Dienstag, 14. Dezember 2021

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Rucksack, streute Salz an die Ritze unter die Tür, was die Tausendfüßler fernhalten soll. Knotete die Abfalltüte zu. Stellte mein Fahrrad in den Schuppen. Scheuchte die Katzen aus dem Haus, stellte die Kiste mit dem Katzenfutter auf die Terrasse, schloss die Dachluke, spülte meine Kaffeetasse ab, zog mich an, schloss die Tür, sperrte (zum ersten Mal seit ich hierher gekommen bin) zu und ging nach unten, wo Michalis schon neben seinem Taxi stand. Wir fuhren aus der Dunkelheit in die rosa Dämmerung und dann ins Licht. Als wir in Mytilini ankamen, schien die Sonne.

Es war schön, meine Zeit hier noch einmal zu briefen, mit einem Menschen, mit dem das Reden so leicht fällt, mit dem ich so herzlich lachen kann, der die Liebe zu den Tieren versteht und teilt und der kein Verständnis für Leute hat, die sich nicht impfen lassen. Wir stellten fest, dass wir beide passionierte Blutspender sind, und er fand es toll, dass man in Schweden ein paar Tage nach der Blutspende eine SMS bekommt, in der steht, dass das gespendete Blut einem Patienten zugute gekommen ist. Wir redeten über Honig, über Bienen, und er sagte, dass ich nächstes Mal meinen Honig über ihn bestellen soll, denn er kauft bei einem Imker in Kalloní immer gleich 3-kg-Eimer zu einem guten Preis. Er beruhigte mich auch noch einmal, dass es den Katzen gut gehen würde. Sie bekommen Futter von Anna, sie haben den Fischer, diesen kräftig gebauten Mann mit dem weichen Herzen. Sie haben Schutz vor dem Regen, und sie können in der Umgebung haufenweise Getier jagen. Könnte es besser sein?

Beim Abschied warfen wir uns Handküsse zu, und als ich am Flughafen in der Check-In-Schlange stand, bekam ich noch eine SMS von ihm: Gute Reise!

Lesbos, 12/12 2021

In der Nacht wurde ich zweimal von einer Wespe gestochen, die aus unerfindlichen Gründen unter die Bettdecke geraten war. Ich fand sie erst am nächsten Tag tot auf dem Laken und hatte damit eine Erklärung für das, was mir in der Nacht solche Angst bereitet hatte. Meine nächtlichen Phantasien waren völlig ausgeflippt, als ich von dem Schmerz aufgewacht war (erst in der Bauchgegend, dann am Oberarm). Vielleicht war es ein Parasit, den ich in der heißen Quelle aufgeschnappt hatte und der mich jetzt invadierte? Auf dem Weg nach Eftalou hatten wir in einer Pfütze ein paar fadendünne Würmer gesehen, die sich im Wasser ringelten und auf den ersten Blick aussahen wie Grashalme. Ich hatte einen davon aus dem Wasser gefischt und ihn hochgehalten und er hatte sich weiter an meinem Finger gekrümmt, man hatte sogar am Ende des Fadens etwas wie einen Kopf ausmachen können. Vielleicht hatte dieser Wurm irgendwie etwas auf meiner Haut hinterlassen, das sich jetzt Eingang in meinen Körper verschafft hatte. Ich hatte ein fiebriges Gefühl und ging ins Badezimmer, um im Spiegel zu sehen, wie die Stellen aussahen. Tatsächlich war es, als würde sich unter meiner Haut etwas ringeln. Natürlich konnte ich nun nicht mehr schlafen, machte dann um halbsieben Yoga Nidra und stand hinterher auf, kochte Kaffee, fing an, das Bett neu zu beziehen und fand die Wespe, die alles erklärte. Die Stiche waren inzwischen angeschwollen und rot, und ich fühlte mich immer noch ziemlich mitgenommen.

Putztag. Es dauerte doch länger. Wie immer. Zog erst das Bett hervor, dann die Bettkästen. Fegte: Spinnenweben, Katzenhaare, verendete Insekten und Tausendfüßler. Ordnete das, was herumlag, in zwei Haufen: eins, kommt unters Dach, zwei, wird gepackt. Zog alle Möbel hervor, wischte die Stuhlbeine ab, die Ritzen der Korbstühle. Draußen regnete es in Strömen. Schüttelte die Teppiche aus. Leerte den Komposteimer, fegte die Terrasse, schrieb eine Mitteilung an Anna und schickte ein Foto mit, auf dem der große Katzenfuttersack zu sehen war. Ich weiß nicht, was so lange dauerte. Gegen drei Uhr machte ich mich auf den Weg ins Dorf, um Geld zu holen und etwas über den Weihnachtsmarkt zu schlendern, der für heute angesagt war. Leider war nichts los, denn der Weihnachtsmarkt wegen des Wetters verschoben. Im Geldautomaten bekam ich außerdem kein Geld. Dafür sah ich ein phantastisches Wolkenschauspiel am Himmel, das ich auch sofort auf meine Handykamera bannte. Kurz schaute ich bei dem griechisch-englischen Paar vorbei, die den Laden "Made in Molyvos" im Hafen haben. Wir unterhielten uns ein wenig, über Weihnachten und andere Feste (beide waren Weihnachts- und Geburtstagsverweigerer), und ich zeigte ihnen auf meinem Handy einige meiner Bilder, natürlich mit dem Hintergedanken, auf diesem Weg allmählich ein paar Auftrage aus dem Dorf zu kriegen. Wir verabschiedeten uns gut gelaunt. Nette Menschen.

Eigentlich war ich darauf eingestellt gewesen, Polyxeni heute Abend einen Vorschuss für das Katzenhüten und für alle nötigen Behandlungen zu geben, aber am Telefon reagierte sie erstaunt, als ich sagte, dass ich im Moment leider nur 90 Euro hätte. Wofür willst du mich bezahlen? Wir einigten uns darauf, dass ich Myrsini die notwendigen Behandlungen nachträglich erstatte. Ich holte die Katzenbox aus dem Keller. Tinys Medikamente und ihr Futter legte ich in den Korb, in dem sie in der letzten Zeit oft geschlafen hat, und den ich auch mitnehmen wollte. 

Es war schon dunkel, als ich mit J nach Petra fuhr, und es regnete. Polyxeni wartete im Straßelabyrinth von Petra auf uns. Während J beim Auto blieb, ging ich mit ihr zu ihrem Haus. Sie hatte schon einen Käfig für Tiny vorbereitet, denn sie muss sie einige Zeit von den anderen Katzen isoliert halten. Es ist total vernünftig und notwendig, wegen der ansteckenden Ringwurm-Infektion, tat mir aber trotzdem weh. Tiny protestiere nicht im Geringsten, als ich sie in den Käfig setzte, und blieb dort eingeschüchtert hocken. Plötzlich sah sie sehr winzig aus. Wir stellten den Korb hinein. Polyxeni kannte sich mit den Medikamenten besser aus als ich, ich brauchte ihr nichts zu erklären. Sie nimmt kleine Kätzchen auf und versucht dann, ein neues Zuhause für sie zu finden, oft im Ausland. Außerdem bringt sie Streuner zum Kastrieren zu Myrsini. Tiny kann sie aber erst zur Adoption anbieten, wenn sie besser aussieht. 

Das Haus machte einen sehr gepflegten und gemütlichen Eindruck, trotz der vielen Katzen, die auf der Treppe saßen, durch die Zimmer liefen oder zusammengekuschelt auf dem Bett lagen (zwölf seien es im Moment, sagte Polyxeni). Ein letzter Blick auf Tiny. Dann war ich wieder auf der regennassen Straße. 

Zuhause angekommen, machte ich mir etwas zu essen, obwohl ich eigentlich keinen besonderen Appetit hatte. Ich trank ein kleines Glas Ouzo, und hinterher kamen C und J noch auf einen winzigen Abschiedstrunk vorbei. Goodbye, take care, bis nächstes Jahr, dann stapften sie in die Dunkelheit hinaus. Ich spülte ab, putzte noch das Bad, legte den Sicherungsschalter für die Außenbeleuchtung um, ging mit Schirm und Taschenlampe in den Keller, um die Heizungsanlage abzuschalten. Die Katzen ließ ich unter dem Dach schlafen (ihr Lieblingsplatz), zur Feier des Tages, und damit ich eine ruhige Nacht bekam. Stellte den Wecker auf sechs Uhr. Dachte an Tiny in ihrem Käfig, ein bisschen melancholisch, aber auch froh und stolz, weil ich wusste, dass ich die denkbar beste Lösung für sie gefunden hatte.

Lesbos 10/12 2021

Am Vormittag fuhr ich mit dem Fahrrad nach Petra, um etwas Spezialfutter für Tiny zu kaufen. Ihr Durchfall war leider wieder schlimmer geworden. Auf dem Weg dorthin hatte ich Gegenwind, kämpfte mich aber doch die Steigung hoch, ohne abzusteigen. Als ich auf der platten Strecke kurz vor Petra angekommen war, machte es plötzlich einen Krach und die Kette war rausgesprungen. Ich stieg ab und schaute mir an, was los war: eine Speiche war gerissen und hatte die Kette vom Zahnrad gezogen. Als ich die Kette wieder aufs Zahnrad gehoben und die Speiche so zurechtgebogen hatte, dass ich sie hinter eine andere Speiche schieben konnte, musste ich leider konstatieren, dass die Bremsen blockierten, weil das ganze Hinterrad sich verzogen hatte. Also musste ich die Bremsen des Hinterrads deaktivieren und mir einschärfen, dass ich von nun an nur die linke Handbremse benützen konnte, alles andere als ideal bei den Straßenbedingungen hier. Ich wusch mir die Hände im Meer und fuhr zur Praxis, wo Gabi und Olga gerade damit beschäftigt waren, Boxen und Pässe für adoptierte Hunde herzurichten. 

Als ich die Praxis verließ, begegnete ich auch wieder B und M. Die Wunde ihrer kleinen Katze hatte wieder nicht gehalten und sie überlegten gerade, ob sie vielleicht ihre Abreise noch weiter hinausschieben sollten, um die Heilung der Katze abzuwarten, aber auch wegen der Covid-Situation in England. Wieder verabschiedeten wir uns. Mit Rückenwind fuhr ich zurück, und war gerade rechtzeitig in Molyvos für mein Ouzo-Mittagessen mit Giorgos.

Er ist in dieser Gegend aufgewachsen, erzählt er, als wir am Tisch sitzen und er dann doch Tsiporo bestellt hat, hat da draußen zwischen den Häusern gespielt. Ich stelle mir einen kleinen Giorgos vor und frage mich, wie es wohl gewesen ist, in diesem Dorf aufzuwachsen. Wegen seiner Augenprobleme hat er eine Sonnenbrille auf. "Ouzo" bedeutet, dass einem verschiedene kleine Gerichte serviert werden, und während man isst, bestellt man noch etwas nach. Es ist eine alte Tradition, sagt er, leider im Dorf fast ausgestorben, weil alle Tavernen sich an Touristen angepasst haben. Im Alonia kann man noch Ouzo bekommen, sagt er, aber er geht momentan nicht dorthin, weil sie zu der Anti-Impf-Fraktion gehören. Er hat in der Nacht bis um zwei Uhr gemalt - das ist sein normaler Rhythmus. Er steht dann um neun oder zehn Uhr auf, isst ein gutes Frühstück, fährt zum Kaffeetrinken ins Dorf.

Ich erzähle ihm von meiner Begegnung mit der Amerikanerin Laura, und er weiß sofort, wer das ist. Ich denke oft an sie, sagt er. Daran, dass sie hierher gekommen ist, sich in den Schafbauern verliebt, ihn geheiratet hat. Er fragt sich oft, wie ihr Leben wohl aussieht, ob sie sich wohlfühlt, wie es ihr geht. Ihr Mann ist ein sehr lieber, liebevoller Mensch, sagt er, aber er ist auch sehr einfach, sehr ungebildet. Einmal habe sie ihn mit nach Amerika genommen und als sie wieder nach Molyvos gekommen seien, habe Giorgos ihn gefragt, wo er denn überall gewesen sei, aber er habe keine Ahnung gehabt, habe es nicht sagen können. Er ist sehr unschuldig, sagt Giorgos, vielleicht gefällt ihr gerade das an ihm. Ob ich mir vorstellen könnte, einen Griechen zu heiraten und ins Dorf zu ziehen? Sicher nicht. Es nervt ihn offensichtlich, dass ich am Vormittag schon wieder bei der Tierärztin war. Vielleicht sollte ich einen Mann haben, um den ich mich stattdessen kümmern könnte? Dabei ist er es, der 25 Katzen füttert. Für die, die er besonders gut leiden kann, kauft er auch Medizin, für die anderen nicht, sagt er. Nervt es dich, dass ich bei der Tierärztin war?, frage ich. Nein, natürlich nicht. Es ist mir egal, ich pfeife drauf. 

Wieder einmal reden wir über die Zukunft von Molyvos. Er sagt, wir brauchen Ideen, neue Ideen, gute Ideen. Dann wieder sagt er, dass das Problem sich von selber lösen wird. Vor der Plastikwand der Taverna schüttet es. Wir essen kleine Fische, eine Art griechische Paella mit Meeresfrüchten, gekochten Weißkohl, Fava. Als wir uns auf der Straße trennen, will ich mich bis zum nächsten Jahr verabschieden, aber er sagt, tu das nicht, ich mag keine Abschiede. Wenn ich möchte, kann ich ihn morgen im Café Bazaar treffen, aber ich weiß jetzt schon, dass ich mich morgen bewegen möchte, dass ich raus will, in die Natur.

Abends male ich wieder ein Bild, höre den Messias von Händel dazu, komme spät ins Bett.

Lesbos, 11/12 2021

Samstag. Fahre ins Dorf, kaufe FFP2-Masken für meinen Flug und meine Zugfahrt nach Regensburg, besorge eine Flasche Retsina und Sodawasser für P. Unsere Übereinkunft: bei der Abreise stellt man einen Willkommensgruß in den Kühlschrank. Verabschiede mich von Theodos. Wann ich wiederkomme? Wenn alles gut geht, nächstes Jahr. Er lacht. Das Komische ist, dass die Leute hier sich mein Leben in Schweden überhaupt nicht vorstellen können. Aber ich kann es ja auch nicht.

Ein letztes Mal zum Baden nach Eftalou, mit C. Wir gehen zu Fuß, über die Olivenhaine, vorbei an dem angeketteten Hund, der sich jedesmal riesig freut, wenn man stehenbleibt, mit ihm redet, ihn streichelt. Die kurze Kette ist an einer Laufleine angemacht, die vielleicht drei Meter lang ist, aber sie hat sich zudem verhakt, so dass er (ein großer, starker Hund) fast keinen Spielraum hat. Das Haus, in dem die Familie wohnt, steht weit entfernt am Hang. Ich fühle mich hilflos, wütend, traurig. Leider haben C und ich das Thema Impfungen angesprochen, und es hat sich gezeigt, dass sie, obwohl geimpft (wegen der Bequemlichkeiten), die Impfung ablehnt. Eigentlich möchte sie nicht darüber sprechen, aber es kommt dann doch heraus, sie redet von Herdenimmunität (es gebe sowieso zu viele Menschen auf diesem Planeten) über die Anekdote von dem südafrikanischen Arzt, der eine Naturmedizin gegen Covid entwickelt habe, die schließlich (auf der Druck der Pharmaindustrie) verboten worden sei. Die Pharmaindustrie habe natürlich Interesse daran, dass der Virus mutiert, und wenn man mitten in einer Pandemie die Leute impfe, brauche man sich auch nicht über Mutationen wundern. Ich fühle mich hilflos. Wie soll ich dagegen anreden? Versuche, mich ins Anekdotische zu retten. Dass es in Griechenland offensichtlich Leute gibt, die fest glauben, dass der Virus ihnen nichts anhaben kann, wenn sie in die Kirche gehen. C daraufhin, es könne schon sein, dass man sich leichter infiziert, wenn man Angst hat. Ich bin ziemlich baff, will aber nicht auf dem Thema herumreiten, schließlich wollten wir einen langen Spaziergang machen, einen angenehmen Nachmittag haben.

Es ist jedenfalls schwierig, nach dieser Auseinandersetzung wieder zu normalen Gesprächsthemen überzugehen. Ich versuche es - erzähle von meinem Besuch bei B und M, von ihrer Druckpresse, und dass ich plötzlich Lust bekommen habe, das Drucken auch einmal auszuprobieren. Dass ich dabei im Internet auf den Tip gestoßen sei, wie man eine Pastamaschine in eine Druckerpresse verwandeln könne. Ein witziges Thema, finde ich. Erst als wir bei der heißen Quelle angelangt sind, taut C wieder auf. Es ist ziemlicher Betrieb heute. Das Wasser ist diesmal extrem heiß. Beim ersten Durchgang kann ich mich nur bis zur Hüfte hineinsetzen. Auch nach dem ersten Bad im kalten Meer ist es fast uneträglich. Länger als fünf Minuten halten wir es nie aus, dann klettern wir wieder über die Steine ins Meer, schwimmen weit hinaus. 

Auf dem Rückweg begegnet uns J mit dem Auto auf der Teerstrasse in der Dämmerung. Er ist gerade auf dem Weg zu "ihrer" Katze, die sie jeden Tag in einem verwaisten Hotelkomplex besuchen, und wir begleiten ihn. Wir sitzen auf der überdachten Terrasse auf gepolsterten Stühlen um den Pappkarton herum, den sie für die Katze hier hingestellt haben. Sie streicht um unsere Beine und frisst das Futter aus der Plastiktüte, die J mitgebracht hat. Ein unkastrierter Kater streift auf der anderen Seite des Windschutzes herum und miaut jämmerlich. Auch er bekommt etwas Futter. Wie alle unkastrierten Kater sieht er ziemlich übel zugerichtet aus und ist misstrauisch und scheu.

C sagte irgendwann auf unserem Spaziergang, dass sie nicht gerne Deutsch redet, weil die Leute immer lachen, wenn sie ihr Schwäbisch hören. Ich sei die Erste gewesen, die nicht gelacht habe. Englisch ist ein neutrales Territorium, auf dem sie sich vor dieser “Blamage” schützen kann. Dass sie sich nicht wohl fühlt, wenn sie Deutsch sprechen soll, habe ich jedoch schnell bemerkt, da sie nach einer Weile hartnäckig darauf bestand, mir auf Englisch zu antworten, worauf wir dann bald völlig zu Englisch wechselten und ich nur manchmal im Gespräch einen deutschen Ausdruck verwende, wenn ich das englische Wort nicht weiß.

Lesbos 10/12 2021

Es ist sonnig, und ich setze mich vor dem Café Bazaar an einen Tisch in der Sonne. Giorgos kommt etwas zu spät, in einer leuchtend roten Wolfskin-Jacke. Als ich sage, dass mir seine Jacke gefällt (und auch die schwarze Strickjacke, die er darunter trägt), sagt er: "my girl ist taking care of me". Er muss seine türkische Freundin daran hindern, ihm ständig Sachen zu kaufen. Als sie die rote Jacke kaufte, wollte sie eigentlich eine gelbe und grüne noch dazu kaufen, aber er ging entrüstet aus dem Geschäft und sie hat es dann bei der roten belassen. Im Moment hat er Husten und ist die ganze letzte Woche erkältet gewesen. Es ist jetzt schon besser, aber er hatte Angst. Der Covid-Test war negativ, man hat ihm jedoch gesagt, dass er mit dem Rauchen aufhören soll, sagt er, und zündet sich eine Zigarette an. Er ist erstaunt darüber, dass der Laden seiner Ex-Freundin zum Verkauf angeboten wird. Zum letzten Mal hat er vor einer Woche mit ihr gesprochen. Sie ist gerade in Athen, wegen eines Gesundheits-Checks. Ich muss sie anrufen, sagt er, und wegen dem Laden fragen.

Wir entrüsten uns über Impfgegner und er erzählt, dass er jetzt den Antrag auf Rente einreichen wird. Ich sehne mich danach, zu genießen, was ich tue, sagt er. Jetzt denke ich ständig ans Geschäft, an das, was ich tun muss, aber dann kann ich einfach einen Kaffee trinken und den Augenblick genießen. So einfach ist das nicht, denke ich für mich, widerspreche ihm aber nicht. Er versuchte den Laden an seine Angestellte zu verkaufen, für einen Spottpreis, aber sie hat abgelehnt. Ich hätte die Summe auf drei Jahre aufgeteilt, und im ersten Jahr hätte sie nur eine sehr geringe Miete zahlen müssen, sagt er, aber sie wollte nicht. Wieder einmal beklagt er sich darüber, dass ich ihm nicht mit dem Kastrieren seiner Katzen helfe. Dann will er wissen, was eine Operation kostet. Ich sage es ihm. Unmöglich. Er schüttelt den Kopf. 

Nach dem Kaffee fährt er mich mit dem Auto zu meinem Fahrrad. Wir machen aus, uns morgen zum Mittagessen bei Ignatios zu treffen. Immer wieder schimpft er über die dummen Griechen, auch, als wir an der kindischen Weihnachtsdekoration im Dorf vorbeifahren. Überladen, sagt er, und geschmacklos.

Ich verbringe den Nachmittag damit, zu lesen (versuche zu lesen). Jetzt ist es 19:00. Der Gedanke an meine Abreise macht mir Angst. Es ist besser, wenn man wieder zu Hause ist, sagt P. Ich weiß. Und es tut gut zu wissen, dass wir nicht die Einzigen in dieser Situation sind. Auch B und M lassen ihre Katzen in der nächsten Woche allein. Sie haben wie wir eine Bekannte, die ihnen einmal am Tag Futter bringt. Im Dorf ist es schwerer, sagt P. Hier haben sie es besser. Wieder einmal muss ich ihr Recht geben.

23:03
Cleo schnurrt neben mir. Tiny verfolgt Tausendfüßler, die jetzt, wo es feuchter ist, unter der Tür wieder ins Haus kommen. Louis liebt die Rolle, die gegen die Zugluft an der Türschwelle liegt. Er zerrt sie vor und umarmt sie dann leidenschaftlich und ein bisschen brutal. Ich habe heute wieder ein Bild fertig gemalt und jetzt "nur" noch fünf Leute auf meiner Liste. Dieses Mal belastet mich die Liste mehr als im letzten Sommer. Damals war es einfach eine Beschäftigung. Jeden Tag habe ich ein Bild gemalt. Jetzt bin ich perfektionistischer geworden. Ich brauche drei Tage für ein Bild und erwarte mir dann dementsprechend viel Begeisterung, bin enttäuscht, wenn sie ausbleibt..

Giorgos erzählte mir von seinen Augenproblemen. Seine Freundin habe ihn sofort in die Augenklinik gezerrt, als er über Lichtempfindlichkeit klagte. Vier Stunden haben sie mich untersucht, sagt er, es war furchtbar, vier Stunden! Von einem Stockwerk zum nächsten, von einer Untersuchung zur nächsten. Ich konnte nicht einmal rausgehen, um eine Zigarette zu rauchen. Er bekam eine Diagnose, etwas mit der Retina, und man riet ihm zur Operation. Er glaubt aber, dass die türkischen Ärzte nur daran interessiert sind, Geld zu verdienen. Gleichzeitig ist er auch furchtbar unzufrieden mit dem Gesundheitssystem in Griechenland. Sie kriegen die Covid-Situation in den Krankenhäusern nicht in den Griff. Die Covidsterblichkeit in Griechenland ist im Moment eine der höchsten in Europa. Er schiebt die Situation auf die furchtbare Regierung. Was denkt man in Schweden über die griechische Regierung? Nichts, sage ich, die Leute wissen nichts darüber.

Und was machst du heute noch?, frage ich. Er repariert grade einen Holzofen, der im Haus seiner Mutter steht. Es ist eine schmutzige und anstrengende Arbeit. Einige Teile müssen ausgewechselt werden, und er muss sie erst bestellen. Und dann wird er kochen, abspülen und so weiter. Du weißt schon, die ganze langweilige Hausarbeit, sagt er. Die letzten Wochen hat er damit zugebracht, bei sich zu Hause auszumisten. Wenn man nichts wegwirft, dann blockiert man sich, sagt er. Damit etwas Neues entstehen kann, muss man das Alte loswerden. Du bist also eine Woche länger hier als geplant?, fragt er dann. Ja, wegen dir, sage ich. Er windet sich auf seinem Stuhl. Erst hatte er keine Zeit, Probleme mit dem Auto, das andauernd stehenblieb und einem Mechaniker, der den Fehler nicht fand, dann wurde er krank, aber das Telefon stresst ihn auch. Wenn er sich nicht längere Zeit nicht gemeldet hat, kriegt er ein schlechtes Gewissen, und dann meldet er sich erst recht nicht. Ich dachte schon, du willst mich vielleicht nicht mehr sehen, sage ich. Er verneint es vehement. Ist es besser, wenn ich dich anrufe?, frage ich Ja, das ist vielleicht besser.

Zum Abendessen brate ich mir eine Aubergine so, wie ich es im letzten Jahr von Giorgos gelernt habe. Ich hacke eine Tomate, die ich darum herum drapiere und reibe harten Ziegenkäse darüber. Während ich esse, lese ich in der New York Times einen Artikel über den Beatles-Dokumentarfilm von Peter Jackson und beschließe, ihn mir anzusehen, wenn ich wieder zu Schweden bin.

Lesbos 9/12 2021

2021/12/09 18:08

Die Zeit fliegt. Noch vier Nächte, dann muss ich abreisen.

Ich möchte nicht, aber mein Hiersein hat auch keine Perspektive.

Etwas ziellos segle ich durch die Tage, löse kleine Probleme, mache mir Sorgen, male, lese. 

Ich bin mit den Korrekturen des Anas-Buchs weiter gekommen, aber in dem Buch über Homer, das ich lese, komme ich einfach nicht voran, jedenfalls gefühlt. 

Ich weiß jetzt, was ich haben will: eine kleine Druckpresse, mit der man winzige Radierungen drucken kann. Lese im Internet, wie man aus gebrauchten Tetrapak-Kartons Radierungen herstellen kann. Der Gedanke macht mich glücklich. 

(Auf die Idee mit dem Drucken bin ich durch die Druckerpresse gekommen, die ich gestern im Haus von B und M gesehen habe.)

Gestern in Petra bei Myrsini. Hatte ein Foto von Cleos Wunde mitgebracht, die immer noch nicht ganz zugeheilt ist. An den Rändern haben sich kleine Blasen gebildet, und ich machte mir natürlich wieder Sorgen. B, die mich im Auto mitnahm, hatte eine kleine Katze dabei, deren Kastrationswunde sich wieder geöffnet hatte. Es war schön, ausnahmsweise mal nicht allein zu sein mit meinen Sorgen. B hatte mich an der Tankstelle abgeholt, ich hatte meine Gummistiefel und die Winterjacke an. Es war kalt und regnerisch. Myrsini schlug vor, daß ich am nächsten Tag mit Cleo nach Mytilini kommen sollte, dann würde sie sich um die Wunde kümmern. Ich war ziemlich gedrückt von dieser Aussicht (Cleo in die Box, mit Cleo drei Stunden im Bus, Cleo vielleicht wieder mit Vollnarkose, eine neue Wunde, das ganze Thema wieder von vorne). 

Hinterher lud B mich ein, sie und ihre Partnerin M in ihrem Haus zu besuchen. Wir hatten schon ein paar Mal davon geredet, es aber nie in die Tat umgesetzt. Sie füttern momentan fünfzehn Katzen, erzählte sie, von denen sie sechs als ihre eigenen ansehen. Ich hörte ihre Lebensgeschichte, auf fünf Minuten zusammengeschnurrt ("Wie bist du nach Molyvos gekommen?"), während wir über die gewundene Straße von Petra nach Molyvos kurvten.

B und M (die aus Kanada ist) wohnen gleich unter der Burg. Vom Parkplatz muss man über eine beträchtlige Anzahl von Stufen laufen, bis man zu ihrem Haus kommt. Es sind eigentlich zwei Häuser, die sie miteinander verbunden haben. Zusätzlich hat B kürzlich ein baufälliges Haus gekauft, das zwar günstig war, aber extrem renovierungsbedürftig ist. 

B zeigt mir die handbetriebene Druckerpresse im Keller und einige handgedruckte Weihnachtskarten, die sie am Tag zuvor gemacht hat. M arbeitet hauptsächlich mit Linolschnitt. "B verlässt sich auf Magie, ich brauche Kontrolle vom ersten bis zum letzten Schritt", sagt sie, bevor sie nach oben geht, um das Teewasser aufzusetzen. Kennengelernt haben sich sich vor über vierzig Jahren, an der London School of Printing. Beide hatten später gut bezahlte Jobs in der Buchbranche und sind jetzt in Rente. Am Geld mangelt es offensichtlich nicht - das Haus ist aufwendig renoviert und geschmackvoll eingerichtet. Auf einer der Terrassen stehen die Winterunterkünfte der Katzen: warm ausgepolsterte Katzenboxen, Holzkisten, ein großer Tonkrug, vor der Kälte und dem Regen geschützt. Im "Sitting Room" trinken wir Tee, reden, zeigen uns gegenseitig Bilder auf dem Computer, im Handy. Ein erstes Kennenlernen. Als B die Katze später aus Petra abholt, setzt sie mich auf dem Weg wieder an der Tankstelle ab. 

Im Laufe des Nachmittags fasse ich den Entschluss, nicht mit Cleo nach Mytilini zu fahren. Es würde so viel Stress bedeuten und ist vielleicht nicht nötig. Unser Freund J, der in England Tierarzt ist, schaut sich die Fotos von der Wunde noch einmal an und schreibt mir dann, dass ich seines Erachtens noch abwarten kann.

Mache später einen kurzen Spaziergang, werde aber vom Regen erwischt und kehre um. Laufe ein wenig hier auf dem Gelände herum, steige über Zäune auf die Nachbargrundstücke, wo grade niemand da ist, versuche, herauszufinden, welche Wege die Katzen gehen, wo sie vielleicht Unterschlupf finden können, wenn es kalt ist. Entdecke später Caesarion und Punxy auf der Terrasse unser Nachbarin, wo sie sich auf ein paar heruntergefallen Sitzkissen ein Lager eingerichtet haben.

Im Dunkeln mache ich mich dann noch einmal auf den Weg ins Dorf, zur Vorstandssitzung unserer Wohn-Coop auf Zoom. Sitze im verrauchten Café Perasma und trinke Roiboos-Tee mit Rosepfeffer, während wir über die neuen Keller- und Speichertüren reden, über die Kellerrenovierung, darüber, dass wieder eines unserer Mitglieder ihre Wohnung zum Verkauf angeboten hat.

Laufe im Dunkeln nach Hause, mit der Taschenlampe, mache mir dann etwas Gutes zum Essen (Kartoffeln mit gerösteten Zwiebeln und Olivenöl, Linsen mit Petersilie, Broccoli und eingelegte kleine Fischchen, die ich beim Supermarkt in Petra gekauft habe.). Male an einem #otherpeopleshomes-Bild, und als ich endlich ins Bett gehe, ist es schon nach Mitternacht. Bin froh, dass ich am nächsten Tag nicht nach Mytilini fahren muss. 

Giorgos hat sich endlich gemeldet: "Morgen um 12 Uhr im Bazaar" Ich muss lachen. So sehen seine kurzen Nachrichten immer aus: wie Befehle. 

Lesbos 7/12 2021

2021/12/07 22:03

Wie einem zerfransten Tag noch etwas abgewinnen?

Es war nett, dass J und C mich zum Essen einluden, als ich hinüber ging (mit der Taschenlampe meines iPhones), um J ein Buch zu leihen, von dem ich ihm erzählt hatte (ein Engländer schreibt über die Erfahrungen auf einer griechischen Insel). Außerdem wollte ich C ein Foto von Cleos Wunde zeigen, an der sich jetzt eine kleine Fleischwucherung gebildet hat. C sagte, dass sie Patienten, die mit ähnlichen Wunden zu ihr kämen, zu den Krankenschwester weiterschicke. Was die dann damit anstellen würden, wisse sie nicht. Dramatisch sei es jedenfalls nicht, dessen sei sie sich ziemlich sicher.

Verregneter Tag. Das Wasser plätscherte vom Dach. Ich zog die Gummistiefel an und ging ins Dorf, watete durch die tiefen Pfützen. In der Apotheke kaufte ich einige Entwurmungspillen. Dann lief ich die Straße zum Hafen entlang. Die Weihnachtsdekoration hat man (wer?) aus bemalten Euro-Paletten (Weihnachtsbäume) und Autoreifen (Schneemänner) und einigen gefüllten Kopfkissenbezugen (auch Schneemänner) hergestellt. In dem riesigen Adventsring, der am Dorfeingang aufgestellt ist, stehen jetzt zwei kindergroße Nussknackerfiguren.

Am Hafen angelangt, nimmt der Regen wieder zu, und ich kehre um, da das Café, wo ich hoffte, Giorgos zu treffen, zu hat. Komme durchnässt wieder zu Hause an, hänge meine Kleider überall im Zimmer auf. Google die Frage, "warum ist Schreiben gut für uns?", speichere die Artikel, die ich finde, in Google Keep ab. Mache mir Spiegeleier mit Tomaten- und Gurkensalat samt Schafskäse zum Mittagessen. Das Hartweizenbrot, das ich vorgestern gebacken habe, brate ich in dem Olivenöl, das noch in der Pfanne übrig geblieben ist. Nehme mir vor, weiter im Buch über Homer zu lesen, aber ich öffne das Buch gar nicht und lese mich stattdessen in dem Buch eines Engländers fest, der mit seinem Partner auf die griechische Insel Symi gezogen ist. Hinterher beschäftige ich mich mit griechischen Vokabeln, lade einige Vokabelsammlungen auf meinen neuen Karteikarten-App und stelle wieder fest, dass ich kaum ein Wort aktiv beherrsche. Eine frustrierende Stunde. Ich beschließe, noch einmal ganz von vorne anfangen, die Grammatik ordentlich zu lernen, mich jeden Tag hinzusetzen. Vielleicht kann ich die Sprache irgendwann einmal knacken.

Ich habe mir vorgenommen, heute, eine halbe Stunde mit dem Anas-Text zu verbringen, aber dann wird eine Stunde daraus. Einerseits ist es ein gutes Gefühl, die Korrekturen abzuhaken, andererseits werde ich wieder mit dem Text konfrontiert und sehe heute hauptsächlich seine Schwächen. 

Hinterher tigerte ich dann wie gesagt im Dunkeln zu den Nachbarn und wurde gebeten, auf einem der immer noch mit Plastik überzogenen Stühlen Platz zu nehmen und mit ihnen zu Abend zu essen. Wir erzählten uns über unsere Erlebnisse in den letzten beiden Tagen, und dann klappte C ihren Computer auf, um ihre Rosetta-Stone-Lektion durchzugehen. J und ich machten von der Zuschauertribüne aus mit. Plötzlich konnte ich dann doch wieder etwas, vor allem verglichen mit J, der die griechischen Wörter immer noch mühsam (und vergeblich) zu buchstabieren versucht. 

Ging dann zurück zu mir. 

Zum Malen ist es jetzt zu spät. 

Vielleicht mache ich doch noch eine Skizze. 

Jetzt.

Lesbos 6/12 2021

2021/12/06 14:26
Nachgetragen:

Am Freitag: Besuch in Kalloní, Uhr repariert bekommen, Katzenfutter gekauft. Cafébesuch. Im Bus Laura aus San Francisco kennengelernt.

Am Samstag: Rundgang im Dorf, Einkaufen, gegen Abend Spaziergang um den Berg herum. Doppelter Regenbogen, Bad im Meer. Dann ein "Webinar": "When meditation doesn't work", mit Club Soda im Café Perasma.

Am Sonntag: Lange Rundwanderung mit J und C, von Vafios zum Profeten Elias und zurück - hinterher zum Essen nach Skala Sikaminia. J war schlecht gelaunt und beleidigt, weil in der Taverne das meiste Essen schon aus war (wir waren spät dran).

Heute, Montag: Regenbogen über Molivos. Busfahrt nach Petra (einziger Passagier im Bus), Besuch in der Tierarztpraxis. Anti-Durchfall-Medizin für Tiny aka Sophia aka Sassy. Cafébesuch. 

Die Geschichte von Laura aus San Francisco, die ich auf der Busfahrt nach Kalloní kennenlernte, wo wir die einzigen Passagiere im Bus waren. Sie kam hierher Anfang 2016, um im Flüchtlingszentrum zu helfen. Der einzige Mensch, dem sie an ihrem ersten Tag begegnete, war ein Mann, der einen Raum ausmalte. Sie fragte ihn, ob sie ihm helfen sollte, und er drückte ihr einen Pinsel in die Hand. Sie habe gedacht, er sei der Chef, aber er war "nur" der Handy-Man. Sie verstand, dass er eigentlich Schafbauer war und fragte, ob sie einmal bei ihm vorbeikommen könne. Er nahm sie schon am selben Tag mit zu sich. Der Rest ist Geschichte, sagt sie.  

Heute sind sie verheiratet. Sie hat sich bemüht, Griechisch zu lernen, und er hat sich bemüht, Englisch zu lernen, aber keiner von ihnen beherrscht die Sprache des anderen so gut, dass wirklich miteinander reden könnten. Wenn sie nach Athen kommt und dort Griechisch spricht, lachen die Leute, weil sie klingt wie ein Schafbauer von Lesbos. Ihr Geld verdient sie damit, dass sie Chinesen online Englisch beibringt. Jetzt ist sie auf dem Weg nach den USA und will dort sechs Wochen bleiben, über Weihnachten und Neujahr. Hast du keinen Hintergedanken, dass du vielleicht dort bleiben wirst?, frage ich. Überhaupt nicht, sagt sie, ich habe nicht den geringsten Wunsch, wieder in den Staaten zu leben.

Es wurde ihr auf der kurvenreichen Fahrt schlecht, und sie brach unser Gespräch ab, lehnte ihre Stirn auf die Lehne des Sitzes vor ihr. Als wir ankamen, tauschten wir Telefonnummern aus. Du solltest ein Buch über deine Erfahrungen schreiben, sagte ich. Ich kann mir ein Buch mit dem Titel "My life with a greek sheep farmer" sehr gut als Weltbestseller vorstellen. Sie lachte und stimmte mir zu. Es gäbe viele komische Geschichten zu erzählen, sagte sie. Aber so ein Buch würde auch mit den romantischen Vorstellungen aufräumen, die viele noch haben, wenn sie an das Leben eines Schafbauers denken. 

Im Februar, wenn sie wieder zurück auf der Insel sei, werde sie sich bei mir melden, sagte sie. Wundere dich also nicht, wenn du eine SMS von "Laura" bekommst. Ich wünschte ihr alles Gute für die lange Reise und ging dann weiter, um ein Café zu finden, in dem ich ein Frühstück bekommen könnte.

Meine geschenkte Woche fängt heute an. Jetzt säße ich schon im Flugzeug nach Kopenhagen. Ich brauche nichts Besonderes mehr zu tun. Es ist grau und regnerisch, auf dem Wetter-App wird vor Unwettern gewarnt.  

Tiny spitzt aus ihrem Korb, mit ihrer von der Pilzinfektion schmutzigen Nase und schläfrigen Augen, verschwindet aber schnell wieder in der Versenkung, wie ein Fitzlibutzli..

Freitag, 3. Dezember 2021

Lesbos 3/12/2021

 2021/12/03 09:37


Warum ich Soprano nicht mit der Sprühflasche verjage: weil mich seine vorwurfsvolle Art, mich durchs Fenster anzusehen, die mir deutlich machen soll, dass er schon wieder das "falsche" Futter bekommen hat, jeden Tag zum Lachen bringt. Und auch sein "Gesang", wenn er den Weg zum Haus hoch trottet. Seine hohe Stimme steht in einem so großen Gegensatz zu seinem respekteinflößenden Äußeren, dass das allein schon komisch ist.

Tiny aka Sassy wird inzwischen auch fordernd. Wenn man sie nicht ausreichend streichelt oder sie daran hindert, dass sie sich einem beim Schreiben auf die Hände setzt, kriegt man eins auf die Pfoten. Sie hasst das Anti-Pilz-Shampoo. Ich habe schon zahllose winzige Kratzwunden an meiner Hand.

Ein neuer Tag. Ich gratuliere mir zu meiner Entscheidung, eine Woche länger hier zu bleiben. Habe vor, heute nach Kalloní zu fahren. Meine Uhr reparieren lassen. Futter für das Kätzchen kaufen. Im Café sitzen. Lesen. Wieder zurück fahren.

Lesbos 2/12/2021

2021/12/02 18:34


Ich frage mich, warum ich nie in einen Zustand des inneren Friedens gelange. Was ich mir auch vornehme, ich werfe mir selber etwas vor die Füße (etwas wirft sich vor meine Füße, und ich muss sofort ein Drama draus machen). Mein Nachbar J sagt, dass ich die Katzen anziehe ("attract") - "because of your mindset". Ich sage ihm nicht, dass er die Probleme mit den griechischen Handwerkern anzieht - "because of your mindset", d.h., ich sage es erst viel später, und wir können drüber lachen.

Inzwischen sind schon wieder viele Probleme aufgetaucht, die sich zwar zunächst lösen ließen, sich aber dann doch aus unerwarteter Richtung wieder als Probleme formierten. Immer wieder schlaflose Stunden in den Nächten. Alle möglichen Eventualitäten werden in meinem Kopf durchgekaut. Was machst du, wenn du nicht schlafen kannst, fragte ich J. Ich rezitiere ein Mantra, antwortete er. Wir einigten uns darauf, dass es nicht das "ich" ist, das denkt, sondern der Kopf (wir benützen das englische Wort "mind". das viel besser ist). Warum gibt es für "mind" kein passendes deutsches (und auch schwedisches) Wort?

Ich habe inzwischen meinen Flug um eine Woche verschoben und eigentlich gedacht, dass ich jetzt endlich entspannen und loslassen kann, dass ich endlich frei bin, um mein volles Potential auszuschöpfen und das zu tun, weshalb ich eigentlich hier bin. Griechisch lernen, malen, schreiben, das nächste Jahr planen. Immer wieder sehe ich das Fegen, das Aufräumen, das Abspülen am Morgen als eine Zeitverschwendung an. Immer noch verplempere ich Zeit mit den Corona-Nachrichten, mit sozialen Medien, mit dem iPhone. Teufelszeug. Wegen allem kann ich mir Sorgen machen.

Die kleine Katze, die vor drei Tagen hier auftauchte, konnte ich ganz einfach nicht ihrem Schicksal überlassen. Sie war völlig ausgehungert und (das wusste ich da noch nicht) ziemlich krank. Inzwischen waren wir bei der Tierärztin, die eine Ringwurm-Infektion diagnostizierte, und wir haben eine Behandlung begonnen. Sie (ich dachte zuerst "er") war zwar der Anstoß dafür, dass ich meinen Flug um eine Woche verschoben habe, aber letztendlich habe ich es für mich getan. Ich brauche diese Zeit noch, dieses langsame Ausklingenlassen, ohne Hektik, ohne Dinge, die ich tun muss, hoffentlich ohne Tierarztbesuche und Angst um eine der Katzen, ohne Zoom-Meetings, ohne Kurse, die ich betreuen muss, sogar ohne Filme. Vielleicht könnte ich endlich mein Buch über Homer auslesen, durch das ich mich momentan nur langsam durchquäle.

Das Wetter ist unberechenbar. Erst warm, dann wieder eiskalt, dann kommt ein Wind auf, es regnet, und hinterher strahlender Sonnenschein. Das kostet manchmal Energie, lässt aber ein Gefühl von Lebendigkeit entstehen. Auch die Bilder, die ich male, sind unvorhersehbar. Oft kann ich ein Bild, das ich in einem früheren Stadium noch gut gefunden habe, einfach nicht sein lassen und verderbe es dann. Das kostet mich auch Schlaf. Ich holte heute einen riesigen Malblock vom Speicher. Caesarion bekam richtig Angst, als ich damit die Leiter herunter kam. Jetzt liegt das Monster auf dem Boden und macht MIR Angst. Die Angst vor dem leeren Blatt Papier. Die Angst vor dem Versagen. Die Angst davor, vernichtet zu werden.

Am Dienstag machte ich mit den Nachbarn eine Wanderung, wir gerieten von Sonne in Regen, Hagel. Mein rechter Schuh löste sich auf, C verarztete ihn mit einem zusammengebundenen Stück Stoff, aber das hielt nicht lange, und ich wechselte zu meinen Flipflops, was gut ging, bis der zunächst bequeme, breite Weg zu einem engen, zugewachsenen, steilen Geröllpfad wurde (später begriffen wir, dass wir wieder mal falsch gegangen waren). Als wir einen schmalen Wasserarm überqueren sollten, schienen die Flipflops praktisch zu sein, aber das Wasser stand zu hoch, ging mir bald zu den Knien, und plötzlich wurden meine Füße vom Schlamm erfasst. Es war ein Augenblick der Panik. Ich hätte meine Flipflops im Schlamm lassen können, dann wäre ich leichter wieder herausgekommen, aber dann hätte ich barfuß weitergehen müssen. Vor meinem inneren Auge das Bild (ich kannte es aus alten Abenteuerfilmen), dass ich immer weiter einsinke, bis nur noch mein Arm theatralisch aus dem Wasser ragt. C und J standen derweilen am Ufer und überlegten schon (so erzählten sie hinterher), wie sie mich retten könnten, wenn ich tiefer einsinken würde, aber das Ganze dauerte nur etwa eine Minute, und es gelang mir, mich mit aller Kraft aus dem Sog zu befreien und ans Ufer zurückzukehren, mit tropfenden Hosenbeinen. Wir liefen den Weg zurück, während es langsam dunkler wurde. Als wir uns mit dem Auto unserem Zuhause näherten, fühlte es sich an, als kämen wir nach einer langen Abwesenheit zurück.

Gestern zwei Stunden in der Tierarztpraxis, ein griechisches Drama mit einer älteren Griechin und ihrem ständig bellenden Hund (und ihren pausenlosen Versuchen, ihn durch Schreien zum Verstummen zu bringen, was natürlich nicht klappte), einem englischen Paar in knapper Freizeitkleidung und ohne Mundschutz, die sich vordrängten (er nannte sie "chicken", ihre Stimme hörte man nie), einem in Molivos ansässigen Engländer mit seiner Hündin Peggy, der sich so große Sorgen wegen ihres Hustens machte, dass er beim Reden ständig den Tränen nahe war, und dem "Engel"-Juwelier aus Molivos, der mit einer Katze gekommen war und von etwas abseits das Geschehen lächelnd betrachtete. Ich bewunderte, wie Myrsini die Ruhe behalten konnte und noch den Nerv hatte, mit mir über den Geräuschpegel hinweg ein Gespräch zu führen, während sie gleichzeitig eine junge Katze sterilisierte. Währenddessen saß J auf dem Parkplatz im Auto und zeigte nicht die geringste Ungeduld, wenn ich in unregelmäßigen Abständen ans Fenster klopfte und sagte, es würde jetzt doch länger dauern.

Und heute: Nach einem Vormittag am Computer (das Unmögliche planen, weil Corona schon wieder einen Strich durch alle Rechnungen macht) belohnte ich mich bei Ignatio (Nati) und seiner Frau mit kleinen frittierten Fischen, weißen Bohnen und einem einfachen Salat. Ich war der letzte Mittagsgast, die übliche Männergruppe war schon im Aufbruch, als ich kam. Ein Glas Weißwein?, fügte Ignatio meiner Bestellung in fragendem Ton hinzu, und obwohl ich mir vorgenommen hatte, heute nur Wasser zu trinken, sagte ich ja. Immer öfter traue ich mich, etwas auf Griechisch zu sagen. Es kamen schwarze Wolken auf, mein Blick saugte sich an ihnen fest, während ich mein Essen bis auf den letzten Krümel und den letzten Olivenöltropfen verzehrte, wohl wissend, dass Ignatio und seine Frau froh sein würden, wenn ich endlich fertig wäre. Er saß auf seinem Stuhl und gähnte hin und wieder herzhaft, seine Frau kam nach einer Weile aus der Küche und setzte sich schweigend neben ihn, und ich vermied es, in ihre Richtung zu schauen. Zerteilte meine kleinen Fische mit den Fingern, saugte die Soße der weißen Bohnen mit dem gelben Brot auf, dachte an Christina, mit der ich oft hier gesessen habe. Bei unserem letzten Treffen hatte sie schon so gut wie aufgehört zu essen, etwas zeichnete sich schon ab, aber man wusste nicht, was es war. Im Fenster steht ein Blumentopf mit ihrer Lieblingsblume. Eine Handvoll ihrer Asche ist in die Blumenerde gemischt. Ignatios und seine Frau wissen es nicht, aber sie ehren die Pflanze, ein Gedenken an Christina, die Ärztin aus Schweden.

Auf dem Heimweg fing es an zu regnen. Ich füllte wieder eine Trommel mit Wäsche, googelte "ringworm" und gab mich dann eine Weile meinen Sorgen und meinem Selbstmitleid hin. J hat schon Recht: Es ist meine Einstellung zu den Dingen, die mich an der Wirklichkeit leiden läßt. Gelassenheit stellt sich nur hin und wieder ein, in kurzen, verschwindenden Augenblicken.



Lesbos 28/11/2021

 2021/11/28 21:49


Heute im Sonnenschein eine Wanderung nach Eftalou und dann weiter nach Skala Sikaminias, mit meiner Nachhbarin C.

Ich hatte vorgeschlagen, dass wir am Meer entlang gehen sollten, aber es wurde mir schnell klar, dass ich dabei nicht daran gedacht hatte, wieviel es in den letzten Tagen geregnet hat. Nach einigen Strandbuchten kamen wir an eine Felsenkante, die wir nicht umrunden konnten, ohne ins Wasser zu steigen. Wir zogen also die Schuhe aus, versuchten eine niedrigere Welle abzuwarten und im richtigen Moment loszugehen, während wir uns gleichzeitig am Felsen festhielten. Dann kam eine weitere Felsenkante, und hier schien es uns unmöglich, übers Wasser zu gehen. Die Gefahr wäre zu groß gewesen, dass eine Welle uns überspült hätte. Wir kletterten eine Felswand hoch und sahen uns einer Landschaft aus dornigem Gestrüpp gegenüber, hatten aber keine Wahl, als weiterzugehen. Die Dornen stachen durch meine Schuhe, durch meine Hosenbeine, und ich hoffte nur, dass der kleine Pfad, auf dem wir uns befanden, nicht plötzlich aufhören würde.

Bin jetzt zu Hause und höre für heute auf zu schreiben. Punxy hat wieder gehustet. Louis' Brustwunde hat doch noch einmal geeitert, ich musste sie noch einmal ausdrücken. Heute Abend sah es wieder besser aus. Cleos Wunde ist nach drei Wochen immer noch nicht ganz zugeheilt.

Mir fallen die Augen zu. Trinke Bergtee.



Lesbos 27/12/2021

 2021/11/27 12:37


Gestern Nachmittag kam erst Regen, dann Sturm und schließlich noch mehr Regen. Gerade als ich das Haus verlassen wollte (hatte mich schon fertig gemacht), fing es an zu tröpfeln, und ich blieb dann doch auf der Terrasse, las in meinem Buch ("The Mighty Dead - why Homer matters" von Adam Nicolson) und trank eine Tasse Tee. Als ich schon wieder im Haus war und an meinem "Mal- und Esstisch" ein paar Skizzen machte, fiel der Strom im ganzen Dorf aus, eine Stunde vor einem geplanten Zoom-Treffen. Schnell (so lange ich noch Internetanschluss und genug Batterie in meinem iPhone hatte), warnte ich die Teilnehmerinnen meines Schreibkurses, dass ich möglicherweise zur verabredeten Zeit nicht online sein können würde. Dann kam der Strom zurück, aber das mobile Netz war nun ausgefallen. Ich fing gerade an, mich darüber zu freuen, dass ich um das Treffen herumkommen würde, da tauchte das 4G-Signal im Handy plötzlich wieder auf. Das war drei Minuten vor dem Zoom-Beginn. Am Ende war es doch gut so, sonst hätte ich das Treffen auf einen anderen Tag verschieben müssen.

Hinterher das Bedürfnis, in die Nacht hinauszugehen. Der Regen hatte seit Längerem aufgehört. Ich nahm die Taschenlampe, vorsichtshalber einen Schirm und machte mich auf den Weg. Erst da konnte ich sehen, wie stark es geregnet hatte. Der Abflussgraben neben dem Weg war übergelaufen und es sah so aus, als wäre der halbe Weg weggespült - das Regenwasser hatte tiefe Furchen gegraben. Und das Flussbett war ein rauschender Strom aus braunem Wasser.

Im Dorf steuerte ich das Gyros-Lokal an, in dem alles aussah wie sonst, außer dass weniger Kunden da waren. Allein saß ich in dem hell erleuchteten Lokal. Einige Männer kamen und holten sich Bestelltes in Plastiktüten ab. Beim Betreten des Raums war ich gefragt worden, ob ich geimpft sei. Ja, bin ich. Wollen Sie den Nachweis sehen? Nein. Ich las weiter in Adam Nicolsons Buch, stopfte den Gyros viel zu schnell in mich hinein, weil ich solchen Hunger hatte, und ging dann in der seltsam warmen Nachtluft wieder nach Hause. Der Abschluss eines eigentümlichen Tages.

Ich malte noch ein Bild fertig, das ich vor dem Stromabbruch angefangen hatte, und dann blieb ich an irgendetwas hängen, ich weiß nicht mehr genau, woran, im Zweifelsfall in sozialen Medien, und es wurde plötzlich sehr spät. Als ich das Licht ausmachte, war es schon nach zwölf. Dafür war die Nacht dann nicht gut. Der Gyros lag mir schwer im Magen, die drückende Wärme fühlte sich falsch an. Ich musste die Wolldecke abstrampeln. Plötzlich wachte ich davon auf, dass die grelle Lampe vom Ventilator sich wieder eingeschaltet hatte, was sie immer tut, wenn nach einem Stromausfall der Strom wieder zurückkommt. Um halb fünf Uhr versuchte ich, meine nutzlosen Gedanken loszuwerden, indem ich Yoga Nidra machte, und muss wohl eingeschlafen sein, weil es halb acht war, als ich wieder auf die Uhr schaute.

Am Morgen schaffe ich jeden Tag wieder Ordnung in dem kleinen Zuhause. Mache das Bett, räume die Kleider weg, fege, schüttle die Teppiche aus, spüle ab, was eventuell vom Abend noch dasteht. Schaufle die Klumpen der Nacht aus dem Katzenklo. Mache mir Kaffee in der Espressokanne und esse Honigbrote dazu, während ich auf dem iPad Nachrichten lese. Was ist passiert? Eine neue Variante des Covid19-Virus wurde in Südafrika entdeckt. 46 Millionen Truthähne mussten ihr Leben für das amerikanische Thanksgiving geben - eigentlich haben sie nur für diesen Tag gelebt, sind darauf hin gezüchtet worden.

War bereits beim Einkaufen, habe Sauerteig und Wasserkefir angesetzt. Vage habe ich heute den Wunsch, eine Wanderung machen, in die Natur zu kommen. Sind auch meine Wanderungen eine Flucht? Aber was ist eigentlich keine Flucht? Wovor? Vor dem Schmerz.



22:15

Fühle mich etwas krank, nicht ganz wohl in meiner Haut. Vielleicht ist es nur Übermüdung. Noch eine Zoom-Sitzung hinter mich gebracht. Ab nächster Woche ist meine Zukunft ein unbeschriebenes Blatt.

Schreibe von jetzt an täglich fünf griechische Wörter auf, heute waren es: "verärgern/aufregen", "spazierengehen", "gehen/trampeln", "dann", "Vogel", "fliegen".

Das Bad geputzt, mit Soda und Essig. Den Boden vor der Küchenzeile gewischt. Das Katzenklo wieder saubergemacht. Ich verpasse Louis eine Entwurmungstablette und hoffe, dass sein Durchfall dadurch besser wird. Seine Brustwunde habe ich wieder gereinigt und es sieht jetzt aus, als wäre sie am Abheilen.

Begab mich am Nachmittag in das halb graue, halb sonnige Wetter, fuhr mit dem Fahrrad bis zum "end of asphalt". Es war schon halbdrei, also zu spät für eine längere Wanderung, aber ich wollte einfach in die Natur kommen, mich vielleicht irgendwo hinsetzen und etwas malen. Bald begegneten mir die Fotografin E und die Tierschützerin Ch, die mit vier Hunden unterwegs waren, und später noch J und C, die im Rucksack einen Live-Vortrag eines Yogananda-Lehrers mit sich herumtrugen, der während unseres kurzen Gespräches aus seinem Versteck gedämpft weiter redete. Der Weg hatte sich nach dem Regen in einen Bach verwandelt, und da ich meine dünnen Barfuß-Schuhe anhatte, versuchte ich mich am Rand entlang zu hanteln, hielt mich dabei an morschen Ästen und an Gestrüpp fest und sagte mir, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass ich nasse Füße bekäme. Als der Weg aber nicht besser, sondern nur schlimmer wurde, beschloss ich umzukehren.

Die Wolken hingen tief. Auf einem Felsen sitzend, machte ich eine schnelle Aquarellskizze von der Aussicht. Dann packte ich zusammen. Es war wieder Wind aufgekommen und die Dunkelheit kam schlagartig. Ein weiß leuchtender Schafsschädel lag vor meinen Füssen. Es nieselte.

Gerade sehe ich durch die Terrassentür, dass Louis die Scheibe Hundewurst frisst, die ich eigentlich für den Fuchs hingelegt hatte. Ständig sind die Katzen zum Fressen bereit, wahrscheinlich haben sie wie Menschen Angst vor dem Hunger.

Schon wieder Stromabbruch. Nur der kleine Bildschirm des Pomera leuchtet. Ich muss jetzt eine Taschenlampe finden und mich dann für die Nacht fertig machen.


Lesbos 26/11/2021

 2021/11/26 13:11


Ein Tag zu Hause. Yoga, Atmen. Griechisch

Träumte in der Nacht von Venedig, einem Venedig, das ich kannte, in dem ich zuvor schon gewesen war, oft und lange, aber es hatte nichts mit dem wirklichen Venedig gemeinsam (außer dass es am Wasser lag). Es war, als hätte ich eine fertige innere Landkarte der Stadt. Ich wusste sogar, welche Stadtteile ich schlechter fand als andere (zum Beispiel den, in dem es das beste Eis gab). Ich kann nicht sagen, ob ich diese Landkarte schon früher in meinen Träumen gesehen habe, oder ob mir mein Traum nur die vielen früheren Besuche vorgegaukelt hat. Das Traumbewusstsein ist bei weitem interessanter als das Wachbewusstsein. Meine Mutter hatte sich eine Frisur aus grünen Paprikastreifen gemacht, und ich war besorgt, weil sie die Paprikas aus einem fremden Garten gestohlen hatte.




Lesbos 25/11/2021

2021/11/25 21:37

Mein heutiges Bild riss ich aus dem Skizzenbuch und warf es in den Abfall. Ich war heute so fest entschlossen gewesen, mich irgendwo hinzusetzen und zu malen, aber es kam nie der richtige Augenblick. Zu Hause setzte ich mich dann mit einem der Fotos hin, aber es wurde nichts daraus. Frustriert, als hätte ich heute nichts zustande gebracht.

Ich fuhr gegen Mittag mit dem Fahrrad nach Petra, stellte es dort am Meer ab. Ich hatte vor, nach Anaxos zu wandern, über den Wanderweg, den ich letztes Mal gesehen hatte. Erst hatte ich wieder Probleme damit, den Eingang zum Wanderweg zu finden und schimpfte innerlich auf die Verfasser des Wanderbuchs. Dann hatte ich mich doch zurechtgefunden und begann den Anstieg zwischen Olivenhainen. Ich sammelte meine Jackentaschen voll mit Oliven, die auf dem Boden lagen. Der Weg war leicht, ein angenehmer Spaziergang mit schönen Ausblickspunkten, und ich kam bald unten bei der Straße heraus. An einer großen Schafsfarm vorbei ging ich zum Strand, wo ein Trampelpfad direkt am Wasser entlang führte. Früher war das wohl hier eine Gegend für Urlauber, jetzt ist sie ausgestorben, nicht nur der Jahreszeit wegen. Viele aufwendig und liebevoll gebaute Hotels hat man dem Verfall preisgegeben. Ständig sah ich das "Zu vermieten"- oder "Zu verkaufen"-Schild. Ich war zu k.o., um den ganzen Weg bis Anaxos zu laufen und kehrte um, in Richtung Petra. Kurze Zeit überlegte ich, ob ich vielleicht ins Meer gehen sollte, aber ich ließ es dann doch bleiben.

Gesehen: Die einsame Ziege in einem engen Gehege, mit zusammengebundenen Beinen, vor einem Berg von Kohlblättern. Der kleine aufgeregte Hund, der zwei gelangweilte Ziegen bewachen soll. In einem Olivenhain ein toter Fuchs, wie hindrapiert im Sonnenschei - er sieht ganz jung aus. Katzen, scheue und zutrauliche, gut genährte und magere. Das Hundegebell von dem Gehege des Vereins „Tierfreunde Lesbos“. Als ich ins Zentrum von Petra kam, kaufte ich mir in einer kleinen Bäckerei, in der die Verkäuferin gerade den Fußboden feucht gewischt hatte, ein Spinakópita. Dann setzte ich mich in der Abendsonne auf eine Bank am Kai und verspeiste sie.

Nachdem ich den anstrengenden Weg bis nach Hause geradelt war, nahm ich mir vor, mich heute nicht mehr von hier wegzubewegen, machte mich aber dann doch noch einmal in der Dunkelheit mit der Taschenlampe auf, um ein paar Lebensmittel zu kaufen. Theodos' Frau war heute gesprächig. Lange stand ich im Laden, während sie andere Kunden abkassierte. Wieso ich nicht ganz hierher ziehe? Ja, wieso? Aber was soll ich denn hier tun, wovon leben? Andererseits: was soll ich in Schweden tun, wovon leben? Auf dem Weg nach Hause durch die Dunkelheit dachte ich an all die Wege, die ich in meinem Leben schon gegangen bin, auf dem Weg zum Lebensmittel einkaufen. Dankbar über den Reichtum, die Vielfalt meiner Erinnerungen.

Louis Beißwunde hat sich jetzt doch infiziert. Als ich heute draufdrückte, protestierte er, und plötzlich schoss ein Strahl übel riechender Flüssigkeit heraus und über sein Fell. Ich machte ihn sauber, reinigte die Wunde, und hoffe jetzt, dass wenigstens dieses Problem zu lösen geht, ohne dass ich ihn zu Myrsini bringen muss. Er protestiert nur wenig, ist gutmütig und leicht zu handhaben, im Gegensatz zu Cleo und Punxy. Cleo verweigerte die Hundewurst nach dem Erfolg des ersten Tags, und inzwischen kriegt sie ihre Medizin in einem Klick Gourmet-Futter. Ganz aufgeregt schleckt sie das Mousse auf, in das ich das Pulver der Antibiotika-Kapsel geleert habe.

22:22

Ich schaute mir noch einen südkoreanischen Film an, "Heart", eine "Metakomödie", in der es um eine Filmemacherin geht, die einen Film dreht, der von ihren eigenen Erlebnissen handelt, d.h. eigentlich von Gesprächen über die Erlebnisse. Intelligent.

Bekam heute die Korrekturen meines Buchtext. Bis zum Jahreswechsel muss ich sie durchgeschaut haben. Beschließe, damit zu warten, bis ich wieder in Schweden bin.

 

Lesbos 24/11/2021

2021/11/24 22:20


Ich hätte ehrlichgesagt nie gedacht, dass Soprano mir abgehen könnte, aber jetzt, wo ich ihn den ganzen Tag nicht gesehen habe, fehlt er mir doch. Vielleicht auch, weil ich vor einigen Stunden aus der Dunkelheit ein nicht zu identifizierendes, aber herzzerreißendes, Geschrei gehört habe, dem ich mit der Taschenlampe auf den Grund zu gehen versuchte, doch als ich näher kam, verstummte es, und ich kehrte wieder zum Haus zurück, ohne etwas ausrichten zu können.

Heute bei Myrsini, langes Warten, weil vor mir Straßenkatzen dran waren. Eine Katze mit einem entzündeten, blutig gekratzten, Auge, das nicht mehr zu retten geht. Ein abgemagerter Kater mit schlechten Zähnen, die entfernt werden müssen. Sterilisierungen. Myrsini hört Punxys Lunge ab. Es klingt nicht dramatisch, aber sie bekommt eine Spritze, zur Vorbeugung gegen Lungenentzündung. Für Cleos entzündete OP-Wunde bekomme ich eine Packung Antibiotika mit. J, der mich nach Petra gefahren hat, macht in der Zwischenzeit Erledigungen und holt mich dann wieder ab.

Es war eine seltsame Atmosphäre heute, wettermäßig. Über den Bergen türmten sich dunkle Wolkenfronten auf und es ging ein kalter Wind. Ich saß in einem Café im Dorf und machte ein wenig Büroarbeit auf dem iPad, trank einen Kaffee mit scheußlicher Dosenmilch, zum stolzen Preis von 3 Euro. Lud auch wieder ein paar südkoreanische und einen taiwanesischen Film herunter. Es war zu kalt, um irgendwo im Freien zu sitzen und zu zeichnen. Da sah ich das Licht überm Meer, so unglaublich schön, dass ich es auf einem Foto einfangen musste, das ich mir jetzt immer wieder anschaue.

Der Laden von Giorgos früherer Freundin ist jetzt geschlossen und wird verkauft. Das ist kein gutes Zeichen - sie ist schwer krank gewesen, und in den letzten Wochen habe ich sie nicht im Laden gesehen, nur einen jüngeren Mann, der etwas verloren herumsaß. Kunden kamen wohl sowieso nicht.

Ich verpasse Cleo ihre Antibiotika-Kapsel in einer Hundewurst, die Myrsini mir mitgegeben hat. Sie sieht ziemlich eklig aus, aber es funktioniert. Cleo schleckt sogar die Kapsel auf, als sie aus dem Wurstmantel herausfällt.

Wusch wieder eine Ladung Wäsche, hängte die Laken auf der Terrasse auf, wo sie vom Wind durchgepustet wurden. Wenn ich im Dunkeln zum Keller mit der Waschmaschine gehe, muss ich eine Taschenlampe mitnehmen, um nicht über die verschiedenen Stufen auf dem Weg zu stolpern, und auch für die Treppe hinunter zur Kellertür.

Klaubte unter dem Olivenbaum der Nachbarn einige frisch heruntergefallene Oliven auf, die ich dann zum Salz in die durchlöcherte Plastiktüte gab, die an einen Kochlöffelstiel geknotet in dem grünen Eimer hängt.

Sonst ist heute nichts Besonderes passiert. Malte am Abend, bin aber wieder nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Dabei habe ich zwischendurch gedacht, ich hätte jetzt meinen Stil gefunden.

Dienstag, 23. November 2021

Lesbos, 23/11/2021

2021/11/23 09:13

Es nieselt draußen, und ich kann mich endlich ein wenig um die Sachen kümmern, die liegengeblieben sind. Der schöne Ausblick von der Terrassentür: ein abgeernteter Olivenbaum. Sitze auf dem Bett, zwei dicke Kissenrollen im Rücken, neben mir drei schnurrende Katzen: Cleo, Punxy, Caesarion. Auf der Küchenbank steht der Brotteig, der neue Wasserkefir ist angesetzt. Ich habe abgespült, das Bett überzogen und den Boden gefegt. Cleos Operationswunde ist größtenteils gut verheilt, nur eine kleine Stelle mit frischem Blut habe ich gestern Abend gesehen, aber sie sieht sauber aus und nicht entzündet. Punxys Husten scheint besser geworden zu sein, sie atmet auch nicht mehr so schnell. Louis' Beißwunde ist verkrustet, er reagiert nicht, wenn ich drauf drücke. Werde heute mit Myrsini wegen Punxy reden.

Gestern ging mir wegen der Olivenernte ein bezahlter Job durch die Lappen - das Transkribieren eines medizinischen Vortrags. Pech. Andererseits möchte ich mich nicht abhängig machen von schnellen Aufträgen, die, wenn man nicht sofort antwortet, an jemand anderen vergeben werden.

Vielleicht wächst man gerade wegen aller Probleme mit der Insel immer enger zusammen? Ich sprach gestern mit C darüber. Eigentlich wäre es viel entspannter, jedes Mal, wenn man hier ist, ein Zimmer und ein Auto zu mieten, es wäre wahrscheinlich sogar günstiger. Aber man würde sich mehr an der Oberfläche bewegen, müsste nie die Arbeitshandschuhe anziehen, Olivensäcke aus den Straßengräben einsammeln, man hätte nie Kontakt mit Schreinern, Elektrikern, Kühlschrank-Experten, mit den Männern von der Olivenpresse, mit Dino, dem Steuerberater auf dem Moped. Man müsste sich nicht mit der Funktionsweise einer Heizungsanlage beschäftigen oder lernen, welche Hähne der Bewässerungsanlage in welche Richtung deuten müssen. Man wüsste auch nicht, wo man Ersatzteile für den Bewässerungsschlauch bekommt oder wie man Gartenmöbel behandelt, die von Termiten befallen sind. Man müsste sich nie Sorgen wegen eines leckenden Dachs im Geräteschuppen machen. Man würde nie lernen, wie man Oliven erntet. Man müsste sich nie den Kopf darüber zerbrechen, wie die Katzen Futter bekommen, wenn man nicht mehr da ist.

(Es sind aber auch die Probleme der Inselbewohner - ökonomische Krise, Flüchtlingskise, Coronakrise - die einem die Insel und ihrer Menschen immer näher ans Herz wachsen lassen.)

Lesbos, 22/11/2021

2021/11/22 19:35


Ein voller, langer Tag. Ich wachte schon früh auf. Cleo war über Nacht draußen gewesen, das erste Mal, seit ich vor zweieinhalb Wochen gekommen bin. Jedes Mal, wenn ich in der Nacht aufwachte, ging ich zur Tür und öffnete sie. Eine idiotische Unruhe, denn in zwei Wochen fahre ich wieder und überlasse sie monatelang den Nächten im Freien. Brachte meine Schreibkurse auf Vordermann, mit Hindernissen, weil der Computer wieder zickte und mich ausbremste. Ich musste ihn aus- und wieder einschalten, und was eigentlich eine halbe Stunde gedauert hätte, dauerte eineinhalb Stunden. Währenddessen wanderte draußen die Sonne immer weiter. Ich ging schließlich gegen neun Uhr hinaus, begann die Oliven aufzusammeln. J und C kamen, schlossen sich mir an. Mit dem Besenstiel schlugen wir schwer erreichbare Oliven herunter. Standen auf den wackeligen Leitern, pflückten dann die heruntergefallenen Oliven auf, die immer wieder in die Löcher der alten Netze kullerten. Auf der Leiter stehend, schwang ich den Besen. C kletterte im Baum nach oben, lehnte sich weit nach vorne, pflückte die Oliven ab, die dann nach unten fielen, wo wir sie wieder einsammelten. Ich weiß nicht, wie oft ich wieder von vorne anfing mit dem Einsammeln. Irgendwann einmal waren wir fertig, jedenfalls so fertig wie wir sein konnten.

Trugen die Säcke zum Auto, legten die Netze zusammen. Mit J fuhr ich nach Petra, um neues Katzenfutter zu kaufen. Egal, worüber man mit ihm redet, er möchte den Dingen ganz auf den Grund gehen, das ist angenehm und unterhaltsam. Wir redeten erst über das Wetter und darüber, warum der November der perfekte Monat ist, um hier zu sein. Irgendwie kamen wir über Gemüse und Theodos zu Theodos' Frau, die ihn offensichtlich sehr beeindruckt. Er sagte dann, warum sind es eigentlich immer die Frauen, die sich danach sehnen, etwas zu verändern, sich weiter zu entwickeln, während die Männer in der Tradition ganz zufrieden zu sein scheinen? Ich wusste darauf keine Antwort.

Nach einem kurzen Porridge-Mittagessen fuhr ich mit C zur heißen Quelle in Eftalou, zum ersten Mal, seit ich hier bin. Eine kleine Katzenkolonie von etwa fünf Katzen hat sich dort angesiedelt. Ein kleiner Behälter mit abgestandenem Wasser stand da, irgendjemand kümmert sich offensichtlich ein wenig um sie. Die Weibchen hatten abgeschnittene Ohrenspitzen, das Zeichen dafür, dass sie sterilisiert sind. C hatte etwas Katzenfutter im Auto und wir konnten den gröbsten Hunger stillen. Erst gingen wir ins kalte Meer, dann in das Gewölbe, in dem das heiße Becken ist und wo sich nach einigen Jahren der Vernachlässigung die weiße Deckenfarbe großflächig abgelöst hat. Wir tauchten unter in dem dampfenden Wasser, jede für sich, ich hielt den Atem an, und plötzlich war es ganz still. Dann wieder hoch, rausklettern, über die Stufen ins Freie steigen, dann zum Meer balancieren. Diese Prozedur wiederholten wir insgesamt viermal, ohne viel zu reden. Das Wasser auf der Nordseite ist klarer, blauer, kälter, der Weg hinein steinig und unbequem. Die Türkei scheint so nahe, als könnte man hinüberschwimmen. Ich versuchte, eine leere Plastikflasche mitzunehmen, die auf den Wellen dahinschaukelte, und fühlte mich wie eine tolle Naturschützerin, bis ich merkte, dass sie an einer Nylonschnur befestigt war und wahrscheinlich den Platz markieren sollte, an dem das Netz eines Fischers liegt. Eine Frau mit einer altmodischen weißen Bademütze tauchte am felsigen Strand auf und zog ihre Kleider aus, unter denen sie einen fleischfarbenen Bikini trug. Sie ging ins Wasser und hinterher trocknete sie sich ab, zog ihre Kleider an und ging mit Bademütze wieder weg.

Zuhause angekommen fegte ich den Olivenmüll weg, fing an, Fall- Oliven fürs Einsalzen zu sammeln, warf eine Trommel Wäsche in die Maschine. Setzte einen Brotteig für morgen an, spülte ab, Stellte die Ordnung im Haus wieder her, machte mir etwas zum Essen, spülte hinterher ab. Im rechten Auge löste sich ein Glaskörper ab, was sich erst als Lichtblitze ankündigte, dann als ein beweglicher schwarzer Fleck bestätigte. Schaute mir den ersten Teil eines südkoreanischen Films an, der von einer Filmproduzentin handelt, die nach dem Tod des Filmemachers, für den sie gearbeitet hat, ihren Lebensinhalt und ihr Auskommen verloren hat. Sie zieht zur Untermiete bei einer alten Frau ein, die in einem einfachen Haus an einem Bergabhang außerhalb der Stadt wohnt und verdingt sich als Putzfrau bei einer Freundin (einer neurotischen Schauspielerin). Am Horizont zeichnet sich als Versprechen eine zarte Liebesgeschichte mit einem Kurzfilmemacher ab, der Französisch unterrichtet, um sich seinen Unterhalt zu verdienen.

In Deutschland spitzt die Corona-Lage sich wieder zu. Allein nur daran zu denken, macht mich unendlich müde. Dazu gibt es in Deutschland 4000 Intensivbetten weniger als letztes Jahr, weil viele Pflegekräfte gekündigt oder ihre Arbeit reduziert haben.


Lesbos, 21/11/2021

 2021/11/21 21:53

Schon wieder zwei Tage vergangen. Einen weiteren südkoreanischen Film gesehen, "Move On", ein Familiendrama, Coming-of-Age, ein Film vom Bruch zwischen den Zeiten, zwischen der Moderne und der Tradition. Dazwischen das Mädchen, das sich in diesem Widersprüchlichen um sie herum selber zu finden versucht. Über den Wunsch, anderen zu gefallen, einer Norm zu gehorchen. Über die Nähe zwischen den Großeltern und den Enkelkindern, die oft einfacher ist als zwischen Eltern und Kindern. Familienstrukturen, die seltsames Verhalten in den Kindern hervorrufen. Erwachsene, die selber einmal Kinder waren und sich jetzt in einer Welt der Kompromisse eingerichtet haben, im Selbstbetrug, durch den aber immer wieder die Wahrheit durchscheint.

Nachdem ich am Tag meine eigenen Oliven eingesammelt und dann den Nachbarn J und C bei der Ernte ihrer Oliven geholfen habe, machte ich einen Spaziergang im Sonnenuntergang und ging im aufgewühlten, kalten Meer baden. Hinterher Abendessen (Rote-Bete-Salat, Linsen, ofengeröstete Kartoffeln, ein grüner Salat). Wir hatten bereits die Olivennetze bei mir ausgebreitet, und ich musste über einen kleinen Umweg zum Haus gehen, um nicht darüber zu stolpern.

Heute Morgen fing ich sofort mit dem Olivensammeln an. Später kamen J und C. Wir sammelten und sammelten, redeten und redeten, schwiegen dazwischen, machten eine Pause mit Obst und Tee und Keksen, sammelten dann weiter. Um drei Uhr beschlossen wir, es für heute gut sein zu lassen. J und C wollten ihren täglichen Spaziergang machen, und ich fuhr ans Meer, um im Sonnenuntergang zu baden. Widmete mich meinem Schreibkurs, als ich zu Hause angekommen war, schrieb ein paar Mails, und dann gingen wir zur Taverne Alonia zum Abendessen. Ich hatte sie eingeladen, als Dank für die Hilfe. Zuerst drückten wir uns vor der Olivenpresse herum und hofften, noch einen weggeworfene Olivensack zu finden, was mir tatsächlich auch gelang: einen leeren, in eine Ecke gedrückten Sack. Vor der Presse war Euro-Palette um Euro-Palette beladen mit unzähligen Olivensäcken. Sie habe noch nie so viele Olivensäcke hier gesehen, sagte C, aber wir einigten uns darauf, dass es wohl daran lag, dass heute Sonntag ist.

Setzten uns im Alonia neben den Böllerofen, weil uns kalt war, aber bald fing ich an zu glühen und musste auf den Stuhl daneben umziehen. Wir bestellten Broccoli, Blumenkohl, Rucola-Salat, Fava, weiße Bohnen, Rote Bete. Ich trank zwei Gläser Weißwein, und C und J teilten sich ein Glas süßen Wein. Dazu eine Kanne Eiswasser. Ich fragte J, warum er ausgerechnet Griechenland als seine zweite Heimat ausgewählt hat, und er erzählte eine so lange Vorgeschichte, dass ich am Ende gar nicht mehr wusste, was ich ihn gefragt hatte (und er wahrscheinlich auch nicht). Währenddessen versuchte C. die Ärztin ist, im Schein des Holzfeuers über WhatsApp ihrer 85jähigren Mutter, die über Atemnot klagte, medizinische Hilfe zu leisten. Sie kommt aus Deutschland, hat es aber schon als 18-Jährige verlassen, und wir reden Englisch, selbst wenn J nicht dabei ist. Mit Hilfe des Wifi-Anschlusses lud ich zwei südkoreanische Filme auf meinen iPad.

Nach dem Essen fuhren wir die kurze Strecke mit dem Auto nach Hause. Wieder einmal wurde mir klar, wie viel intensiver mein "normales" Leben ist, ohne die Bequemlichkeiten, die andere Menschen für selbstverständlich halten. Mit dem Fahrrad in den dunklen Weg einbiegen oder ihn zu Fuß entlang zu laufen ist etwas ganz anderes als ihn mit dem Auto entlang zu fahren, geleitet vom grellen Licht der Scheinwerfer. Wenigstens das letzte Stück, den Abhang hoch, konnte ich im silbrigen Licht des Vollmonds gehen, wieder näher an mir dran.

Zu müde, um noch etwas Konstruktives zu tun, aber ich will wenigstens diese Aufzeichnungen noch fertigschreiben, auch wenn mir während des Schreibens ständig die Augen zufallen.



Lesbos, 19/11/2021

2021/11/19 22:38

Gestern Mittagessen bei Nati. Kleine frittierte Fische, ein Teller mit dicken Bohnen, ein gemischter Salat. Zum Chor der Männerstimmen am Nachbartisch, die sicher gerade alle Probleme der Welt lösen. Einer hält mit seinem Moped vor dem Eingang an, kommt herein, beteiligt sich am Gespräch, während sein Mundschutz von der Nase rutscht. Mit etwas in Serviette eingepackten Hühnerresten verabschiedet er sich wieder, nachdem er seine Meinung zu irgendetwas rausgelassen hat. Als die Männer bezahlt haben und gegangen sind, räumt Nati den Tisch ab und stößt einen tiefen Seufzer aus. "Jeden Tag", sagt er: "das Selbe: blablabla". Ich lache, mache mich dann auch auf den Weg, möchte eine kleine Runde laufen, es stellt sich aber wieder als schwieriger heraus, als es auf dem Papier aussieht. Die Wegbeschreibung verwirrt mich. Ich laufe über wilde Hänge, lande in einem Gelände mit stacheligem Gestrüpp, durch das ich mir einen Weg bahnen muss. Jemand scheint vor mir da gewesen zu sein, hat mir einen kleinen Pfad vorbereitet, der aber ins Gestrüpp führt. Manchmal waren es Schafe, und der Pfad hört plötzlich auf oder verzweigt sich in unzählige weitere Pfade. Der Wind weht kalt, und die Sonne geht schon hinter den Bergen unter. In der Abendkälte setze ich mich noch einmal auf einen Stein, versuche, das Abendlicht auf dem Papier einzufangen, vertue mich aber, es wird ein Geschmiere. Nichts, was ich male, macht mich wirklich zufrieden. Aus der Ferne grüße ich zwei Leute, die ihren Hund ausführen, Westler offensichtlich. Griechische Paare in dem Alter sind nie mit ihren Hunden unterwegs. Ich gehe einen Sandweg hoch, finde dann einen prima Weg zwischen zwei Steinmäuerchen, der aber nach kurzer Zeit immer steiniger und unwegsamer wird und schließlich vor einer Schafsperre landet. So ist es hier immer. Es gibt keine bequemen, geradlinigen, einfachen Wanderwege, man muss sich den Weg erarbeiten, erklettern, man kommt mit Schrammen und Wunden zurück und wacht am nächsten Morgen mit müden Waden auf.

In der Nacht schlief ich schlecht und widmete mich am nächsten Tag eigenen Erholung, schlenderte im Dorf herum, kaufte bei verschiedenen Lebensmittelhändlern ein, trank einen Cappuccino, lief dann nach Hause und saß auf der Terrasse, während ich ein Spinakópita mit Tomatensalat verzehrte und ein Apfelsaftschorle trank. Las "Das Ministerium des äußerste Glücks" aus, strickte meinen zweiten Strumpf fertig, schaute mir einen südkoreanischen Film an, der von einem jungen Paar handelte, die schon seit sieben Jahren zusammen sind und jetzt erst ihre, dann seine Eltern besuchen. Sie macht einen Schwangerschaftstest, weil ihre Regel ausgeblieben ist. Es geht um die Weigerung, das Leben der Eltern zu wiederholen, aber auch um die Unmöglichkeit, sein Leben zu leben, ohne Fehler zu begehen.

Donnerstag, 18. November 2021

Lesbos 18/11/2021

Das Thema dieses Mal: Wandern. Nur beim Wandern lernt man Lesbos wirklich kennen, kommt der Insel näher, dem Inneren, dem Herz.

Die überall verstreut liegenden Schafsfarmen, die Männer, die darauf arbeiten, die Olivenhaine. Das Geräusch der schlagenden Stöcke gegen Äste der Olivenbäume. Die überall ausgebreiteten Netze, grün, schwarz, orange, die wie ein Patchwork über der Landschaft liegen. Die Wege jenseits der Straßen, Trampelpfade, Schafspfade. Überall die Zeichen von Arbeit, harter, physischer Arbeit, vom Kreislauf des Lebens. Das Schlagen der Olivenbäume hat etwas Meditatives, die ganze Insel ist damit beschäftigt. Fast jede Familie hat irgendwo eine Olivenbaumplantage. Sogar die Assistentin der Tierärztin, Olga, hat sich frei genommen und arbeitet im Moment nur zwei Tage in der Woche.

Die Hütten der Schäfer, die Schafsställe, kleine Kunstwerke, Upcycling-Projekte, kein Material wurde dafür neu gekauft, sondern bereits Abgelegtes wird wieder verwendet. Das sind Männer-Reiche, Frauen sind da nie zu sehen. Ein Schäfer treibt seine Schafe heim und genießt das Echo, das seine Stimme hervorruft. Das Glockengebimmel, das Geblöke der Schafe, das Gebell der Hunde, die sie begleiten. Eine Arbeit, ein Tanz, alles gleichzeitig. Verrostete, klapprige Pick-Ups, Es ist eine Welt der Arbeit und der Freiheit. Es gibt kein Nichtstun, weil die Arbeit ständig getan werden muss. Aber es gibt eine mentale Gesundheit in dieser Art der Arbeit, eine Geradlinigkeit, Ehrlichkeit. Man tut, was getan werden muss, man tut es zum Überleben. Ich dachte an die, die die Insel verlassen, um ein besseres Leben zu finden, an die, die auf die Insel kommen, weil sie das "bessere" Leben da, wo sie herkommen, satt haben. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Austausch, die Insel ist isoliert, aber sie ist auch ein Umschlagplatz von Menschen, Leben, Schicksalen. Weit entfernt davon, eine Idylle zu sein. Die Frauen begegnen mir woanders. Die gute Seele, die täglich bei der Tierärztin vorbei schaut, aushilft, Kaffee kocht, mit den Leuten redet. Die Frau in Lafionas, die mir Toast und Saft anbietet, weil im Dorf kein Café und keine Taverne geöffnet hat, jedenfalls nicht am Tag. Es gibt nur wenige Menschen in den Dörfern, aber umso mehr Katzen. Mit Ignatia sitze ich im kahlen Raum des alten Kafeineons, sie deutet auf die Bilder an der Wand, erklärt, welche Personen darauf zu sehen sind, alles Verwandte von ihr, so scheint es, und alle tot. Mein Griechisch ist zu schlecht, um nachzufragen. Ihr Mann ist gerade in Petra im Lebensmittelladen, sagt sie, und dann zeigt sie mir ihr Haus, das gegenüber liegt, groß, in gutem Zustand, verglichen mit vielen anderen Häusern. In der kleinen Kirche steckt sie ein paar dünne Wachskerzen an und füllt Öl in die Öllämpchen. Sie hat mir ein paar Äpfel und Mandarinen als Wegzehrung mitgegeben und betont, dass die Äpfel gewaschen sind. Im Sommer ist es schön, hier zu sitzen, auf dem Platz vor der Kirche, an dem Steintisch mit den Steinbänken. Man hat von hier einen Blick bis zum Meer. Das Klima hier oben ist gut. In Petra, das am Meer liegt, ist es feucht. Sie streicht mit der Hand über ihren Arm, um mir zu zeigen, was sie meint. Zuvor habe ich auf einer Mauer gesessen, in der Sonne, ich aß ein paar Haselnüsse, die ich dabei hatte, und warf dem kleinen Hund, der mir Gesellschaft leistete, eine Nuss hin, die er auch fraß. Auf einem verrosteten Metalldeckel lag eine kleine ausgemergelte Katze und schlief mit kleinen stöhnenden Lauten. Ich versuchte, sie anzusprechen, aber sie reagierte nicht, wahrscheinlich war sie krank und hatte nicht mehr lange zu leben.

Man sieht nicht nur Schönes auf den Wanderungen über die Insel. Immer wieder angekettete Hunde, die Sehnsucht haben nach menschlichem Kontakt, sich gegen den Zaun drücken, die Schnauze durchstecken, und ich hoffe dann, dass sie nicht die ganze Zeit angekettet sind, dass ihr Mensch ihnen manchmal die Kette abnimmt. Beim Müllabladeplatz kommt mir ein verspielter Hund entgegen. Er ist hier als Wächter der Schafe eingestellt, darf aber frei herumlaufen. Ganz offensichtlich lädt er mich zum Spielen ein und läuft freudestrahlend einige Runden vom Schafsgehege auf den Weg und zurück, bietet mir dabei immer wieder an, dass ich mitmachen könnte, springt an mir hoch, lässt sich streicheln, haut dann ab ins Schafsgehege und widmet sich wieder seiner Aufgabe. Eine gut gelaunte Begegnung. Ich klaube einen Schafswirbel vom Boden auf, komme an einer weiß leuchtenden Schildkrötenschale vorbei - es sieht so aus, als wäre die Schildkröte etwas unglücklich auf dem Rücken gelandet und habe es nicht geschafft, sich wieder umzudrehen. Die improvisierten Gatter, Gitter, Absperrungen. Am Müllplatz haufenweise Material, das man abholen, neu verwerten kann. Ein Berg von ausrangierten Waschmaschinen. Eine Bierzapfanlage. Alte blaue Holzstühle, mit geflochtenem Sitz. Ich könnte Müllsammlerin werden, habe eine Anlage dazu in mir.

Die Wanderungen sind auch immer damit verbunden, dass man sich der Unsicherheit stellt, vom Weg abkommt, wieder zurück finden muss. Beim Abkommen vom Weg trifft man oft etwas Interessantes, Unerwartetes.

Ich denke an den kleinen Kater, der mir gestern Abend in der Dämmerung vor die Füße sprang, als ich auf dem Weg von Petra nach Molivos war, müde und erschöpft schon nach vielen Stunden Wanderung, aber nachdem ich ein paar Mal vergeblich versucht hatte, per Anhalter mitfahren zu können, hatte ich aufgegeben und lief einfach weiter. Der Kater also. Ich fragte mich, ob jemand ihn hier ausgesetzt, aus dem Autofenster geworfen hatte. Er war ganz zutraulich, an Menschen gewöhnt, lief mit mir mit, zwischen meinen Füßen. Ich nahm ihn hoch, er schmiegte sich an mich. Sollte ich ihn mitnehmen? Aber was, wenn er irgendjemandem hier gehörte, jemandem auf der anderen Seite der großen Straße, wenn er auf eigene Faust hier herüber gelaufen wäre? Und was würde ich mit ihm machen, wenn ich ihn nach Hause gebracht hätte? Ich setzte ihn wieder ab, ging ein paar Schritte, er folgte mir. So machten wir es eine Weile. Er schrie nicht, schien nicht hungrig, verzweifelt. Er folgte mir einfach. Ich ging ein paar Schritte, drehte mich um. Irgendwann folgte er mir nicht mehr, saß einfach da und blickte mir hinterher. Du entscheidest, sagte ich, ließ ihn da sitzen, und wusste, dass bald ein neuer Mensch vorbei kommen würde. Zuhause warteten die Katzen schon auf mich. Ich schaute einen südkoreanischen Film auf dem iPad an, eine trübe, traurige Geschichte in einem winterlichen Dorf (ein Ehepaar, das einsehen muss, dass sie gemeinsam nicht mehr glücklich sind). Der Taxifahrer, der seine Kunden nach ein paar Tagen schon vergessen hat, die gleichen Kommentare macht wie auf der Hinfahrt, die gleichen Fragen stellt. Bis die Frau darum bittet, dass er an den Straßenrand fährt. Sie steigt aus, es ist das Ende, ihr Mann folgt ihr, hinter ihnen das Taxi mit dem laufenden Motor, das Blinken der Warnlichter.

Lesbos, 15/11/2021

Wache zu einem Stromausfall auf. Es dauert eine Weile, bis ich verstanden habe, dass es daran liegt, dass das Thermostat nicht angesprungen ist. In Gedanken habe ich bereits den Elektriker gerufen. Als ich den benzinbetriebenen Akku von der Tankstelle höre, weiß ich, was los ist.

Hole den Gaskocher aus dem oberen Küchenschrank, bereite die Espressokanne vor, suche dann lange Zeit nach Streichhölzern oder einem Feuerzeug - ohne Erfolg und zunehmend missmutig deshalb. Währenddessen fordern Soprano und Julia auf der Terrasse lautstark ihr Futter ein. Ich sehe zu, dass Punxy nicht nach draußen entwischt und strenge mich an, das Futter für Agnes ganz leise aufs Mäuerchen zu legen, weil sonst Soprano sofort angaloppiert kommt und sie verjagt, obwohl er noch etwas in seiner Schale hat. Zurück im Haus, verpasse ich Punxy ihre Tablette und hoffe, dass sie nicht wieder alles auskotzt, wie gestern Abend.

Zwei Tage nichts geschrieben, und heute ist Montag. Der Samstag war anstrengend. Wartete auf Myrsini, die Cleo abliefern sollte, wartete auf Punxy, weil Myrsini ihre Lungen abhören sollte. Völlig aufgelöst am Nachmittag, weil Caesarion ankam und wie ein Zombie auf der Terasse stand, mich gar nicht wahrzunehmen schien. War Punxy etwas passiert...? In der Zwischenzeit rief ich Myrsini zweimal an, das erste Mal, um sie (verabredungsgemäß) an unsere Verabredung zu erinnern, das zweite Mal, um ihr (verabredungsgemäß) zu sagen, ob Punxy schon aufgetaucht war (war sie nicht). Gleichzeitig machte ich das Quittenbrot fertig, und das beschäftigte mich ein paar Stunden lang. Die gekochten Quitten abschälen, die harten Stellen wegschneiden, dann im Kochtopf weiterkochen, mit dem Kartoffelstampfer zu einer einheitlichen Masse verarbeiten. Zucker dazugeben, Zitronensäure, ein paar kleingehackte Pelargonenblätter aus dem Garten. Schließlich gab ich die Masse auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech und strich sie glatt. Noch ein Backpapier drauf, dann in den Ofen, bei 50 Grad Wärme, die Klappe ein wenig geöffnet, zum Nachtrocknen.

Putzte auch das Haus, fegte die Terrasse, versuchte, meine Unruhe zu vergessen. Schließlich, der Nachmittag war schon fortgeschritten, tauchte Punxy aus dem Nichts auf, ich schloss die Tür.

Was ich an Lesbos liebe: Die Tierärztin kommt mit einem Pickup angebraust, auf deren Ladefläche ein paar Tierboxen verzurrt sind. "Hier habe ich eine sehr nette Katze für dich", ruft sie beim Aussteigen. Ich höre Cleos Proteststimme aus der Box, auf der mein und Ps Name und unsere Telefonnummern stehen. Endlich kehrt wieder Normalität ein. Mysini hat jetzt doch keine Zeit, um sich Punxy anzuschauen bzw. ihre Lungen abzuhören (damit war die ganze Aufregung des Tages umsonst). Sie gibt mir eine Packung Antibiotika und sagt, dass sie auch am Montag in der Gegend ist. Dann kriege ich ein schnelles Update zu Cleo. So richtig Erleichterung stellt sich nicht ein. Wir warten jetzt auf das histologische Ergebnis und hoffen, dass Myrsini alle Knoten erwischt hat. Die Wunde auf dem Bauch ist riesig.

Am Abend schaue ich mir einen indischen Film ("Party") von 1984 auf dem iPad an. Es geht darin um die Leere von Poesie, die sich nicht in nahen Kontakt mit der Wirklichkeit (den sozialen Ungerechtigkeiten) begibt. Das Szenario ist eine Party der Upper Class zu Ehren eines gefeierten Poeten, der, wie sich zeigt, in einer Identitätskrise steckt. Wunderbare Charaktere, interessante Frauen. Stricke weiter an meiner Sockenferse, muss immer wieder auftrennen, bis ich den Dreh heraus habe. Esse nur eine Dose Thunfisch mit Tomate, Gurke, roter Zwiebel und Oliven, dazu eine Scheibe Brot. Der indische Film ist zu lang, als dass ich ihn bis zu Ende sehen könnte.

Cleo hat Durchfall.

Lese weiter in meinem Katzenbuch auf Griechisch, jeden Tag ein Absatz. Viel Nachschlagen bzw. entnervende Interaktion mit Google Translate, das nur selten versteht, was ich sage...

Sonntag:

Wanderung nach Vafios. Mit dem Fahrrad zu "end of asphalt" (das Schöne ist, dass ich das P schreiben kann und sie genau weiß, was damit gemeint ist) und zu Fuß weiter. An der kleinen Kapelle Halt gemacht und sie gezeichnet (nicht zufrieden damit).

Den Weg nach Vafios bin ich schon so oft gegangen und doch bin ich an entscheidenden Punkten immer wieder unsicher, muss zurück gehen, die Markierung überprüfen, damit ich nicht auf einem Schafspfad lande und dann nicht mehr zurück finde. Die Landschaft ist atemberaubend, das Licht besonders schön, die Temperatur angenehm. Der Weg ist steil und steinig und ich muss immer wieder anhalten und verschnaufen, versuche dann, mein Schritt-Tempo an meine Kondition und mein Alter anzupassen. Es begegnet mir keine Menschenseele, nur ein paar verstreute Schafe, die offensichtlich kein besonders gutes Gehör haben, da sie jedes Mal vor Schreck einen kleinen Hüpfer machen, als ich auftauche. Ich bewege mich in Zeitlupe und rede beruhigend auf sie ein, damit sie sich nicht in der Hektik am felsigen Abhang alle Knochen brechen. Ihre empörten Stimmen folgen mir. Nur gut, dass es Schafe sind und keine Bären.

Als Proviant habe ich ein paar kleine Behälter mit Haselnüssen, Trockenfrüchten und Hanfsamen dabei, außerdem eine Flasche Wasserkefir, von der ich immer wieder ein paar Schlucke trinke. Den Pullover habe ich bald ausgezogen und um meine Hüften geknotet. Was mir Sorgen bereitet ist, dass die Sonne um fünf Uhr untergeht und ich bis dahin wieder bei meinem Fahrrad sein muss. In der Dunkelheit wäre man hier völlig verloren. An einer Stelle muss ich ein paar Mal vor und zurückgehen. Der Weg ist gerade hier besonders steinig und steil, und ich bin froh, als ich endlich die blasse Markierung auf einem Felsen entdecke.

Jede Stunde schicke ich ein Update an P, damit sie weiß, wo ich ungefähr bin und auch, damit sie eventuell Hilfe schicken kann, falls sie nichts mehr von mir hört.

Ich beschließe, nichts durchs Dorf zu gehen (das sowieso meist wie ausgestorben ist), sondern einen anderen Weg zu nehmen, von dem ich dann direkt den Abstieg machen kann. Die Sonne beginnt schon sich orange zu verfärben, aber noch weit genug über dem Horizont, dass ich mir keine großen Sorgen machen muss. In dem Gewirr aus Schafswegen muss ich trotzdem genau aufpassen, dass ich die Markierungen nicht verpasse, und muss auch hier wieder an einer speziellen Stelle mehrmals vor und zurück gehen, bis ich beruhigt feststellen kann, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Bei "end of asphalt" angekommen (es dämmert jetzt), steige ich aufs Fahrrad und lasse es über lange Strecken bergab laufen. Zuhause warten die Katzen. Ich stelle im Keller die Heizung so ein, dass ich jetzt auch an den Abenden Wärme und heißes Wasser haben kann. Die letzten Abende habe ich mich immer mit mehreren Schichten Pullovern und Westen und einer um die Hüften geschlungenen Wolldecke begnügt und fürs Abspülen Wasser im Kocher heiß gemacht, aber P besteht darauf, dass ich es mir "gemütlich" mache.

Abendessen: gebackene Kartoffeln, dazu Lauchgemüse mit Sahne und Ziegenkäse. Schaue mir den (aufwühlenden) Rest des indischen Films an. Verpasse Punxy ihre Tablette, aber sie kotzt kurz hinterher und ich muss unter den Tisch kriechen, um ihre Essensreste mit einem Haushaltspapier einzusammeln.

Dann noch eine Stunde "Sacred Space", ein Live-Crowdspace-Vortrag mit Artie Wu, das seit eineinhalb Jahren eine schöne Routine in meinem Leben geworden ist. Dieses Mal geht es um den Mythos von Daedalus, um Minos, Ariadne und das kretische Labyrinth. Während ich Artie bei seinen faszinierenden Ausführungen zuhöre, stricke ich weiter an dem Socken, bei dem ich jetzt auch das Fersen-Labyrinth hinter mir gelassen habe und mich auf der weiten Ebene der rechten Maschen befinde. Socken-Stricken als Therapie - immer am Faden entlang.

Lesbos 12/11/2021

Gestern nichts geschrieben. Auch heute muss ich mich dazu zwingen. Am Vormittag in der Sonne mit dem Fahrrad nach Petra, im Tierladen 3 kg Spezialfutter gekauft. In der Sonne war es warm, und ich musste meinen Wollpullover ausziehen und meinen Wollschal abnehmen, als ich die Steigung hochgefahren war. Olga saß mit ihren zwei Katzen am Behandlungstisch und aß etwa aus einem Schraubglas. Nicht viel los heute. Ich erzählte ihr von Punxys Husten und sie rief Myrsini an, mit dem Ergebnis, dass Myrsini morgen Cleo hier abliefert und gleichzeitig Punxys Lungen abhört.

Beim Frühstücken las ich übrigens einen Absatz in dem wunderschönen Katzenbuch, das ich letztes Jahr in Petra gekauft habe. Wort für Wort entschlüssele ich die Sätze, bin ganz glücklich über ihre Poesie und auch darüber, dass mir die Entschlüsselung so gut gelingt. Immerhin erkenne ich das Substantiv und das Verb im Satz, sehe, ob es Vergangenheitsform oder Präsens ist, erkenne die Personal- und Possessivpronomen. Ich kann mehr als mir bewusst ist, kann nur die Gespräche um mich herum nicht verstehen, und es fehlen mir auch die einfachsten Ausdrücke.

Trinke gerade griechischen Bergtee. In der Nacht habe ich lange wach gelegen, wegen Punxys Husten, der gestern Abend ganz übel klang und mich an die Lungenentzündung von vor zwei Jahren erinnerte. Mit der Stoppuhr zählte ich ihre Atemfrequenz und kam bei der oberen Grenze an. In der Nacht beschäftigte mich vor allem das logistische Problem. Wie sie nach Petra bringen, wann? Oder gleich nach Mytilini? Die Box ist mit Cleo in Mytilini, ich müsste also wieder eine Box von den Nachbarn leihen. Schließlich hat sich das Problem von selber gelöst. Und Punxy hat heute kein einziges Mal gehustet, nicht in meiner Anwesenheit.

Machte auf der Terrasse meine Umsatzsteuererklärung und war froh, als ich sah, dass das Geld auf meinem Steuerkonto vorhanden war, ich also nichts überweisen musste. Dann machte ich mich an den Quittenberg, der seit meiner Ankunft auf der Terrasse gestanden hat. Säuberte sie, schnitt sie in Stücke, die ich dann kochte und schälte. Währenddessen hörte ich auf Bayern 2 ein Programm über die Klimawende. Woran liegt es, dass wir die nötigen Entscheidungen nicht treffen, weder auf der politischen noch auf der persönlichen Ebene? Geld ist ein Faktor, Bequemlichkeit ein anderer. Auch ich fliege noch und werde es wahrscheinlich weiter tun, so lange Flüge billiger sind als Zugreisen. Kein Auto zu haben, elektronische Geräte so lange zu benützen wie möglich, seine Kleidung Second Hand kaufen, flicken, reparieren, all das sind nur Tropfen auf dem heißen Stein.

Las weiter in Arundhati Roys Buch Das Ministerium des äußersten Glücks. Die Fortsetzung des Buchs fordert mich mehr heraus als der erste Teil, den ich tatsächlich mit einem Gefühl des Glücks gelesen habe. Dann wird es komplizierter, komplexer, die Zusammenhänge sind schwerer zu entwirren, und es ist schwerer, für die Personen die gleiche Sympathie zu haben. Die Ereignisse sind auch dunkel, schwer, deprimierend. Saß in Petra in einem Café in der Sonne, trank einen Cappuccino und las, während eine Engländerin am Nachbartisch mit einer kleinen Katze redete, die auf ihren Schoß gesprungen war.

Der Busfahrer, der uns oft mit seinem lila Bus über die Insel kutschiert hat, ist alt geworden und bewegt sich schwerfällig. Er hat eine Plastiktüte mit rohen Fischresten, die er ins Meer leert. Er macht das ganz sorgfältig und bleibt noch lange stehen und blickt auf das Wasser zu seinen Füßen, als würde er darauf warten, dass etwas passiert.

Radelte wieder zurück. Es kostet wegen der Steigungen vorher immer eine riesige Überwindung, aber wenn ich dann unterwegs bin, bleibe ich doch im Sattel sitzen, den Blick vor mir auf den Asphalt geheftet.

Schickte vorgestern das Manuskript ab, bekam keine Rückmeldung und forderte sie ein. Als Nächstes steht das Korrekturlesen an. Ich schrieb vorgestern eine emotionale Nachricht an Anas, aber ich dachte, dass er als Araber das wegstecken können muss. Er antwortete mir, dass er in allem genauso fühlt wie ich und schrieb dann, er habe eine gute Nachricht, die er mir mündlich übermitteln wolle, und er sei sich sicher, dass ich mich für ihn freuen würde. Ich habe jetzt natürlich nachgedacht was das sein könnte.

In den letzten Tagen habe ich den altersschwachen Computer hier etwas auf Vordermann gebracht. Einige Programme gelöscht, die ihn nur verlangsamen. Hier will ich den Computer in erster Linie zum Schreiben benützen und für meine "Büroarbeit".

Malte gestern einen Baum im Dorf und heute drei Quitten zu Hause. Bin darauf gekommen, dass es besser ist, wenn ich mich für ein einzelnes Motiv entscheide (anstelle von komplexen Szenen und Landschaften) - so lange ich an den #otherpeopleshomes arbeite, habe ich außerdem nicht so viel Zeit und Energie übrig.

Heute alles gemacht, was ich machen musste. Aß zu Abend gefüllte rote Spitzpaprika (mit Feta, Ei und Traxanas), dazu Linsengemüse mit Gelben Rüben. Der Fuchs tauchte auf der Terrasse auf, aber es gab kein übriggelassenes Futter, und er zog wieder ab. Ich stand in der offenen Terrassentür, fast auf Armlänge, und fragte mich kurz, ob er es wagen würde, ins Haus zu kommen und ob ich Angst haben musste.

Heute beobachtete ich einen Stellungskrieg zwischen Moritz und Caesarion. Es war beinahe unerträglich. Ich zwang mich aber dazu, nicht dazwischen zu gehen, weil ich wollte, dass Caesarion von selber die Oberhand gewinnt. Es sah lange nicht so aus, und zwischendurch flogen die Fetzen und die beiden kugelten durch das Gebüsch. Ich sah, wie Agnes von hinten heranpirschte, als wollte sie Caesarion im Notfall zur Hilfe kommen. Aber er schaffte es von alleine. Moritz verzog sich, sprang auf das Mäuerchen und war dann weg. Wie lange das wirkt, weiß man natürlich nicht, aber ich war enorm stolz auf den liebenswerten und sanften Caesarion, der mir plötzlich seine ganze mentale Kraft gezeigt hatte. Es gibt andere Nervensägen als Moritz, u.a. Julia, die keine andere Katze in ihrer Nähe ertragen kann und ständig prophylaktisch faucht, oder Soprano, der sofort angepiepst kommt, wenn Futter auch nur im Entferntesten zu ahnen ist..

Lud die nächsten Schreibaufgaben hoch. In den nächsten Tagen möchte ich mich um ein Stipendium bewerben. Die Quittenaktion habe ich unterbrochen, und die Töpfe auf die Terrasse gestellt. Müde.

Die Corona-Zahlen steigen besorgniserregend. Meine Reise nach Regensburg im Dezember ist nicht so sicher, wie ich gedacht hatte.

Lesbos 10/11/2021

Wetterumschlag. Ein Tag der extremen Gefühle. Gefühlsumschwünge.

Morgens Yoga, Atmen. Um kurz vor zehn Cleo in die Katzenbox stecken. Auf M warten, im Sonnenfleck neben dem Sandhaufen. Mit einer laut protestierenden Cleo auf dem Hintersitz nach Petra fahren. Warten. Als wir an der Reihe sind, wehrt sich Cleo gegen die Betäubungsspritze. Dreimal müssen sie ansetzen, bis sie plötzlich kotzt, dann wegsinkt und wie tot daliegt. Der Knoten erweist sich als einer von vielen, die miteinander verbunden sind. Der Krebs ist also zurückgekommen. Die Pfote ist verletzt gewesen, jetzt aber am Abheilen. Myrsini muss Cleo mit nach Mytilini nehmen, um sie unter besseren Bedingungen operieren zu können. Sie ist aber optimistisch. Bei einer so alten Katze wächst der Krebs langsamer. Wir müssen aber trotzdem regelmäßig mit ihr vorbeikommen, um sie kontrollieren zu lassen. Als sie mich später im Auto nach Hause bringt, sagt sie, sie findet es gut, dass ich kein Auto habe. Man lebt das Leben langsamer, lässt sich mehr auf die Gegend ein, in der man sich befindet. Das stimmt. Früher sind viel mehr Menschen am Straßenrand gestanden und per Anhalter gefahren. Jetzt sieht man das nicht mehr. Jeder hat ein Auto, das isoliert uns auch voneinander. Wir waren vorher bei Wanda, bei der Myrsini elf Hunde geimpft hat. Während sie die Spritzen aufzog, redete Wanda ständig auf sie ein, wie ein Wasserfall, und immer wieder ein französisches Wort dazwischen reingeschoben. Der ganze Hof, das Haus ist auf die Tiere eingerichtet. Manchmal steht sie um sechs Uhr auf und geht um drei Uhr nachts schlafen. Myrsini versucht, ihr zu erklären, dass sie der AIDS-Epidemie in Wandas Katzengruppe nachgehen muss. Wir müssen die befallenen Tiere einschläfern. Auf keinen Fall, sagt Wanda. Sie zeigt mir eine Box mit kleinen Welpen, die in einem Beutel in Kalloní gefunden wurden und die sie jetzt mit Milchersatz aufpäppelt.

Wieder zu Hause, esse ich zu Mittag (gekochte Nudeln, mit Zwiebel Ei gebraten und ein Salat mit Broccoli). Mache mich dann an den Anas-Text und als ich fertig bin, gehe ich hinaus, um einen Spaziergang zu machen. Das Flussbett ist ausgebaggert, und nicht mehr begehbar, also muss ich eine größere Schleife machen, an der Olivenpresse vorbei durch die Olivenhaine. Treffe George mit dem langen Vollbart. Er ist dabei, seine dreißig Olivenbäume abzuernten. Ich gehe es ruhig und entspannt an, sagt er, ich habe keine Lust auf Stress. Ich komme am späten Vormittag hierher, mache viele Kaffeepausen und höre meine Musik. Für dreißig Bäume braucht er vielleicht zehn Tage. Dann hat er in der Pension noch einiges zu tun, will den Garten herrichten und die Wifi-Anlage verbessern. Hinterher fällt mir ein, was ich ihm hätte sagen sollen: Bald kann man sicher damit Werbung machen, dass das Hotel kein Wifi hat. Menschen werden sich danach sehnen, von ihren Handys Urlaub zu machen. Rede mit P nochmal über den Anas-Text. Soll ich die Kapitel umstellen?

Leider hat der Computer von selber angefangen, sich zu aktualisieren und das dauert eine gute Stunde, während derer ich an dem Bild von Marias und Folkes spanischem Zuhause sitze. Ich habe nur Angst, dass der Computer abstürzt, bevor ich dazu gekommen bin, die Datei zu übersenden. Es ist eine zähe und frustrierende Angelegenheit, da das Word-Programm sich weigert, die Datei zu öffnen. Schließlich gelingt es mir, die Datei an mich selber zu mailen und damit zu sichern (ich hatte sie bisher nur auf dem USB-Stick, aber das würde mir bei einem Computer-GAU nichts mehr nützen). Als ich endlich fertig bin und es mir dann doch gelungen ist, die Datei an den Verlag zu schicken, mache ich mich auf den Weg ins Dorf. Es ist kalt geworden, ich habe einen dicken Schal um den Hals gewunden. Mit einer Polizei-Taschenlampe leuchte ich mir den Weg vom Fahrrad. Gehe zu Theodos Frau Eli und rede etwas mir ihr, lasse mir ihre Telefonnummer geben: Lass uns einmal treffen und reden, wie normale Leute, schlage ich vor. Dass möchte ich gerne, sagt sie.

In der Tavern Mistral bin ich der einzige Gast, nachdem drei Arbeiter gegangen sind, die sich das übriggebliebene Essen in Behälter haben packen lassen. Ich esse Imam (Aubergine in Tomatensoße), frittierte Kartoffeln und trinke ein Glas Wein dazu. Ein kleiner Junge kommt herein, offensichtlich der Sohn der Besitzer, in Begleitung eines Mannes, der sein Onkel sein könnte. Alle umarmen den Jungen, sind glücklich, ihn zu sehen. Sie machen irgendwelche Scherze und lachen und blicken dann zu mir her, in der Hoffnung, ich könnte mitlachen. Auf dem Weg zum Fahrrad gehe ich in eine kleine Kapelle, deren Inneres ganz dunkel ist. Ich taste nach einer Kerze und zünde sie an. Für das Buch. Für das Leben. Für Cleo. Für alle, die Sorgen und Unruhe erleben. Bekam heute Anrufe von meiner Ärztin und von meiner Arbeitstherapeutin. Die Ärztin war kurz angebunden und säuerlich, weil ich letzte Woche den Antrag gestellt habe, zu einer anderen Gesundheitszentrale zu wechseln. Bei meiner alten ist in der letzten Zeit einfach zu Vieles schiefgegangen ist, und ich habe kein Vertrauen mehr. Sie will mir jetzt zu meinen Blutproben nichts mehr sagen, ich soll mich an meinen neuen Arzt wenden. Die Arbeitstherapeutin war herzlich und warm und wünschte mir eine gute Zeit in Griechenland.

Bei meinem Weg an der Meerbrandung entlang in der Dunkelheit wurde ich plötzlich von einem enormen Gefühlsschwall erfasst. Erleichterung, Stolz, ein Gefühl der Liebe zu Anas und dem, was wir in den letzten Jahren geschafft haben. Gleichzeitig eine Riesentrauer über Cleo und darüber, dass die Zeit mit ihr allmählich zu Ende geht. Wir reden jetzt schon darüber, dass es toll wäre, wenn sie noch zwei Jahre hätte. Das Ende ist abzusehen, der wichtigste, lebendigste Abschnitt meines/unseres Lebens. Ich redete mit Myrsini über meine Gedanken, eine der Katzen (nämlich Louis) mit nach Schweden zu nehmen. Sie riet mir ab. Er hat es hier viel besser. Das wird von jetzt mein Mantra sein, wenn ich wieder von Zweifeln heimgesucht werde. Er hat es hier besser. Hier hat er seine Freiheit, seine Wildheit und trotzdem genügend Menschen, die ihm gegenüber wohlwollend eingestellt sind.

Jetzt ins Bett. Morgen ein Tag ohne Anas-Text, ein Tag ohne Cleo. Obwohl Punxy und Caesarion neben mir auf dem Bett liegen, habe ich das Gefühl, dass Cleos Abwesenheit den Abend, das Zimmer ausfüllt.

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...