Dienstag, 20. April 2021

Schneckenweg

Erst sah ich den Weg, den sie ins Papier gefressen hatte, das an der Kellerwand hängt, mit der Telefonnummer des Klempners, ein verschnörkelter, wie betrunkener, Weg. Dann sah ich sie. Sie hing an der Papierecke, schien tot, aber als ich mit dem Finger fühlte, nahm ich etwas Feuchtigkeit wahr und dachte, ich könntes sie vielleicht retten. Zwei-, dreimal tauchte ich sie in das Wasserschälchen, das für die Katzen vor dem Haus steht. Nach dem zweiten Mal nahm ich eine kleine Bewegung wahr. Nach dem dritten Mal kroch sie aus dem Häuschen, entfaltete und zeigte sich in ihrer ganzen Schönheit: die Stielaugen, die Fühler, der faszinierende, weiche, schleimige Körper. Ein lebendiges, fühlendes, verletzbares, lebenshungriges Lebewesen (hätte sie sonst Papier gefressen, zum reinen, nackten Überleben?)! Ich trug sie zum Akanthusbeet, wo gerade eine kleinere Artverwandte von ihr im Schneckentempo übers Mäuerchen kroch, und setzte sie auf einem abgerupften Akanthusblatt ab. Ich wollte, dass sie das Leben wieder unter ihrem Leib spürt. Sie fing auch gleich an zu kriechen, Richtung Schatten, Grünzeug, Feuchtigkeit. Und ich war so froh. Gab ihr viele gute Wünsche mit auf den Weg. Möge sie ein langes Schneckenleben haben und viele Nachkommen, denen sie von ihrem Abenteuer im Keller erzählen könnte! (In Schneckensprache, natürlich!)

Montag, 19. April 2021

Erste Verwirrung

Erste Verwirrung (nach dem Aufwachen): wo bin ich?

Zuhause, natürlich!

Ich muss reisen!

Dann die Augen geöffnet.

Ich bin ja schon gereist, und jetzt bin ich hier!

Mittwoch, 14. April 2021

Augenblicke

Was soll ich denn in dieses weiße Viereck schreiben? Die Welt verschwimmt mir. Vor der Haustür gähnt ein tiefes Loch. Ich telefoniere mit Athen. Begrüße die erste Hummel dieses Frühlings. Bestelle meinen ersten Covid-Test. 

Dienstag, 13. April 2021

Herzbuckelweg revisited

Ein Jahr nicht sprechen. Werden dann auch die pausenlosen inneren Monologe erst langsamer, dann leiser werden, schließlich verstummen? Wird sich endlich Klarheit einstellen?

In Tagebuchschachteln wühlen. Eines der altenTagebücher herausziehen, darin blättern. All die vergessenen Ereignisse, Träume, Gedanken. Wie ein Besuch in einem fremden Leben, bei einer Person, die ich nicht kenne, nie gekannt habe. 

Beim Aufräumen im Werkzeugschuppen stoße ich auf zahllose Lebensspuren. Das Drama des Überlebens, das sich auch im Verborgenen ständig abspielt. Das Gekrabble, das Gekrieche, die Anstrengung der Fortpflanzung. Ich bürste die Reste weg, den Staub, die Spinnweben, die Leichen, wohl wissend, dass ich nur eine vorübergehende, kurz währende Ordnung herstelle.

 


Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...