Mittwoch, 26. Dezember 2012

admiral-hipper-straße

ich habe darüber schon geschrieben
es ist immer noch zuhause

solange ich die adresse auf briefumschläge
ansichtskarten schreibe aber seltener
immer seltener

manchmal nimmt mein vater zum beweis
die große zigarrenschachtel hervor
briefe flattern heraus, bunt beklebt
eng beschrieben, mein drang nach mitteilung

von allen enden und ecken der welt
zu denen es mich trieb
nur fort immer weiter
der entfliehen, die nicht ich war
(so glaubte ich)

braune, grüne, lila tinte
dünnes chinesisches papier
und ein stück pappe
abgerissene kalenderblätter
knisternde luftpostumschläge

deine unleserliche schrift
sagte meine mutter

ich schrieb seltener
immer seltener
inzwischen
nur ein urlaubsgruß
da und da
auf einer gedankenlos gekauften ansichtskarte

wir telefonieren jetzt
die telefonnummer ist die gleiche
der name, wenn am anderen ende
jemand abhebt

„hier auch“, sage ich





Freitag, 14. Dezember 2012

"Was hast du heute gemacht?"

Sitze in meinem Sessel. Eine Katze schläft auf dem Bett, die andere untersucht gerade die Notenbox, die auf dem Teppich steht, weil ich heute Weihnachtsnoten herausgesucht habe.

Was hast du heute gemacht, fragte P mich gerade am Telefon? Was ich heute gemacht habe? Es fällt mir schwer, mich zu erinnern. Einmal war ich draußen, nein zweimal, nein dreimal, das erste Mal, um die Katzenleiter aufzustellen, das zweite Mal, um den Müll rauszubringen und die Katzenleiter wegzunehmen, das dritte Mal, um beim Postladen auf der anderen Seite des Platzes ein Paket abzuholen, das noch nicht angekommen war und jetzt wohl erst am Montag kommt. Ich habe weder gelesen noch geschrieben noch sonst irgendetwas gemacht, was man erzählen könnte. Einige Zeit habe ich mit dem Versuch verbracht, eine bösartige Toolbox von meinem Computer zu entfernen. Vergeblich. Das Ganze endete damit, dass ich Google Chrome völlig deinstallierte und stattdessen Opera installierte.

Ich bekam mit der Post einen Steuerbescheid, der mich wieder zurück katapultierte in die Zeit, in der E noch in meinem Leben war, wenn auch fern, sehr fern. Sie legte damals - wir saßen in ihrem Büro vor ihrem Computer - kurz die Hand auf meinen Rücken, und das war vielleicht das letzte Mal, dass meine Körperwärme und ihre Körperwärme aufeinander trafen. Für sie war das damals schon eine bedeutungslose Geste, für mich waren noch alle Gesten mit Bedeutung aufgeladen. Sie half mir mit meiner Steuererklärung, etwas, wogegen sie sich vorher die ganze Zeit gewehrt hatte. Vielleicht war die Tatsache, dass sie mir an jenem Tag im April plötzlich ihre Hilfe anbot, ein Zeichen dafür, wie groß ihre Gleichgültigkeit, ihr innerer Abstand inzwischen schon geworden war.



wo ich lebe

Montag, 10. Dezember 2012

Die Pelzmütze meines Vaters

Ich dachte heute an die Pelzmütze meines Vaters. Eine dunkelbraune Pelzmütze, die hart war und schwer. Die Ohrenklappen waren immer nach oben geklappt und mit zwei dünnen Bändern zusammengebunden. Er kippte diese Mütze auf seinen Kopf, wo sie dann schwer und fest saß, wenn er hinaus ging in die Kälte, zu seinem Auto (er begab sich nie irgendwohin ohne sein Auto).
Mein Vater ist mein ganzes Leben lang erwachsen gewesen. Ich hatte Angst davor, erwachsen zu werden, also vermied ich es. Jetzt, wo ich manchmal erwachsen sein will, muss ich einsehen, dass es zu spät ist dazu.


Im Schnee

Ich habe die Bibliothek wieder entdeckt. Zwischen den Regalen in der Poesie-Abteilung umhergehen, völlig willkürlich ein Buch herausziehen, darin blättern und lesen, es vielleicht mit nach Hause nehmen. //

Die Frau an der Kasse der Bibliothek betrachtete fasziniert den Umschlag der DVD, die ich mir auslieh. Ein persischer Film, stellte sie fest. Sie war wohl selber aus Persien und sagte, sie habe nie etwas von diesem Film gehört ("Circumstances"). Fast widerwillig überließ sie mir den Film wieder, ich steckte ihn in meinen Rucksack. //




Im Halbdunkel lief ich durch den verschneiten Park, den Blick auf den Boden gerichtet. Kurz sah ich auf und blickte einer Frau ins Gesicht, die mir entgegen kam. Kurz phantasierte ich, dass es (...) sei, der ich hier in die Augen blickte und dass wir einfach aneinander vorbei liefen, obwohl wir einander erkannt hatten.//

Freitag, 7. Dezember 2012

Bad news - good news

“The bad news is you are falling through air, nothing to hang on to, no parachute. The good news is there is no ground.” (Chögyam Trungpa Rinpoche)


Rückblick (eine Woche später)


"Was mich freut: die alltägliche Freundlichkeit des Verkäufers in dem kleinen Lebensmittelladen in Molyvos z.B., der sagt, dass es morgen regnen wird und das ein Grund ist, morgen etwas länger im Bett zu bleiben. Oder die kleine Katze Cleo, so hungrig nach Liebe und Zuneigung und doch so ängstlich, scheu. Sie bewacht das Haus, setzt sich vorsichtig auf die Decke, die ich auf die Sonnenliegen gelegt habe, die Beine unter dem Körper eingezogen, hält mutig eine Weile still, wenn ich meine Hand näher schiebe, zuckt aber im letzten Augenblick zurück. Der stille, alte Olivenbaum vor dem Haus, und selbst das Wetter, das Wetter, dieser Sturm, der jetzt über die Insel zieht, ein warmer Sturm, zwanzig Grad sind es. All das, was eine eigene Kraft hat, sich verausgabt, sich zeigt, ganz und gar, was lebt, seine Schwächen und Stärken einfach offenlegt, ohne Verstellung, ohne sich darum zu kümmern, was sich ziemt, was recht ist. Der Sturm kennt kein Maß. Freilich, würde mir jetzt das Dach überm Kopf wegfliegen, würde ich vielleicht auch etwas anderes sagen. Ich sitze ja hier im Sicheren, im Trockenen, im Warmen, mit drei wohlgenährten müden Katzen, die sich hindrapiert haben auf die Betten, auf den Stuhl."

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...