Montag, 6. April 2020

XXVII - 5.April


Sonntag. Wieder eine Weile nichts geschrieben.

Am Freitag Caesarion zur Tankstelle gebracht. Herzzerreißend: wie Cleo hinter uns herlief, auf dem Sandweg, der eigentlich gar nicht zu ihrem Revier gehört. Kein Mensch kann mir erzählen, dass Katzen keine Gefühle haben. Ich musste sie mit vorgetäuschter Unfreundlichkeit zurück stampern, damit sie uns nicht bis zur Asphaltstraße folgte.

Gleichzeitig mit mir kam der Taxifahrer an: Christos. Braungebrannt und sportlich. Er hatte schon eine Katzenbox mit einem anderen Patienten auf dem Rücksitz in ein Laken gebettet. Caesarion bekam den Nachbarplatz. Erleichterung und trotzdem ein schweres Herz, als ich zurück zum Haus ging. Punxy war den ganzen Nachmittag deprimiert, jedenfalls sah es so aus. In der Nacht dann waren, zum ersten Mal, seit ich jetzt hier bin, beide Katzen draußen. Ich weiß natürlich nicht, woran es lag, aber es kam mir vor, als seien sie unruhig wegen Caesarion.

Es regnet in Strömen. Habe gerade ein Blaukrautrisotto mit Trachanas und Ladotiri gegessen. Teilweise eine eigene Erfindung. Lecker. Hörte dabei am Radio eine Sendung zum Coronavirus an, auf Griechisch. Verschiedene Experten (die Mehrzahl davon Frauen) sollten eine Stellungnahme abgeben. Natürlich habe ich nicht verstanden, was sie gesagt haben, nur einige Wörter hier und da. "Krankenhaus". "Nächste Woche". "Und". "Oder". "Corona". "Zuhause". Dafür hätte ich vielleicht auch nicht jahrelang Griechisch zu lernen brauchen. Trotzdem. Es ist angenehm, menschliche Stimmen im Haus zu haben, und es macht mir Spaß, aus dem schnellen, atemlosen Reden, das den Griechen offensichtlich zu Eigen ist, einzelne Wörter herauszuhören. Einmal ging ich kurz raus, und als ich zurückkam, dachte ich einen Augenblick, dass sich im Haus zwei Frauen unterhielten. Einmal flackerte der Strom, und der Sender wechselte zur Türkei. Die türkischen Sender sind viel klarer hier, wegen der geographischen Nähe, aber mir war nicht nach türkischer Musik, selbst wenn sie schön gewesen wäre.

Diese Woche war eine große Anstrengung. Zwei Schreibkurse in Gang gesetzt und angeleitet und gestern mein erster Tanzworkshop über Zoom. Es ging besser, als ich erwartet hatte, aber es ist auch vieles schiefgegangen - teilweise herrschte ziemliches Chaos, und ohne P hätte ich es nicht hingekriegt.

Hinterher war ich ausgelaugt und blieb im Teepavillon sitzen. Beschloss, einen Vortrag von Artie Wu anzuhören, und holte mir dazu ein paar Käsebrote und ein Glas Retsina. Während ich da saß, wurde es draußen dunkel, und allmählich fing es an zu regnen und zu stürmen. Der Wind rüttelte am Pavillon, der nur aus Holzwänden und großen Fensterflächen besteht. Ich saß in der Dunkelheit da, angeleuchtet von meinem IPad, und fragte mich, wie ich bei diesem Wetter wohl zum Haus kommen sollte.

Ich bin heute seit exakt einem Monat hier. Als ich ankam, war es so warm, dass ich nur mit einer Bluse ins Dorf radelte. Dort saß ich bei Ignatios und ass kleine Fische, dicke Bohnen und gemischten Krautsalat. Was ist Zeit? Was sind Erinnerungen? Wer bin ich da gewesen?

Habe heute wieder Hamishs Kopf untersucht und gesehen, dass eine seiner Zeckenwunden sich vereitert hat. Wahrscheinlich ist ein Teil der Zecke steckengeblieben. Er ließ es zu, dass ich den Eiter herausdrückte und die Wunde schließlich mit Hydroperoxid auswusch. Eine Weile lag er auf dem Fußabstreifer herum, dann trollte er sich wieder. Wenn es nicht besser wird, muss ich ihn am Donnerstag nach Petra zu Myrsini bringen. Ich habe sowieso vor, ihn kastrieren zu lassen.

"Kriegslicht" habe ich jetzt ausgelesen, gegen Ende aber mit immer weniger Engagement. Die Erzählung war zwar gut recherchiert (es ging um Männer und Frauen im englischen Geheimdienst während des Zweiten Weltkriegs und hinterher) und viele der oft skurrilen Fakten waren interessant, aber die Handlung drumherum erschien mir, je länger ich las, um so mehr an den Haaren herbeigezogen. Der Erzähler wurde immer farbloser-  oder chamäleonartig changierend - vielleicht war das auch so beabsichtigt. Manche Charaktere waren auch einfach nicht glaubhaft. Manchmal bekam ich den Eindruck, dass der Autor seine Leser mit seinen kunstvollen Sätzen beeindrucken wollte. Der Tod der Mutter am Ende hat mich nicht berührt. Seltsam.

Inzwischen habe ich wieder einen Krimi von Xiaolong Qiu angefangen und streune in den shikumen-Vierteln von Shanghai herum, wo in einem armseligen Treppenkämmerchen die Leiche einer Frau gefunden wurde, die Verfasserin eines politisch umstrittenen Roman war. Komisch, dass Krimis so ein behagliches Gefühl hervorrufen können.

Hin und wieder muss ich mir ins Gedächtnis rufen, warum ich eigentlich hier bin. Ich bin so weit weg von allem. Die Vögel zwitschern.  Dann wieder plätschert der Regen. Lese New York Times, Süddeutsche, manchmal Guardian. Reiße mich dann wieder los. Was sollen die Zahlen?

Jemand schrieb in der Leserkommentarspalte der New York Times: Was, wenn wir jetzt einen Hurricane bekommen, einen Brand, eine Überschwemmung? Diese Dinge werden wegen dem Coronavirus nicht aufhören!

Jeden Tag denke ich, es wird noch viel schlimmer als ich noch gestern gedacht habe, und am nächsten Tag denke ich, es reicht nicht - es wird so schlimm, wie ich es mir noch gar nicht vorstellen kann. Aber auch diese Gedanken helfen nichts.

Meine Schwester hat jetzt ein Schild mit einem großen Stopzeichen an die Wohnungstür unserer Mutter gehängt: "Stop! Einkaufen besorgt I. Spazierengehen ist erlaubt." Unsere Mutter war wieder mal trotz "Verbot" beim Einkaufen. Getränkemarkt, Drogeriemarkt, Zeitschriftenladen. Ihr war eingefallen, dass sie eine neue Hörzu braucht, und da hatte sie gleich ihren knallroten Gehstock geschnappt und sich auf den Weg gemacht.

Die Blätter am Feigenbaum, die nach den ersten Wochen hier anfingen, klein und durchsichtig hervorzuspitzen, sind jetzt schon fast ausgewachsen. Die Natur weiß, was sie zu tun hat, und sie tut es. 

Bin wieder müde. Lege mich aufs Bett zu Punxy. Schließlich ist heute Sonntag, und ich habe die offizielle Erlaubnis erhalten (von P), nichts zu tun.


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