Freitag, 25. Oktober 2019

Freitag

Warum habe ich so oft Probleme mit dem Einschlafen, wenn ich weiß, dass ich am nächsten Tag früh aufstehen muss?

Las im Bett in Richard Sennetts Buch "Der flexible Mensch".

Fiel zum zweiten Mal diese Woche.

1) (vor ein paar Tagen) Hob etwas vom Boden auf und schob dabei den Stuhl beiseite, auf dem ich gerade gesessen hatte. Dann versuchte ich, mich auf eben diesen Stuhl zu setzen, er stand aber nicht mehr da. Landete mit voller Wucht auf dem Boden.

2) (heute) Trug Ls Rollstuhl mit seinem Rucksack die Treppe hinunter und verpasste den letzten Treppenabsatz. Fiel vornüber und prellte mir mein Knie, als ich auf dem harten Steinboden aufkam.



Mittwoch, 23. Oktober 2019

Mittwoch

Ich rufe in der Röntgenabteilung des Krankenhauses an und frage, ob ich schon einen Termin für mein cbct-Röntgen bekommen habe, das die Zahnchirurgin für mich angeordnet hat. Als ich sagen will, wann ich in Urlaub fahre, bringe ich die Daten völlig durcheinander. Erst sage ich sie richtig, werde dann unsicher, korrigiere mich, versuche mich zu orientieren. Ich weiß plötzlich nicht einmal, welcher Tag heute ist, fange mich aber dann schnell wieder. Glücklicherweise bekomme ich noch einen Termin für nächste Woche.

Zu P sagte ich vorgestern am Telefon: "Jetzt ist ja bald Sommer".

Eine leichte Unruhe liegt im Raum. Ist was los mit mir?

Ein Nachbar spricht mich durch mein geöffnetes Küchenfenster an. Ob ich auch so viele Silberfischchen in meiner Wohnung habe. Er kann sich vor Silberfischchen gar nicht mehr retten. Er staubsaugt jetzt jeden Tag, aber es reicht nicht. Bei mir sind keine Silberfischchen, sage ich, und im selben Moment fühle ich mich schuldig, als hätte ich soeben gelogen.

Kurze Zeit später möchte er mir noch etwas sagen: Die eine Waschmaschine im Keller klickt beim Waschen, als würde sie sich ständig ein- und ausschalten. Außerdem riecht seine Wäsche komisch. Ich gehe zum Waschkeller und schalte die Waschmaschine probeweise ein, kann aber nichts Außergewöhnliches feststellen. Ich stecke meinen Kopf in die Waschtrommel und schnuppere. Es riecht ganz normal, finde ich.

Manchmal kommt es mir vor, als würde ich mich in einem seltsamen Film befinden. Dazu gehört auch, dass die Nase meines Nachbarn ganz eingepflastert war.

Dienstag, 22. Oktober 2019

Dienstag

Jeden Morgen schaue ich als Erstes nach, ob Trump immer noch sein Amt ausüben darf. Ein deprimierender Tagesanfang, seit drei Jahren schon.

Aß heute im Ko Thai zu Mittag. Es war wie immer sehr gut. Ich hatte mein Handy zuhause gelassen und mein Buch vergessen und wurde plötzlich mit meiner Rastlosigkeit konfrontiert. Las die Speisekarte dreimal. Schaute aus dem Fenster auf einen großen Parkplatz. Eine Frau mit aufgespritzten Lippen. Ihr Freund, der sie mit einer Hand vor sich herschob. In der anderen hielt er eine Zigarette.

Brachte zuvor endlich die von meiner Küchenrenovierung von vor zwei Jahren übrig gebliebenen Kacheln weg, außerdem einen kleinen Gitarrenverstärker, einen Fahrradhelm, ein paar ausrangierte Brillen.

Sprach mit K am Telefon. Ich versuchte ganz ehrlich zu sein, und sie antwortete auch mit Ehrlichkeit. Wir haben uns verletzbar füreinander gemacht. Sie weiß jetzt, wer ihr Vater war. Leider lebt er seit vier Jahren schon nicht mehr, aber sie fährt zum Jahreswechsel nach Las Palmas, um etwas mehr über ihn herauszufinden.

Habe heute wieder alles schleifen lassen, aber wenigstens ein wenig Griechisch und Portugiesisch gelernt und dann eine Lektion meines Zeichenkurses absolviert. Figuren gezeichnet: geschwungene Linien, Kreise, Eier, freie Formen. Ich zeichnete ein Porträt von Johannes Kepler, benützte meine Erdpigmentfarben und war sehr zufrieden mit dem Resultat.

Holte ein Buch aus der Bibliothek ab. Designing Regenerative Cultures von Daniel Christian Wahl.

Abends ging ich ins Aikido, fühlte mich aber schwach und hungrig. Ich sprach hinterher lange mit J, der jetzt offiziell eine Arbeit als Architekt sucht. Seine Sanftheit und die Geschmeidigkeit in seinem Aikido. Ich mag ihn sehr. Es ist mir unmöglich, mir vorzustellen, dass er jemals wütend wird.




Sonntag, 20. Oktober 2019

Sonntag allein

Am Vormittag flickte ich meine alte Levis. Sie hat schon viele Flicken und hat jetzt noch einen bekommen. Hinten war ein neues Loch. Ich nähte ein Stück Stoff von innen dagegen, mit Stichen in Spiralform. Dann veröffentlichte ich ein Bild von meiner geflickten Jeans auf Instagram. Immer wieder schaute ich im Laufe des Tages nach, wie viele Leute ein Herzchen angeklickt haben. Die geflickte Jeans war ein Renner. Jetzt, am Abend habe ich schon fast 50 Herzchen, aus aller Welt. Mein Tageserfolg.

Ich fuhr mit meiner neugeflickten Jeans in die Kunsthalle und schaute mir eine Ausstellung von Michael Rakowitz an (der aus einer irakisch-jüdischen Familie stammt und in New York lebt): The Invisible Enemy Should Not Exist. Als ich in der Buchhandlung ein wenig zerstreut in Büchern blätterte, durchfuhr mich plötzlich eine Einsicht, wie vieles ich nicht getan oder gesagt habe, aus Angst vor der Reaktion (Ablehnung) anderer. Deshalb bin ich auch immer am liebsten alleine gewesen. Um dieser Unruhe/Angst zu entgehen. Mein Leben: ein Resultat meiner Vermeidungsstrategie. Und jetzt kommt mir vor, dass ich endgültig in einer Sackgasse gelandet bin. Ich habe keine Ahnung, was aus mir werden soll.

Ich setzte mich in die Kaffeebar am Möllevångstorget. Eigentlich wollte ich in meinem Buch lesen („The Overstory“), fühlte mich aber rastlos und vom Gespräch am Nachbartisch abgelenkt. Ich konnte partout nicht ausmachen, welche Sprache sie sprachen. Erst dachte ich Italienisch, dann Spanisch. Vielleicht war es Rumänisch. Eine Frau, zwei Männer. Die Männer redeten, die Frau schwieg.

Wieder zuhause, flickte ich noch eine Jeans und hörte einen Podcast. Es ging um das Böse, ein seltsamer, unmoderner Begriff, aber am Ende des Podcasts musste ich eingestehen, dass ich oft bewusst auf die dunklen Impulse in mir höre. Dass ich mein Leben nicht selten mit meiner Arroganz vergifte. Dass ich mich vor mir selber rechtfertige, die Schuld auf andere schiebe, oder ganz einfach die Wahrheit ein wenig frisiere, um so besser dazustehen. Kann ich die Wahrheit sagen? Was passiert, wenn ich es tue?

Ich nahm das Fahrrad und fuhr in den Garten, wo ich mit der Arbeit weitermachte, die ich vor ein paar Tagen angefangen habe: den Efeu beschneiden. Ich kletterte mit der Gartenschere auf eine wacklige Leiter und dachte kurz, wenn mir etwas passiert, findet mich hier niemand. Das Telefon hatte ich bewusst zu Hause gelassen. Die Arbeit tat mir gut. Ich war zufrieden, als ich wieder nach Hause fuhr.

Machte eine Chilipaste, Kochte Spaghetti, aß sie mit Pesto und Vegohack. Dazu gekochter Mangold, noch vom Vorjahr aus dem Gefrierschrank. Trank ein leichtes Budweiser. Beschloss, mich nicht um eine Arbeit zu bewerben, die ich mit ziemlicher Sicherheit sowieso nicht kriegen würde.


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Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...