Samstag, 18. April 2020

XXXIV - 18.April


2020/04/18 10:28

Es soll ein heißes Ostern werden. Schon am Morgen ist es in der Sonne warm. Gestern Abend war die Luft geschwängert von Weihrauch, als hätte man das ganze Dorf eingeräuchert. Ich hörte den Popen über den Kirchenlautsprecher singen, dann war griechische Tanzmusik zu hören. Derweilen war ich hier in meiner kleinen Blase und versuchte, meinen Tolino wieder mal zum Leben zu erwecken. Es gehörte zwar nicht zum Szenario meiner Super-GAUs, tut aber trotzdem weh, dass er nicht reibungslos funktioniert. Auf dem Tisch stapeln sich inzwischen schon Bücher, die ich in Seminarhaus gehamstert habe. Es ist jetzt vielleicht endlich auch mal Zeit, Xenophons Persian Expedition zu lesen. Ich würde nur gerne wissen, wie der Krimi ausgeht (Ben Aaronovitch: A Whisper Under Baker Street), nachdem ich mich schon mit der Hauptperson in der Londoner Untergrundkloake gesuhlt habe.

Die letzten Tage waren etwas zerhackt und unkonzentriert. Aber jetzt habe ich wieder eine Aufgabe gefunden: ein kleines eingemauertes Rundell zu einem geschützten Sitzplatz umzuwandeln. Ich sägte Palmwedel ab, die den Zugang versperrten und stach mich mindestens fünf Mal an den scharfen Stacheln, zweimal davon in den Kopf. Ich verstehe jetzt auch, dass man auf die Idee kommen konnte, Palmwedel als Dachbedeckung zu benützen. Die Konsistenz ist hart, sie bleiben in Form und die „Blätter“ bestehen aus einem zähen Material, das auch beim Trocknen nicht aus der Form gerät. Leider habe ich im Moment keine Verwendung dafür (oder vielleicht doch?). Ich fing an, das Unkraut in dem Rundell zu jäten, lasse aber ein paar Sukkulenten stehen, die sich im Sand verbreiten können. Eigentlich war dieser Platz dafür gedacht, hier evt ein Campingzelt aufzustellen, ist aber dazu nie genutzt worden. P informierte mich hinterher darüber, dass der Platz uns nur zu einem Drittel gehört. Aber niemand kann etwas dagegen haben, wenn ich manchmal da sitze und eine Tasse Kaffee trinke oder ein Buch lese.

Radelte am Donnerstag (vorgestern!? gefühlt vor einer Woche) nach Petra. Inzwischen fürchte ich mich gar nicht mehr vor der Strecke mit den starken Steigungen. Sogar im Gegenwind auf dem Rückweg schaffte ich es, die Steigung hoch zu radeln, ohne absteigen zu müssen. Wichtig ist nur, dass die Bremsen wirklich funktionieren, für die rasanten Bergab-Fahrten. Kaufte im Tiershop neues Spezialfutter für Caesarion und versuchte, einige Fragen zu klären. Keiner der Tierärzte war da, aber die Assistentin konnte mir helfen. Radelte in Hochstimmung zurück. Diese Ausflüge tun mir gut. Danach Einkaufen bei Theodosos, diesmal schon nach sieben Tagen, wegen der Osterfeiertage. Alles gut, sagte er lachend, immer noch ohne Mundschutz. Ich unterhielt mich mit einem älteren schwedischen Paar, die irgendwo hier in der Nähe ein Haus haben und eigentlich ganz planmäßig hier sind. Interessant, dass ich bei Schweden extrem selten (statistisch: nie) ein spontanes Gefühl der Nähe empfinde. Bei Griechen kann das im Bruchteil einer Sekunde entstehen. Ich saß gestern auf einem Mäuerchen, wo ich Wifi-Empfang hatte, und checkte Mails etc. Ein ziemlich ramponiertes Auto kam vorbei, hielt an, die Fahrerin fragte nach dem Weg zu Us Wohnhaus. Ich deutete den Abhang hoch. Ah, ok, danke. Kurze Zeit kam das ramponierte Auto wieder zurück. Ich signalisierte, dass ich etwas fragen wollte, und sie hielt neben mir an. Ja, sie sei die Besitzerin vom Restaurant Tropicana. Ja, man könne telefonisch Essen bestellen. Wir kamen drauf, dass wir auf Instagram verbunden sind. Ah! Sie erinnerte sich an meine Zeichnungen vom letzten Jahr. Gleich wollte sie die Hand zum Fenster rausstrecken, besann sich dann eines Besseren. Später mal, sagte ich, können wir das tun. Es war so ein Fall von sofortiger Sympathie, so ein Funken, der überspringt, von Augenwinkel zu Augenwinkel. Du bist eigentlich Griechin, sagte P zu mir am Telefon. Das habe sie sich schon länger gedacht.

Katzenkrankenschwester außerdem. Muss jetzt Hamish und Caesarions Medizineinnahme timen. Der Erstere ist wie ein pelziges Baby. Er frisst alles, was man vor ihn hinstellt. Mampf. Außerdem hat D eine besonders leckere Futterauswahl für ihn vorbeigebracht, damit er auch wirklich zweimal am Tag kommt. Cleo zischt manchmal beleidigt ab, wenn Hamish seinen Lachs in pikanter Soße in sich hineinschlabbert, vermischt mit Antibiotika, weshalb ich jede andere Katze daran hindern muss, an seine Futterschale zu kommen. Er humpelt noch immer, aber ich rieche täglich an der Tatze und schaue ihn gründlich an, und nichts scheint infiziert zu sein. Caesarion macht keinen besonders guten Eindruck, wird immer dünner. Das Spezialfutter schmeckt ihm nicht. Die Tabletteneinnahme ist außerdem immer ein Riesenkampf. Ich muss ihn auf meinen Schoß hieven, mit einem harten Griff im Nacken, und die Tablette in ihn hineinzwingen. Manchmal spuckt er sie hinterher doch wieder aus, und wir müssen wieder von vorne anfangen. Zermürbend für uns beide. Heute ist der letzte Tag, aber ich bin nicht sicher, ob es nicht eine Verlängerung geben wird. Muss Myrsini am Dienstag anrufen.

Auf WhatsApp schicken wir inzwischen Selfies mit Mundschutz hin und her. Meine Geschwister ganz modisch elegant (obwohl mein Bruder findet, dass sein Mundschutz eher einem Wirsingblatt gleichsieht). Ich natürlich mit DIY-Modell. R und S, die heute heiraten (wollten, aber wegen Corona wurde die Trauung abgesagt), haben sich ihre Mundschutze mit weißen Spitzen verschönert. Meine Mutter schaut unglücklich über den Rand des Mundschutzes, den meine Schwester ihr gebracht hat.

Mit meinen #otherpeopleshomes-Zeichnungen gerate ich regelmäßig in eine Krise. Es ist mir aber bisher noch immer gelungen, mich irgendwie hindurchzuarbeiten. Jedes Bild kommt mir zunächst unmöglich vor, aber das Ergebnis gefällt mir dann doch irgendwie. Das letzte Bild hat sich von allen anderen unterschieden, vor allem, weil zwei Katzen drauf waren. Eine Herausforderung. Erst machte ich einige Versuche mit Blindzeichnungen, dann einen konventionellen Versuch, scheiterte aber an unzähligen Details und zerriss ihn (das kommt nicht oft vor). Schließlich pantschte ich einfach Farbe auf ein Papier, ließ es trocknen, und arbeitete dann die Grundzüge des Motivs mit Negativkonturen raus, mit Hilfe von weißer Gouache, inspiriert von einer Landschaftsmalerin, die Tutorials auf Instagram macht. Die meisten Details ignorierte ich einfach, aber nicht alle, zum Beispiel in einem Bild an der Wand die Silhouette eines Manns mit Hut, von dessen Zigarette eine Rauchwolke aufsteigt (Kinoreklame für „China Town). Oder eine Krawatte, die an der Jalousie hängt. Ich habe jetzt schon eine Warteschlange für die nächsten Bilder. Bis Nummer 30 mache ich weiter, dann widme ich mich wieder dem, was ich hier vor der Nase habe. Ich werde jedenfalls mutiger und habe immer mehr Selbstvertrauen. Lerne eine Menge, mit jedem Bild, das ich male.


Keine Kommentare:

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...