Dienstag, 23. November 2021

Lesbos, 22/11/2021

2021/11/22 19:35


Ein voller, langer Tag. Ich wachte schon früh auf. Cleo war über Nacht draußen gewesen, das erste Mal, seit ich vor zweieinhalb Wochen gekommen bin. Jedes Mal, wenn ich in der Nacht aufwachte, ging ich zur Tür und öffnete sie. Eine idiotische Unruhe, denn in zwei Wochen fahre ich wieder und überlasse sie monatelang den Nächten im Freien. Brachte meine Schreibkurse auf Vordermann, mit Hindernissen, weil der Computer wieder zickte und mich ausbremste. Ich musste ihn aus- und wieder einschalten, und was eigentlich eine halbe Stunde gedauert hätte, dauerte eineinhalb Stunden. Währenddessen wanderte draußen die Sonne immer weiter. Ich ging schließlich gegen neun Uhr hinaus, begann die Oliven aufzusammeln. J und C kamen, schlossen sich mir an. Mit dem Besenstiel schlugen wir schwer erreichbare Oliven herunter. Standen auf den wackeligen Leitern, pflückten dann die heruntergefallenen Oliven auf, die immer wieder in die Löcher der alten Netze kullerten. Auf der Leiter stehend, schwang ich den Besen. C kletterte im Baum nach oben, lehnte sich weit nach vorne, pflückte die Oliven ab, die dann nach unten fielen, wo wir sie wieder einsammelten. Ich weiß nicht, wie oft ich wieder von vorne anfing mit dem Einsammeln. Irgendwann einmal waren wir fertig, jedenfalls so fertig wie wir sein konnten.

Trugen die Säcke zum Auto, legten die Netze zusammen. Mit J fuhr ich nach Petra, um neues Katzenfutter zu kaufen. Egal, worüber man mit ihm redet, er möchte den Dingen ganz auf den Grund gehen, das ist angenehm und unterhaltsam. Wir redeten erst über das Wetter und darüber, warum der November der perfekte Monat ist, um hier zu sein. Irgendwie kamen wir über Gemüse und Theodos zu Theodos' Frau, die ihn offensichtlich sehr beeindruckt. Er sagte dann, warum sind es eigentlich immer die Frauen, die sich danach sehnen, etwas zu verändern, sich weiter zu entwickeln, während die Männer in der Tradition ganz zufrieden zu sein scheinen? Ich wusste darauf keine Antwort.

Nach einem kurzen Porridge-Mittagessen fuhr ich mit C zur heißen Quelle in Eftalou, zum ersten Mal, seit ich hier bin. Eine kleine Katzenkolonie von etwa fünf Katzen hat sich dort angesiedelt. Ein kleiner Behälter mit abgestandenem Wasser stand da, irgendjemand kümmert sich offensichtlich ein wenig um sie. Die Weibchen hatten abgeschnittene Ohrenspitzen, das Zeichen dafür, dass sie sterilisiert sind. C hatte etwas Katzenfutter im Auto und wir konnten den gröbsten Hunger stillen. Erst gingen wir ins kalte Meer, dann in das Gewölbe, in dem das heiße Becken ist und wo sich nach einigen Jahren der Vernachlässigung die weiße Deckenfarbe großflächig abgelöst hat. Wir tauchten unter in dem dampfenden Wasser, jede für sich, ich hielt den Atem an, und plötzlich war es ganz still. Dann wieder hoch, rausklettern, über die Stufen ins Freie steigen, dann zum Meer balancieren. Diese Prozedur wiederholten wir insgesamt viermal, ohne viel zu reden. Das Wasser auf der Nordseite ist klarer, blauer, kälter, der Weg hinein steinig und unbequem. Die Türkei scheint so nahe, als könnte man hinüberschwimmen. Ich versuchte, eine leere Plastikflasche mitzunehmen, die auf den Wellen dahinschaukelte, und fühlte mich wie eine tolle Naturschützerin, bis ich merkte, dass sie an einer Nylonschnur befestigt war und wahrscheinlich den Platz markieren sollte, an dem das Netz eines Fischers liegt. Eine Frau mit einer altmodischen weißen Bademütze tauchte am felsigen Strand auf und zog ihre Kleider aus, unter denen sie einen fleischfarbenen Bikini trug. Sie ging ins Wasser und hinterher trocknete sie sich ab, zog ihre Kleider an und ging mit Bademütze wieder weg.

Zuhause angekommen fegte ich den Olivenmüll weg, fing an, Fall- Oliven fürs Einsalzen zu sammeln, warf eine Trommel Wäsche in die Maschine. Setzte einen Brotteig für morgen an, spülte ab, Stellte die Ordnung im Haus wieder her, machte mir etwas zum Essen, spülte hinterher ab. Im rechten Auge löste sich ein Glaskörper ab, was sich erst als Lichtblitze ankündigte, dann als ein beweglicher schwarzer Fleck bestätigte. Schaute mir den ersten Teil eines südkoreanischen Films an, der von einer Filmproduzentin handelt, die nach dem Tod des Filmemachers, für den sie gearbeitet hat, ihren Lebensinhalt und ihr Auskommen verloren hat. Sie zieht zur Untermiete bei einer alten Frau ein, die in einem einfachen Haus an einem Bergabhang außerhalb der Stadt wohnt und verdingt sich als Putzfrau bei einer Freundin (einer neurotischen Schauspielerin). Am Horizont zeichnet sich als Versprechen eine zarte Liebesgeschichte mit einem Kurzfilmemacher ab, der Französisch unterrichtet, um sich seinen Unterhalt zu verdienen.

In Deutschland spitzt die Corona-Lage sich wieder zu. Allein nur daran zu denken, macht mich unendlich müde. Dazu gibt es in Deutschland 4000 Intensivbetten weniger als letztes Jahr, weil viele Pflegekräfte gekündigt oder ihre Arbeit reduziert haben.


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