Dienstag, 23. November 2021

Lesbos, 23/11/2021

2021/11/23 09:13

Es nieselt draußen, und ich kann mich endlich ein wenig um die Sachen kümmern, die liegengeblieben sind. Der schöne Ausblick von der Terrassentür: ein abgeernteter Olivenbaum. Sitze auf dem Bett, zwei dicke Kissenrollen im Rücken, neben mir drei schnurrende Katzen: Cleo, Punxy, Caesarion. Auf der Küchenbank steht der Brotteig, der neue Wasserkefir ist angesetzt. Ich habe abgespült, das Bett überzogen und den Boden gefegt. Cleos Operationswunde ist größtenteils gut verheilt, nur eine kleine Stelle mit frischem Blut habe ich gestern Abend gesehen, aber sie sieht sauber aus und nicht entzündet. Punxys Husten scheint besser geworden zu sein, sie atmet auch nicht mehr so schnell. Louis' Beißwunde ist verkrustet, er reagiert nicht, wenn ich drauf drücke. Werde heute mit Myrsini wegen Punxy reden.

Gestern ging mir wegen der Olivenernte ein bezahlter Job durch die Lappen - das Transkribieren eines medizinischen Vortrags. Pech. Andererseits möchte ich mich nicht abhängig machen von schnellen Aufträgen, die, wenn man nicht sofort antwortet, an jemand anderen vergeben werden.

Vielleicht wächst man gerade wegen aller Probleme mit der Insel immer enger zusammen? Ich sprach gestern mit C darüber. Eigentlich wäre es viel entspannter, jedes Mal, wenn man hier ist, ein Zimmer und ein Auto zu mieten, es wäre wahrscheinlich sogar günstiger. Aber man würde sich mehr an der Oberfläche bewegen, müsste nie die Arbeitshandschuhe anziehen, Olivensäcke aus den Straßengräben einsammeln, man hätte nie Kontakt mit Schreinern, Elektrikern, Kühlschrank-Experten, mit den Männern von der Olivenpresse, mit Dino, dem Steuerberater auf dem Moped. Man müsste sich nicht mit der Funktionsweise einer Heizungsanlage beschäftigen oder lernen, welche Hähne der Bewässerungsanlage in welche Richtung deuten müssen. Man wüsste auch nicht, wo man Ersatzteile für den Bewässerungsschlauch bekommt oder wie man Gartenmöbel behandelt, die von Termiten befallen sind. Man müsste sich nie Sorgen wegen eines leckenden Dachs im Geräteschuppen machen. Man würde nie lernen, wie man Oliven erntet. Man müsste sich nie den Kopf darüber zerbrechen, wie die Katzen Futter bekommen, wenn man nicht mehr da ist.

(Es sind aber auch die Probleme der Inselbewohner - ökonomische Krise, Flüchtlingskise, Coronakrise - die einem die Insel und ihrer Menschen immer näher ans Herz wachsen lassen.)

Lesbos, 22/11/2021

2021/11/22 19:35


Ein voller, langer Tag. Ich wachte schon früh auf. Cleo war über Nacht draußen gewesen, das erste Mal, seit ich vor zweieinhalb Wochen gekommen bin. Jedes Mal, wenn ich in der Nacht aufwachte, ging ich zur Tür und öffnete sie. Eine idiotische Unruhe, denn in zwei Wochen fahre ich wieder und überlasse sie monatelang den Nächten im Freien. Brachte meine Schreibkurse auf Vordermann, mit Hindernissen, weil der Computer wieder zickte und mich ausbremste. Ich musste ihn aus- und wieder einschalten, und was eigentlich eine halbe Stunde gedauert hätte, dauerte eineinhalb Stunden. Währenddessen wanderte draußen die Sonne immer weiter. Ich ging schließlich gegen neun Uhr hinaus, begann die Oliven aufzusammeln. J und C kamen, schlossen sich mir an. Mit dem Besenstiel schlugen wir schwer erreichbare Oliven herunter. Standen auf den wackeligen Leitern, pflückten dann die heruntergefallenen Oliven auf, die immer wieder in die Löcher der alten Netze kullerten. Auf der Leiter stehend, schwang ich den Besen. C kletterte im Baum nach oben, lehnte sich weit nach vorne, pflückte die Oliven ab, die dann nach unten fielen, wo wir sie wieder einsammelten. Ich weiß nicht, wie oft ich wieder von vorne anfing mit dem Einsammeln. Irgendwann einmal waren wir fertig, jedenfalls so fertig wie wir sein konnten.

Trugen die Säcke zum Auto, legten die Netze zusammen. Mit J fuhr ich nach Petra, um neues Katzenfutter zu kaufen. Egal, worüber man mit ihm redet, er möchte den Dingen ganz auf den Grund gehen, das ist angenehm und unterhaltsam. Wir redeten erst über das Wetter und darüber, warum der November der perfekte Monat ist, um hier zu sein. Irgendwie kamen wir über Gemüse und Theodos zu Theodos' Frau, die ihn offensichtlich sehr beeindruckt. Er sagte dann, warum sind es eigentlich immer die Frauen, die sich danach sehnen, etwas zu verändern, sich weiter zu entwickeln, während die Männer in der Tradition ganz zufrieden zu sein scheinen? Ich wusste darauf keine Antwort.

Nach einem kurzen Porridge-Mittagessen fuhr ich mit C zur heißen Quelle in Eftalou, zum ersten Mal, seit ich hier bin. Eine kleine Katzenkolonie von etwa fünf Katzen hat sich dort angesiedelt. Ein kleiner Behälter mit abgestandenem Wasser stand da, irgendjemand kümmert sich offensichtlich ein wenig um sie. Die Weibchen hatten abgeschnittene Ohrenspitzen, das Zeichen dafür, dass sie sterilisiert sind. C hatte etwas Katzenfutter im Auto und wir konnten den gröbsten Hunger stillen. Erst gingen wir ins kalte Meer, dann in das Gewölbe, in dem das heiße Becken ist und wo sich nach einigen Jahren der Vernachlässigung die weiße Deckenfarbe großflächig abgelöst hat. Wir tauchten unter in dem dampfenden Wasser, jede für sich, ich hielt den Atem an, und plötzlich war es ganz still. Dann wieder hoch, rausklettern, über die Stufen ins Freie steigen, dann zum Meer balancieren. Diese Prozedur wiederholten wir insgesamt viermal, ohne viel zu reden. Das Wasser auf der Nordseite ist klarer, blauer, kälter, der Weg hinein steinig und unbequem. Die Türkei scheint so nahe, als könnte man hinüberschwimmen. Ich versuchte, eine leere Plastikflasche mitzunehmen, die auf den Wellen dahinschaukelte, und fühlte mich wie eine tolle Naturschützerin, bis ich merkte, dass sie an einer Nylonschnur befestigt war und wahrscheinlich den Platz markieren sollte, an dem das Netz eines Fischers liegt. Eine Frau mit einer altmodischen weißen Bademütze tauchte am felsigen Strand auf und zog ihre Kleider aus, unter denen sie einen fleischfarbenen Bikini trug. Sie ging ins Wasser und hinterher trocknete sie sich ab, zog ihre Kleider an und ging mit Bademütze wieder weg.

Zuhause angekommen fegte ich den Olivenmüll weg, fing an, Fall- Oliven fürs Einsalzen zu sammeln, warf eine Trommel Wäsche in die Maschine. Setzte einen Brotteig für morgen an, spülte ab, Stellte die Ordnung im Haus wieder her, machte mir etwas zum Essen, spülte hinterher ab. Im rechten Auge löste sich ein Glaskörper ab, was sich erst als Lichtblitze ankündigte, dann als ein beweglicher schwarzer Fleck bestätigte. Schaute mir den ersten Teil eines südkoreanischen Films an, der von einer Filmproduzentin handelt, die nach dem Tod des Filmemachers, für den sie gearbeitet hat, ihren Lebensinhalt und ihr Auskommen verloren hat. Sie zieht zur Untermiete bei einer alten Frau ein, die in einem einfachen Haus an einem Bergabhang außerhalb der Stadt wohnt und verdingt sich als Putzfrau bei einer Freundin (einer neurotischen Schauspielerin). Am Horizont zeichnet sich als Versprechen eine zarte Liebesgeschichte mit einem Kurzfilmemacher ab, der Französisch unterrichtet, um sich seinen Unterhalt zu verdienen.

In Deutschland spitzt die Corona-Lage sich wieder zu. Allein nur daran zu denken, macht mich unendlich müde. Dazu gibt es in Deutschland 4000 Intensivbetten weniger als letztes Jahr, weil viele Pflegekräfte gekündigt oder ihre Arbeit reduziert haben.


Lesbos, 21/11/2021

 2021/11/21 21:53

Schon wieder zwei Tage vergangen. Einen weiteren südkoreanischen Film gesehen, "Move On", ein Familiendrama, Coming-of-Age, ein Film vom Bruch zwischen den Zeiten, zwischen der Moderne und der Tradition. Dazwischen das Mädchen, das sich in diesem Widersprüchlichen um sie herum selber zu finden versucht. Über den Wunsch, anderen zu gefallen, einer Norm zu gehorchen. Über die Nähe zwischen den Großeltern und den Enkelkindern, die oft einfacher ist als zwischen Eltern und Kindern. Familienstrukturen, die seltsames Verhalten in den Kindern hervorrufen. Erwachsene, die selber einmal Kinder waren und sich jetzt in einer Welt der Kompromisse eingerichtet haben, im Selbstbetrug, durch den aber immer wieder die Wahrheit durchscheint.

Nachdem ich am Tag meine eigenen Oliven eingesammelt und dann den Nachbarn J und C bei der Ernte ihrer Oliven geholfen habe, machte ich einen Spaziergang im Sonnenuntergang und ging im aufgewühlten, kalten Meer baden. Hinterher Abendessen (Rote-Bete-Salat, Linsen, ofengeröstete Kartoffeln, ein grüner Salat). Wir hatten bereits die Olivennetze bei mir ausgebreitet, und ich musste über einen kleinen Umweg zum Haus gehen, um nicht darüber zu stolpern.

Heute Morgen fing ich sofort mit dem Olivensammeln an. Später kamen J und C. Wir sammelten und sammelten, redeten und redeten, schwiegen dazwischen, machten eine Pause mit Obst und Tee und Keksen, sammelten dann weiter. Um drei Uhr beschlossen wir, es für heute gut sein zu lassen. J und C wollten ihren täglichen Spaziergang machen, und ich fuhr ans Meer, um im Sonnenuntergang zu baden. Widmete mich meinem Schreibkurs, als ich zu Hause angekommen war, schrieb ein paar Mails, und dann gingen wir zur Taverne Alonia zum Abendessen. Ich hatte sie eingeladen, als Dank für die Hilfe. Zuerst drückten wir uns vor der Olivenpresse herum und hofften, noch einen weggeworfene Olivensack zu finden, was mir tatsächlich auch gelang: einen leeren, in eine Ecke gedrückten Sack. Vor der Presse war Euro-Palette um Euro-Palette beladen mit unzähligen Olivensäcken. Sie habe noch nie so viele Olivensäcke hier gesehen, sagte C, aber wir einigten uns darauf, dass es wohl daran lag, dass heute Sonntag ist.

Setzten uns im Alonia neben den Böllerofen, weil uns kalt war, aber bald fing ich an zu glühen und musste auf den Stuhl daneben umziehen. Wir bestellten Broccoli, Blumenkohl, Rucola-Salat, Fava, weiße Bohnen, Rote Bete. Ich trank zwei Gläser Weißwein, und C und J teilten sich ein Glas süßen Wein. Dazu eine Kanne Eiswasser. Ich fragte J, warum er ausgerechnet Griechenland als seine zweite Heimat ausgewählt hat, und er erzählte eine so lange Vorgeschichte, dass ich am Ende gar nicht mehr wusste, was ich ihn gefragt hatte (und er wahrscheinlich auch nicht). Währenddessen versuchte C. die Ärztin ist, im Schein des Holzfeuers über WhatsApp ihrer 85jähigren Mutter, die über Atemnot klagte, medizinische Hilfe zu leisten. Sie kommt aus Deutschland, hat es aber schon als 18-Jährige verlassen, und wir reden Englisch, selbst wenn J nicht dabei ist. Mit Hilfe des Wifi-Anschlusses lud ich zwei südkoreanische Filme auf meinen iPad.

Nach dem Essen fuhren wir die kurze Strecke mit dem Auto nach Hause. Wieder einmal wurde mir klar, wie viel intensiver mein "normales" Leben ist, ohne die Bequemlichkeiten, die andere Menschen für selbstverständlich halten. Mit dem Fahrrad in den dunklen Weg einbiegen oder ihn zu Fuß entlang zu laufen ist etwas ganz anderes als ihn mit dem Auto entlang zu fahren, geleitet vom grellen Licht der Scheinwerfer. Wenigstens das letzte Stück, den Abhang hoch, konnte ich im silbrigen Licht des Vollmonds gehen, wieder näher an mir dran.

Zu müde, um noch etwas Konstruktives zu tun, aber ich will wenigstens diese Aufzeichnungen noch fertigschreiben, auch wenn mir während des Schreibens ständig die Augen zufallen.



Lesbos, 19/11/2021

2021/11/19 22:38

Gestern Mittagessen bei Nati. Kleine frittierte Fische, ein Teller mit dicken Bohnen, ein gemischter Salat. Zum Chor der Männerstimmen am Nachbartisch, die sicher gerade alle Probleme der Welt lösen. Einer hält mit seinem Moped vor dem Eingang an, kommt herein, beteiligt sich am Gespräch, während sein Mundschutz von der Nase rutscht. Mit etwas in Serviette eingepackten Hühnerresten verabschiedet er sich wieder, nachdem er seine Meinung zu irgendetwas rausgelassen hat. Als die Männer bezahlt haben und gegangen sind, räumt Nati den Tisch ab und stößt einen tiefen Seufzer aus. "Jeden Tag", sagt er: "das Selbe: blablabla". Ich lache, mache mich dann auch auf den Weg, möchte eine kleine Runde laufen, es stellt sich aber wieder als schwieriger heraus, als es auf dem Papier aussieht. Die Wegbeschreibung verwirrt mich. Ich laufe über wilde Hänge, lande in einem Gelände mit stacheligem Gestrüpp, durch das ich mir einen Weg bahnen muss. Jemand scheint vor mir da gewesen zu sein, hat mir einen kleinen Pfad vorbereitet, der aber ins Gestrüpp führt. Manchmal waren es Schafe, und der Pfad hört plötzlich auf oder verzweigt sich in unzählige weitere Pfade. Der Wind weht kalt, und die Sonne geht schon hinter den Bergen unter. In der Abendkälte setze ich mich noch einmal auf einen Stein, versuche, das Abendlicht auf dem Papier einzufangen, vertue mich aber, es wird ein Geschmiere. Nichts, was ich male, macht mich wirklich zufrieden. Aus der Ferne grüße ich zwei Leute, die ihren Hund ausführen, Westler offensichtlich. Griechische Paare in dem Alter sind nie mit ihren Hunden unterwegs. Ich gehe einen Sandweg hoch, finde dann einen prima Weg zwischen zwei Steinmäuerchen, der aber nach kurzer Zeit immer steiniger und unwegsamer wird und schließlich vor einer Schafsperre landet. So ist es hier immer. Es gibt keine bequemen, geradlinigen, einfachen Wanderwege, man muss sich den Weg erarbeiten, erklettern, man kommt mit Schrammen und Wunden zurück und wacht am nächsten Morgen mit müden Waden auf.

In der Nacht schlief ich schlecht und widmete mich am nächsten Tag eigenen Erholung, schlenderte im Dorf herum, kaufte bei verschiedenen Lebensmittelhändlern ein, trank einen Cappuccino, lief dann nach Hause und saß auf der Terrasse, während ich ein Spinakópita mit Tomatensalat verzehrte und ein Apfelsaftschorle trank. Las "Das Ministerium des äußerste Glücks" aus, strickte meinen zweiten Strumpf fertig, schaute mir einen südkoreanischen Film an, der von einem jungen Paar handelte, die schon seit sieben Jahren zusammen sind und jetzt erst ihre, dann seine Eltern besuchen. Sie macht einen Schwangerschaftstest, weil ihre Regel ausgeblieben ist. Es geht um die Weigerung, das Leben der Eltern zu wiederholen, aber auch um die Unmöglichkeit, sein Leben zu leben, ohne Fehler zu begehen.

Donnerstag, 18. November 2021

Lesbos 18/11/2021

Das Thema dieses Mal: Wandern. Nur beim Wandern lernt man Lesbos wirklich kennen, kommt der Insel näher, dem Inneren, dem Herz.

Die überall verstreut liegenden Schafsfarmen, die Männer, die darauf arbeiten, die Olivenhaine. Das Geräusch der schlagenden Stöcke gegen Äste der Olivenbäume. Die überall ausgebreiteten Netze, grün, schwarz, orange, die wie ein Patchwork über der Landschaft liegen. Die Wege jenseits der Straßen, Trampelpfade, Schafspfade. Überall die Zeichen von Arbeit, harter, physischer Arbeit, vom Kreislauf des Lebens. Das Schlagen der Olivenbäume hat etwas Meditatives, die ganze Insel ist damit beschäftigt. Fast jede Familie hat irgendwo eine Olivenbaumplantage. Sogar die Assistentin der Tierärztin, Olga, hat sich frei genommen und arbeitet im Moment nur zwei Tage in der Woche.

Die Hütten der Schäfer, die Schafsställe, kleine Kunstwerke, Upcycling-Projekte, kein Material wurde dafür neu gekauft, sondern bereits Abgelegtes wird wieder verwendet. Das sind Männer-Reiche, Frauen sind da nie zu sehen. Ein Schäfer treibt seine Schafe heim und genießt das Echo, das seine Stimme hervorruft. Das Glockengebimmel, das Geblöke der Schafe, das Gebell der Hunde, die sie begleiten. Eine Arbeit, ein Tanz, alles gleichzeitig. Verrostete, klapprige Pick-Ups, Es ist eine Welt der Arbeit und der Freiheit. Es gibt kein Nichtstun, weil die Arbeit ständig getan werden muss. Aber es gibt eine mentale Gesundheit in dieser Art der Arbeit, eine Geradlinigkeit, Ehrlichkeit. Man tut, was getan werden muss, man tut es zum Überleben. Ich dachte an die, die die Insel verlassen, um ein besseres Leben zu finden, an die, die auf die Insel kommen, weil sie das "bessere" Leben da, wo sie herkommen, satt haben. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Austausch, die Insel ist isoliert, aber sie ist auch ein Umschlagplatz von Menschen, Leben, Schicksalen. Weit entfernt davon, eine Idylle zu sein. Die Frauen begegnen mir woanders. Die gute Seele, die täglich bei der Tierärztin vorbei schaut, aushilft, Kaffee kocht, mit den Leuten redet. Die Frau in Lafionas, die mir Toast und Saft anbietet, weil im Dorf kein Café und keine Taverne geöffnet hat, jedenfalls nicht am Tag. Es gibt nur wenige Menschen in den Dörfern, aber umso mehr Katzen. Mit Ignatia sitze ich im kahlen Raum des alten Kafeineons, sie deutet auf die Bilder an der Wand, erklärt, welche Personen darauf zu sehen sind, alles Verwandte von ihr, so scheint es, und alle tot. Mein Griechisch ist zu schlecht, um nachzufragen. Ihr Mann ist gerade in Petra im Lebensmittelladen, sagt sie, und dann zeigt sie mir ihr Haus, das gegenüber liegt, groß, in gutem Zustand, verglichen mit vielen anderen Häusern. In der kleinen Kirche steckt sie ein paar dünne Wachskerzen an und füllt Öl in die Öllämpchen. Sie hat mir ein paar Äpfel und Mandarinen als Wegzehrung mitgegeben und betont, dass die Äpfel gewaschen sind. Im Sommer ist es schön, hier zu sitzen, auf dem Platz vor der Kirche, an dem Steintisch mit den Steinbänken. Man hat von hier einen Blick bis zum Meer. Das Klima hier oben ist gut. In Petra, das am Meer liegt, ist es feucht. Sie streicht mit der Hand über ihren Arm, um mir zu zeigen, was sie meint. Zuvor habe ich auf einer Mauer gesessen, in der Sonne, ich aß ein paar Haselnüsse, die ich dabei hatte, und warf dem kleinen Hund, der mir Gesellschaft leistete, eine Nuss hin, die er auch fraß. Auf einem verrosteten Metalldeckel lag eine kleine ausgemergelte Katze und schlief mit kleinen stöhnenden Lauten. Ich versuchte, sie anzusprechen, aber sie reagierte nicht, wahrscheinlich war sie krank und hatte nicht mehr lange zu leben.

Man sieht nicht nur Schönes auf den Wanderungen über die Insel. Immer wieder angekettete Hunde, die Sehnsucht haben nach menschlichem Kontakt, sich gegen den Zaun drücken, die Schnauze durchstecken, und ich hoffe dann, dass sie nicht die ganze Zeit angekettet sind, dass ihr Mensch ihnen manchmal die Kette abnimmt. Beim Müllabladeplatz kommt mir ein verspielter Hund entgegen. Er ist hier als Wächter der Schafe eingestellt, darf aber frei herumlaufen. Ganz offensichtlich lädt er mich zum Spielen ein und läuft freudestrahlend einige Runden vom Schafsgehege auf den Weg und zurück, bietet mir dabei immer wieder an, dass ich mitmachen könnte, springt an mir hoch, lässt sich streicheln, haut dann ab ins Schafsgehege und widmet sich wieder seiner Aufgabe. Eine gut gelaunte Begegnung. Ich klaube einen Schafswirbel vom Boden auf, komme an einer weiß leuchtenden Schildkrötenschale vorbei - es sieht so aus, als wäre die Schildkröte etwas unglücklich auf dem Rücken gelandet und habe es nicht geschafft, sich wieder umzudrehen. Die improvisierten Gatter, Gitter, Absperrungen. Am Müllplatz haufenweise Material, das man abholen, neu verwerten kann. Ein Berg von ausrangierten Waschmaschinen. Eine Bierzapfanlage. Alte blaue Holzstühle, mit geflochtenem Sitz. Ich könnte Müllsammlerin werden, habe eine Anlage dazu in mir.

Die Wanderungen sind auch immer damit verbunden, dass man sich der Unsicherheit stellt, vom Weg abkommt, wieder zurück finden muss. Beim Abkommen vom Weg trifft man oft etwas Interessantes, Unerwartetes.

Ich denke an den kleinen Kater, der mir gestern Abend in der Dämmerung vor die Füße sprang, als ich auf dem Weg von Petra nach Molivos war, müde und erschöpft schon nach vielen Stunden Wanderung, aber nachdem ich ein paar Mal vergeblich versucht hatte, per Anhalter mitfahren zu können, hatte ich aufgegeben und lief einfach weiter. Der Kater also. Ich fragte mich, ob jemand ihn hier ausgesetzt, aus dem Autofenster geworfen hatte. Er war ganz zutraulich, an Menschen gewöhnt, lief mit mir mit, zwischen meinen Füßen. Ich nahm ihn hoch, er schmiegte sich an mich. Sollte ich ihn mitnehmen? Aber was, wenn er irgendjemandem hier gehörte, jemandem auf der anderen Seite der großen Straße, wenn er auf eigene Faust hier herüber gelaufen wäre? Und was würde ich mit ihm machen, wenn ich ihn nach Hause gebracht hätte? Ich setzte ihn wieder ab, ging ein paar Schritte, er folgte mir. So machten wir es eine Weile. Er schrie nicht, schien nicht hungrig, verzweifelt. Er folgte mir einfach. Ich ging ein paar Schritte, drehte mich um. Irgendwann folgte er mir nicht mehr, saß einfach da und blickte mir hinterher. Du entscheidest, sagte ich, ließ ihn da sitzen, und wusste, dass bald ein neuer Mensch vorbei kommen würde. Zuhause warteten die Katzen schon auf mich. Ich schaute einen südkoreanischen Film auf dem iPad an, eine trübe, traurige Geschichte in einem winterlichen Dorf (ein Ehepaar, das einsehen muss, dass sie gemeinsam nicht mehr glücklich sind). Der Taxifahrer, der seine Kunden nach ein paar Tagen schon vergessen hat, die gleichen Kommentare macht wie auf der Hinfahrt, die gleichen Fragen stellt. Bis die Frau darum bittet, dass er an den Straßenrand fährt. Sie steigt aus, es ist das Ende, ihr Mann folgt ihr, hinter ihnen das Taxi mit dem laufenden Motor, das Blinken der Warnlichter.

Lesbos, 15/11/2021

Wache zu einem Stromausfall auf. Es dauert eine Weile, bis ich verstanden habe, dass es daran liegt, dass das Thermostat nicht angesprungen ist. In Gedanken habe ich bereits den Elektriker gerufen. Als ich den benzinbetriebenen Akku von der Tankstelle höre, weiß ich, was los ist.

Hole den Gaskocher aus dem oberen Küchenschrank, bereite die Espressokanne vor, suche dann lange Zeit nach Streichhölzern oder einem Feuerzeug - ohne Erfolg und zunehmend missmutig deshalb. Währenddessen fordern Soprano und Julia auf der Terrasse lautstark ihr Futter ein. Ich sehe zu, dass Punxy nicht nach draußen entwischt und strenge mich an, das Futter für Agnes ganz leise aufs Mäuerchen zu legen, weil sonst Soprano sofort angaloppiert kommt und sie verjagt, obwohl er noch etwas in seiner Schale hat. Zurück im Haus, verpasse ich Punxy ihre Tablette und hoffe, dass sie nicht wieder alles auskotzt, wie gestern Abend.

Zwei Tage nichts geschrieben, und heute ist Montag. Der Samstag war anstrengend. Wartete auf Myrsini, die Cleo abliefern sollte, wartete auf Punxy, weil Myrsini ihre Lungen abhören sollte. Völlig aufgelöst am Nachmittag, weil Caesarion ankam und wie ein Zombie auf der Terasse stand, mich gar nicht wahrzunehmen schien. War Punxy etwas passiert...? In der Zwischenzeit rief ich Myrsini zweimal an, das erste Mal, um sie (verabredungsgemäß) an unsere Verabredung zu erinnern, das zweite Mal, um ihr (verabredungsgemäß) zu sagen, ob Punxy schon aufgetaucht war (war sie nicht). Gleichzeitig machte ich das Quittenbrot fertig, und das beschäftigte mich ein paar Stunden lang. Die gekochten Quitten abschälen, die harten Stellen wegschneiden, dann im Kochtopf weiterkochen, mit dem Kartoffelstampfer zu einer einheitlichen Masse verarbeiten. Zucker dazugeben, Zitronensäure, ein paar kleingehackte Pelargonenblätter aus dem Garten. Schließlich gab ich die Masse auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech und strich sie glatt. Noch ein Backpapier drauf, dann in den Ofen, bei 50 Grad Wärme, die Klappe ein wenig geöffnet, zum Nachtrocknen.

Putzte auch das Haus, fegte die Terrasse, versuchte, meine Unruhe zu vergessen. Schließlich, der Nachmittag war schon fortgeschritten, tauchte Punxy aus dem Nichts auf, ich schloss die Tür.

Was ich an Lesbos liebe: Die Tierärztin kommt mit einem Pickup angebraust, auf deren Ladefläche ein paar Tierboxen verzurrt sind. "Hier habe ich eine sehr nette Katze für dich", ruft sie beim Aussteigen. Ich höre Cleos Proteststimme aus der Box, auf der mein und Ps Name und unsere Telefonnummern stehen. Endlich kehrt wieder Normalität ein. Mysini hat jetzt doch keine Zeit, um sich Punxy anzuschauen bzw. ihre Lungen abzuhören (damit war die ganze Aufregung des Tages umsonst). Sie gibt mir eine Packung Antibiotika und sagt, dass sie auch am Montag in der Gegend ist. Dann kriege ich ein schnelles Update zu Cleo. So richtig Erleichterung stellt sich nicht ein. Wir warten jetzt auf das histologische Ergebnis und hoffen, dass Myrsini alle Knoten erwischt hat. Die Wunde auf dem Bauch ist riesig.

Am Abend schaue ich mir einen indischen Film ("Party") von 1984 auf dem iPad an. Es geht darin um die Leere von Poesie, die sich nicht in nahen Kontakt mit der Wirklichkeit (den sozialen Ungerechtigkeiten) begibt. Das Szenario ist eine Party der Upper Class zu Ehren eines gefeierten Poeten, der, wie sich zeigt, in einer Identitätskrise steckt. Wunderbare Charaktere, interessante Frauen. Stricke weiter an meiner Sockenferse, muss immer wieder auftrennen, bis ich den Dreh heraus habe. Esse nur eine Dose Thunfisch mit Tomate, Gurke, roter Zwiebel und Oliven, dazu eine Scheibe Brot. Der indische Film ist zu lang, als dass ich ihn bis zu Ende sehen könnte.

Cleo hat Durchfall.

Lese weiter in meinem Katzenbuch auf Griechisch, jeden Tag ein Absatz. Viel Nachschlagen bzw. entnervende Interaktion mit Google Translate, das nur selten versteht, was ich sage...

Sonntag:

Wanderung nach Vafios. Mit dem Fahrrad zu "end of asphalt" (das Schöne ist, dass ich das P schreiben kann und sie genau weiß, was damit gemeint ist) und zu Fuß weiter. An der kleinen Kapelle Halt gemacht und sie gezeichnet (nicht zufrieden damit).

Den Weg nach Vafios bin ich schon so oft gegangen und doch bin ich an entscheidenden Punkten immer wieder unsicher, muss zurück gehen, die Markierung überprüfen, damit ich nicht auf einem Schafspfad lande und dann nicht mehr zurück finde. Die Landschaft ist atemberaubend, das Licht besonders schön, die Temperatur angenehm. Der Weg ist steil und steinig und ich muss immer wieder anhalten und verschnaufen, versuche dann, mein Schritt-Tempo an meine Kondition und mein Alter anzupassen. Es begegnet mir keine Menschenseele, nur ein paar verstreute Schafe, die offensichtlich kein besonders gutes Gehör haben, da sie jedes Mal vor Schreck einen kleinen Hüpfer machen, als ich auftauche. Ich bewege mich in Zeitlupe und rede beruhigend auf sie ein, damit sie sich nicht in der Hektik am felsigen Abhang alle Knochen brechen. Ihre empörten Stimmen folgen mir. Nur gut, dass es Schafe sind und keine Bären.

Als Proviant habe ich ein paar kleine Behälter mit Haselnüssen, Trockenfrüchten und Hanfsamen dabei, außerdem eine Flasche Wasserkefir, von der ich immer wieder ein paar Schlucke trinke. Den Pullover habe ich bald ausgezogen und um meine Hüften geknotet. Was mir Sorgen bereitet ist, dass die Sonne um fünf Uhr untergeht und ich bis dahin wieder bei meinem Fahrrad sein muss. In der Dunkelheit wäre man hier völlig verloren. An einer Stelle muss ich ein paar Mal vor und zurückgehen. Der Weg ist gerade hier besonders steinig und steil, und ich bin froh, als ich endlich die blasse Markierung auf einem Felsen entdecke.

Jede Stunde schicke ich ein Update an P, damit sie weiß, wo ich ungefähr bin und auch, damit sie eventuell Hilfe schicken kann, falls sie nichts mehr von mir hört.

Ich beschließe, nichts durchs Dorf zu gehen (das sowieso meist wie ausgestorben ist), sondern einen anderen Weg zu nehmen, von dem ich dann direkt den Abstieg machen kann. Die Sonne beginnt schon sich orange zu verfärben, aber noch weit genug über dem Horizont, dass ich mir keine großen Sorgen machen muss. In dem Gewirr aus Schafswegen muss ich trotzdem genau aufpassen, dass ich die Markierungen nicht verpasse, und muss auch hier wieder an einer speziellen Stelle mehrmals vor und zurück gehen, bis ich beruhigt feststellen kann, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Bei "end of asphalt" angekommen (es dämmert jetzt), steige ich aufs Fahrrad und lasse es über lange Strecken bergab laufen. Zuhause warten die Katzen. Ich stelle im Keller die Heizung so ein, dass ich jetzt auch an den Abenden Wärme und heißes Wasser haben kann. Die letzten Abende habe ich mich immer mit mehreren Schichten Pullovern und Westen und einer um die Hüften geschlungenen Wolldecke begnügt und fürs Abspülen Wasser im Kocher heiß gemacht, aber P besteht darauf, dass ich es mir "gemütlich" mache.

Abendessen: gebackene Kartoffeln, dazu Lauchgemüse mit Sahne und Ziegenkäse. Schaue mir den (aufwühlenden) Rest des indischen Films an. Verpasse Punxy ihre Tablette, aber sie kotzt kurz hinterher und ich muss unter den Tisch kriechen, um ihre Essensreste mit einem Haushaltspapier einzusammeln.

Dann noch eine Stunde "Sacred Space", ein Live-Crowdspace-Vortrag mit Artie Wu, das seit eineinhalb Jahren eine schöne Routine in meinem Leben geworden ist. Dieses Mal geht es um den Mythos von Daedalus, um Minos, Ariadne und das kretische Labyrinth. Während ich Artie bei seinen faszinierenden Ausführungen zuhöre, stricke ich weiter an dem Socken, bei dem ich jetzt auch das Fersen-Labyrinth hinter mir gelassen habe und mich auf der weiten Ebene der rechten Maschen befinde. Socken-Stricken als Therapie - immer am Faden entlang.

Lesbos 12/11/2021

Gestern nichts geschrieben. Auch heute muss ich mich dazu zwingen. Am Vormittag in der Sonne mit dem Fahrrad nach Petra, im Tierladen 3 kg Spezialfutter gekauft. In der Sonne war es warm, und ich musste meinen Wollpullover ausziehen und meinen Wollschal abnehmen, als ich die Steigung hochgefahren war. Olga saß mit ihren zwei Katzen am Behandlungstisch und aß etwa aus einem Schraubglas. Nicht viel los heute. Ich erzählte ihr von Punxys Husten und sie rief Myrsini an, mit dem Ergebnis, dass Myrsini morgen Cleo hier abliefert und gleichzeitig Punxys Lungen abhört.

Beim Frühstücken las ich übrigens einen Absatz in dem wunderschönen Katzenbuch, das ich letztes Jahr in Petra gekauft habe. Wort für Wort entschlüssele ich die Sätze, bin ganz glücklich über ihre Poesie und auch darüber, dass mir die Entschlüsselung so gut gelingt. Immerhin erkenne ich das Substantiv und das Verb im Satz, sehe, ob es Vergangenheitsform oder Präsens ist, erkenne die Personal- und Possessivpronomen. Ich kann mehr als mir bewusst ist, kann nur die Gespräche um mich herum nicht verstehen, und es fehlen mir auch die einfachsten Ausdrücke.

Trinke gerade griechischen Bergtee. In der Nacht habe ich lange wach gelegen, wegen Punxys Husten, der gestern Abend ganz übel klang und mich an die Lungenentzündung von vor zwei Jahren erinnerte. Mit der Stoppuhr zählte ich ihre Atemfrequenz und kam bei der oberen Grenze an. In der Nacht beschäftigte mich vor allem das logistische Problem. Wie sie nach Petra bringen, wann? Oder gleich nach Mytilini? Die Box ist mit Cleo in Mytilini, ich müsste also wieder eine Box von den Nachbarn leihen. Schließlich hat sich das Problem von selber gelöst. Und Punxy hat heute kein einziges Mal gehustet, nicht in meiner Anwesenheit.

Machte auf der Terrasse meine Umsatzsteuererklärung und war froh, als ich sah, dass das Geld auf meinem Steuerkonto vorhanden war, ich also nichts überweisen musste. Dann machte ich mich an den Quittenberg, der seit meiner Ankunft auf der Terrasse gestanden hat. Säuberte sie, schnitt sie in Stücke, die ich dann kochte und schälte. Währenddessen hörte ich auf Bayern 2 ein Programm über die Klimawende. Woran liegt es, dass wir die nötigen Entscheidungen nicht treffen, weder auf der politischen noch auf der persönlichen Ebene? Geld ist ein Faktor, Bequemlichkeit ein anderer. Auch ich fliege noch und werde es wahrscheinlich weiter tun, so lange Flüge billiger sind als Zugreisen. Kein Auto zu haben, elektronische Geräte so lange zu benützen wie möglich, seine Kleidung Second Hand kaufen, flicken, reparieren, all das sind nur Tropfen auf dem heißen Stein.

Las weiter in Arundhati Roys Buch Das Ministerium des äußersten Glücks. Die Fortsetzung des Buchs fordert mich mehr heraus als der erste Teil, den ich tatsächlich mit einem Gefühl des Glücks gelesen habe. Dann wird es komplizierter, komplexer, die Zusammenhänge sind schwerer zu entwirren, und es ist schwerer, für die Personen die gleiche Sympathie zu haben. Die Ereignisse sind auch dunkel, schwer, deprimierend. Saß in Petra in einem Café in der Sonne, trank einen Cappuccino und las, während eine Engländerin am Nachbartisch mit einer kleinen Katze redete, die auf ihren Schoß gesprungen war.

Der Busfahrer, der uns oft mit seinem lila Bus über die Insel kutschiert hat, ist alt geworden und bewegt sich schwerfällig. Er hat eine Plastiktüte mit rohen Fischresten, die er ins Meer leert. Er macht das ganz sorgfältig und bleibt noch lange stehen und blickt auf das Wasser zu seinen Füßen, als würde er darauf warten, dass etwas passiert.

Radelte wieder zurück. Es kostet wegen der Steigungen vorher immer eine riesige Überwindung, aber wenn ich dann unterwegs bin, bleibe ich doch im Sattel sitzen, den Blick vor mir auf den Asphalt geheftet.

Schickte vorgestern das Manuskript ab, bekam keine Rückmeldung und forderte sie ein. Als Nächstes steht das Korrekturlesen an. Ich schrieb vorgestern eine emotionale Nachricht an Anas, aber ich dachte, dass er als Araber das wegstecken können muss. Er antwortete mir, dass er in allem genauso fühlt wie ich und schrieb dann, er habe eine gute Nachricht, die er mir mündlich übermitteln wolle, und er sei sich sicher, dass ich mich für ihn freuen würde. Ich habe jetzt natürlich nachgedacht was das sein könnte.

In den letzten Tagen habe ich den altersschwachen Computer hier etwas auf Vordermann gebracht. Einige Programme gelöscht, die ihn nur verlangsamen. Hier will ich den Computer in erster Linie zum Schreiben benützen und für meine "Büroarbeit".

Malte gestern einen Baum im Dorf und heute drei Quitten zu Hause. Bin darauf gekommen, dass es besser ist, wenn ich mich für ein einzelnes Motiv entscheide (anstelle von komplexen Szenen und Landschaften) - so lange ich an den #otherpeopleshomes arbeite, habe ich außerdem nicht so viel Zeit und Energie übrig.

Heute alles gemacht, was ich machen musste. Aß zu Abend gefüllte rote Spitzpaprika (mit Feta, Ei und Traxanas), dazu Linsengemüse mit Gelben Rüben. Der Fuchs tauchte auf der Terrasse auf, aber es gab kein übriggelassenes Futter, und er zog wieder ab. Ich stand in der offenen Terrassentür, fast auf Armlänge, und fragte mich kurz, ob er es wagen würde, ins Haus zu kommen und ob ich Angst haben musste.

Heute beobachtete ich einen Stellungskrieg zwischen Moritz und Caesarion. Es war beinahe unerträglich. Ich zwang mich aber dazu, nicht dazwischen zu gehen, weil ich wollte, dass Caesarion von selber die Oberhand gewinnt. Es sah lange nicht so aus, und zwischendurch flogen die Fetzen und die beiden kugelten durch das Gebüsch. Ich sah, wie Agnes von hinten heranpirschte, als wollte sie Caesarion im Notfall zur Hilfe kommen. Aber er schaffte es von alleine. Moritz verzog sich, sprang auf das Mäuerchen und war dann weg. Wie lange das wirkt, weiß man natürlich nicht, aber ich war enorm stolz auf den liebenswerten und sanften Caesarion, der mir plötzlich seine ganze mentale Kraft gezeigt hatte. Es gibt andere Nervensägen als Moritz, u.a. Julia, die keine andere Katze in ihrer Nähe ertragen kann und ständig prophylaktisch faucht, oder Soprano, der sofort angepiepst kommt, wenn Futter auch nur im Entferntesten zu ahnen ist..

Lud die nächsten Schreibaufgaben hoch. In den nächsten Tagen möchte ich mich um ein Stipendium bewerben. Die Quittenaktion habe ich unterbrochen, und die Töpfe auf die Terrasse gestellt. Müde.

Die Corona-Zahlen steigen besorgniserregend. Meine Reise nach Regensburg im Dezember ist nicht so sicher, wie ich gedacht hatte.

Lesbos 10/11/2021

Wetterumschlag. Ein Tag der extremen Gefühle. Gefühlsumschwünge.

Morgens Yoga, Atmen. Um kurz vor zehn Cleo in die Katzenbox stecken. Auf M warten, im Sonnenfleck neben dem Sandhaufen. Mit einer laut protestierenden Cleo auf dem Hintersitz nach Petra fahren. Warten. Als wir an der Reihe sind, wehrt sich Cleo gegen die Betäubungsspritze. Dreimal müssen sie ansetzen, bis sie plötzlich kotzt, dann wegsinkt und wie tot daliegt. Der Knoten erweist sich als einer von vielen, die miteinander verbunden sind. Der Krebs ist also zurückgekommen. Die Pfote ist verletzt gewesen, jetzt aber am Abheilen. Myrsini muss Cleo mit nach Mytilini nehmen, um sie unter besseren Bedingungen operieren zu können. Sie ist aber optimistisch. Bei einer so alten Katze wächst der Krebs langsamer. Wir müssen aber trotzdem regelmäßig mit ihr vorbeikommen, um sie kontrollieren zu lassen. Als sie mich später im Auto nach Hause bringt, sagt sie, sie findet es gut, dass ich kein Auto habe. Man lebt das Leben langsamer, lässt sich mehr auf die Gegend ein, in der man sich befindet. Das stimmt. Früher sind viel mehr Menschen am Straßenrand gestanden und per Anhalter gefahren. Jetzt sieht man das nicht mehr. Jeder hat ein Auto, das isoliert uns auch voneinander. Wir waren vorher bei Wanda, bei der Myrsini elf Hunde geimpft hat. Während sie die Spritzen aufzog, redete Wanda ständig auf sie ein, wie ein Wasserfall, und immer wieder ein französisches Wort dazwischen reingeschoben. Der ganze Hof, das Haus ist auf die Tiere eingerichtet. Manchmal steht sie um sechs Uhr auf und geht um drei Uhr nachts schlafen. Myrsini versucht, ihr zu erklären, dass sie der AIDS-Epidemie in Wandas Katzengruppe nachgehen muss. Wir müssen die befallenen Tiere einschläfern. Auf keinen Fall, sagt Wanda. Sie zeigt mir eine Box mit kleinen Welpen, die in einem Beutel in Kalloní gefunden wurden und die sie jetzt mit Milchersatz aufpäppelt.

Wieder zu Hause, esse ich zu Mittag (gekochte Nudeln, mit Zwiebel Ei gebraten und ein Salat mit Broccoli). Mache mich dann an den Anas-Text und als ich fertig bin, gehe ich hinaus, um einen Spaziergang zu machen. Das Flussbett ist ausgebaggert, und nicht mehr begehbar, also muss ich eine größere Schleife machen, an der Olivenpresse vorbei durch die Olivenhaine. Treffe George mit dem langen Vollbart. Er ist dabei, seine dreißig Olivenbäume abzuernten. Ich gehe es ruhig und entspannt an, sagt er, ich habe keine Lust auf Stress. Ich komme am späten Vormittag hierher, mache viele Kaffeepausen und höre meine Musik. Für dreißig Bäume braucht er vielleicht zehn Tage. Dann hat er in der Pension noch einiges zu tun, will den Garten herrichten und die Wifi-Anlage verbessern. Hinterher fällt mir ein, was ich ihm hätte sagen sollen: Bald kann man sicher damit Werbung machen, dass das Hotel kein Wifi hat. Menschen werden sich danach sehnen, von ihren Handys Urlaub zu machen. Rede mit P nochmal über den Anas-Text. Soll ich die Kapitel umstellen?

Leider hat der Computer von selber angefangen, sich zu aktualisieren und das dauert eine gute Stunde, während derer ich an dem Bild von Marias und Folkes spanischem Zuhause sitze. Ich habe nur Angst, dass der Computer abstürzt, bevor ich dazu gekommen bin, die Datei zu übersenden. Es ist eine zähe und frustrierende Angelegenheit, da das Word-Programm sich weigert, die Datei zu öffnen. Schließlich gelingt es mir, die Datei an mich selber zu mailen und damit zu sichern (ich hatte sie bisher nur auf dem USB-Stick, aber das würde mir bei einem Computer-GAU nichts mehr nützen). Als ich endlich fertig bin und es mir dann doch gelungen ist, die Datei an den Verlag zu schicken, mache ich mich auf den Weg ins Dorf. Es ist kalt geworden, ich habe einen dicken Schal um den Hals gewunden. Mit einer Polizei-Taschenlampe leuchte ich mir den Weg vom Fahrrad. Gehe zu Theodos Frau Eli und rede etwas mir ihr, lasse mir ihre Telefonnummer geben: Lass uns einmal treffen und reden, wie normale Leute, schlage ich vor. Dass möchte ich gerne, sagt sie.

In der Tavern Mistral bin ich der einzige Gast, nachdem drei Arbeiter gegangen sind, die sich das übriggebliebene Essen in Behälter haben packen lassen. Ich esse Imam (Aubergine in Tomatensoße), frittierte Kartoffeln und trinke ein Glas Wein dazu. Ein kleiner Junge kommt herein, offensichtlich der Sohn der Besitzer, in Begleitung eines Mannes, der sein Onkel sein könnte. Alle umarmen den Jungen, sind glücklich, ihn zu sehen. Sie machen irgendwelche Scherze und lachen und blicken dann zu mir her, in der Hoffnung, ich könnte mitlachen. Auf dem Weg zum Fahrrad gehe ich in eine kleine Kapelle, deren Inneres ganz dunkel ist. Ich taste nach einer Kerze und zünde sie an. Für das Buch. Für das Leben. Für Cleo. Für alle, die Sorgen und Unruhe erleben. Bekam heute Anrufe von meiner Ärztin und von meiner Arbeitstherapeutin. Die Ärztin war kurz angebunden und säuerlich, weil ich letzte Woche den Antrag gestellt habe, zu einer anderen Gesundheitszentrale zu wechseln. Bei meiner alten ist in der letzten Zeit einfach zu Vieles schiefgegangen ist, und ich habe kein Vertrauen mehr. Sie will mir jetzt zu meinen Blutproben nichts mehr sagen, ich soll mich an meinen neuen Arzt wenden. Die Arbeitstherapeutin war herzlich und warm und wünschte mir eine gute Zeit in Griechenland.

Bei meinem Weg an der Meerbrandung entlang in der Dunkelheit wurde ich plötzlich von einem enormen Gefühlsschwall erfasst. Erleichterung, Stolz, ein Gefühl der Liebe zu Anas und dem, was wir in den letzten Jahren geschafft haben. Gleichzeitig eine Riesentrauer über Cleo und darüber, dass die Zeit mit ihr allmählich zu Ende geht. Wir reden jetzt schon darüber, dass es toll wäre, wenn sie noch zwei Jahre hätte. Das Ende ist abzusehen, der wichtigste, lebendigste Abschnitt meines/unseres Lebens. Ich redete mit Myrsini über meine Gedanken, eine der Katzen (nämlich Louis) mit nach Schweden zu nehmen. Sie riet mir ab. Er hat es hier viel besser. Das wird von jetzt mein Mantra sein, wenn ich wieder von Zweifeln heimgesucht werde. Er hat es hier besser. Hier hat er seine Freiheit, seine Wildheit und trotzdem genügend Menschen, die ihm gegenüber wohlwollend eingestellt sind.

Jetzt ins Bett. Morgen ein Tag ohne Anas-Text, ein Tag ohne Cleo. Obwohl Punxy und Caesarion neben mir auf dem Bett liegen, habe ich das Gefühl, dass Cleos Abwesenheit den Abend, das Zimmer ausfüllt.

Lesbos 9/11/2021

Irgendwann einmal werde ich das hier lesen, erstaunt, wieviel passiert ist. Jetzt kommt es mir vor, als würden die Tage einfach verfliegen. Habe wieder am Anas-Text gearbeitet, es ist, als würde ich nie fertig werden. Dann die 100 Seiten, die ich überarbeitet hatte, an P geschickt, die heute auch einen Durchgang machen wollte. Einkaufen gefahren. Im Laden von Theodos war heute viel Verkehr, es gab keine Zeit für ein Gespräch, und ich fuhr hinterher wieder nach Hause, um mir etwas zu essen zu machen. Dann der lang gezogene Versuch, meine Nachbarn ausfindig zu machen, um etwas über die weiße Katze herauszufinden. Lief lange über das riesige Gelände, um die Häuser herum, die in Frage kamen, aber nirgendwo war die Spur eines Menschen zu sehen. Eine Spur des Neids, des Minderwertigkeitskomplexes, angesichts dessen, was andere in ihrem Leben aufbauen. Es machte einen so durchdachten, gut gepflegten Eindruck. Wollte aufgeben. Schließlich half mir ein Grieche, der mit ein paar Olivenölkanistern angekommen war. Die Nachbarin wusste, dass die weiße Katze bei den Nachbarn verkehrt. Ich benützte die Gelegenheit, um zu fragen, ob sie mich morgen nach Petra bringen kann.

Traf Giannis auf der Straße. Er führte einen jungen Hund aus, und als wir anfingen, uns zu unterhalten, fiel der Hund von Straße, die etwas höher ist als das angrenzende Grundstück, und hing an der Leine. Giannis zog ihn sofort wieder hoch, aber der Arme war geschockt. Hinterher wurde mir ganz übel beim Gedanken, was hätte passieren können. Zuhause sammelte ich die Granatäpfel vom Boden auf, die schlecht geworden waren, fegte die Oliven zusammen. Fuhr ans Meer, wo ich nur ein kleines Bild malte, mich aber nicht dazu überwinden konnte, ins Wasser zu gehen. Wetterumschlag. Draußen geht ein starker Wind. Schwedisch mit Elke: Adjektive, Steigerung, Kontaktanzeigen und Horoskope. Dann kochte ich mir eine Linsensuppe mit Lauch, aß Salat, spülte ab, schrieb sechs neue Aufgaben für den Schreibkurs und lud sie hoch.

Ab morgen möchte ich wandern, Ausflüge machen. Mich vom Diktat des Handys befreien. Und morgen Abend im Hafen essen gehen, als Feier des Tages, denn ich werde mein Manuskript endgültig aus den Händen geben.

Lesbos 8/11/2021

Morgens Yoga, Atmen, Brot ansetzen. Rief Myrsini an. Am Mittwoch komme ich mit Cleo zu ihr in die Praxis. Sie redet begeistert über meine Bilder. Dass ich Leben in die Motive bringe. Im Hintergrund schreit ein Baby.

Stellte den Haiku-Reader für den Haiku-Kurs zusammen, genervt von den Schwierigkeiten. Es dauerte mehrere Stunden, das Ganze in eine akzeptable Form zu bringen, v.a. weil die Teilnehmer sich nicht an meine Anweisungen halten. Wir haben jetzt vier Haiku-Reader erstellt in diesem Jahr. Hunderte von Haiku.

Neue Aufgabe für den "Kindheits"-Kurs. Erinnerungsmail.

Dann fuhr ich ans Meer. Es war noch sonnig, und ich ging durch die Pistazienplantage an den Nacktbadestrand. Etwa hundert Meter entfernt ein nackter Mensch. Ich setzte mich auf eine grüne Bank, aß ein Spinakópita und trank einen Eistee. Las in Das Ministerium des äußersten Glücks. Ging dann auch ins Wasser, es war herrlich, erfrischend, reinigend. Trocknete mich ab, zog mich an, las noch ein wenig, bis es kühler wurde. Radelte ins Dorf. Vom Café am Dorfeingang winkt mir Vangelis zu, dessen Frau gerade in Athen ist, um den Sohn zu besuchen. Der Müllmann stiert wie immer missmutig vor sich hin. In einem kleinen Laden kaufe ich ein paar Dosen Katzenfutter, ein Bier.

Dann zu Hause auf die Terrasse, das Bier getrunken und gesalzene Mandeln gegessen, während ich zusah, wie Julia alle Katzen terrorisierte. P drängte darauf, dass ich einen Flug für den September nächstes Jahr kaufen sollte, weil die Preise bis heute günstiger sind. Bekam einen Hin- und Rückflug für unter 200 Euro, dafür tauschte ich auch ein paar Miles ein. Rief meine Mutter an. Die Ergotherapeutin ist heute bei ihr gewesen, sagt sie, und liest mir auch den Eintrag in ihrem Kalender vor, aber sie weiß nicht mehr, was sie mit ihr gemacht hat. Sie erzählt wieder, dass sie jeden Tag eine Stunde spazieren geht, mit dem Rollator. Es gibt nichts Besonderes zu erzählen, sie hat es eilig, das Gespräch wieder zu beenden. Was sollen wir schon sagen? Ich stecke das Sauerteigbrot in den Ofen, mache mir einen Salat aus allen möglichen Zutaten (Schafskäse, Melone, gedünstete Champignons, etc.). Male ein Hafenbild nach einem Foto, das ich vorgestern gemacht habe. Dann ein paar Reihen stricken. Diese Zeilen schreiben. Es passiert auch bei mir nichts Besonderes.

Die Luft ist so feucht, dass die Wäsche einfach nicht trocknet - jetzt habe ich den Wäscheständer hereingeholt.

Nahm mir heute vor, nur an den Sonntagen etwas auf Facebook / Instagram zu veröffentlichen, weil es meine Zeit auffrisst.

Lesbos 7/11/2021 Abends

Fuhr mit dem Fahrrad nach Eftalou, wusste es aber nicht, bevor ich dorthin auf dem Weg war. Es war wieder ein warmer, sonniger Tag. Ich hatte den vagen Plan, etwas zu malen. Nachdem der Anas-Text jetzt abgeschlossen ist, habe ich wieder ein Gefühl der Freiheit zurückbekommen (obwohl ich heute früh im Bett auf dem Handy durch den Text scrollte und sofort mindestens zwanzig Stellen fand, an denen ich etwas ändern wollte). Erst als ich am Strand angekommen war, der bei dem alten Kloster liegt, war mir klar, dass es das war, was ich wollte. Ich hatte keine Badekleider dabei, doch da weit und breit niemand zu sehen war, ging ich nackt in das leuchtend blaue Wasser. Hinterher malte ich ein Bild von der Strandlinie. Ich hatte einen blauen Gouache-Untergrund auf einer Seite, von einem übermalten Bild, und verwendete ihn. Die Farben wurden so dunkel, dass es eher aussah wie ein Nachtbild. Zu Hause malte ich dann noch einen Mond in den Himmel und ließ ihn sich im Wasser spiegeln, Ziemlich scheußlich. Kaufte ein wenig Gemüse bei der albanischen Familie mit dem Wohnwagen, aber zu Hause angekommen, sah ich, dass der Salat total verwelkt war. Bin mal wieder zu dummfreundlich gewesen, um mir den Salat genau anzuschauen, obwohl er schon einen ziemlich schlappen Eindruck auf mich machte. Machte mir Lauch mit Broccoli und Tomaten, dazu Reis und eine der Bauernwürste, die P ins Gefrierfach gelegt hatte und die gegessen werden müssen. Ein langweiliges Essen. Saß mit kurzen Ärmeln auf der Terrasse, las Arundhati Roy, Das Ministerium des äußersten Glücks, begeistert. Wusch insgesamt vier Trommeln Wäsche heute, aber die vierte Trommel habe ich noch nicht hochgeholt. Als es kühl wurde, machte ich mich an ein Bild, das ich noch unfertig aus Schweden mitgebracht hatte. Etwas leidenschaftslos, aber penibel, malte ich es fertig. Ich muss noch sieben oder acht Bilder malen, vielleicht schaffe ich jeden zweiten Tag eines, dann bin ich in zwei Wochen damit fertig.

Louis ist schrecklich anhänglich. Aus der scheuen Katze, der man sich kaum nähern konnte, ist ein Schmusekater geworden. Er genießt es, im Haus zu sein. Wenn ich nicht aufpasse, wird er sich fett fressen, weil er ständig Futter haben will. Mit dem Burschen habe ich im Frühjahr eine Busfahrt nach Mytilini unternommen, weil seine Kastrationswunde sich entzündet hatte und eiterte. Jeden Tag habe ich ihm Augensalbe verpasst, weil das eine Auge trübe war. Und vor meiner Abreise habe ich ihn in der Klinik abgegeben, damit man dort die Augenbehandlung fortsetzen konnte. Das Auge ist immer noch trübe, aber es ist besser geworden, und Myrsini sagt, dass er damit trotzdem sehen kann. So viele Sorgen, andauernd. Jetzt wieder einmal Cleo, die auf einem Bastkissen liegt und schnurrt. Und jedes Mal denke ich ans Schlimmste, male mir Schreckens-Szenarios aus.

Hinterher an den Socken gestrickt. Meine Abendroutine. Nur ein paar Reihen jeden Tag, dann sind sie auch irgendwann fertig. Einen habe ich schon an, am anderen Fuß friere ich.

Lesbos 7/11/2021

Ich kam zu Mary, als sie gerade geöffnet hatte. Ich war verwirrt, da ich gerade in einem Laden Englisch gesprochen hatte, fing an, etwas auf Englisch zu sagen, wechselte dann zu Deutsch, wieder zu Englisch, einige schwedische Wörter... Eigentlich wollte ich nur von ihr wissen, ob ich ihr meinen Impfpass zeigen sollte. Neue Regel in Griechenland.

Nein, bräuchte ich nicht.

Wir redeten übers Impfen, über alle, die noch nicht geimpft sind, dann über das Alter und dass man bei den Menschen, die man schon lange kennt, nicht daran denkt, wie alt sie sind. Ich vergesse mein Alter, sagt sie auch, und dann muss ich mich wieder daran erinnern.

Mary ist in Redelaune. Vielleicht, weil sie gestern beschlossen hat, ihre Taverne endlich zu verkaufen, also die Einrichtung, die Lizenz, den Namen, den Kundenstamm. Die Miete für das Lokal ist 700 Euro im Monat, Winter wie Sommer.

Sie setzt sich an meinen Tisch, mit Mundschutz, ich schiebe mein Buch weg, trinke ab und zu einen Schluck von meinem Bier, während sie mir von ihrem Leben erzählt. Sie hat Melodie in ihrer Stimme, Musikalität, alles, was sie sagt, klingt echt, lebendig, es ist, als lauschte ich einem griechischen Epos, in dem es um Liebe, Enttäuschung, Aufbruch, äußere Zwänge und Schicksal geht. Es ist, als wäre sie selber erstaunt von ihrer Lebenserzählung, von allem. Wie sie sich in die deutsche Geliebte ihres Mannes verliebte und die sich in sie, wie sie ihr nach Deutschland folgte, dort in einem griechischen Wirtshaus arbeitete und gleichzeitig Kunstgeschichte studierte. Die Versuche der Schwiegermutter, sie zur Rückkehr zu bewegen. "Aber ich liebe ihn nicht!", sagte Mary. "Das macht nichts", sagte die Schwiegermutter. "Du kommst zurück, ihr macht ein Kind, und du kannst das Kind lieben." Er hat später noch einmal geheiratet, eine Frau aus Finnland, die nach ein paar Jahren mit den Kindern nach Finnland ging. Er war einmal sehr reich, aber jetzt ist es nicht mehr. Sein Problem, so sagt sie, ist, dass er immer noch an der Mutterbrust hängt. Er war ein guter Mann, ist es wohl immer noch.

Es ist wegen dem Traum in der letzten Woche. Sie träumte von der Frau, wegen der sie ihn verließ, und die sie geliebt hat. Nein, es war nicht einfach mit den Frauen - sie lacht, schüttelt den Kopf, vergräbt das Gesicht in einer Geste der komischen Tragik in den Händen - aber ich habe sie mehr geliebt als die Männer. Jetzt fürchtet sie, dass der Traum der letzten Woche eine Botschaft war, dass der alten Freundin etwas passiert ist, dass sie vielleicht nicht mehr lebt. Als ich später mein Essen bezahle, greift sie wieder einmal in das Regal über ihren Kopf, nimmt eine kleine Flasche Ouzo heraus. Das kannst du am Abend trinken, sagt sie. Wir werfen uns gegenseitig Kusshände zu, ich beeile mich, nach Hause zu meinem Zoom-Meeting zu kommen. Später möchte ich ihr mit dem Telefon ein Herz schicken, aber ich habe die Nummer nicht in meinem iPhone.

Lesbos 5/11/2021

Mein erster Tag hier ist zu Ende.

Räumte erst herum, trug Sachen unters Dach, holte andere herunter. Ging ins Dorf, schaute bei Mary vorbei. Sie fährt bald für einen Monat nach Athen, für ihren jährlichen Check-Up. Letztes Jahr hat sie ihn nicht machen lassen, wegen Corona. Dieses Jahr ging das Geschäft besser als im letzten Jahr, aber es war nicht gut genug. Sie überlegt jetzt, das Lokal zu verkaufen, etwas anderes zu machen. Es wird ihr zu viel. In Rente gehen kann sie nicht, kann es sich auch nicht vorstellen. Es war so warm, wir schwitzten beide. Ich komme morgen Abend vorbei, versprach ich, es ist der letzte Abend, an dem sie aufhat. In der Bäckerei kaufte ich mir ein Spinat-Pie und ein kleines Brot, dann ging ich zu Theodos. Er sagte, du siehst weiß (white) aus, ich verstand, du siehst gut (well) aus. Kaufte einen riesigen Broccoli, anderes Gemüse und Salatzeug, sechs frische Eier, eine Dose Thunfisch, Yoghurt und Milch. Ich war zu Fuß unterwegs und wollte nicht zu viel tragen. Zu Hause angekommen, aß ich den Rest der Tomatensoße mit Pasta, die ich gestern Abend gemacht habe, schnitt eine Wurst hinein, die P im Gefrierfach hiergelassen hat, legte mich dann ein wenig ins Bett. Louis war glücklich, dass er neben mir liegen durfte, er "wusch" mein Haar gründlich und systematisch. Um zwei Uhr setzte ich mich mit einer Tasse Instantkaffee (auch hiergelassen von P) an den Tisch auf der Terrasse und begann mit der erneuten Überarbeitung vom Anas-Text. Es ging langsam, war aber trotzdem befriedigend, weil ich zufrieden mit dem Meisten bin und weiß, dass dies das letzte Mal ist, dass ich ihn durchgehe. Trotzdem gab es einige Kapitel, mit denen ich kämpfte, komische Wiederholungen, die sich eingeschlichen hatten, holprige Sätze. Es fühlte sich schicksalsschwer an. Was ich hier heute mache, wird für immer so dastehen. Um halbfünf fuhr ich ans Meer, die Sonne fing schon an, im Meer zu verschwinden, ein rot-orange-rosa Streifen zog sich am Horizont entlang. Dann fuhr ich nach Hause, setzte mich noch einmal mit dem Anas-Text hin, konnte einfach nicht aufhören, las und änderte bis 23:00, und habe jetzt nur noch etwa 60 Seiten zu machen. Das Lesen erfüllte mich aber mit Glück, mit einem Gefühl der Ungeduld: ich will diesen Text jetzt im Druck sehen. Ich will, dass er entdeckt wird, dass man darüber schreibt, spricht, dass er etwas bewegt, verändert. Aß noch ein paar Scheiben Brot mit Käse und Tomate und ärgerte mich ein wenig über mich selber, dass ich mich so wenig um meine Ernährung gekümmert habe in den letzten Monaten. Der Sauerteig ist angesetzt, der Wasserkefir auch. Strickte ein paar Runden an einem Socken, der mich jetzt schon einige Jahre begleitet hat, zum Abspannen.

Lesbos 4/11/2021

2021/11/04 13:21

Wachte um 5 Uhr auf, in meinem Zimmer, und sofort begann mein Hirn für die bevorstehende Reise zu planen. Was ich noch mitnehmen wollte, was ich alles in die paar Stunden hineinpressen musste, die ich hatte. Die Blumen-Lampen auf Timer umstellen. Gießen. Kopfhörer einpacken und eine Extra-Batterie für den Computer, der schon auf Lesbos ist. Den iPad und das iPhone aufladen, Shantis Medizin vorbereiten. Ich hatte mich für einen leichten Rucksack entschieden, aber am Ende hatte ich doch wieder zu viel Gewicht und beschloss, eine Jacke mit vielen Taschen mitzunehmen.

Kochte ein Ei, füllte kleine Metalldöschen mit getrockneten Früchten und Hanfsamen. Kochte Kaffee mit Kardamom.

Schaltete die Morgen-Raga ein und machte meine einfachen Yoga-Uebungen, die ich mit dem Bienen-Summen abschloss. Hinterher Wim Hof-Atmung. P kam mit ihrem Frühstück und hatte mir eine gefrorene Banane mitgebracht, für meinen Smoothie, was dazu führte, dass der Smoothie heute eher wie flüssiges Eis war und ich lange brauchte, ihn mir einzuflößen. Machte mir meinen Kurkuma-Shot.

Eigentlich hatte ich vor, das Zimmer zu staubsaugen, aber die Packerei dauerte dann so lange, dass ich nicht einmal abspülen konnte und die CD mit den Morgen-Ragas, in die ich mich in den letzten Tagen so verliebt hatte, dass ich sie mitnehmen wollte, in der Stereoanlage vergaß. Vergaß auch, die Stereo-Anlage auszuschalten.

Auf dem Hinterhof war gerade eine Umzugsfirma damit beschäftigt, Catarinas Wohnung auszuräumen, die einmal unsere Wohnung gewesen ist. Die Umzugsmänner kamen mit dem Schrank über den Hof, in dem damals unsere Blumentöpfe aufbewahrt waren und auf dem Bastet ihren speziellen Korb hatte, den sie über eine Kletterstange erreichte, die ich an der Wand angeschraubt hatte.

Ich ging los, hatte so viel Zeit, da ich kein Fahrrad nehmen brauchte, wenn ich einen schnellen Schritt anschlug.

Auf dem U-Bahnsteig wurde mir schnell klar, dass etwas passiert war. Ein Zug stand nur mit der Nase auf dem Bahnsteig, Leute gingen drum herum, beugten sich vor, um drunter schauen zu können. Eine Frau sah besorgt aus, ich dachte, vielleicht hätte sie ihre Tasche verloren, wäre es etwas Schlimmeres gewesen, hätte sie sicher nicht so ruhig dagestanden. Ein Mann mit einer gelben Sicherheitsweste stieg auf die Gleise und ging hinter dem Zug entlang, wo er anscheinend fündig wurde, was ihn dazu veranlasste, zu der besorgten Frau zu sagen, dass alles in Ordnung sei. Eine andere Frau sah ich, über deren Wangen Tränen liefen. Ich konnte mir aus dem Ganzen keinen Reim machen. Der Zug auf unserem Bahnsteig war wegen "Unfall" auch verspätet, und ich begann mir Sorgen zu machen wegen dem Flug. Noch mehr gelbe Westen kamen auf den Bahnsteig, die Passagiere verließen den betroffenen Zug und gleich darauf kam ein Alarm über die Lautsprecher. Wir wurden alle von einer Lautsprecherstimme dazu aufgefordert, den Bahnhof zu verlassen. Auf dem App des Verkehrsbetriebs keine Information. Ein Mann sagte mir, eine Frau sei vor den Zug gesprungen, sie sei etwa 30-35 Jahre alt gewesen. Vor dem Bahnhof waren einige Polizeiautos zu sehen,eine Ambulanz und ein Wagen der Feuerwehr. Ich sprach jemanden an, der einen Koffer hatte, ob er auch auf dem Weg zum Flugplatz sei, und schlug vor, dass wir uns ein gemeinsames Taxi nehmen konnten. Am Ende waren wir vier Personen, die uns ein Taxi teilten.

Der Taxifahrer, Kurde aus dem Irak, teilte seinen Kollegen mit, dass am Bahnhof Triangeln und Hauptbahnhof möglicherweise mehr Kunden abzuholen wären. Der Taxifahrer, den wir zuerst gefragt hatten, hatte den Preis von 840kr auf 1000kr erhöht, als er sah, dass wir zu viert waren, und wir zeigten ihm die kalte Schulter. Auf dem Weg zur Brücke überholte uns der Zug. Trotzdem wusste ich, dass die Entscheidung richtig gewesen war, den die Unruhe und Unsicherheit wären zu groß gewesen.

Beim Aussteigen am Flughafen bezahlte der Mann, der irgendwie die ganze Zeit als der "Leiter" aufgetreten war (und auch auf dem Beifahrersitz gesessen hatte), mit seiner Karte, und wir anderen drei (ein Mann auf dem Weg nach Helsinki, ein anderer auf dem Weg nach Italien, und ich, die niemand fragte, wohin sie auf dem Weg war) stellten uns in Reih und Glied auf, um ihm unseren Anteil zu geben. Ich machte mir gerade Sorgen, weil ich im Handy keinen Internetanschluss für die Bezahlfunktion bekam, da wünschte uns der "Leiter" mit einem Lächeln eine gute Reise und winkte ab.

Froh, innerlich dankbar ging ich ins Flughafengebäude. Versuchte mich zu orientieren. Holte mir eine Bordkarte, zeigte meinen Impfpass und meinen PLF, versicherte der Dame am Schalter, dass in meiner Schultertasche nur etwas zu Essen sei, ging zum Gate, verteilte alle schweren Dinge aus meiner Schultertasche auf die großen Taschen meiner Winterjacke: iPad, Batterie für den Computer, Äpfel, Metallbehälter für mein Trockenobst, den Pomera, den Plastikbeutel mit der Zahnpaste und der Tinte. Kein Problem beim Boarden. Der Rucksack hatte ordnungsgemäß seine Banderole, die bewies, dass er gewogen und für gut befunden worden war, meine Papiere stimmten, ich hatte einen Fensterplatz.

Las Bashos "The Narrow Road to the Dark North", absorbiert von der Ernsthaftigkeit, dem Ringen um Wahrheit, Echtheit, poetischen Ausdruck, der Liebe zur Armut. Schlief zwischendurch, aß das Mini-Baguette, das ausgeteilt wurde, trank Wasser und Apfelsaft und verfolgte auf dem Bildschirm den Flug, über Polen, Deutschland, Serbien und Ungarn. Dann der Blick auf die griechische Landschaft. Ich dachte, dass aus der Entfernung eigentlich alles schön ist, nur wenn man näher kommt, zeigen sich die Probleme.

Am Flughafen Athen aß ich meine Äpfel und mein gekochtes Ei vor dem Flughafenbäude in der angenehmen Temperatur des späten Nachmittags. Kaufte mir eine Blätterteigtasche mit Spinat und eine Flasche Wasser und bat später an einem Caféstand um einen Becher heißes Wasser, weil ich meine eigenen Teebeutel benützen wollte. Als ich bezahlen wollte, winkten sie ab. Neben mir auf einem Wartesessel saß eine Frau, die ihren Mundschutz abgenommen hatte und andauernd hustete. Sie stand hin und wieder auf und ging wacklig zur Anzeigetafel, kam dann wieder zurück zu ihrem Trolley und ihrem chaotischen Gepäck. Das Haar ungekämmt, eine seltsame Gestalt, der ins Alter gekommene Griechenland-Hippie. Auf meinem i-Pad schaute ich mir einen Film an, The Rising Sun (?), eine Art Meditation über das Reisen, in dem die Bilder zwischen der Île de France, Afrika und Japan hin und her sprangen. Eine anonyme Frauenstimme zitiert die Briefe eines anonymen Reisenden. Ein schöner Film, aber ich konnte mich nicht besonders gut konzentrieren, da ich ständig auf die Uhr schaute (obwohl ich viel Zeit hatte). Ging dann zu meinem Gate, schaute mir die Reisenden an, ob jemand dabei war, den ich kannte. Ich wusste nicht genau, was ich nach meiner Ankunft machen sollte. Ein Taxi zum Hotel nehmen, dort eine Nacht schlafen, dann am nächsten Tag den Bus nach Molivos nehmen, oder gleich mit dem Taxi nach Molivos fahren? Bei der ersten Variante hätte ich höchstens 20 Euro gespart. Fragte eine Frau, die ein wenig wie eine eingebürgerte Touristin ausschaute, ob sie sich ein Taxi teilen wolle, aber sie sagte, jemand würde sie abholen. Auch in der Halle beim Ausgang kein bekanntes Gesicht, also ging ich zu den Taxis, stieg ein, sagte, ich möchte zum Hotel Sappho. Dann fragte ich kurz entschlossen, was eine Fahrt nach Molivos kosten würde. Brauchen Sie eine Quittung? Nein. Der beste Preis, den ich Ihnen machen kann, sind 70 Euro. Ich schlug ein, sagte, ich müsste noch Geld auf dem Weg aus dem Automaten holen. Natürlich kein Problem. Auf der fast eineinhalbstündigen Fahrt wurden wir gute Freunde, ich hatte seine Telefonnummer im Telefon, er sagte, wenn es mir in Molivos langweilig würde, könnte er mich mal nach Mytilini abholen. Ich wusste eine Menge über sein Leben, seine Reisen, wo sein Vater herkommt, dass er alle paar Jahre für ein paar Monate nach Australien fährt, wo er aufgewachsen ist und haufenweise Verwandte hat. Wir redeten über Olivenbäume, das Schöne am Reisen, über Katzen, den Vorteil des Lebens in Griechenland. Ich erzählte ihm vom Vorfall am Vormittag, er erzählte, dass er einmal auf einer nächtlichen Taxifahrt einen toten Jungen auf der Straße gefunden hatte. Ein Fahrradunfall, wahrscheinlich hatte er zu viel getrunken. So etwas verfolgt einen.

Als wir uns verabschiedet hatten und ich den Weg nach oben zum Haus ging, stolperte ich im Stockdunkeln über das äußerste Ende einer kleinen Mauer, fiel hin, schlug mir das rechte Knie auf, schürfte mir am anderen Bein die Haut ab. Die neue Hose hat jetzt einen Riss am Knie. Beim Haus erwarteten mich Cleo, Agnes, Punxy, Louis und Julia. Ich kochte Nudeln, machte eine Tomatensoße mit Oliven, rieb Käse darüber. Trank Retsina, den ich in einer angebrochenen Flasche im Kühlschrank fand, mit etwas abgestandenem Mineralwasser. Las dabei in einem kleinen Buch, das P mir hingelegt hatte, geschrieben von einem Engländer über sein Leben auf Symi, die Art von Buch, „die auch wir einmal schreiben werden“, stand auf einem Zettel... Legte mich ins Bett und schlief, tief, fest, bis ich um kurz vor sieben zum Schnurren von Punxy und Cleo aufwachte. Cleo humpelt, ich muss erstmal abwarten, ob es besser wird. Ein Brief von den Nachbarn mit 100 Euro auf dem Tisch - ob ich eine weiße Katze zum Kastrieren bringen könnte. Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen, aber sie haben es verbaselt und jetzt auf mir abgeladen. Wahrscheinlich ist die Katze inzwischen trächtig. Wie ich sie finden soll, weiß ich nicht. Am Morgen tauchte auch Caesarion auf. Ich höre die Geräusche aus dem Dorf, das Kraksen der Krähen. Habe den Computer von oben geholt, aber leider passt die Batterie nicht, die ich mitgebracht habe. Überall liegen Oliven herum. Muss mich bald darum kümmern, auch um den Berg Quitten, die P mir auf einem Tisch hinterlassen hat, neben einem weiteren Berg Granatäpfeln, die wahrscheinlich nicht mehr gut sind. Zum Frühstück trank ich Espresso und aß ein paar Hobnobs aus einer noch verschlossenen Verpackung, die ich im Schrank gefunden hatte.

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...