Dienstag, 23. November 2021

Lesbos, 19/11/2021

2021/11/19 22:38

Gestern Mittagessen bei Nati. Kleine frittierte Fische, ein Teller mit dicken Bohnen, ein gemischter Salat. Zum Chor der Männerstimmen am Nachbartisch, die sicher gerade alle Probleme der Welt lösen. Einer hält mit seinem Moped vor dem Eingang an, kommt herein, beteiligt sich am Gespräch, während sein Mundschutz von der Nase rutscht. Mit etwas in Serviette eingepackten Hühnerresten verabschiedet er sich wieder, nachdem er seine Meinung zu irgendetwas rausgelassen hat. Als die Männer bezahlt haben und gegangen sind, räumt Nati den Tisch ab und stößt einen tiefen Seufzer aus. "Jeden Tag", sagt er: "das Selbe: blablabla". Ich lache, mache mich dann auch auf den Weg, möchte eine kleine Runde laufen, es stellt sich aber wieder als schwieriger heraus, als es auf dem Papier aussieht. Die Wegbeschreibung verwirrt mich. Ich laufe über wilde Hänge, lande in einem Gelände mit stacheligem Gestrüpp, durch das ich mir einen Weg bahnen muss. Jemand scheint vor mir da gewesen zu sein, hat mir einen kleinen Pfad vorbereitet, der aber ins Gestrüpp führt. Manchmal waren es Schafe, und der Pfad hört plötzlich auf oder verzweigt sich in unzählige weitere Pfade. Der Wind weht kalt, und die Sonne geht schon hinter den Bergen unter. In der Abendkälte setze ich mich noch einmal auf einen Stein, versuche, das Abendlicht auf dem Papier einzufangen, vertue mich aber, es wird ein Geschmiere. Nichts, was ich male, macht mich wirklich zufrieden. Aus der Ferne grüße ich zwei Leute, die ihren Hund ausführen, Westler offensichtlich. Griechische Paare in dem Alter sind nie mit ihren Hunden unterwegs. Ich gehe einen Sandweg hoch, finde dann einen prima Weg zwischen zwei Steinmäuerchen, der aber nach kurzer Zeit immer steiniger und unwegsamer wird und schließlich vor einer Schafsperre landet. So ist es hier immer. Es gibt keine bequemen, geradlinigen, einfachen Wanderwege, man muss sich den Weg erarbeiten, erklettern, man kommt mit Schrammen und Wunden zurück und wacht am nächsten Morgen mit müden Waden auf.

In der Nacht schlief ich schlecht und widmete mich am nächsten Tag eigenen Erholung, schlenderte im Dorf herum, kaufte bei verschiedenen Lebensmittelhändlern ein, trank einen Cappuccino, lief dann nach Hause und saß auf der Terrasse, während ich ein Spinakópita mit Tomatensalat verzehrte und ein Apfelsaftschorle trank. Las "Das Ministerium des äußerste Glücks" aus, strickte meinen zweiten Strumpf fertig, schaute mir einen südkoreanischen Film an, der von einem jungen Paar handelte, die schon seit sieben Jahren zusammen sind und jetzt erst ihre, dann seine Eltern besuchen. Sie macht einen Schwangerschaftstest, weil ihre Regel ausgeblieben ist. Es geht um die Weigerung, das Leben der Eltern zu wiederholen, aber auch um die Unmöglichkeit, sein Leben zu leben, ohne Fehler zu begehen.

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