Mittwoch, 29. April 2020

XL - (28.April)


2020/04/28 21:41

Mit dem Pomera auf dem Bett.

Abendessen: Rote Paprikaschoten, gefüllt mit Feta und Ei. Gekochte Linsen. Griechische Backofenkartoffeln.

Um 17 Uhr wieder an den Strand gefahren. Auf dem Basketballplatz, an dem ich auf dem Weg dorthin vorbei komme, sind eigentlich immer junge Leute. Am Strand saßen Frauen in einem Badetuchkreis.

Gehe ins Wasser, der Sonne entgegen. Das Wasser ist nur am Anfang kalt und nach einer Weile angenehm frisch. Muss mich daran hindern, weiter und weiter hinauszuschwimmen. Sitze hinterher wieder eine Weile auf dem Mäuerchen, lese B.Traven und freue mich jetzt schon auf den Moment, wo ich das Buch ausgelesen habe. Es ist mir im Moment zu harter Tobak. Es gibt keinen Lichtblick. Im Grunde ist es, unter anderen Vorzeichen, aber nur eine Zustandsbeschreibung der Welt, so wie sie heute auch ist.

Ich schicke inzwischen, bevor ich das Haus verlasse, eine SMS an die griechische Regierung oder wen es auch interessieren mag, mit Information dazu, was ich gerade vorhabe. Meine Strandbesuche fallen unter die Kategorie „physical activity (excluding any collective sporting activity)”.

Hamish humpelt immer noch. Gestern war seine rechte Vordertatze ganz blutig - das fehlte noch, dass er auch die zweite Vordertatze nicht mehr benützen kann. Ich rieb sie mit einer Olivenöl-Teebaumöl-Mischung ein, die ich auch für meine Haut verwende, weil ich momentan nichts anderes habe. Jeden Tag mache ich außerdem einmal den Versuch, Cleo Tropfen in das Auge zu träufeln, aber sie ist immer schneller, schlauer, wendiger, stärker als ich.

Ein guter Tag. Saß auf dem Bett und arbeitete mich noch einmal durch den A-Text, änderte Kleinigkeiten. Habe ihn inzwischen an P geschickt, zu einem ersten Durchlesen. Und dann?

Der "Kindheit"-Kurs fängt am Freitag an. Acht Teilnehmerinnen. Ich habe schon eine grobe Planung gemacht. Morgen einen Einleitungstext formulieren, den Kurs ins Netz stellen. Den Haiku-Reader zusammenstellen und am Donnerstag verschicken. Für Freitag habe ich ein Zoom-Meeting zum Abschluss des "Schreiben im Jetzt"-Kurses angeboten. Dann bin ich zwei Kurse losgeworden und hab einen weiteren am Hals. Am Samstag Tanzworkshop. Muss ich mir wieder Gedanken machen, wie ich Geld reinbringen kann.

Jeder Arbeitsschritt dauert übrigens viel länger als ich vorher gedacht habe. Wahrscheinlich verdiene ich in der Stunde etwa 6 Euro (netto), weil ich die Preise so tief angesetzt habe und mich dann nicht gegen fordernde Teilnehmerinnen zur Wehr setze, die eine Spezialbehandlung einfordern, mich mit Mails überschütten, Fragen stellen, die auf der Kursplattform bereits beantwortet wurden etc.

Inzwischen habe ich die Heizung fast ganz ausgeschaltet und nur wegen meiner Morgendusche noch eine halbe Stunde beibehalten, weil die Sonne in der Früh das Wasser in dem Sonnenkollektor auf dem Dach noch nicht genügend erhitzt hat.

In fast allen europäischen Ländern stehen im Moment Corona-Lockerungen an. Wie die Pläne in Griechenland sind, weiß ich nicht. Die Schweden rühmen sich immer noch ihrer laxen Strategie, auch P schickt mir Artikel, die davon handeln. Ich sehe nur die Todeszahlen in der internationalen Statistik, da schneidet Schweden im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl nicht gut ab, vor allem im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarländern. Vielleicht nimmt man das aber auch einfach in Kauf. Es sind ja "nur" die Alten, die sterben. Liegt darin ein Zynismus?

In unserer Familie spielt sich im Moment eine Tragödie ab, die nur indirekt mit Corona zu tun hat: Ein schwerstkranker Verwandter, wochenlang ohne Besuch im Krankenhaus, teilweise auf der Intensivstation, fast ohne Hoffnung, dann scheinbar doch auf dem Weg zur Gesundung, so dass er zur Rehabilitation wechseln konnte. In einer Woche sollte er nach Hause kommen. Nun hat er eine neue Diagnose mit einer terminalen Prognose. Und vorgestern ist auch seine Frau nach einem Kreislaufkollaps und einer Nacht auf dem Fußboden ihrer Wohnung ins Krankenhaus eingeliefert worden (natürlich ist kein Besuch erlaubt). Sie weiß im Moment noch nicht, wie es um ihren Mann steht - das ist auch der Tochter erst gestern mitgeteilt worden. Sein letzter Wunsch: zum Sterben nach Hause kommen und seine Frau noch einmal sehen. Die Tochter ist kurz vorm Durchdrehen, da seit dem Sturz klar ist, dass auch ihre Mutter offensichtlich alleine nicht mehr zurechtkommt. Es bricht einem das Herz.

Per Olof Enquist ist gestorben. 86-jährig.  "Mein schwedischer Lieblingsautor" schreibt ein deutscher Freund auf Facebook. Ich habe kein einziges Buch von Enquist gelesen, habe sofort ein schlechtes Gewissen deshalb. Woher kommt es?

Jetzt heile Katzenwelt am Abend: Cleo liegt neben mir, nachdem Caesarion, den sie zuvor eifersüchtig beäugt hat, hinausgegangen ist. Punxy hat es sich auf Cleos Diwan bequem gemacht. Ich werde nur noch das Katzenklo saubermachen und dann auch ins Bett gehen.



XXXIX - (27.April)


2020/04/27 20:28

Eine andere Einstellung zu meinen Aufzeichnungen finden. Ich hechele nur den "Ereignissen" hinterher, in einem ereignislosen Leben.

Erwachte aus einem Traum heute morgen, nachdem ich wieder eingeschlafen war, obwohl draußen schon die Sonne hell schien. Agnes war mit dem knallroten Anorak von P weggelaufen. Er war irgendwie auf ihr gelandet, wie ein Schildkrötenpanzer. Ich lief hinterher, einen Abhang hinunter, aber als ich ankam, sagte eine Frau, die dort in einer Gruppe mit anderen Frauen stand, sie habe den Anorak schon an einen Jungen gegeben, der ihn haben wollte, weil er (der Anorak) ja besitzerlos war. Sie hatte aber Verständnis für meine Situation. Ich weiß nicht, wie und warum, aber ich schlief neben ihr ein, so wie ich auch in meinem Bett einschlief, von der Müdigkeit überwältigt, und hoffte auf irgendeine Lösung des Problems, vielleicht darauf, dass der Junge wieder zurückkäme. Der Anorak kommt aus Finnland, erzählte ich ihr noch, als tue das etwas zur Sache. 

Beschloss am Wochenende, das Bibliotheksbuch, das inzwischen schon über einen Monat verspätet ist (die Bibliothek erlässt mir die Gebühren aber) mit der Post zurückzuschicken. Gedichte von Mary Oliver. Ging also zum ersten Mal seit vier Wochen den Weg hoch ins Dorf. Als ich die Postfiliale betrat, kam ich mir vor wie das Ereignis des Tages, so herzlich empfangen wurde ich. Ich kaufte einen Briefumschlag (fakelós), steckte das Buch (biblío) hinein und bezahlte dann horrende 14 Euro für den Versand. Wie lange es dauern wird? Vier bis fünf Tage, sagte die Frau hinter der Glasscheibe. Ich glaubte erst, sie sei dabei, "Wochen" zu sagen. Der Brief von P ist immer noch nicht angekommen, ich habe keine Ahnung, wie viele Wochen er jetzt schon unterwegs ist.

Das Traurige an der Buch-Geschichte ist, dass ich die Gedichte nicht (oder kaum) gelesen habe. Sie hätten eine innere Ruhe erfordert, die ich nicht gehabt habe. Jedes Mal, wenn mein Blick darauf fiel, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Deshalb scheint mir das Geld für das Porto dann doch eine gute Investition in meinen Seelenfrieden zu sein. Eine Quittung bekam ich natürlich nicht, vergaß auch, danach zu fragen.

Seit gestern gehe ich jeden Tag einmal im Meer baden. Es ist gut, einen weiteren festen Termin zu haben: Fünf Uhr nachmittags. Stelle das Fahrrad neben dem Hotel Delphinia ab und laufe dann durch den Park zum Strand. Ein noch aus dem letzten Jahr wohlbekanntes Ritual. Ziehe mich um und balanciere über die Steine ins frische Wasser hinein. Gestern wie auch heute waren ein paar junge Leute da, die nebeneinander auf ihren Badehandtüchern lagen. Ich blieb hinterher ein wenig auf einem Mäuerchen sitzen und las in dem Roman "Die Carreta" von B.Traven. Eigentlich weniger ein Roman als eine soziale Kampfschrift. Man wird wirklich vom Ekel gegen die westliche Zivilisation erfasst, die auf Ungerechtigkeit, Brutalität, Verlogenheit, Heuchelei gebaut ist.

Gestern widmete ich viele Stunden der Aufnahme und hinterher dem entnervenden Hochladen von Tänzen für den neuen Workshop. Zwischendurch geisterte ich auf dem leeren Seminargelände herum, in Fenster spähend, Türen zu den leerstehenden Zimmern öffnend. Ich betrat den Romawagen, in dem P und ich wohnten, als wir zum ersten Mal gemeinsam hier waren. Die Tür stand weit offen, wegen Arbeiten im Badezimmer, sonst hätte ich mich nicht getraut, hineinzugehen. Es gibt ein Foto von mir, mit dem Akkordeon (und einer Schildmütze, die ich schmerzlich vermisse) auf der Treppe sitzend. Prüfend machte ich ein paar Schritte im Labyrinth, hatte aber keine Geduld, es ganz abzugehen, und kehrte wieder um. Ging dann die Treppe hinunter zum Erdtempel, der auch offen war. Der große Bergkristall, der sonst immer in der Mitte stand, ist noch in ein Geschirrtuch eingewickelt und liegt in einer Kiste auf der Bank. Die Dachöffnung ist mit einer großen Plastikscheibe bedeckt.

Wenn ich das Haus putze, muss ich immer an Thoreaus Beschreibung denken, wie er in seiner Hütte in Walden einmal in der Woche alles vor die Tür stellte und dann das Haus ausfegte. Ungefähr so mache ich es auch und trage alle Möbelstücke, eins nach dem anderen, auf die Terrasse. Außer dem allgemeinen Hausputz suche ich mir außerdem jede Woche  ein paar Stellen im Haus für gründlichere Prozeduren aus. Dieses Mal bürstete ich die Fugen zwischen den Fliesen mit Bikarbonat, putzte die Fenster mit Essig-Spülmittel-Wasser, staubte das Regal ab, das über dem Bett entlangläuft. Die Bücher, die Teller, die Bilder, die ganze lebendige, vielfältige Geschichte, die dieser Ort für uns inzwischen angesammelt hat.

Heute Morgen, als ich aufwachte, war ich mir plötzlich ganz klar des Augenblicks bewusst, hörte das Singen der Vögel mit einer nie dagewesenen Klarheit. Es wurde so deutlich, dass ich sonst jeden Augenblick mit Ungeduld erlebe, als eine Projektion auf die Zukunft (oder die Vergangenheit).

XXXVIII - (25.April)


2020/04/25 20:04

Die Lehrerin des Aquarellkurses: eine junge Frau japanischer Abstammung, die in Argentinien lebt. Etwas an ihrem Gesicht fasziniert mich: Es ist auf den ersten Blick völlig unbeweglich, drückt aber viele Emotionen aus, oft sogar gleichzeitig, z.B. Traurigkeit und kindliche Freude. Die Übungen sind einfach, das ist auch für mich tröstlich und besänftigend. 

Heute ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass ich Angst vor dem Moment habe, wo die Ausgangsbeschränkungen wieder aufgehoben werden: zurück ins normale Leben. Ich schaute heute interesshalber nach, ab welchem Datum Flüge nach Kopenhagen gehen, aber es ergriff mich gleich der Widerstand. Ich möchte nie mehr weg von hier, nie mehr in ein Flugzeug steigen, nie mehr in einer Abflughalle stehen. Ich möchte nie wieder zurück in das Leben, das ich in Malmö zurückgelassen habe. Ich habe Angst davor, dass meine Zeit hier einfach aufgesogen wird vom Alltag, von meinen (oft schlechten) Gewohnheiten. Ich möchte immer hier sitzen, an diesem Tisch, mit dem Blick auf die Berge und auf den Sonnenuntergang, und am Morgen mit einer Tasse Kaffee auf dem Bett griechische Phrasen plappern, vor dem Haus Tänze üben, mit dem Fahrrad zu Theodosos einkaufen fahren. Ja, warum eigentlich nicht.

Giannis kam heute um neun mit Auto und Abhänger rückwärts den Abhang hochgefahren.  Nach zwei Stunden konzentriertem Beschneiden des Baums wollte er 20 Euro von mir haben. Er sah fast schuldbewusst aus, als er das sagte. Ich gab ihm 30. Fragte, ob er sich vorstellen könnte, sich um den Garten zu kümmern, wenn wir nicht hier sind. Er sagte zu, was P, deren Idee das Ganze war, sehr beglückte. Vangelis kam später an und verlangte für Rasenmähen, Zusammenrechen und Wegfahren 65 Euro. Das kam mir dann wiederum unverhältnismäßig viel vor. Andererseits hat er auch den Schlauch der Bewässerungsanlage geflickt, dafür Reserveteile besorgt. Die Mähmaschine ist gemietet und läuft mit Benzin, da fallen natürlich auch Kosten an. P schlug vor, ich sollte mir von Dino, dem Steuerberater, eine Steuernummer geben lassen, um an ihr Bankkonto zu kommen. Warum schreibe ich das alles? Weil meine Datei "Braindump" heißt. Notizen ohne Wert.

Als Giannis fertig war mit dem Beschneiden, fragte ich ihn, wie es um den Olivenbaum bestellt sei. Ach, sagte er, der wird noch viele Besitzer sehen in seinem Leben. Er gebe ihm noch 600 Jahre. Hingegen konstatierte er den endgültigen Tod der Terpentinpistazie vom Nachbargrundstück. Die muss gefällt werden.

Jedenfalls bin ich deshalb gestern nach dem Aufstehen zum Olivenbaum gegangen und habe ihn umarmt, meine Wange gegen seine Rinde gedrückt. Ich sollte es jeden Tag tun, dachte ich da noch, aber heute hatte ich es natürlich schon wieder vergessen.

XXXVII - (24.April)


2020/04/24 23:25

Gestern mit Georgios Auto zum Tierarzt Adamantios, der am Morgen am Telefon kurz angebunden war und jetzt umso freundlicher ist. Caesarion wird für gesund erklärt. Er erzählt, der Virus habe seinen geplanten Umzug nach Athen erstmal aufgeschoben. Aber warum? rufe ich hinter meinem Mundschutz. Warum Athen? Weil ich eine Veränderung in meinem Leben brauche. Aber ich habe doch angefangen, dich zu mögen! Das ist natürlich kein Argument, deshalb behalte ich es auch für mich. Die Freude über Caesarions Gesundung währt nur kurz, weil ich am Abend wieder Blut im Katzensand sehe.

Versuche, meine Tagesroutine jetzt streng einzuhalten. Spätestens um acht aus dem Bett, dann Frühstück und Griechisch, Sitzen und Yoga unter dem Dach. Hinterher unabhängig vom Wetter vier Stunden arbeiten, mit Zeitplan. Danach habe ich frei. Spaziergang, Bad im Meer, Lebensmittel einkaufen (so wie heute). Gegen Abend etwas Arbeit im Garten und hinterher ein Bild. Mich bei den Bildern nicht ablenken lassen von der Angst, dass sie denjenigen, dessen Fotooriginal ich abmale, enttäuschen könnten.

Steuererklärung eingeschickt. Tänze geübt. Nachmittags zum Einkaufen gefahren. Weil Theodosos zu hatte, war ich im kleinen Laden am Dorfeingang. Die junge Frau beruhigte mich, als ich anfing, mich wortreich wegen des Tragens des Mundschutzes zu rechtfertigen: "It's ok."

Hamish humpelt immer noch. Heute Reviermarkierung gegenüber dem anderen roten Kater, dem Kater mit dem traurigen Gesicht. Sie standen sich wie Spiegelbilder gegenüber und stellten die Rückenhaare auf. Hamish gewann, der Kater mit dem traurigen Gesicht trollte sich.

Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn Geld auf meinem Konto ankommt. Ich meine, man würde schnell entdecken, dass ich es nicht wirklich verdient habe. Andererseits kann ich nie genug bekommen.


XXXVI - (22.April)


2020/04/22 18:50

Gestern und vorgestern nichts geschrieben.

Einen angebrochenen A1-Block mit 190g Zeichenpapier von U bekommen, der bei ihr herumlag, in dem mindestens noch zehn Bögen sind. Ein Bogen lässt sich in 16 A5-Stücke zerteilen. Das heißt, dass ich ein halbes Jahr lang jeden Tag ein Bild malen könnte.

Machte meine Steuererklärung. Als ich den Empfehlungen folgte, die für Freiberufler momentan wegen Corona gelten, kam ich zu dem Ergebnis, dass ich so viel Geld zurückbekomme, dass ich meine Schonzeit um zwei Monate verlängern kann. War so schockiert und aufgekratzt von dem Ergebnis, dass ich mich gar nicht traute, die Steuererklärung abzusenden. Irgendwo vermutete ich einen Haken, ein Aber. Es ist natürlich kein geschenktes Geld, denn innerhalb von fünf Jahren muss man es zurückzahlen. Andererseits gehe ich auch kein Risiko ein. Wenn mir Geld übrig bleibt, kann ich es zur Tilgung meiner Wohnungsschulden verwenden.

Um meine Gedanken zu beruhigen, fuhr ich zum Meer, mein erster Ausflug nach fünf Tagen. Lief durch den menschenleeren Park der Delphinia Hotelanlage, streunte zwischen den Bungalows herum, die jetzt geschlossen sind, die Fenster mit Zeitungspapier verklebt, folgte auf dem menschenleeren Strand der Wasserlinie, bis ich zu den Felsen kam, die das Ende des Strands markieren. schaute mich dort ein wenig um, gelangte dann durch ein Loch im Zaun auf eine große Wiese mit Terpentinpistazienbäumen. Ich spazierte dort ziellos herum, bückte mich, um an der Kamille zu riechen, die dort in großen Mengen wächst, gelangte an einen Zaun, der auch bei genauestem Inspizieren kein Loch oder eine Möglichkeit zum Drüberklettern anbot und ging dann wieder am Strand entlang zurück. Hoch zum Fahrrad. Diese ziellosen Spaziergänge machen mir sehr viel Spaß. Ich habe keinen Ehrgeiz, ein Pensum zu absolvieren, ich schaue nicht auf die Uhr, mache keine Fotos. Tatsächlich lasse ich das Handy zu Hause, weil ich sonst die Finger nicht davon lassen kann. Hinterher kam ich gut gelaunt nach Hause zurück. Vangelis hatte in der Zwischenzeit das Gras vor dem Haus gemäht.

Ein Kurs über japanische Aquarellmaleri auf einer Internetplattform. Das wohlige Gefühl, jemandem dabei zuzuschauen, wie sie einen Pinsel in Farbe taucht und dann eine Kontur auf dem Papier ausmalt. Hinterher muss ich mein neu gewonnenes Wissen ausprobieren, mit dem Ergebnis, dass ich nicht merke, wie die Zeit vergeht und erst nach Eins ins Bett komme.

Die beste Zeit des Tages ist das Frühstück. Wahrscheinlich habe ich schon davon geschrieben. Ich setze Kaffee auf, schneide Scheiben von meinem selbstgebackenen Brot ab, schalte den Computer ein. Während ich Milchkaffee trinke und Honigbrote esse, gehe ich durch ein paar Abschnitte meiner Griechischlektionen.  Allerdings wird das, was ich da lerne, nie im Alltag auf die Probe gestellt.

Das schwierige Autothema - meine Schwester bittet mich, mit unserer Mutter darüber zu reden, dass sie das Autofahren jetzt sein lassen soll. Sonst ist sie die "Böse". Ich rufe meine Mutter an. Berufe mich auf unseren Vater. Er hat doch auch ungefähr im gleichen Alter aufgehört zu fahren - allerdings hatte er eine Frau, die daran gewöhnt war, hinter dem Steuer zu sitzen. Sie scheint es zu akzeptieren. Aber morgen kann alles schon wieder ganz anders aussehen.

Heute Vormittag Meditieren unter dem Dach und hinterher eine Runde geleitetes Yoga. Es ist angenehm, einfach den Anweisungen von jemand anderem zu folgen, ohne mir selber Gedanken machen zu müssen. Den ganzen Tag muss ich mir selber Anweisungen geben und ihnen dann auch folgen. Das ist oft eine zähe Angelegenheit. Manchmal bin ich von einem vagen Gefühl der Unruhe und Unzufriedenheit erfüllt. Dann fange ich mich wieder. Stillhalten, einfach wahrnehmen, was ist.

Video-Gespräch mit A, der unverschämt gut aussieht. Sitzt mit seiner Sonnenbrille unter dem Apfelbaum auf dem Hinterhof, die Haare frisch abrasiert. Dagegen komme ich mir verwahrlost vor, mit meiner Notbrille, meiner herausgewachsenen Frisur und meiner provisorischen Prothese. Wir konstatieren, dass wir beide im Moment keine große Motivation haben, am Text weiterzuarbeiten. Er erzählt von der Corona-Situation in Malmö. Eigentlich kein großer Unterschied zu vorher, behauptet er. Die Leute sitzen in Cafés als wäre nichts. Er kennt auch niemanden, der den Virus hat. Die Leute, die sie aus der urologischen Abteilung zur Covid-19-Station überweisen, weil sie Fieber haben oder husten, kommen in der Regel mit einem negativen Testergebnis zurück.

Wir vereinbaren, dass ich ihm Fragen schicke und er sie dann mündlich beantwortet.

Fast zwei Stunden am Meer, in der späten Nachmittagssonne, mit Alex Garland "The Beach". Die Stimmung des Buchs springt auf mich über. Dieses vage Unbehagen, aber auch die Lust daran, dem Unheil zu folgen.




XXXV - (19. April)


2020/04/19 23:45

Wie ist es wieder so spät geworden? Neben mir liegen die Reste des Tages. Habe Stunden damit verbracht, Palmwedel zu Untersetzern zu flechten, auf dem Terrassenboden sitzend. Man macht sich das oft nicht klar, dass hinter allem, was wir benützen, womit wir uns umgeben, die Arbeit eines Menschen steckt. Z.B. die von Hand applizierten Kissen, die P in Indien gekauft hat, die ich jetzt jeden Abend vom Bett entferne, wenn ich mich schlafen lege.

Habe Caesarion seine letzte Pille eingeworfen. Seine Augen sehen besser aus, und sein Urin riecht auch weniger scharf, bilde ich mir ein. Das neue Futter ist inzwischen auch akzeptiert worden. Der Schorf auf seiner Nase ist abgefallen. Vielleicht beruhte er auf Vitaminmangel und der Vitaminsaft, die ich ihm jeden Morgen aufs Bein geschmiert habe, damit er ihn abschleckt, hat etwas bewirkt?

Zum Osteressen bei U und I. Gefülltes Lamm, Salat, gekochter Blumenkohl und Broccoli. Dazu ein guter Rotwein, der von einem Deutschen in Eressos angebaut wird. Ich hatte zwei Palmblattuntersetzer mitgebracht, über die sie sich freuten. U ist vor drei Tagen gestürzt und hat sich das rechte Handgelenk gebrochen. Da wohne ich nur dreißig Meter entfernt und habe davon nichts mitbekommen.

Versuchte, im Internet neues Papier zu bestellen, aber ein Laden für Künstlerbedarf in Athen akzeptierte die Bestellung nicht - ich kam nicht weiter, gab schließlich auf. Versuchte es dann gegen meine Prinzipien bei Amazon, aber zum Glück war die Homepage grade in dem Augenblick überbelastet. Werde jetzt doch P bitten, dass sie mir etwas Papier, das bei mir herumliegt, mit der Post schickt, allerdings dauert es momentan etwas vier Wochen, bis Post hier ankommt. Die neue Telefonkarte, die P mir geschickt hat, ist immer noch nicht angekommen.

Malte mein heutiges #otherpeopleshomes auf eine Ikea-Tüte. Ich kann deutlich bei mir feststellen, dass ich je nach Vorlage in unterschiedliche Stimmungen gelange, mehr oder weniger inspiriert bin, mich mehr oder weniger engagiere. Heute war so ein Tag, wo ich mich irritiert fühlte, weil mir jemand ein Bild mit so vielen Details geschickt hatte, die ich unmöglich rüberbringen kann. Es wurde also nur ein Durcheinander.

(Zwei Tage später konstatiere ich, dass dieses Bild die meisten Herzchen meiner Serie bekommen hat - mir völlig unbegreiflich.)



Samstag, 18. April 2020

XXXIV - 18.April


2020/04/18 10:28

Es soll ein heißes Ostern werden. Schon am Morgen ist es in der Sonne warm. Gestern Abend war die Luft geschwängert von Weihrauch, als hätte man das ganze Dorf eingeräuchert. Ich hörte den Popen über den Kirchenlautsprecher singen, dann war griechische Tanzmusik zu hören. Derweilen war ich hier in meiner kleinen Blase und versuchte, meinen Tolino wieder mal zum Leben zu erwecken. Es gehörte zwar nicht zum Szenario meiner Super-GAUs, tut aber trotzdem weh, dass er nicht reibungslos funktioniert. Auf dem Tisch stapeln sich inzwischen schon Bücher, die ich in Seminarhaus gehamstert habe. Es ist jetzt vielleicht endlich auch mal Zeit, Xenophons Persian Expedition zu lesen. Ich würde nur gerne wissen, wie der Krimi ausgeht (Ben Aaronovitch: A Whisper Under Baker Street), nachdem ich mich schon mit der Hauptperson in der Londoner Untergrundkloake gesuhlt habe.

Die letzten Tage waren etwas zerhackt und unkonzentriert. Aber jetzt habe ich wieder eine Aufgabe gefunden: ein kleines eingemauertes Rundell zu einem geschützten Sitzplatz umzuwandeln. Ich sägte Palmwedel ab, die den Zugang versperrten und stach mich mindestens fünf Mal an den scharfen Stacheln, zweimal davon in den Kopf. Ich verstehe jetzt auch, dass man auf die Idee kommen konnte, Palmwedel als Dachbedeckung zu benützen. Die Konsistenz ist hart, sie bleiben in Form und die „Blätter“ bestehen aus einem zähen Material, das auch beim Trocknen nicht aus der Form gerät. Leider habe ich im Moment keine Verwendung dafür (oder vielleicht doch?). Ich fing an, das Unkraut in dem Rundell zu jäten, lasse aber ein paar Sukkulenten stehen, die sich im Sand verbreiten können. Eigentlich war dieser Platz dafür gedacht, hier evt ein Campingzelt aufzustellen, ist aber dazu nie genutzt worden. P informierte mich hinterher darüber, dass der Platz uns nur zu einem Drittel gehört. Aber niemand kann etwas dagegen haben, wenn ich manchmal da sitze und eine Tasse Kaffee trinke oder ein Buch lese.

Radelte am Donnerstag (vorgestern!? gefühlt vor einer Woche) nach Petra. Inzwischen fürchte ich mich gar nicht mehr vor der Strecke mit den starken Steigungen. Sogar im Gegenwind auf dem Rückweg schaffte ich es, die Steigung hoch zu radeln, ohne absteigen zu müssen. Wichtig ist nur, dass die Bremsen wirklich funktionieren, für die rasanten Bergab-Fahrten. Kaufte im Tiershop neues Spezialfutter für Caesarion und versuchte, einige Fragen zu klären. Keiner der Tierärzte war da, aber die Assistentin konnte mir helfen. Radelte in Hochstimmung zurück. Diese Ausflüge tun mir gut. Danach Einkaufen bei Theodosos, diesmal schon nach sieben Tagen, wegen der Osterfeiertage. Alles gut, sagte er lachend, immer noch ohne Mundschutz. Ich unterhielt mich mit einem älteren schwedischen Paar, die irgendwo hier in der Nähe ein Haus haben und eigentlich ganz planmäßig hier sind. Interessant, dass ich bei Schweden extrem selten (statistisch: nie) ein spontanes Gefühl der Nähe empfinde. Bei Griechen kann das im Bruchteil einer Sekunde entstehen. Ich saß gestern auf einem Mäuerchen, wo ich Wifi-Empfang hatte, und checkte Mails etc. Ein ziemlich ramponiertes Auto kam vorbei, hielt an, die Fahrerin fragte nach dem Weg zu Us Wohnhaus. Ich deutete den Abhang hoch. Ah, ok, danke. Kurze Zeit kam das ramponierte Auto wieder zurück. Ich signalisierte, dass ich etwas fragen wollte, und sie hielt neben mir an. Ja, sie sei die Besitzerin vom Restaurant Tropicana. Ja, man könne telefonisch Essen bestellen. Wir kamen drauf, dass wir auf Instagram verbunden sind. Ah! Sie erinnerte sich an meine Zeichnungen vom letzten Jahr. Gleich wollte sie die Hand zum Fenster rausstrecken, besann sich dann eines Besseren. Später mal, sagte ich, können wir das tun. Es war so ein Fall von sofortiger Sympathie, so ein Funken, der überspringt, von Augenwinkel zu Augenwinkel. Du bist eigentlich Griechin, sagte P zu mir am Telefon. Das habe sie sich schon länger gedacht.

Katzenkrankenschwester außerdem. Muss jetzt Hamish und Caesarions Medizineinnahme timen. Der Erstere ist wie ein pelziges Baby. Er frisst alles, was man vor ihn hinstellt. Mampf. Außerdem hat D eine besonders leckere Futterauswahl für ihn vorbeigebracht, damit er auch wirklich zweimal am Tag kommt. Cleo zischt manchmal beleidigt ab, wenn Hamish seinen Lachs in pikanter Soße in sich hineinschlabbert, vermischt mit Antibiotika, weshalb ich jede andere Katze daran hindern muss, an seine Futterschale zu kommen. Er humpelt noch immer, aber ich rieche täglich an der Tatze und schaue ihn gründlich an, und nichts scheint infiziert zu sein. Caesarion macht keinen besonders guten Eindruck, wird immer dünner. Das Spezialfutter schmeckt ihm nicht. Die Tabletteneinnahme ist außerdem immer ein Riesenkampf. Ich muss ihn auf meinen Schoß hieven, mit einem harten Griff im Nacken, und die Tablette in ihn hineinzwingen. Manchmal spuckt er sie hinterher doch wieder aus, und wir müssen wieder von vorne anfangen. Zermürbend für uns beide. Heute ist der letzte Tag, aber ich bin nicht sicher, ob es nicht eine Verlängerung geben wird. Muss Myrsini am Dienstag anrufen.

Auf WhatsApp schicken wir inzwischen Selfies mit Mundschutz hin und her. Meine Geschwister ganz modisch elegant (obwohl mein Bruder findet, dass sein Mundschutz eher einem Wirsingblatt gleichsieht). Ich natürlich mit DIY-Modell. R und S, die heute heiraten (wollten, aber wegen Corona wurde die Trauung abgesagt), haben sich ihre Mundschutze mit weißen Spitzen verschönert. Meine Mutter schaut unglücklich über den Rand des Mundschutzes, den meine Schwester ihr gebracht hat.

Mit meinen #otherpeopleshomes-Zeichnungen gerate ich regelmäßig in eine Krise. Es ist mir aber bisher noch immer gelungen, mich irgendwie hindurchzuarbeiten. Jedes Bild kommt mir zunächst unmöglich vor, aber das Ergebnis gefällt mir dann doch irgendwie. Das letzte Bild hat sich von allen anderen unterschieden, vor allem, weil zwei Katzen drauf waren. Eine Herausforderung. Erst machte ich einige Versuche mit Blindzeichnungen, dann einen konventionellen Versuch, scheiterte aber an unzähligen Details und zerriss ihn (das kommt nicht oft vor). Schließlich pantschte ich einfach Farbe auf ein Papier, ließ es trocknen, und arbeitete dann die Grundzüge des Motivs mit Negativkonturen raus, mit Hilfe von weißer Gouache, inspiriert von einer Landschaftsmalerin, die Tutorials auf Instagram macht. Die meisten Details ignorierte ich einfach, aber nicht alle, zum Beispiel in einem Bild an der Wand die Silhouette eines Manns mit Hut, von dessen Zigarette eine Rauchwolke aufsteigt (Kinoreklame für „China Town). Oder eine Krawatte, die an der Jalousie hängt. Ich habe jetzt schon eine Warteschlange für die nächsten Bilder. Bis Nummer 30 mache ich weiter, dann widme ich mich wieder dem, was ich hier vor der Nase habe. Ich werde jedenfalls mutiger und habe immer mehr Selbstvertrauen. Lerne eine Menge, mit jedem Bild, das ich male.


XXXIII - 15.April


15.3.

Regen, Kälte. Im Teepavillon, Büroarbeit. Wohnkooperative. Schreibkurse. Steuerkram. Auf Hamish gewartet (und auch jetzt wieder). Sauerteigbrot gebacken. Zum Abendessen: Auberginen in Tomatensoße mit Nudeln, Ladotiri darüber gehobelt. Irgendwie erschöpft.

Suchte nach meiner Speicherkarte und dachte, eine Katze hätte sie vielleicht unter das Bett geschubst. Zog die Lade mit der Bettwäsche hervor und entdeckte in dem abgeschlossenen Raum unterm Bett zahllose Milchpaketverschlüsse, Berge von Katzenhaaren und toten Insekten. Die Speicherkarte war dann doch nicht da, sondern unter dem Dach.

Arbeit am A-Text.

Sammelte einige Bilder ein für mein Projekt #otherpeopleshomes, habe aber heute zum ersten Mal keine Lust, etwas zu zeichnen.

Das Wetter ist es. Die zermürbenden Katzengeschichten. Ständig eine Unruhe. Shanti war auch in Malmö gestern und heute beim Tierarzt, Röntgen und Ultraschalluntersuchung wegen ständigen Erbrechens, aber schließlich konnte man wieder nichts finden außer der altbekannten Tatsache, dass er an IBS leidet. Das Herz klingt angeblich gut. 



Montag, 13. April 2020

XXXII - 13.April


2020/04/13 18:25

Als würde ich das Katzenunglück anziehen. Gestern registrierte ich, dass Hamish eine Weile nicht dagewesen war. Heute früh kam er auf drei Beinen humpelnd an und setzte wieder eine Kette von Ereignissen in Gang, als deren Resultat ich jetzt im sonnendurchfluteten Haus eingesperrt bin und sein Aufwachen aus der Narkose überwache. In der Zwischenzeit hat er zweimal gekotzt, einmal auf den Boden gepinkelt, versucht, durch das Mückennetz zu entkommen, ist vom Tisch gefallen und hat die anderen Katzen dazu gebracht, beleidigt abzuziehen, weil ich ihnen die Tür nicht geöffnet habe.

Wie es sich wohl anfühlt, kastriert aufzuwachen, fragte ich den Tierarzt Adamantios. Ich weiß es nicht, sagt er, aber ich denke viel darüber nach. Adamantios und ich sind bei meiner Ankunft aneinander geraten, weil ich mit Myrsini geredet hatte, aber nicht mit ihm, doch am Ende schieden wir als beste Freunde. Jetzt habe ich seine Telefonnummer und sogar die Erlaubnis, ihm SMS zu schicken. Wahrscheinlich war er mehr sauer auf Myrsini als auf mich. Das Bein war dann doch nicht gebrochen, Hamish hat sich, wahrscheinlich, weil er irgendwo feststeckte, eine Kralle rausgezogen und das Bein dabei verrenkt. Jetzt sitzt der stinkende Lümmel auf meinen Knien. In ein paar Tagen wird es ihm schon wieder gut gehen, so Adamantios, während er Tabletten über die Theke schiebt, die ich mit einem Augenrollen entgegennehme. Ich habe jetzt einen ordentlichen Termin für meinen nächsten Besuch, auf einem Stück Papier.

Für Cleo sollte ich Augentropfen in der Apotheke abholen. Man wartet davor, bis man reingebeten wird. Ein alter Grieche, der es als seine Aufgabe ansah, die wartenden Kunden zu unterhalten, sprach mich an. Wo ich herkomme. Deutschland. Ah, gut. Er hat acht Jahre in Kanada gewohnt, aber auch einige Monate in Deutschland, wo er das "schwarze Brot" zu schätzen gelernt hat. Die Apothekerin mit dem Mundschutz bedient mich, die Kundin mit dem Mundschutz, der aussieht wie ein halbierter Bikini. 

Hatte wegen meinem Hausarrest die Gelegenheit, endlich mal wieder am A-Text zu arbeiten. Heute ging es um Katzen, passend zum Tagesthema, aber es war ein trauriges Kapitel, nicht in der Lage, mich aus meiner trüben Stimmung zu holen. Auch wieder große Zweifel am Text, Unsicherheit in den Formulierungen. .

Außerdem hat mein Tolino in der letzten Zeit andauernd gezickt. Zwischendurch schien es sogar, als hätte er ganz den Geist aufgegeben. Ich versuchte heute, ihn ins Leben zurückzuholen, indem ich ihn auf die Fabrikeinstellungen zurücksetzte. Natürlich musste ich hinterher wieder mühsam alle Kennwörter eingeben. Wenigstens scheint er jetzt wieder zu funktionieren.

Zum Mittagessen bekam ich einen dicken Kartoffelfladen, weiße Bohnen mit Dressing und Krautsalat mit Apfel und Kürbiskernen. U kam mit ihren Walking-Stöcken vorbei und lud mich zum Osteressen am nächsten Sonntag ein. Es gibt Lamm. Ist das ok? Ja, ist ok. Ein Restaurant im Dorf öffnet übrigens in Kürze für Bestellungen, informierte sie mich. Man kann das Essen selber abholen oder liefern lassen. Ich bedankte mich für die Info. Mein Speiseplan kann vielleicht tatsächlich eine kleine Abwechslung vertragen, sagte ich.

Der Tierarztbesuch heute hat mich übrigens insgesamt nur zehn Euro gekostet, für Cleos verschiedene Augentropfen und -cremes. Die Kosten für Hamish (Streunertarif) übernahm D, der mir auch sein Auto lieh. 





XXXI - 12.April


2020/04/12 22:46

Abends. Ich muss versuchen, früher ins Bett zu gehen.

Gestern und heute sonnig, heute etwas kälter, windiger.

Die Tage schieben sich einfach weiter, einer den anderen, einer nach dem anderen.

Die Schreibkurse dünnen aus - Leute verschwinden. Was kann ich tun? Nichts.

Heute eine Fahrradtour nach Eftalou. Setzte mich dort auf eine Mauer, machte eine Blindzeichnung. Ging zum Badehaus der heißen Quelle, seit letztem Herbst außer Betrieb. Eine wilde Katze starrte mich an. Der Verfall - die Erinnerung an eine bessere Zeit: der Stuhl, auf dem Filippo immer saß und auf das Meer blickte. Die Erinnerung an die Stimmen der Frauen aus dem Inneren des Hauses, an Eleftherias freundliche Begrüßung, Umarmung. An die Massagen im ersten Stock, bei offenem Fenster, zum Geräusch der Wellen. Diesmal habe ich Eleftheria nur einmal gesehen, mit Mundschutz, aus der Ferne. Wir winkten uns zu.

Ich saß ein wenig vor dem Haus auf einem Absatz und schaute aufs Meer. Dachte an die Flüchtlingsboote, die man von hier sehen konnte und deren Ankunft mir die Tränen in die Augen trieb, an die Flüchtlingsströme, die ein paar Wochen lang täglich durch das Bad zogen. Aus dem Heißwasserpool blickte man auf die Füße der Leute, die gerade eben in Europa angekommen waren und noch nicht wussten, was sie erwartete. Das Gedränge auf der Straße, die Busse, die Frauen und Kinder zum Auffanglager brachten. Wie ich einmal in diesem Gedränge nach meiner Jacke suchen musste, die jemand aus einem Missverständnis heraus in der Umkleide mitgenommen hatte.

Jetzt saß ich ganz allein da und schaute aufs Meer. Ein winziger Ort, versteckt von der Welt. Und doch hat hier Weltgeschichte stattgefunden.

Ich radelte dann wieder zurück, vorbei an vereinzelten Ausflüglern. Irgendwo bellten Hunde wie verrückt, völlig außer sich. Gibt es jemand, der sich um sie kümmert? Die Leute wissen hier wohl, was ihre Nachbarn tun. Mich hier einzumischen kommt mir nicht angemessen vor. Die Sprache ist auch eine große Hürde.

Vielleicht fand heute eine Art Zäsur statt. Habe mein Telefon im Teepavillon gelassen. Versuche mich den Zeichnungen freier, leichter zu nähern. Eine Illusion von Wirklichkeit entsteht, wenn man die Wirklichkeit zeichnet. Genauso eine Illusion wie die Wirklichkeit selbst. Vielleicht liegt darin die Faszination von Zeichnungen, Malereien, der Verdoppelung dessen, was ist, was wir sehen können, was sich vor unseren Augen befindet.

Mein täglicher Kampf mit Caesarion, um ihm die Tablette einzuwerfen. Er starrt mich mit hilflosen Augen an, während ich ihn mit einem eisernen Griff im Nacken fixiere, ihm die Tablette ins Maul zwinge, dann seinen Hals entlangstreiche, um ihn zum Schlucken zu bringen.

Morgen muss ich Myrsini wegen Cleos Auge anrufen. Diese Dinge trüben meine Stimmung.



XXX - 10.April


2020/04/10 18:36

Heute die erste schlechte Nacht, seit ich hier bin. Es lag daran, dass Caesarion die ganze Nacht schrie. Ich wollte ihn aber nicht rausstampern, weil ich das Gefühl hatte, dass es ihm schlecht ging. In der Früh dann der Versuch, ihm die Antibiotika-Tablette mit Joghurt zu verabreichen. Gestern funktionierte es noch, heute verschmähte er die rosa Mischung. Auf allen Vieren kroch ich hinter ihm her und schmierte Joghurt auf seine Tatzen und schaute dann zu, dass er nicht aufs Bett sprang, bevor er sie nicht abgeleckt hatte. Trotzdem war noch eine große Portion Joghurtmedizin übrig. Gerade habe ich sie weggeworfen. Heute Abend versuche ich es mit der Handtuchmethode: Katze in Handtuch einwickeln, so dass nur noch der Kopf rausschaut. Maul öffnen, Tablette reinwerfen.

Verkehrte Welt: Punxy macht sich über Caesarions Spezialfutter mit großem Appetit her, ihn muss ich dazu überlisten (und selbst dann frisst er nicht).

Karfreitag. Nach dem anstrengenden gestrigen Tag (Radtour nach Petra, Caesarion abholen, dann zurückradeln, nachmittags Tanzworkshop mit Vor- und Nachbereitung, dann Betreuung meiner Schreibkurse, bei denen ich mich auch ein wenig im Schwitzkasten fühle) und der fürchterlichen Nacht mit gefühlten 0 Minuten Schlaf nahm ich mir vor, diesen Tag einfach kommen und gehen zu lassen. Schließlich jätete ich etwas Unkraut im Hochbeet und unter dem Olivenbaum, grub eine tote Rosenwurzel aus und grub eine andere, größere an, leerte endlich den Kleiderschrank aus räumte ihn dann ordentlich wieder ein. Machte die Salzkruste an der Türschwelle weg, die noch vom November hier ist. Das Salz hält die petroleumstinkenden Tausendfüßler ab, die bei feuchtem Wetter in großer Zahl ins Haus gekrochen kommen. Schlief einen anstrengenden Schlaf auf einer der Sonnenliegen. Las den Krimi "Rot auf Schwarz" aus und fing einen London-Magie-Krimi von Ben Aaronovich an. Ich habe zurzeit einfach keine Lust auf schwerere Kost. Dann sortierte ich Wäsche, brachte sie in den Waschkeller und setzte eine Ladung in Gang. Lag dazwischen wieder todmüde auf dem Bett herum, habe aber jetzt trotzdem das Gefühl, dass der Tag nicht ganz umsonst war.

Großeinkauf gestern bei Theodosos, der guter Dinge war. Wieder einmal fragte er, wie viele Katzen ich habe. Drei plus eins, sagte ich. Und dann noch drei, die ich als "Gäste" betrachte. Insgesamt also füttere ich sieben Katzen.

Traf gestern in Molivos zwei Touristen aus Berlin (typische alternative Berliner Jungmenschen, offen und interessiert). Sie saßen auf der Treppe vor dem Bankomat, wir kamen ins Gespräch. Sie seien in Marokko gewesen, wollten jetzt nur nach Hause. Wohnten bei einem Freund in Mytilini, jetzt auf einem Tagesbesuch im ausgestorbenen Molivos. Über Zürich könnten sie zurückfliegen, erzählten sie.

Immer wieder kriege ich besorgte Fragen wegen Moria. Als wäre Lesbos nur Moria, als wäre nichts anderes auf der Insel von Interesse als Moria. Als sie die ganze Insel durch Moria diskreditiert. Die Wahrnehmung der Insel Lesbos wird komplett von Moria dominiert.

Am Mittwoch nähte ich eine Mund-Nasen-Maske. Es dauerte den ganzen Nachmittag, ich machte drei Versuche, mit verschiedenen Stoffen und Modellen, unterbrochen von meinem Mahamudra-Kurs, bei dem ich wieder, in Schals und Decken eingewickelt, im Teepavillon saß, mit einer Thermosflasche heißem Wasser und einem Teebeutel Ingwer-Zitrone, den ich im Schrank gefunden hatte. Danach das Chaos meines Nähwahnsinns beseitigt, Stecknadeln, die auf den Boden gefallen waren, überall Stoffreste, Nähfadenstücke, Bügeleisen, Bügelbrett, Scheren, Auftrenner etc. etc. Konnte mir noch nicht vorstellen, dass ich sie einmal aufsetzen würde. Aber schon am nächsten Tag in der Tierarztpraxis in Petra kam sie zum Einsatz, und wenig später im Lebensmittelladen.
Es laufen hier schon länger Menschen mit Masken herum, fast immer Frauen, eigentlich hebt niemand auch nur eine Augenbraue. Man hat es ja jetzt auch in den Medien zur Genüge gesehen. Im Internet haben sich Mund-Nase-Masken zu einem modischen Accessoire entwickelt. Mein Instagram-Feed füllt sich mit selbstgenähten Mund-Nasen-Masken in allen Formen, Mustern, Farben.

Jetzt müde. Bett.   



XXIX - 7.April


2020/04/07 22:51

Krisentag. Vor allem wegen der Kälte, der Aussicht auf noch mehr Kälte und Sturm. Verbrachte ein paar Stunden dick eingemummt am Schreibtisch. A-Text. Vorher Meditation und Yoga. Griechischlektion.

Draußen geht auch jetzt wieder ein starker Wind, aber am Nachmittag konnte ich doch hinausgehen in die Sonne, obwohl es ziemlich windig war. Brachte den Müll weg und lief eine Runde, diesmal in der anderen Richtung, beim Parkplatz anfangend. Sah einen alten Mann, der auf einem verlassenen Grundstück ein großes Grasbündel zusammengesammelt hatte und jetzt auf dem Rücken davontrug. Vier schwarzgekleidete Personen begegneten mir, zwei Frauen und zwei Männer, in ordentlichem Abstand voneinander, was dazu führte, dass sie den ganzen Gehweg einnahmen und ich mich fragte, wie wir aneinander vorbeikommen sollten. Einer der Männer scherte aber dann aus, so dass ich mich am Rand vorbei drücken konnte.

Telefongespräch mit Myrsini. Es geht Caesarion viel besser, sagt sie. Es ist eine Blasenentzündung, die Nieren sind aber soweit ok. Er muss jetzt erstmal Spezialfutter fressen. Habe organisiert, dass U, die am Donnerstag mit Max zur Tierarztpraxis in Petra fährt, auf dem Rückweg Caesarion mitnimmt. Ich fahre auch dorthin, zum Bezahlen und Reden, aber mit dem Fahrrad. U war gerade damit beschäftig, das Auto mit einer Riesenplastikfolie abzukleben, weil sie vergessen hat, das Fenster zuzumachen. Natürlich hat es hineingeregnet, und die Fensterautomatik ist jetzt kaputt. Sie sah völlig mitgenommen aus. Die beiden leiden auch unter dem Wetter, und zu allem Übel war bei ihnen die Heizung ausgefallen.


Montag, 6. April 2020

XXVIII - 6.April


Wachte aus einem Alptraum auf. Er hatte etwas mit meiner Schwester zu tun. Ich verstand im Traum aus ihrem Verhalten, dass es ein Ereignis in der Vergangenheit gab, das sie mir nicht verziehen hatte. Ich weiß nicht mehr, um was es sich handelte. Ich wachte in der Dämmerung auf, erleichtert, dass es ein Traum gewesen war, aber trotzdem mit einem kleinen Fitzelchen Unbehagen.

Die Aufgaben für heute: Update Blog, Schreibkurse betreuen, Rechnungen schreiben, am A-Text weiterarbeiten, Myrsini anrufen, Mails schreiben, ein Bild malen. Meine tägliche Griechisch-Lektion habe ich schon absolviert, mit Honigbrot und Milchkaffee. 

Was mich hier wirklich schlimm treffen würde: Der Computer gibt den Geist auf. Die Aquarellfarben gehen aus. Das Telefon fällt hinunter und geht kaputt.

Es regnet wieder. Punxy kommt tropfnass herein. Sie hat einen neuen Schlafplatz entdeckt: meinen "Schreibstuhl". Also sitze ich jetzt auf dem Bett.


XXVII - 5.April


Sonntag. Wieder eine Weile nichts geschrieben.

Am Freitag Caesarion zur Tankstelle gebracht. Herzzerreißend: wie Cleo hinter uns herlief, auf dem Sandweg, der eigentlich gar nicht zu ihrem Revier gehört. Kein Mensch kann mir erzählen, dass Katzen keine Gefühle haben. Ich musste sie mit vorgetäuschter Unfreundlichkeit zurück stampern, damit sie uns nicht bis zur Asphaltstraße folgte.

Gleichzeitig mit mir kam der Taxifahrer an: Christos. Braungebrannt und sportlich. Er hatte schon eine Katzenbox mit einem anderen Patienten auf dem Rücksitz in ein Laken gebettet. Caesarion bekam den Nachbarplatz. Erleichterung und trotzdem ein schweres Herz, als ich zurück zum Haus ging. Punxy war den ganzen Nachmittag deprimiert, jedenfalls sah es so aus. In der Nacht dann waren, zum ersten Mal, seit ich jetzt hier bin, beide Katzen draußen. Ich weiß natürlich nicht, woran es lag, aber es kam mir vor, als seien sie unruhig wegen Caesarion.

Es regnet in Strömen. Habe gerade ein Blaukrautrisotto mit Trachanas und Ladotiri gegessen. Teilweise eine eigene Erfindung. Lecker. Hörte dabei am Radio eine Sendung zum Coronavirus an, auf Griechisch. Verschiedene Experten (die Mehrzahl davon Frauen) sollten eine Stellungnahme abgeben. Natürlich habe ich nicht verstanden, was sie gesagt haben, nur einige Wörter hier und da. "Krankenhaus". "Nächste Woche". "Und". "Oder". "Corona". "Zuhause". Dafür hätte ich vielleicht auch nicht jahrelang Griechisch zu lernen brauchen. Trotzdem. Es ist angenehm, menschliche Stimmen im Haus zu haben, und es macht mir Spaß, aus dem schnellen, atemlosen Reden, das den Griechen offensichtlich zu Eigen ist, einzelne Wörter herauszuhören. Einmal ging ich kurz raus, und als ich zurückkam, dachte ich einen Augenblick, dass sich im Haus zwei Frauen unterhielten. Einmal flackerte der Strom, und der Sender wechselte zur Türkei. Die türkischen Sender sind viel klarer hier, wegen der geographischen Nähe, aber mir war nicht nach türkischer Musik, selbst wenn sie schön gewesen wäre.

Diese Woche war eine große Anstrengung. Zwei Schreibkurse in Gang gesetzt und angeleitet und gestern mein erster Tanzworkshop über Zoom. Es ging besser, als ich erwartet hatte, aber es ist auch vieles schiefgegangen - teilweise herrschte ziemliches Chaos, und ohne P hätte ich es nicht hingekriegt.

Hinterher war ich ausgelaugt und blieb im Teepavillon sitzen. Beschloss, einen Vortrag von Artie Wu anzuhören, und holte mir dazu ein paar Käsebrote und ein Glas Retsina. Während ich da saß, wurde es draußen dunkel, und allmählich fing es an zu regnen und zu stürmen. Der Wind rüttelte am Pavillon, der nur aus Holzwänden und großen Fensterflächen besteht. Ich saß in der Dunkelheit da, angeleuchtet von meinem IPad, und fragte mich, wie ich bei diesem Wetter wohl zum Haus kommen sollte.

Ich bin heute seit exakt einem Monat hier. Als ich ankam, war es so warm, dass ich nur mit einer Bluse ins Dorf radelte. Dort saß ich bei Ignatios und ass kleine Fische, dicke Bohnen und gemischten Krautsalat. Was ist Zeit? Was sind Erinnerungen? Wer bin ich da gewesen?

Habe heute wieder Hamishs Kopf untersucht und gesehen, dass eine seiner Zeckenwunden sich vereitert hat. Wahrscheinlich ist ein Teil der Zecke steckengeblieben. Er ließ es zu, dass ich den Eiter herausdrückte und die Wunde schließlich mit Hydroperoxid auswusch. Eine Weile lag er auf dem Fußabstreifer herum, dann trollte er sich wieder. Wenn es nicht besser wird, muss ich ihn am Donnerstag nach Petra zu Myrsini bringen. Ich habe sowieso vor, ihn kastrieren zu lassen.

"Kriegslicht" habe ich jetzt ausgelesen, gegen Ende aber mit immer weniger Engagement. Die Erzählung war zwar gut recherchiert (es ging um Männer und Frauen im englischen Geheimdienst während des Zweiten Weltkriegs und hinterher) und viele der oft skurrilen Fakten waren interessant, aber die Handlung drumherum erschien mir, je länger ich las, um so mehr an den Haaren herbeigezogen. Der Erzähler wurde immer farbloser-  oder chamäleonartig changierend - vielleicht war das auch so beabsichtigt. Manche Charaktere waren auch einfach nicht glaubhaft. Manchmal bekam ich den Eindruck, dass der Autor seine Leser mit seinen kunstvollen Sätzen beeindrucken wollte. Der Tod der Mutter am Ende hat mich nicht berührt. Seltsam.

Inzwischen habe ich wieder einen Krimi von Xiaolong Qiu angefangen und streune in den shikumen-Vierteln von Shanghai herum, wo in einem armseligen Treppenkämmerchen die Leiche einer Frau gefunden wurde, die Verfasserin eines politisch umstrittenen Roman war. Komisch, dass Krimis so ein behagliches Gefühl hervorrufen können.

Hin und wieder muss ich mir ins Gedächtnis rufen, warum ich eigentlich hier bin. Ich bin so weit weg von allem. Die Vögel zwitschern.  Dann wieder plätschert der Regen. Lese New York Times, Süddeutsche, manchmal Guardian. Reiße mich dann wieder los. Was sollen die Zahlen?

Jemand schrieb in der Leserkommentarspalte der New York Times: Was, wenn wir jetzt einen Hurricane bekommen, einen Brand, eine Überschwemmung? Diese Dinge werden wegen dem Coronavirus nicht aufhören!

Jeden Tag denke ich, es wird noch viel schlimmer als ich noch gestern gedacht habe, und am nächsten Tag denke ich, es reicht nicht - es wird so schlimm, wie ich es mir noch gar nicht vorstellen kann. Aber auch diese Gedanken helfen nichts.

Meine Schwester hat jetzt ein Schild mit einem großen Stopzeichen an die Wohnungstür unserer Mutter gehängt: "Stop! Einkaufen besorgt I. Spazierengehen ist erlaubt." Unsere Mutter war wieder mal trotz "Verbot" beim Einkaufen. Getränkemarkt, Drogeriemarkt, Zeitschriftenladen. Ihr war eingefallen, dass sie eine neue Hörzu braucht, und da hatte sie gleich ihren knallroten Gehstock geschnappt und sich auf den Weg gemacht.

Die Blätter am Feigenbaum, die nach den ersten Wochen hier anfingen, klein und durchsichtig hervorzuspitzen, sind jetzt schon fast ausgewachsen. Die Natur weiß, was sie zu tun hat, und sie tut es. 

Bin wieder müde. Lege mich aufs Bett zu Punxy. Schließlich ist heute Sonntag, und ich habe die offizielle Erlaubnis erhalten (von P), nichts zu tun.


XXVI - 3.April


11:02

Vormittag. Schlief lange, bis beinahe neun Uhr, stand auf, duschte, rief die Tierärztin Myrsini an, die noch ganz schlaftrunken klang. Sie ist momentan nur einmal die Woche in Petra und zwar an Donnerstagen. Donnerstag war gestern. Typisch. Ich beschreibe das Problem: Blut im Urin. Sie sagt, wir können nicht warten, sie muss ihn heute noch sehen. Ob ich ein Auto habe, um ihn nach Mytilini zu bringen? Wir einigen uns darauf, dass ich ihn mit einem Taxifahrer mitschicke, der um die Mittagszeit sowieso nach Mytilini fährt. Er kann ihn an der Tankstelle holen. Du kannst ihm 15 Euro geben, sagt sie.

Ich beschließe, Caesarion nicht mehr rauszulassen, bis es Zeit ist, ihn abzuliefern. Natürlich ist er ausgerechnet heute sehr daran interessiert, obwohl er am frühen Morgen ein paar Stunden draußen war. Ich besteche ihn mit Dosenfutter, und nach ein bisschen Gemaunze liegt er jetzt ruhig auf dem Bett und schläft, also packe ich die Gelegenheit beim Schopf und hole die Katzenbox aus dem Schuppen.


XXV - 2.April


5 Minuten Tagesabschluss: Heute habe ich zwei Skizzen gemalt. Ich male Bilder von ab, die mir andere zugeschickt haben. Innenräume meistens. Es ist interessant, dass beim Abzeichnen eine intime Beziehung entsteht zu demjenigen, der diesen Raum bewohnt. Ich nehme Einzelheiten wahr, die ich nicht sehen würde, wenn ich zu Besuch wäre, die vielleicht nicht einmal den Bewohnern dieser Räume bewusst sind. Ich bin ein aufmerksamer Besucher.

Caesarion hat heute Blut im Urin gehabt, also komme ich notgedrungen nicht darum herum, morgen bei Myrsini anzurufen. Wie komme ich hin? Mit dem Taxi fahren will ich nicht. Ihn auf dem Gepäckträger meines Fahrrads hinschieben? Das wäre ein Tagesausflug. U um das Auto bitten? Am Ende fällt mir dann doch wieder Giorgos ein. Er könnte ja seinen Zündschlüssel im Auto hinterlegen.

Es war wieder kalt - ich habe den Herzsutra-Tanz gefilmt und dann hochgeladen. Es fing an zu regnen, während ich tanzte, aber das gibt der ganzen Szene ein natürliches Flair.


Freitag, 3. April 2020

XXIV - 1.April


22:40


Heute war es endlich wieder warm genug, so dass ich meinen Mittagsporridge auf der kleinen Mauer vor dem Nachbarhaus essen konnte. Natürlich brauchte ich nicht lange darauf zu warten, dass Bibi neben mir stand und klagend rief. Ich gab ihm etwas Joghurt und danach war er erstaunlicherweise tatsächlich ruhig.

Traf Detlef mit einem Klempner - sie hockten auf dem Boden bei der Klappe über den Wasseruhren. Offensichtlich ist in der Wasserzufuhr zu unserem Haus ein Leck. Es ist mir gar nichts aufgefallen. Morgen kommt jedenfalls der Klempner und geht in die Eingeweide der Wasserinstallation, muss dazu den Boden aufbrechen.

Machte endlich wieder einen Spaziergang. Über den Fluss, dann an der alten Donkey Station vorbei und zur Straße. Lief an Giorgos Auto vorbei und schielte etwas in den Weg hinein, der zu seinem Haus führt, aber es ist zu gut vor Blicken geschützt. Bei dem Lebensmittelladen der Kooperative bog ich ab, lief an der Olivenpresse vorbei und dann durch den Pinienhain. Es duftete nach Griechenland im Sommer. Ich traf vereinzelt Spaziergänger, Schafsbauern kümmerten sich um ihre Tiere. Der Spaziergang belebte mich, erfüllte mich mit neuer Energie.

U kam mit einem Stück Schafskäse vorbei, das ich vor einer Woche bestellt habe. Ganz frisch und noch weich. Ich machte eine Mischung aus Tomaten, Olivenöl und Schafskäse und buk es im Ofen. Dazu meine geliebten Linsen und gekochten Broccoli.

Malte ein Bild von KPs Arbeitszimmer, aber ich zweifle jetzt daran, ob meine Idee wirklich so gut war. Nicht besonders zufrieden mit den Ergebnissen.

Den ganzen Vormittag am A-Text gearbeitet. Vieles umgeschichtet. Ich muss jemanden finden, der ihn für mich liest.


XXIII - 31.März


22:21


Seit ich gestern bei Theodosos zum Einkaufen war, wieder diese mahlende Unruhe. Die engen Gänge im Laden, meine eigene Unfähigkeit zu warten. Ich drängte mich mit anderen in dem kleinen Raum, in dem die Haushaltswaren und die Katzenfuttersäcke sind, drückte mich mehrmals an einer jüngeren Frau vorbei, wir lächelten uns an, wie um uns gegenseitig zu beruhigen, aber trotzdem. Eine Kundin hatte einen Mundschutz an. Ich hielt den Atem an, wenn ich jemandem nahe kam, aber hat das denn Sinn?

Wovor habe ich eigentlich Angst? Davor, angesteckt zu werden oder davor, jemanden anzustecken? Dass ich Virusträgerin bin, ist eigentlich momentan so gut wie ausgeschlossen, war es jedenfalls vor meinem Besuch im Lebensmittelladen.

Füllte zwei Einkaufskörbe mit Mehl, Milch, Joghurt, Eiern, Apfelsaft, Retsina, Honig, kiloweise Katzenfutter, mehr Espresso, Gemüse, Feta, Obst, Haferflocken, Nüssen, Ingwer. Theodosos forderte einen jungen Mann, der neben mir stand, auf, meine Körbe auf die Theke zu stellen, und ich protestierte nicht. Wie geht es P? wollte er wissen. Es geht ihr wieder gut. Ihm geht es auch gut. Die Stimmung ist entspannt. Die Helfer im Laden haben jetzt ihre Masken abgelegt oder unters Kinn gezogen.

Als ich wieder zu Hause bin und alles in die Schränke und den frisch abgetauten Kühlschrank lege, habe ich ein Gefühl von Reichtum,  aber auch die Sorge, dass ich etwas Wichtiges vergessen haben könnte. Als ich später die Einkaufsliste kontrolliere, fällt mir auf, dass ich vergessen habe, Orangen in den Korb zu legen, weil ich von etwas anderem abgelenkt wurde.

Gestern (und heute) die Angst, mein Computer (= die Festplatte) sei dabei, den Geist aufzugeben. Und das grade jetzt, wo ich zwei Internetkurse am Laufen habe und auch für meine Arbeit am A-Text auf den Computer angewiesen bin. Der alte Asus hat aber dann seine Festplatte selber und sehr langsam vor sich hin ruckelnd repariert.

Traf Frans, der an Elisabeths Haus rumbastelte, und fragte ihn, ob er eventuell das Gras bei uns mähen würde, wenn es so weit wäre. Natürlich. Wir redeten ein wenig. Er wollte eigentlich schon im letzten Jahr weg von der Insel, war wohl auch schon weg, ist aber jetzt wieder hier. Hat mit seiner Ex-Freundin einen Second Hand-Laden in Petra, der aber jetzt natürlich nicht läuft. Selbständige bekommen vom Staat 600 Euro, wegen der Verdienstausfälle, das hat er jetzt beantragt. Ein Mentor unterstützt ihn, wenn er in Petra eine Kneipe aufmacht. Ist aber jetzt nicht drin. Ein paar Monate reicht das Geld noch. Ich freue mich aber trotzdem am Leben, sagt er.

Stellte nach dem Mittagessen den neuen Kurs ("Schreiben im Jetzt") ins Internet. Es kostet eine ungeheure Kraftanstrengung, so einen Kurs zum Laufen zu bringen, aber dann rollt er mehr oder weniger von selber weiter. 

In Schweden steigen jetzt offensichtlich die Krankenzahlen rapide an. Gestern habe ich auch für meinen zweiten Flug einen Voucher beantragt. Ich schaute außerdem nach, wie die Flugsituation Anfang Mai aussieht. Laut Internet könnte ich mit der Fähre nach Piräus fahren und dann z.B. einen günstigen Flug nach München nehmen. Für den 5. Mai habe ich noch eine Zugfahrkarte von Regensburg nach Kopenhagen, die sonst verfällt. Es ist aber vielleicht blauäugig zu glauben, dass ich in einem Monat über Dänemark reisen kann. Es zieht mich ja nichts weg von hier.

Ich habe wieder ein Brot im Ofen.

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...