Dienstag, 14. Dezember 2021

Lesbos 10/12 2021

Am Vormittag fuhr ich mit dem Fahrrad nach Petra, um etwas Spezialfutter für Tiny zu kaufen. Ihr Durchfall war leider wieder schlimmer geworden. Auf dem Weg dorthin hatte ich Gegenwind, kämpfte mich aber doch die Steigung hoch, ohne abzusteigen. Als ich auf der platten Strecke kurz vor Petra angekommen war, machte es plötzlich einen Krach und die Kette war rausgesprungen. Ich stieg ab und schaute mir an, was los war: eine Speiche war gerissen und hatte die Kette vom Zahnrad gezogen. Als ich die Kette wieder aufs Zahnrad gehoben und die Speiche so zurechtgebogen hatte, dass ich sie hinter eine andere Speiche schieben konnte, musste ich leider konstatieren, dass die Bremsen blockierten, weil das ganze Hinterrad sich verzogen hatte. Also musste ich die Bremsen des Hinterrads deaktivieren und mir einschärfen, dass ich von nun an nur die linke Handbremse benützen konnte, alles andere als ideal bei den Straßenbedingungen hier. Ich wusch mir die Hände im Meer und fuhr zur Praxis, wo Gabi und Olga gerade damit beschäftigt waren, Boxen und Pässe für adoptierte Hunde herzurichten. 

Als ich die Praxis verließ, begegnete ich auch wieder B und M. Die Wunde ihrer kleinen Katze hatte wieder nicht gehalten und sie überlegten gerade, ob sie vielleicht ihre Abreise noch weiter hinausschieben sollten, um die Heilung der Katze abzuwarten, aber auch wegen der Covid-Situation in England. Wieder verabschiedeten wir uns. Mit Rückenwind fuhr ich zurück, und war gerade rechtzeitig in Molyvos für mein Ouzo-Mittagessen mit Giorgos.

Er ist in dieser Gegend aufgewachsen, erzählt er, als wir am Tisch sitzen und er dann doch Tsiporo bestellt hat, hat da draußen zwischen den Häusern gespielt. Ich stelle mir einen kleinen Giorgos vor und frage mich, wie es wohl gewesen ist, in diesem Dorf aufzuwachsen. Wegen seiner Augenprobleme hat er eine Sonnenbrille auf. "Ouzo" bedeutet, dass einem verschiedene kleine Gerichte serviert werden, und während man isst, bestellt man noch etwas nach. Es ist eine alte Tradition, sagt er, leider im Dorf fast ausgestorben, weil alle Tavernen sich an Touristen angepasst haben. Im Alonia kann man noch Ouzo bekommen, sagt er, aber er geht momentan nicht dorthin, weil sie zu der Anti-Impf-Fraktion gehören. Er hat in der Nacht bis um zwei Uhr gemalt - das ist sein normaler Rhythmus. Er steht dann um neun oder zehn Uhr auf, isst ein gutes Frühstück, fährt zum Kaffeetrinken ins Dorf.

Ich erzähle ihm von meiner Begegnung mit der Amerikanerin Laura, und er weiß sofort, wer das ist. Ich denke oft an sie, sagt er. Daran, dass sie hierher gekommen ist, sich in den Schafbauern verliebt, ihn geheiratet hat. Er fragt sich oft, wie ihr Leben wohl aussieht, ob sie sich wohlfühlt, wie es ihr geht. Ihr Mann ist ein sehr lieber, liebevoller Mensch, sagt er, aber er ist auch sehr einfach, sehr ungebildet. Einmal habe sie ihn mit nach Amerika genommen und als sie wieder nach Molyvos gekommen seien, habe Giorgos ihn gefragt, wo er denn überall gewesen sei, aber er habe keine Ahnung gehabt, habe es nicht sagen können. Er ist sehr unschuldig, sagt Giorgos, vielleicht gefällt ihr gerade das an ihm. Ob ich mir vorstellen könnte, einen Griechen zu heiraten und ins Dorf zu ziehen? Sicher nicht. Es nervt ihn offensichtlich, dass ich am Vormittag schon wieder bei der Tierärztin war. Vielleicht sollte ich einen Mann haben, um den ich mich stattdessen kümmern könnte? Dabei ist er es, der 25 Katzen füttert. Für die, die er besonders gut leiden kann, kauft er auch Medizin, für die anderen nicht, sagt er. Nervt es dich, dass ich bei der Tierärztin war?, frage ich. Nein, natürlich nicht. Es ist mir egal, ich pfeife drauf. 

Wieder einmal reden wir über die Zukunft von Molyvos. Er sagt, wir brauchen Ideen, neue Ideen, gute Ideen. Dann wieder sagt er, dass das Problem sich von selber lösen wird. Vor der Plastikwand der Taverna schüttet es. Wir essen kleine Fische, eine Art griechische Paella mit Meeresfrüchten, gekochten Weißkohl, Fava. Als wir uns auf der Straße trennen, will ich mich bis zum nächsten Jahr verabschieden, aber er sagt, tu das nicht, ich mag keine Abschiede. Wenn ich möchte, kann ich ihn morgen im Café Bazaar treffen, aber ich weiß jetzt schon, dass ich mich morgen bewegen möchte, dass ich raus will, in die Natur.

Abends male ich wieder ein Bild, höre den Messias von Händel dazu, komme spät ins Bett.

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