Donnerstag, 18. November 2021

Lesbos, 15/11/2021

Wache zu einem Stromausfall auf. Es dauert eine Weile, bis ich verstanden habe, dass es daran liegt, dass das Thermostat nicht angesprungen ist. In Gedanken habe ich bereits den Elektriker gerufen. Als ich den benzinbetriebenen Akku von der Tankstelle höre, weiß ich, was los ist.

Hole den Gaskocher aus dem oberen Küchenschrank, bereite die Espressokanne vor, suche dann lange Zeit nach Streichhölzern oder einem Feuerzeug - ohne Erfolg und zunehmend missmutig deshalb. Währenddessen fordern Soprano und Julia auf der Terrasse lautstark ihr Futter ein. Ich sehe zu, dass Punxy nicht nach draußen entwischt und strenge mich an, das Futter für Agnes ganz leise aufs Mäuerchen zu legen, weil sonst Soprano sofort angaloppiert kommt und sie verjagt, obwohl er noch etwas in seiner Schale hat. Zurück im Haus, verpasse ich Punxy ihre Tablette und hoffe, dass sie nicht wieder alles auskotzt, wie gestern Abend.

Zwei Tage nichts geschrieben, und heute ist Montag. Der Samstag war anstrengend. Wartete auf Myrsini, die Cleo abliefern sollte, wartete auf Punxy, weil Myrsini ihre Lungen abhören sollte. Völlig aufgelöst am Nachmittag, weil Caesarion ankam und wie ein Zombie auf der Terasse stand, mich gar nicht wahrzunehmen schien. War Punxy etwas passiert...? In der Zwischenzeit rief ich Myrsini zweimal an, das erste Mal, um sie (verabredungsgemäß) an unsere Verabredung zu erinnern, das zweite Mal, um ihr (verabredungsgemäß) zu sagen, ob Punxy schon aufgetaucht war (war sie nicht). Gleichzeitig machte ich das Quittenbrot fertig, und das beschäftigte mich ein paar Stunden lang. Die gekochten Quitten abschälen, die harten Stellen wegschneiden, dann im Kochtopf weiterkochen, mit dem Kartoffelstampfer zu einer einheitlichen Masse verarbeiten. Zucker dazugeben, Zitronensäure, ein paar kleingehackte Pelargonenblätter aus dem Garten. Schließlich gab ich die Masse auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech und strich sie glatt. Noch ein Backpapier drauf, dann in den Ofen, bei 50 Grad Wärme, die Klappe ein wenig geöffnet, zum Nachtrocknen.

Putzte auch das Haus, fegte die Terrasse, versuchte, meine Unruhe zu vergessen. Schließlich, der Nachmittag war schon fortgeschritten, tauchte Punxy aus dem Nichts auf, ich schloss die Tür.

Was ich an Lesbos liebe: Die Tierärztin kommt mit einem Pickup angebraust, auf deren Ladefläche ein paar Tierboxen verzurrt sind. "Hier habe ich eine sehr nette Katze für dich", ruft sie beim Aussteigen. Ich höre Cleos Proteststimme aus der Box, auf der mein und Ps Name und unsere Telefonnummern stehen. Endlich kehrt wieder Normalität ein. Mysini hat jetzt doch keine Zeit, um sich Punxy anzuschauen bzw. ihre Lungen abzuhören (damit war die ganze Aufregung des Tages umsonst). Sie gibt mir eine Packung Antibiotika und sagt, dass sie auch am Montag in der Gegend ist. Dann kriege ich ein schnelles Update zu Cleo. So richtig Erleichterung stellt sich nicht ein. Wir warten jetzt auf das histologische Ergebnis und hoffen, dass Myrsini alle Knoten erwischt hat. Die Wunde auf dem Bauch ist riesig.

Am Abend schaue ich mir einen indischen Film ("Party") von 1984 auf dem iPad an. Es geht darin um die Leere von Poesie, die sich nicht in nahen Kontakt mit der Wirklichkeit (den sozialen Ungerechtigkeiten) begibt. Das Szenario ist eine Party der Upper Class zu Ehren eines gefeierten Poeten, der, wie sich zeigt, in einer Identitätskrise steckt. Wunderbare Charaktere, interessante Frauen. Stricke weiter an meiner Sockenferse, muss immer wieder auftrennen, bis ich den Dreh heraus habe. Esse nur eine Dose Thunfisch mit Tomate, Gurke, roter Zwiebel und Oliven, dazu eine Scheibe Brot. Der indische Film ist zu lang, als dass ich ihn bis zu Ende sehen könnte.

Cleo hat Durchfall.

Lese weiter in meinem Katzenbuch auf Griechisch, jeden Tag ein Absatz. Viel Nachschlagen bzw. entnervende Interaktion mit Google Translate, das nur selten versteht, was ich sage...

Sonntag:

Wanderung nach Vafios. Mit dem Fahrrad zu "end of asphalt" (das Schöne ist, dass ich das P schreiben kann und sie genau weiß, was damit gemeint ist) und zu Fuß weiter. An der kleinen Kapelle Halt gemacht und sie gezeichnet (nicht zufrieden damit).

Den Weg nach Vafios bin ich schon so oft gegangen und doch bin ich an entscheidenden Punkten immer wieder unsicher, muss zurück gehen, die Markierung überprüfen, damit ich nicht auf einem Schafspfad lande und dann nicht mehr zurück finde. Die Landschaft ist atemberaubend, das Licht besonders schön, die Temperatur angenehm. Der Weg ist steil und steinig und ich muss immer wieder anhalten und verschnaufen, versuche dann, mein Schritt-Tempo an meine Kondition und mein Alter anzupassen. Es begegnet mir keine Menschenseele, nur ein paar verstreute Schafe, die offensichtlich kein besonders gutes Gehör haben, da sie jedes Mal vor Schreck einen kleinen Hüpfer machen, als ich auftauche. Ich bewege mich in Zeitlupe und rede beruhigend auf sie ein, damit sie sich nicht in der Hektik am felsigen Abhang alle Knochen brechen. Ihre empörten Stimmen folgen mir. Nur gut, dass es Schafe sind und keine Bären.

Als Proviant habe ich ein paar kleine Behälter mit Haselnüssen, Trockenfrüchten und Hanfsamen dabei, außerdem eine Flasche Wasserkefir, von der ich immer wieder ein paar Schlucke trinke. Den Pullover habe ich bald ausgezogen und um meine Hüften geknotet. Was mir Sorgen bereitet ist, dass die Sonne um fünf Uhr untergeht und ich bis dahin wieder bei meinem Fahrrad sein muss. In der Dunkelheit wäre man hier völlig verloren. An einer Stelle muss ich ein paar Mal vor und zurückgehen. Der Weg ist gerade hier besonders steinig und steil, und ich bin froh, als ich endlich die blasse Markierung auf einem Felsen entdecke.

Jede Stunde schicke ich ein Update an P, damit sie weiß, wo ich ungefähr bin und auch, damit sie eventuell Hilfe schicken kann, falls sie nichts mehr von mir hört.

Ich beschließe, nichts durchs Dorf zu gehen (das sowieso meist wie ausgestorben ist), sondern einen anderen Weg zu nehmen, von dem ich dann direkt den Abstieg machen kann. Die Sonne beginnt schon sich orange zu verfärben, aber noch weit genug über dem Horizont, dass ich mir keine großen Sorgen machen muss. In dem Gewirr aus Schafswegen muss ich trotzdem genau aufpassen, dass ich die Markierungen nicht verpasse, und muss auch hier wieder an einer speziellen Stelle mehrmals vor und zurück gehen, bis ich beruhigt feststellen kann, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Bei "end of asphalt" angekommen (es dämmert jetzt), steige ich aufs Fahrrad und lasse es über lange Strecken bergab laufen. Zuhause warten die Katzen. Ich stelle im Keller die Heizung so ein, dass ich jetzt auch an den Abenden Wärme und heißes Wasser haben kann. Die letzten Abende habe ich mich immer mit mehreren Schichten Pullovern und Westen und einer um die Hüften geschlungenen Wolldecke begnügt und fürs Abspülen Wasser im Kocher heiß gemacht, aber P besteht darauf, dass ich es mir "gemütlich" mache.

Abendessen: gebackene Kartoffeln, dazu Lauchgemüse mit Sahne und Ziegenkäse. Schaue mir den (aufwühlenden) Rest des indischen Films an. Verpasse Punxy ihre Tablette, aber sie kotzt kurz hinterher und ich muss unter den Tisch kriechen, um ihre Essensreste mit einem Haushaltspapier einzusammeln.

Dann noch eine Stunde "Sacred Space", ein Live-Crowdspace-Vortrag mit Artie Wu, das seit eineinhalb Jahren eine schöne Routine in meinem Leben geworden ist. Dieses Mal geht es um den Mythos von Daedalus, um Minos, Ariadne und das kretische Labyrinth. Während ich Artie bei seinen faszinierenden Ausführungen zuhöre, stricke ich weiter an dem Socken, bei dem ich jetzt auch das Fersen-Labyrinth hinter mir gelassen habe und mich auf der weiten Ebene der rechten Maschen befinde. Socken-Stricken als Therapie - immer am Faden entlang.

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Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...