermachen. Ich setze die Maske nicht auf. Es ist unglaublich, sagt sie, wieviel Dreck ich am Tag mache. Kaum setze ich mich irgendwo hin und esse was, habe ich schon wieder Dreck gemacht. Und andauernd muss ich wieder etwas abspülen. Ich weiß, was du meinst, sage ich. Ich bin auch pausenlos am Abspülen. Ich darf mich in ihrer kleinen Wohnung umschauen. Ein Raum mit Kochzeile, ein Schlafzimmer, eine Leiter zu einer extra Plattform mit einer zweiten Schlafmöglichkeit, ein Balkon mit Aussicht aufs Meer. Das ist nichts Besonderes in Molyvos. Alle Häuser im Dorf haben eine atemberaubende Aussicht. Mary gibt mir eine Packung Bio-Spaghetti, die auf einem Kleiderschrank liegt. Magst du so was? Sie ist bisher noch nicht ins Restaurant gekommen, wo ich ihr bei der Arbeit helfen wollte, aber sie meldet sich bei mir.

Weil ich schon auf dem halben Weg bin, gehe ich weiter Richtung Cs Haus. Ich bin noch nie bei ihr zu Besuch gewesen, aber sie hat mir einmal gezeigt, wo sie wohnt. Ich rufe ihren Namen ein paar Mal, doch obwohl das Fenster offen ist, rührt sich nichts. Gehe also unverrichteter Dinge wieder zurück. Versuche, bei Theodosos Kardamom für meinen Nachmittagskaffee zu kaufen, aber er hat keinen. Kaufe mehr Mehl, etwas Grünzeug, gute Plätzchen mit Sesam, eine neue Packung vom teuersten Espresso. Wenn ich schon nicht ins Café gehe, kann ich mir wenigstens den besten Kaffee leisten, so meine Überlegung. Theodosos hat sich auch die Haare schneiden lassen. Ich zeige ihm auf dem IPhone ein Foto von meinem Sauerteigbrot. Oh, sagt er, das sieht aber sehr gut aus. Man sieht, dass es einen guten Geschmack hat und knusprig ist. Genau so, wie ich Brot mag. Du könntest mir ein Stück vorbeibringen. Das mache ich, sage ich, erfreut von seiner Reaktion. Wir lächeln hinter unseren Masken.

Grüße P von mir, sagte er, und ich tue es sofort, als ich nach Hause gekommen bin. Dann bringe ich die Hälfte von meinem heute frisch gebackenen Brot zu U und I, die sich freuen, und setze ein neues Brot an, damit ich Theodosos morgen etwas vorbeibringen kann.  

Mittagessen: Salat mit Tomaten, Gurke, Petersilie, Romansalat, Oliven, Zwiebeln. Gebratene Champignons mit gerührten Eiern und geriebenem hartem Ricotta. Ein paar Scheiben frisches Brot, das heute wirklich besonders gut gelungen ist.

Dann Mittagsschlaf. Schreiben auf der Terrasse. Und ohne, dass ich weiß, wie es gekommen ist, ist es schon wieder Zeit für mein Bad im Meer.

PS: Ich sprach mit dem griechischen Mann am Strand. Er schwimmt tatsächlich mit Flossen und Taucherbrille hinaus und fängt Fische. Gestern hat er einen großen Fisch erwischt. Wie fängst du die Fische? Mit den Händen, meistens. Manchmal geht das nicht, dann benützt er eine Harpune. Machst du das für deinen privaten Gebrauch?, frage ich. Ja, für mich, meine Freunde, meine Mutter, sagt er.  

XLVII - 12.5.


2020/05/12 21:27

Vorgestern sah ich ein gestrandetes Flüchtlingsboot am Delphinia-Strand. Ein Häufchen mit Kleidern daneben. Schwimmringe. Gestern waren es schon drei. Eine Mülltüte mit Kleidern, ein Bootmotor an ein Hinweisschild gelehnt. Weiter draußen auf dem Wasser ein größeres Boot, das ein Gummiboot hinter sich herzieht. Wo ist die Geschichte dazu?

Kam heute zum Strand. "Meine" Holländerinnen waren natürlich da, und der griechische Mann, der auch seit ein paar Tagen mit von der Partie ist, aber Abstand von der Frauengruppe hält. Als ich die Treppe hinunter kam, rief er, dass ich mich nicht aufs Mäuerchen setzen sollte. Ich verstand nicht genau, warum, schloss aber aus seinen Bemerkungen, dass dort irgendetwas gelegen hatte, vielleicht ein Fisch. Der Sand an der Stelle, wo ich normalerweise sitze, war feucht, und der Grieche füllte seine Gummi-Badeschuhe mit Meerwasser und goss es auf den feuchten Fleck. Er bat um Entschuldigung und sagte, er wisse ja, dass das mein Platz ist und auch meine Zeit, er habe gewusst, dass ich jetzt bald käme. Aber ich sollte mich lieber nicht dahin setzen. Ich breitete mein Handtuch auf dem Sand aus und sagte, es ist doch nicht mein Platz, wenn auch vielleicht meine Zeit am Tag. Dann kommentierte ich die Tatsache, dass heute keine Flüchtlingsboote da waren. Er sagte, einige Leute sagen, die Boote kämen leer hier an. Die Menschen würden beim Hafen von der Polizei abgefangen. Andere wieder behaupten, es seien Flüchtlinge hier am Strand angekommen. Er wisse nicht, was stimme.

Ich machte meine Schwimmrunde, legte mich danach entgegen meiner Routine mit dem Badeanzug aufs Handtuch, las Julian Clary: "Briefs Encountered", eines von Ps Lieblingsbüchern hier. Als ich sie vor einiger Zeit fragte, welches der Bücher sie mir empfehlen könne, antwortete sie, dass sie dieses Buch fast jedes Mal lese, wenn sie hier sei. Ich habe es also angefangen und nach einigen Seiten Widerstand bin auch ich gefangen. Dank P lese ich Bücher, die ich sonst nie lesen würde. Oft englische Literatur mit viel Witz und Intelligenz.

Mein Endokrinologe rief mich heute aus Schweden an. Er empfahl mir, mich ans Gesundheitszentrum in Petra zu wenden und sie zu bitten, meine Schilddrüsenhormone zu überprüfen und mir dann ein neues Rezept auszustellen. Wenn es nicht klappen sollte, dann könne er auch dort anrufen, sagte er. Wahrscheinlich haben sie im Moment nicht so viel zu tun, weil keine Touristen auf der Insel sind. Da er selber von Lesbos ist, zog sich unser Gespräch in die Länge. Einmal wurde die Verbindung unterbrochen, und er rief noch einmal an. Er würde es genauso machen wie ich, sagte er. Leider wisse er nicht, ob er in diesem Jahr nach Lesbos kommen könne. Melde dich auf jeden Fall, wie es gelaufen ist, sagte er, bevor wir uns verabschiedeten, mit der gegenseitigen Beteuerung, wie nett es gewesen sei, miteinander zu sprechen.

Umsatzsteuererklärung gemacht, ans Finanzamt geschickt und das Geld überwiesen. Rechnungen geschrieben. Ordnung ins Chaos meiner Finanzdateien gebracht. Die Finanzen für den Rest des Jahres überschlagen. Ich muss eine neue Einschätzung meines Jahreseinkommens einreichen. Im Moment bezahle ich viel zu viel, was aber auch den Vorteil hat, dass ich wahrscheinlich den Rest des Jahres keine Steuern mehr bezahlen muss.

Abendtätigkeiten: Abspülen, Linsensprossen versorgen, Brotteig rühren, Fenster unter dem Dach schließen, gießen.

Seit einigen Tagen mache ich täglich einen Yoga-Kopfstand und bin schon stärker und sicherer geworden. Hoffe auf eine stärker Rücken- und Bauchmuskulatur und darauf, dass meine Rückenschmerzen dadurch besser werden. Heute rieselte Sand aus meinen Hosentaschen, als ich auf dem Kopf stand.

Zum Vergnügen sitze ich abends auf der Terrasse und spreche sinnlose Sätze in Google Translate, die dann auf Griechisch übersetzt werden. Das Programm funktioniert erstaunlich gut, aber nur, wenn man schon ein wenig Ahnung von der Sprache hat und erkennt, wenn Blödsinn rauskommt. Wenn ich griechische Wörter zum Übersetzen eingebe, dann hört man eine deutsche Sprecherstimme, die ein Gefühl von Deutschland vermittelt, wie es dem Stereotyp entspricht: steif, humorlos, kühl, förmlich. 

Die Mücken kommen - es sind die einzigen Insekten, die ich töte (wenn ich sie erwische). Die anderen Insekten, die in großer Vielfalt und Zahl hier hereinspaziert kommen, lasse ich entweder sein oder ich bringe sie nach draußen. Manchmal muss ich eine Spinne aus dem Spülbecken retten oder ein Insekt, das irgendwie im Katzenklo gelandet ist und jetzt die Wand der Schüssel nicht hochklettern kann. Wenn ich eine Schale mit Katzenfutter auf der Terrasse stehen lasse, ist sie jetzt nach kürzester Zeit von Ameisen heimgesucht, die die Katzenfutterstücke schwarz ummanteln. Es gibt Ameisen der verschiedensten Größen. Die kleinsten davon wische ich manchmal gedankenlos von meinen Armen weg.

Ich hätte beinahe die Zecken vergessen. Ich finde sie meistens im Fell der Katzen, aber auch manchmal an meinem Körper und töte sie dann sofort, meistens zwischen Daumen- und Mittelfingernagel. Wenn sie sich schon mit Blut vollgesaugt haben, dann zerdrücke ich sie unter einem Steinbrocken oder unter meinem Schuh.

Wenn ich zum Strand radle, komme ich an einem Grundstück vorbei, auf dem mehrere junge Hunde wohnen. Das Tor zur  Straße steht meistens weit offen, und die Hunde machen sich einen Spaß daraus, herauszuschießen und neben dem Fahrrad herzulaufen. Dabei bellen sie wie verrückt und recken ihre Köpfe in meine Richtung. Es nervt und stört und macht mich nervös, weil ich fürchte, dass mir einer der Hunde vors Rad läuft oder noch schlimmer, von einem Auto angefahren wird. Außerdem bin ich mir nie ganz sicher gewesen, ob ihr Verhalten wirklich nur verspielt ist oder ob in ihrem Kläffen auch eine Drohung mitschwingt, ob dahinter auch ein Knurren zu hören ist. Gestern hat dann schließlich eine Hündin knurrend nach meiner Hose geschnappt und es war fast so, als würde ich mich vor den Hunden (es sind vier oder fünf) auf das Delphinia-Grundstück retten, wo ich die Gartentür hinter mir zuwarf. Auf dem Nachhauseweg schob ich das Fahrrad leise am Gartentor vorbei, um die Hunde nicht auf mich aufmerksam zu machen. Heute versuchte ich, einen anderen Weg zum Strand zu finden, kam aber von einem engen, überwachsenen Weg zu einem fest verzurrten Gitter und kehrte wieder um. Fuhr dann so leise wie möglich an dem Gartentor mit den Hunden vorbei (keine Gangschaltung, kein Bremsen) und wurde tatsächlich in Ruhe gelassen. Auf dem Nachhauseweg versuchte ich die gleiche Strategie anzuwenden, aber als ich den Busfahrer Hippokrates grüßte, der am Straßenrand stand, wachten die Hunde auf und die Kläfferei ging wieder los. Allerdings war ich schon zu weit entfernt, als dass sie mich noch hätten einholen können. Dieser Hundeterror verdirbt mir die Freude an meinen Strandausflügen etwas, aber ich bin sicher, dass ich irgendeine Lösung finden werde. 

Müde. Ich gehe heute ins Bett, ohne etwas gezeichnet zu haben.


XLVI - 9.5.


2020/05/09 22:01

Die beiden jungen Frauen, die mir täglich um die gleiche Zeit auf dem Weg zum Strand begegnen. Eigentlich sind mir zuerst die Hunde aufgefallen. Dann die eine von den beiden, mit schwarzen Kleidern, schwarzgefärbten, asymmetrisch geschnittenen Haaren, wie direkt aus Berlin Kreuzberg hier in Molyvos abgesetzt. Der Vergleich stimmt aber auch nicht, denn sie erkennt mich wieder und lächelt mich freundlich an, wenn die Hunde auf mich zulaufen und mich umschwänzeln. Heute erst habe ich einen Blick auf die andere geworfen. Das kurze Haar, die Shorts, der Gang, die Bewegungen. Ich wünschte, ich könnte schreiben, ich meine, wirklich schreiben. Diese Begegnung beschreiben: Mein Blick der Jungen hinterher, die irgendwie der Spiegel ist von einer, die ich einmal war, die es aber nicht mehr gibt. Eine Sehnsucht, eine Rührung, ein Gefühl großer Zuneigung. Sie schützen wollen, vor ihren eigenen Zweifeln. Die zwei jungen Frauen, die jeden Abend mit ihren Hunden den Strand entlang gehen, die stillen Rückentafeln. 

Auch plötzlich der tiefe Wunsch danach, ich selber sein zu dürfen, mit anderen. Die Anstrengung, die darin liegt, dass ich mich immer ein wenig verstecke. Wie oft in meinem Leben bin ich ehrlich gewesen, schutzlos ehrlich? Schutzlos ich selbst? Vielleicht nie. Anpassung an Normen, an den Horizont der anderen, aus Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung. Aber so einfach ist es nicht: die Grenzen sitzen schon in mir selber. Und ich dürste ja nach der Anerkennung der anderen.

Saß auf meinem Mäuerchen. Las. Da fühle ich mich am wohlsten. Nicht mitmachen müssen. Mich nicht festlegen müssen auf eine Rolle, auf einen Platz im Gefüge.

Die junge Frau vom Supermarkt kommt mit Käppi und Sonnenbrille vorbei, geht neben mir in die Hocke, zieht sich ihre Schuhe an. Das war mein erster Tag am Meer, sagt sie. Sie sieht anders aus als im Laden, ich erkenne sie aber an ihrem Lächeln. Die Holländerinnen kommen auch an mir vorbei, wir grüßen uns. Meine Vorurteile werden heute bloßgelegt, als mir die eine von ihnen sagt, dass sie auch im Winter jeden Tag im Meer schwimmt. Und ich hielt sie für Sonnenanbeterinnen, Strandtussis. Sie sind ganz einfach schon fertig mit dem Schwimmen, wenn ich komme,  sind schon im Aufbruch, haben eine Familie, um die sie sich kümmern müssen.

Löschte heute mehrere alte Schreibprojekte von meinem Laptop. Beseitigte sie aus der Welt, mit einem Knopfdruck. Ich bin die ewige Tagebuchschreiberin, schreibe mich an dem entlang, was sich vor meinen Augen abspielt. Sobald ich auch nur den geringsten Ehrgeiz entwickle, etwas erzählen will, lande ich in Sackgassen, wird es peinlich.

Ansonsten: Gartenarbeit. Büsche beschnitten, Olivenschösslinge und anderes wildgewachsenes Zeug rausgezogen. Unkraut gejätet.


XLV - 8.5.


2020/05/08 21:23

Heute: Brot gebacken, Kurs-Update, Griechisch, Meditation, Yoga.

Kazuo Ishiguro: When We Were Orphans

Stephen Colbert und Seth Meyer auf Youtube angeschaut. New York Times gelesen.

Versuch, ein Gartenbild zu malen. Auf der vollen Linie gescheitert. Plötzlich ist mein Selbstvertrauen weg. Muss wieder von vorne anfangen mit der Malerei, ganz einfach und ohne große Erwartungen.

Mit dem Fahrrad zum Meer, in den Wellen schwimmen und hinterher lesen. Dann heim, lesen, essen (Feta-Pie aus der Verpackung und Salat), heute auf der Terrasse. Mit Julia auf dem Arm getanzt, zu brasilianischer Musik. Sie fand es eine Weile lang gut, dann nicht mehr.

Auf die Stille gelauscht. Könnte es immer so sein. So still.

Eigentlich wollte ich heute mit einem neuen Schreibprojekt anfangen, aber ich drückte mich drum herum.


XLIV - 7.5.


2020/05/07 21:01

Es ist nur ein Tagebuch. Warum veröffentliche ich es dann als Blog? Es gibt mir das Gefühl, dass es eine Art Arbeit ist. Dass ich eine Pflicht habe, sie zu erledigen. Und wenn ich den Blog hinterher lese, habe ich den Eindruck, dass ich etwas getan habe. Ein Tagebuch verschwindet, geht unter. Manche Dinge lasse ich beim Veröffentlichen weg. Andere würde ich nicht schreiben, wenn ich nicht an den Blog denken würde.

Gestern wieder Einkaufstag. Theodosos hat einen Mund-Nasen-Schutz an. Das ist jetzt Pflicht, sagt er, für die Leute, die in Geschäften arbeiten, aber nicht für die Kunden. Ich lade meinen Rollkorb wieder voll bis über den Rand, aber plötzlich ist er verschwunden. Schließlich finde ich ihn auf der Theke. Jemand hat ihn schon für mich hochgehoben. Theodosos erkundigt sich wieder nach P. Fragt nach meiner Arbeits- und Geldsituation. Wie lange bist du schon hier? Und wie lange noch? Ich erkläre ihm meine Lage, er hört interessiert zu. Ich weiß es nicht, wie er es schafft, den Kunden das Gefühl zu geben, dass er sich genuin für sie interessiert. Er ist mein Seelsorger. Wenn ich von ihm weggehe, habe ich immer ein gutes Gefühl. Kaufte mir aus einer Laune heraus ein Eis am Stiel, fühlte mich aber sauschlecht, als ich es gegessen hatte.

Später, am Strand, traf ich wieder die holländischen Frauen, die vor ein paar Tagen angefangen haben, mich zu grüßen und ein paar Worte mit mir zu reden. Sie sind in einer gemischten Frauengruppe, Griechinnen und Holländerinnen, und reden fließend Griechisch, sprachen mich aber (natürlich) auf Englisch an. Sicher sind sie mit Griechen verheiratet und leben schon seit Jahrzehnten hier. Wir kamen heute darauf, dass wir "Nachbarn" sind. Ich habe sie noch nie ins Wasser gehen sehen. Im Gegensatz zu ihnen fahre ich nur zum Schwimmen an den  Strand. Ich bleibe hinterher so lange auf einem Mäuerchen sitzen, bis der Sand an meinen Füssen getrocknet ist und ich meine Schuhe wieder anziehen kann. Unterdessen lese ich, im Moment: Kazuo Ishiguro, When We Were Orphans.

Gestern Abend der Mahamudra-Kurs im Teepavillon. Das erste Mal, eine Woche nach meiner Ankunft, war ich noch in Decken und Schals gehüllt, bibberte trotzdem und trank heißen Tee, gestern saß ich mit einer dünnen Bluse neben dem offenen Fenster, auch wenn es gegen Ende kühl wurde und ich mir in der Pause ein langärmeliges T-Shirt holen musste. Die vertrauten Gesichter auf dem Ipad. Wir reden nicht miteinander, reden überhaupt nicht - trotzdem gibt es eine tiefe Gemeinsamkeit. Manche sitzen so still da wie Statuen. Andere sind unruhig, kochen Tee, schmusen mit ihrem Hund. Einer war ständig mit irgendwas auf seinem Handy beschäftigt. Ich machte einige Personenskizzen mit dem Bleistift, um nicht einzuschlafen. Meine vertraute Müdigkeit, mein Gähnen. Bei mir ist es eine Stunde später. Hinterher aß ich Erbsensuppe mit Knäckebrot. Naja, Notlösung.

Dieses Glücksgefühl, weil mir solche Angebote zur Verfügung stehen. An die Grenzen gehen, über den Verstand, das Denkbare hinaus. Trotzdem diese tiefe, unverrückbare Überzeugung, dass nur das wirklich von Interesse für mich ist.

Punxy rumpelt gerade unter dem Dach herum - keine blasse Ahnung, was sie jetzt wieder ausgeheckt hat. Cleos Auge scheint von selber geheilt zu sein, ich kann es gar nicht glauben und muss immer wieder nachsehen, was sie natürlich nervt, weil ich ihr dazu für ihren Geschmack zu sehr auf die Pelle rücke. Caesarion sieht leider nicht besonders gut aus. Die Tabletteneinnahme wenigstens geht inzwischen schnell vonstatten. Hamish ist jetzt seiner eigenen Ansicht nach hier ein Mitglied des Haushalts. Er darf zwar nicht ins Haus (nach der Operation war eine Ausnahme), legt sich aber immer auf den Fußabstreifer, in typischer Hamish-Manier, wie ein schlaffer Sandsack. Wenn man ihn von irgendwo wegtreiben will (er drängt sich nämlich andauernd vor), lässt er sich einfach zur Seite fallen - plopp - und schaut einen dann mit treuherzigen Augen an. 

Habe heute die zweite Woche des autobiographischen Schreibkurses eingeleitet. Aufgaben und Methoden, Gruppeneinteilung und Feedback.

Müde. Am Strand war heute niemand. Das Wasser war wild und es ging ein kühler Wind. Ich ging trotzdem ins Meer, schwamm aber nicht weit hinaus, besorgt, dass es eine Strömung gibt, die mich hinausziehen könnte. Las hinterher in meinem Buch, zum ersten Mal von einem kleinen Hauch von Heimweh angeweht. P ist heute in den Garten gezogen und schickte ein Bild von S auf dem Küchentisch.

Muss neue Aufgaben für mich finden, nachdem ich einige größere Projekte in den letzten Tagen abgeschlossen habe, wodurch erst einmal eine Leere entstanden ist. Die Zeit nutzen, die ich hier habe. Heute habe ich im kleinen Laden am Dorfausgang zwei Tüten mit Salat-Samen gekauft und dann die alten Rosenbeete hergerichtet, mit Kompost aus der Tonne. Mal sehen, ob es mir gelingen wird, während meiner Zeit hier noch einige selber gezogenen Salatblättchen zu essen.

Der Tagebuch-Blog ist Struktur, Verarbeitung, Gedächtnisstütze, ein Versuch der Mitteilung, auch an mich selber.

Ein neues Brot angesetzt, mit einem Teil Vollkornmehl, das ich gestern bei Theodosos entdeckt habe.


Dienstag, 5. Mai 2020

XLIII - 4.5.


2020/05/04 23:35

Regennacht.

Am Morgen mit dem Fahrrad nach Petra. Neue Tabletten und neues Spezialfutter abgeholt.

Wie geht es dem roten Kater?
Er humpelt noch, aber er macht Fortschritte.
Das freut mich. Und dem Kater mit dem Blasenproblem?
Besser, aber noch nicht richtig gut.
Wenn es ihm gut gehen soll, muss er immer im Haus bleiben.
Ich weiß, aber das ist nicht möglich, sage ich.
Und die Katze mit dem Auge? Ist es besser geworden?
Ich weiß es nicht. Ich schaffe es nicht, ihr die Augentropfen zu geben.
Ich verstehe.

Ein Euro fällt mir auf den Boden und Adamantios (der ein junger Mann ist) bückt sich danach und greift sich dann beim Aufrichten stöhnend ins Kreuz.
Das war deine heutige Gymnastikübung, sage ich gut gelaunt.
Er deutet dann auf all die Käfige mit betäubten Tieren, die in der Praxis herumstehen.
Das alles habe ich heute schon gemacht.

Wieder zuhause. Gespräch mit A auf WhatsApp. Dann Tanz aufnehmen, hochladen. Das Bild fertigmalen, das ich gestern angefangen habe. Es regnet in Strömen. Irgendwann merke ich, dass es schon halbsieben ist. Mache mir Kartoffelfladen, gedünstetes Gemüse, gekochte Linsen. Dazu Retsina. Arbeit am A-Text. P hat angefangen, ihn zu lesen, findet ihn "spannend und wunderbar". Später bekomme ich Lust auf was Süßes und mache mir Pfannkuchen mit Nutella. Esse sie, während ich arbeitete.

Gestern Abend klingelte plötzlich das Telefon. Videogespräch. Es war meine Kartenspielgruppe.
Wann kommst du wieder?
Noch lange nicht.
Was vermißt du von Schweden?
Ehrlich gesagt: nichts.
A zeigte mir ihre neue Frisur. Steht dir gut!
Ich versuchte es zu vermeiden, mit offenem Mund lachen, wegen meiner Scheiß-Prothese.
R schaute mich nachdenklich an, sein Blick verfolgte mich heute den ganzen Tag.
Ich schickte ihm eine Nachricht: "Ich liebe euch Idioten." Bekam ein Herz zurück. 

A zeigte mir heute sein Sauerteigbrot und den Bauch seiner schwangeren Katze. Wir einigten uns darauf, am Wochenende ein längeres Arbeitsgespräch zu führen.

Mary schaute übrigens gestern hier vorbei, mit Risko, ihrem Hund, der zwar schwer arthritisch ist, aber die neue Umgebung offensichtlich sehr spannend fand. Er vermisst die Natur, sagt sie. Sie ist auch normalerweise nie so viel mit ihm zusammen wie jetzt. Die meiste Zeit ist er allein im Haus. Wir saßen eine Weile auf der Terrasse in der Sonne.
Ich denke nicht an morgen, sagt sie. Sie weiß nicht, wie es mit ihrer Taverne weitergehen soll. Selbst wenn am 1.Juli die Tavernen wieder öffnen dürfen, sind die Auflagen so streng, dass sie keinen Gewinn machen kann. Und wer soll zum Essen kommen? Die Leute im Dorf haben selber kein Geld. Die Touristensaison kann man dieses Jahr vergessen.
Von ihrer Rente kann sie nicht leben. Sie reicht gerade dafür, Essen für sich und den Hund zu kaufen, aber die Miete für das Haus und alle anderen Extra-Ausgaben sind davon nicht gedeckt.
Dann gingen sie wieder, beide etwas mühsam und wackelig. 
Er ist alt, so wie ich auch, hatte sie vorher gesagt.


XLII - 2.5.


2020/05/02 15:48

Putztag. Brotbacktag.

Und so geht es mit dem Brotbacken zu: insgesamt dauert es mehr als 24 Stunden, bis ein Brot fertig ist.

Am Morgen rühre ich mit dem Sauerteig, den ich im Kühlschrank habe, den Vorteig an und füttere den Rest des Sauerteigs.
Füttern: 1 EL Sauerteig, 50g Mehl, 50 g Wasser.
Vorteig: 1 dl Sauerteig, 100 Mehl, ca. 100 g Wasser, eher weniger. Ich gehe nach der Konsistenz, sie soll etwa wie bei Waffelteig sein.
Zugedeckt stehen lassen. Ich stelle die Schüsseln in die Duschkabine, weil sie mir da nicht im Weg sind.
Mein Weizensauerteig macht nur kleine Blasen, aber ich habe mich daran gewöhnt und mache mir keine eine Gedanken mehr deshalb. Es bildet sich im Glas auch auf dem Sauerteig eine dunkle Flüssigkeit, die etwas nach Ammoniak riecht. Darum kümmere ich mich auch nicht. Ich rühre einfach so lange um, bis der Sauerteig wieder homogen ist.
Zurück zum Brotbacken: Am Abend schütte ich 250ml Wasser (lauwarm, aber nicht zu warm) in den Vorteig. Rühre so viel Mehl und Haferkross hinein, dass der Teig sich ein bisschen vom Schüsselrand zu lösen beginnt. Man muss natürlich auch lange genug rühren, damit sich Gluten entwickeln kann, fünf Minuten etwa.
Eine Prise Trockenhefe und eine Handvoll Sonnenblumen-, Kürbiskerne oder Sesamsamen werfe ich mit dem Mehl auch hinein, außerdem zwei gute Teelöffel Meersalz. Keine genauen Mengenangaben. Ich mische gewöhnliches Weizenmehl mit einer Portion gelblichen Hartweizenmehls von Limnos.
Zu Hause würde ich niemals Weizenmehl verwenden, sondern wenigstens Dinkel, aber ich habe hier nichts anderes gefunden.  
Über Nacht stehen lassen. Den gefütterten Sauerteig fülle ich am nächsten Morgen wieder in sein (gespültes) Glas und stelle ihn in den Kühlschrank.
Den Brotteig, der inzwischen große Blasen hat, fülle ich in eine Form. Ich habe keine Kastenform hier und habe eine Springform mit einem Stück Backpapier ausgekleidet (ich drücke das rund zugeschnittene Backpapier hinein - es muss ein bisschen über die Kanten schauen - Falten machen dabei überhaupt nichts.)
Dann streue ich etwas Kerne oder Samen drüber und ein bisschen Mehl. Lasse das Ganze wieder zugedeckt stehen, eine Stunde vielleicht, auf keinen Fall weniger.
Der kleine Backofen wird vorgeheizt auf 250 Grad. Wenn er heiß genug ist, stelle ich die Form hinein, werfe ein bisschen Wasser auf den Boden des Backofens und schließe die Tür sofort. Drehe die Temperatur auf 190 Grad herunter.
Von jetzt an gehe ich nur nach Geruch und nach Farbe. Ich schaue nie auf die Uhr. Wenn es schon nach Brot riecht und der obere Teil des Brotes eine schöne Farbe hat, nehme ich die Form heraus und lasse das Brot herausgleiten, ziehe das Backpapier ab und lege das Brot jetzt noch mal umgedreht in den Ofen, bis auch die Unterseite eine schöne Färbung hat.
Klopftest: mit dem Knöchel auf die Unterseite des Brotes klopfen. Der Klang soll hohl sein.
Dann das Brot gut in ein Backtuch einwickeln und mindestens eine Stunde so liegen lassen. Es backt nämlich jetzt  noch weiter. Nicht zu früh anschneiden, das wird klebrig. Es muss schon gut durchgekühlt sein, wenn ich meine erste Scheibe abschneide.
So ein Brot reicht mir vielleicht drei oder vier Tage. Es ist auch noch gut, wenn es nicht mehr ganz frisch ist, im Gegensatz zu Hefeteig.
Das war die Rezeptabteilung.

Jetzt kommt die Putzabteilung:
Samstag ist mein Putztag. Putzen tut mir gut und ist hier auch einfach. Heute habe ich mir vorgenommen, unter dem Bett sauber zu machen. Es ist ein schweres Bett, das rundum geschlossen ist und zwei Kästen zum Herausziehen hat, von denen allerdings der eine von einem Extrabett (das mir nur als Ablage dient) blockiert wird. Als ich vor ein paar Tagen nach meinem Iphone suchte, warf ich einen Blick hinter dem Kopfende des Betts nach unten und war ziemlich angeekelt von dem, was ich da sah. Daher der Plan, das Ganze mal gründlich anzugehen.

Arbeitsschritte: Die Matratze (schwer) herunterhieven. Die Latten rausnehmen. Das Elend bestaunen: eine Mischung aus mumifizierten Tausendfüßlern, Spinnennestern, Katzenhaaren und Insektenkacke. Dann die Kästen nach einem System, das mich an Rubiks Würfel erinnerte, herausziehen. Ich musste die Position der restlichen Möbel im Zimmer verändern, um das Extrabett zu verrücken, so dass ich den blockierten Kasten rausziehen konnte. Ich musste ja zum Saubermachen die ganze Bodenfläche frei kriegen. Alles abwischen, unten, oben hinten, mehrmals. Dann Rubiks Würfel wieder zurücksetzen und die andere Lade rausziehen. Wieder alles wischen. 
Der Spaß dauerte über zwei Stunden. Ich legte die Latten wieder aufs Bettgestell und schleppte die Matratze heran. In der Zwischenzeit wusch ich in der Waschmaschine Matratzenschoner, Kopfkissen, Kopfkissenschoner, Bettwäsche. Insgesamt wusch ich heute drei Maschinen, was hier die reine Freude ist, weil in der Sonne alles so schnell trocknet und weil die Wäsche hinterher so gut duftet.

Hinterher hatte ich das Gefühl, als hätte ich auch aus meinem Inneren Dreck von mehreren Jahren weggeräumt.

Dann machte ich eine Mischung aus Olivenöl und Zitronensaft (beides aus Eigenproduktion) und rieb die Vorderfront des Betts damit ein. Da ich noch etwas übrig hatte, behandelte ich auch den Ess- (Schreib-, Arbeits-) tisch damit. Wenn ich den Boden wische, nehme ich immer Soda, etwas Essig und einen Spritzer Spülmittel ins Wasser. Für Badezimmer-Armaturen die gleichen Zutaten.
Nach etwa fünf Stunden war ich heute mit der Putzerei  fertig und ziemlich erledigt. Aß etwas, stellte mich unter die Dusche. In der Dusche habe ich nur eine reine Olivenseife, mit der ich mir auch die Haare wasche, und eine Flasche Essig, mit der ich meine Haare nach dem Waschen ausspüle. Ich verwende schon seit Jahren kein Shampoo mehr.

Das war ein kleiner Einblick in meine Haushaltstätigkeiten. Hole jetzt die letzte Fuhre Wäsche aus dem Keller und fahre zu meinem täglichen Bad ans Meer. 

(Abends)

Das Wasser im Meer war trüb heute, aber warm. Am Himmel zogen sich Wolken zusammen.

Danach ein Tanzworkshop, bei dem wieder die Musik Probleme bereitet hat (wir wissen jetzt auch warum: Zoom ist für die menschliche Sprache konzipiert und wird von Musik überfordert). Jetzt auf dem Bett. Caesarion hat seine Tablette bekommen.

Abendessen: Kartoffelfladen mit Feta. Krautsalat mit Oliven und Petersilie. Eine griechische 1.Mai-Nachspeise, die mir U gegeben hat: gemahlene Mandeln und Zucker und Milch.

Am Nachmittag, nach einem kurzen, angestrengten Schlaf, machte ich mir einen griechischen Kochkaffee, zum ersten Mal, seit ich hier bin. Ein sommerliches Gefühl. Sommererinnerungen. Unsere ersten Reisen nach Griechenland. Kalymnos. Chios. Athen. Mytilini. Als wir noch zusammen verreisten. Heute ist meistens eine von uns zu Hause. Ich liebe es, allein zu verreisen, ohne Frage, aber die Erinnerungen sind auch ein wenig nostalgisch.

Punxy und Cleo sind so verspielt. Man könnte nicht glauben, dass sie schon fortgeschrittenen Alters sind. Sogar, wenn Punxy alleine im Haus ist, erfindet sie immer irgendwelche Vergnügungen für sich, kämpft mit dem Teppich, versteckt sich vor mir, klettert in Papiertüten, rast die Leiter hoch und wieder runter. Caesarion ist an diesen Spielen nie beteiligt, im Gegensatz zu Cleo, die seine Mutter ist. Cleo und Punxy spielen Fangen, sie verstecken sich voreinander und dann schießt eine hinter einer Ecke oder unter dem Bett hervor, um die andere zu erschrecken, sie ringen und hauen mit den Tatzen nacheinander, aber nur in einem gleichberechtigten Spiel. Sie sind wie Katzenjungen, Ich habe heute nach dem Putzen darüber nachgedacht, die Teppiche zusammenzurollen und nach oben zu bringen, aber ich konnte es nicht tun, weil sie ja Punxys und Cleos liebstes Spielzeug sind, neben den Schraubverschlüssen der Milchverpackungen.

Habe jetzt B. Travens Roman "Die Carreta" ausgelesen. Er hat mich insgesamt dann doch sehr berührt, sehnsüchtig gemacht nach Einfachheit und gleichzeitig wütend auf die Menschen. Warum folgen wir immer unserer Gier, unserer Lust auf Macht? Woher kommen Brutalität, Herzlosigkeit, Heuchelei? Warum können wir nicht unseren einfachen Gefühlen folgen, warum trüben wir unsere innere Klarheit?

Einen Nachtfalter, der auf dem Boden lag und hilflos mit dem Flügeln schlug, habe ich heute nach einem missglückten Rettungsversuch getötet. Ich bin immer wieder erstaunt von dem Lebenswillen aller Lebewesen. Was geht in einer Ameise vor, die sich weigert, auf eine Schaufel zu klettern, die ich ihr in den Weg stelle (um sie nach draußen tragen zu können)? Leidet der Nachtfalter, der nicht mehr fliegen kann? Und die Maden, die an den Wänden der Komposttonne hochkriechen, um an die Luft zu kommen, ins Freie, fühlen die sich in einem Alptraum eingesperrt?


XLI - 30.4.

(Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen: Als ich den Quatsch mit den römischen Ziffern angefangen habe, wusste ich noch nicht, dass ich so lange hier bleiben würde. Bis 14 schaff ich dass, ab 35 musste ich mit dem Googeln anfangen. Aber ich steh jetzt dazu.)

2020/04/30 23:22

Heute war ein Misttag. Von hinten bis vorne.

Wegen Blut im Katzenklo wieder bei Adamantios angerufen. Mit dem Fahrrad nach Petra, aber diesmal nicht entspannt, sondern gestresst, weil ich vorher versucht hatte einen Internetkurs hochzuladen und die Kursplattform zickte. Ich musste meine Arbeit also unfertig stehen lassen und mich hungrig aufs Fahrrad schwingen. Nach Petra fahren ist inzwischen eine Routine. Holte mir dann eine traurige Prognose ab. Wenn es mir nicht gelingt, Caesarion daran zu hindern, dass er anderes Futter frisst als das Spezialfutter (und zwar sein ganzes Leben lang), dann ist gegen seine Blasenprobleme nichts zu machen. Ich musste feststellen, dass ich eigentlich bisher keine klare Information von den Tierärzten bekommen hatte. Adamantios sagte beim letzten Mal, dass keine Steine festgestellt worden waren - und jetzt soll das plötzlich das Problem sein. Und Myrsini hatte am Telefon gesagt, er solle "eine Weile" Spezialfutter fressen.

Zuvor eine Todesnachricht. Keine Trauer, aber so ein Tod trifft einen ja trotzdem.

Die Information, die mir U am Vormittag überbracht hat, dass der Lockdown am Montag aufgehoben ist und man auf der Insel wieder uneingeschränkt überall hinfahren kann, hat mich seltsamerweise auch verstört. Jetzt plötzlich soll ich die wunderbare Isolation wieder aufgeben? Unter Leute gehen? Das Atemanhalten, das uneingeschränkte Alleinsein sollen plötzlich ein Ende haben? Woher soll mein Leben nun seinen Inhalt beziehen?

Außerdem war ich gestresst wegen dem neuen Kurs. Stürzte mich sofort wieder darauf, als ich mit zwei Antibiotikatabletten im Gepäck zurückkam, nach einem schnellen Mittagessen auf der Terrasse. Unterbrach die Arbeit nur, um einen kurzen Ausflug ans Meer zu machen. Blieb lange im Wasser, schwamm an der Strandlinie entlang. Gleich nach meiner Rückkehr hatte ich eine Zoom-Übungsstunde mit P, während derer mehrere unangenehme Mails auf meinem Iphone ankamen, die ich nicht ignorieren konnte. Unser Zoom-Meeting stürzte uns dreimal ab, und wir gaben schließlich auf. Dann versuchte ich stundenlang vergeblich, die Schreibaufgaben, die ich vorher formuliert hatte, auf die Kursplattform zu laden. Ich probierte wirklich alles, mit drei verschiedenen Geräten, lief mit der Taschenlampe ständig hin und her zwischen Wifi und Haus, den Tränen nahe, aber ich hatte keinen Erfolg. So etwas macht mich völlig wahnsinnig. Oder auch so Kleinigkeiten, dass ich mein Iphone-Kabel nicht finden konnte. Oder dass der Ton meines Iphones plötzlich nicht mehr funktionierte, als es vom Tisch gefallen war.

Am Ende habe ich die Aufgaben doch hochladen können. Das Kabel gefunden. Herausgefunden, warum das Iphone plötzlich stumm war. Alles ist gut. Ich habe abgespült, eine Kerze für alle Toten angezündet und Caesarion seine Tablette gegeben. Ich habe die schwierigen Mails freundlich beantwortet.

Ins Bett. Morgen ist der erste Mai. Ich bin jetzt acht Wochen hier.

 

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...