Sonntag, 14. Juni 2020

LXVII - 13.Juni

2020/06/13 07:22

Der Geruch war unmissverständlich. Ich hasse mich selber, war mein erster Gedanke. Es geschah jetzt zum zweiten Mal diese Woche, dass ich aus Gedankenlosigkeit die Kichererbsen auf dem Herd vergaß. Obwohl Gedankenlosigkeit nicht das richtige Wort ist. Es sind zu viele Gedanken. Zerstreutheit. Ich stand grade mit dem Handy in der Hand neben dem Schuppen mit dem Handy und schaute nach, wer meine Facebook-Einlage von gestern geliked hatte. "Geliked". So ein Wort. "Gemocht". Es klingt gleich lächerlich, entlarvend, wenn man es auf Deutsch sagt. Das Handy hatte ich gestern vor dem Schlafengehen in eine der Gepäcktaschen am Fahrrad gesteckt, das im Schuppen steht. Ps Fahrrad, von Spinnweben überzogen. Ich schlief bis fünf und stand dann auf, mit dem festen Entschluss, mein Leben heute in die richtigen Bahnen zu lenken.

"Du kriegst nichts fertig." Der Fluch meiner Mutter. Meine hilflose Liebe zu ihr verwandelte sich in Wut. Dann das Urteil: "Du bist böse."

Es war noch dunkel im Zimmer, ich schaltete das Licht ein. Die Katzen strichen um meine Beine. Hinein, hinaus. Wenn ich Agnes füttere, jagen die anderen sie weg. Sind Katzen böse? Moralische Kategorien sind ihnen egal. Sie handeln ohne zu denken, ohne schlechtes Gewissen, ohne über sich selber zu urteilen. Es scheint jedenfalls so.

Die Bilder, die ich gestern auf Facebook in der Gruppe "Molyvos Friends" teilte, wurden so oft geliked, dass ich ganz erschöpft war. Es freute mich, aber ich fühlte mich von den gutgemeinten Kommentaren vereinnahmt, in die Zange genommen. Als würde meine wunderbare Isolation, die Anonymität, in der ich mich so wohlfühle, bedroht. Dabei habe ich mich in der letzten Zeit hin und wieder "einsam" gefühlt, etwas melancholisch, in der Zwickmühle. Die Hitze. Die Eintönigkeit meiner Tage. Meine Probleme damit, die Finger vom Handy zu lassen. Es juckt irgendwo in mir, ich gebe nach, scrolle, klicke, lasse mich treiben, und schon ist wieder eine halbe Stunde vergangen. Es fällt mir offensichtlich schwer, so eine Welle von Zuneigung und Begeisterung ganz einfach anzunehmen. Das Moped, das ich am Abend malte, wurde dann auch nichts. Die Proportionen stimmten nicht, ich verschüttete etwas von meiner wertvollen Tinte auf dem Tisch, versuchte die Pfütze mit meinem Füller aufzusaugen, aber das meiste musste ich wegwischen, in den Abfall werfen.

Mehrere Male am Tag muss ich das Katzenfutter, das noch auf der Terrasse ist, von Ameisen befreien. Jedes Trockenfutterstückchen klaube ich auf, blase die Ameise(n) davon weg, lege sie dann in den Messlöffel, mit dem ich das Futter abmesse. Dann fege ich die Ameisen von der Terrasse. Meine Vorsicht und Zurückhaltung den Insekten gegenüber hat sich gewandelt. Wenn ich mich im Bett von krabbelnden, schwirrenden, brummenden, flatternden Insekten vereinnahmt fühle, schlage ich manchmal um mich. Klaube ein Tier auf, das unter mein T-Shirt gekrabbelt ist. Mein Körper ist voller aufgekratzter Stiche, Beulen und Beißwunden. Ich schlage ein Buch zu, auf dessen Seiten eines der winzigen Insekten krabbelt, die ich im Verdacht habe, für einen großen Teil meines nächtlichen Unbehagens zu stehen. Ich habe mir ein Mückenspray gekauft, das die Mücken zwar dazu bringt, kurz vor  dem Ziel zu wenden, aber nicht davon abhält, um mich herum zu surren. Gibt es ein Verb für das Geräusch, das Mücken machen? Es fällt mir gerade nicht ein. Es ist auch sinnlos, sie zu erschlagen. Es kommen ja neue nach. Man tut es nur in einem Impuls der Selbstverteidigung. Ich werde sinnlos angegriffen, ausgesaugt. Warum nicht einfach mein Blut trinken, warum eine juckende Stelle hinterlassen, die mich hinterher eine Woche plagt, die sich entzündet, auswächst zu einer Geschwulst?

Und Ps Mail, in der sie eine Zukunft ausmalt, in der wir uns hier auf Lesbos abwechseln. Mir ist in den letzten Tagen klar geworden, was P und meine Beziehung für mich bedeutet: bedingungsloser Rückhalt. Normalität. Eine Erlösung von meinem Getriebensein, von den Dramen der Leidenschaft und der ständigen Angst, wieder fallen gelassen zu werden. Oder vereinnahmt, was schlimmer ist. Ich muss mich nur gegen ihre Planungssucht wehren. Sie ist nicht die beste Zuhörerin, aber sie lässt mich trotzdem immer reden. Ein interessanter Widerspruch.

3 Tage hintereinander habe ich mich nicht wohl gefühlt. Ich muss es mir erlauben, den Tag auf dem Bett zu verbringen, ohne deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben. Noch immer habe ich ein Schlafdefizit und fühle mich zu schwach, um irgendeine Initiative zu ergreifen. Wenigstens habe ich grüne Bohnen gekocht und mir einen Salat mit Thunfisch gemacht, den ich  auf der Terrasse gegessen habe.

Cleo: Es fällt mir schwer, mein Gefühl der Zuneigung für diese kleine, stille Katze in Worte zu fassen. Vielleicht ist sie der Grund dafür, dass ich es nicht fertig bringe, an meine Heimreise zu denken.


LXVI - 10.Juni

2020/06/10 16:41

Der Käfer: Sah einen schwarzen Fleck auf der Terrasse, vor der Terrassentür, als ich am Morgen hinausging, um die Tomaten zu gießen. Mein Gehirn kam nach einer Weile zu dem Schluss, dass es ein toter  Käfer sein musste. Ich gin hin, um ihn wegzuräumen, aber als ich mich bückte, sah ich dass er nur auf dem Rücken lag. Seine Beine bewegten sich. Es war ein riesiger Käfer. Ich drehte ihn um und schaute, ob er auch noch vollständig war, oder ob die Katzen ihn irgendwie beschädigt hatten, während sie ihn (wahrscheinlich) durch die Luft gewirbelt hatten. Es schien noch alles dran zu sein, aber er wollte sich nicht bewegen. Ich hörte einen Laut, wie ein Zischen, und dann dachte ich sofort an Gregor Samsa. Ich hatte noch nie das Zischen eines Käfers gehört, nur bei Kafka davon gelesen. So wie Gregor Samsa kam mir auch dieser Käfer ziemlich einsam, mitgenommen und unglücklich vor. Ich nahm ihn in die Hand und setzte ihn auf das Mäuerchen neben dem Olivenbaum, um zu sehen, ob es ihm dort besser gefallen würde. Er zischte wieder, vor Angst oder Wut, ich weiß es nicht, und blieb einfach unbeweglich sitzen. Vielleicht Hunger, vielleicht Durst, dachte ich. Was frisst ein Käfer? Bienen gibt man Zuckerwasser, wenn man sie erschöpft irgendwo liegen sieht. Ich dachte, Honig und Wasser könnten vielleicht nicht ganz falsch sein. Ging ins Haus, nahm etwas Honig und Wasser auf einen Teelöffel und ging wieder hinaus, um es ihm vor die Nase zu halten. Zischen. Er stieg mit einem Bein in den Löffel, was in mir Hoffnung weckte, aber dann war es schon wieder vorbei mit seinem Tatendrang. Caesarion war neugierig geworden und kam näher, aber er hielt sich zurück. Ich ging wieder ins Haus, dachte, es wird schon einen Grund dafür geben, dass er nicht frisst oder trinkt. Vielleicht ist ihm ja in der Nacht so Übles widerfahren, dass er jetzt ein Trauma hat und ganz einfach sitzen bleibt und vor sich hin stirbt. Vielleicht trinken Käfer auch nicht. Vielleicht fressen sie keinen Honig. Hin und wieder schaute ich nach, ob er noch da saß. Er tat es, bis er dann ganz plötzlich weg war. Hoffentlich ein Happy End, ein vorläufiges jedenfalls.

Die Schildkröte: Ein ungewohntes Rascheln machte mich neugierig. Ich ging aus dem Haus und lauschte. Ich hatte einmal eine Schlange gesehen, die sich aus dem Rosmarinbusch ringelte, und dachte, dass sie es vielleicht sei. Aber das Rascheln klang anders. Vielleicht eine neue Katze, dachte ich. Da tauchte der Panzer einer Schildkröte auf. Weil mich der Anblick so glücklich machte, ging ich etwas zu plötzlich näher. Sie hielt sofort inne. Also zog ich mich wieder zurück. Nach einer Weile fühlte sie sich so sicher, dass sie ihren Spaziergang fortsetzte. Ich saß ganz still auf den Treppenstufen vor dem Haus. Sie ging an mir vorbei. Ich sah ihren Kopf, ihre Augen, hörte das Klicken ihrer Tatzen, fragte mich, wie alt sie wohl schon sei und ob sie schon länger hier wohnte. Ich habe in den letzten Tagen manchmal eine Katze vor dem Rosmarinbusch sitzen sehen, nicht auf dem Sprung, sondern eher neugierig, eine Neugierde, die ich von Lakshmi kenne, wenn sie im Garten einen Igel entdeckt.

Die Schildkröte spazierte dann gemächlich weiter, umrundete das Mäuerchen beim Olivenbaum und machte sich daran, die Schafgarbe abzuzupfen. Im Gehen nahm sie dann noch eine gelbe Löwenzahnblüte mit, die schnell in ihrem Maul verschwand, und dann verschwand sie ihm Gebüsch. Ich stellte ihr einen Untersetzer mit Wasser hin und legte ein Salatblatt hinein, in der Hoffnung, sie eine Weile hier behalten zu können. Leider habe ich sie (das schreib ich einige Tage später) seitdem nicht mehr gesehen.

Später fuhr ich ins Dorf, in den Laden neben der Olivenpresse, der eine Art Bauernmarkt ist. Kaufte Mastix, weil ich heute aus Avocadokernen eine Tinte herstellen wollte und hoffte, dass man Gummi Arabicum durch Mastix ersetzen könne (man kann es nicht, weiß ich jetzt). Außerdem kaufte ich einen weiteren Sack Erde, einen großen Ladotiri und griechische Zitronen (Theodos hat momentan nur welche aus Südafrika). Ich hatte vor, Zitronensirup zu machen, mit einer Mischung aus Salz und Zucker, und die übriggebliebenen Schalen - und Fruchtreste zu einer Mischung zu zerkleinern, die sich als Geschmacksverstärker anwenden lässt. Der Sirup ist gelungen. Vermischt mit Wasser und mit einem Eiswürfel ergibt das ein erfrischendes Getränk, ideal bei dieser Hitze. Die restliche Pampe habe ich mit etwas Sirup und noch mehr Salz vermischt und will sie jetzt noch etwas stehen lassen und sehen, was passiert.

Die Tintenherstellung war ein ziemlicher Reinfall. Ich hatte nicht genau genug nachgeschaut, sonst hätte ich wissen müssen, dass Mastix sich in Wasser nicht auflöst. Am Ende landete der Mastix an der Topfwand und am Rührbesen anstatt in der Tinte. Es wurde eine riesige Abspülerei. Die Tinte kann man verwenden, auch wenn sie vom Papier sofort aufgesaugt wird. Ich habe sie mit Ouzo und Gin haltbar gemacht.

Heute früh öffnete ich einen der großen Olivenölkanister mit dem Dosenöffner, goss die Olivenölschlacke ab und füllte Erde hinein. Inzwischen habe ich sechs Töpfe mit Tomatenpflanzen. Da ich den einen Topf mit der lehmigen Erde vom Grundstück gefüllt habe, die fast keine Nahrung enthält, vergrabe ich dort jeden Tag Teebeutel, Kaffeesatz und zerkleinerte Bananenschalen. Drei Töpfen sind mit der Erde aus der Komposttonne gefüllt, ohne jeglichen anderen Zusatz, und zwei Töpfe mit gekaufter Blumenerde.

Gestern habe ich erfahren, dass am 2.Juli alle Nachbarn anreisen werden. Vielleicht ist es gut so, dass ich mich allmählich daran gewöhne, wieder andere Menschen um mich zu haben, obwohl mich der Gedanke zunächst mit Widerwillen und schlechter Laune erfüllt.


LXV - 9.Juni

2020/06/09 09:36

Kurz vor fünf Uhr war ich wach. Die Sonne war gerade dabei aufzugehen. Ein wunderbares, ohrenbetäubendes Vogelkonzert war zu hören. Warum bleibe ich abends immer so lange auf, dass ich dann bis um acht Uhr schlafe? Wenn ich mich um neun Uhr schlafen legen würde, dann hätte ich den ganzen wunderbaren Morgen, würde wahrscheinlich mehr schaffen in der Zeit zwischen fünf und acht als sonst am ganzen Tag. Soll ich ernsthaft versuchen, meine Schlafgewohnheiten zu ändern?

Im Bett liegend, scrollte ich nach dem endgültigen Aufwachen durch die Kommentare der New York Times. Das Leben draußen ist schon lange in die Gänge gekommen. Ich kann es aber nicht lassen, weiter und weiter zu scrollen. Trump will jetzt mit seinen Rallys wieder anfangen, aber die Leute sollen keine Masken tragen. Und bloß kein Abstandhalten! Alles soll sein wie in den Zeiten "vor dem Virus". Bolsenaro in Brasilien lässt die Sterbeziffern einfach hochklettern, mit einem Achselzucken. Natürlich ist es „schade“ für die Leute, die sterben, aber es ist ihr "Schicksal". Was soll er denn tun? Die Regierung hat die aktuellen Daten zu Covid-19-Fällen von ihrer Homepage beseitigt. Toxische Männlichkeit auf dem Zerstörungsmarsch. (Und die toxische Weiblichkeit feuert an und klatscht in die Hände.)

Nachdem ein paar Tage lang ein Hoffnungsschimmer durch die Nachrichten gegangen ist, sind wir jetzt wieder an einem dunklen Punkt angelangt. Trump dirigiert das Drama, zieht die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Er verleugnet Probleme, verteidigt die Polizei ("zu 99,9% gute Polizisten") und will vor allem eins: seine Rallys durchführen. Endlich wieder ungeteilte Aufmerksamkeit, endlich wieder Futter für seinen Ego-Haushalt, endlich wieder unkritische Begeisterungsstürme.

Aber warum schreibe ich darüber? Es ist so sinnlos.

Sah heute ein Gewusel von Ameisen auf dem Fußboden vor dem Bett. Sie umringten einen toten Nachtfalter und versuchten, ihn nach draußen zu transportieren. Ich hob den Nachtfalter auf und warf ihn auf die Terrasse, in der Hoffnung, dass die Ameisen ihm dann schnell dorthin folgen würden. Ein paar Minuten später kam ich hinaus und sah eine einsame Ameise, die damit beschäftigt war, den Nachtfalter weg zu hieven. Da die Flügel des Falters wie ein Segel funktionierten, kippte die Last immer wieder und die Ameise landete auf dem Falter, mit den Beinen in der Luft, kämpfte aber sofort, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Selbst die Fugen zwischen den Platten glichen tiefen Gräben, doch sie gab nicht auf. Ich bewunderte ihre Kraft und Zielstrebigkeit. Als Kind las ich einmal, dass die Ameise ein Gewicht auf dem Rücken tragen kann, das, wenn man es auf einen Menschen überträgt, einem Einfamilienhaus entspricht. Das beeindruckte mich so, dass ich es heute immer noch weiß. Doch wozu das Ganze? Wozu diese Mühe? Für das Überleben der Ameisengesellschaft. Um ihre Aufgabe als Teil des Ganzen zu erfüllen. In solchen Augenblicken frage ich mich dann, welche Aufgabe ich denn habe, welchen Teil ich beitrage zum Ganzen.

An einem Schafgarbenstängel sah ich gestern Marienkäfer. Sie mampften die Läuse in sich hinein, die den Stängel bevölkerten.

22:47

Heute:

1 Etwas Griechisch gelernt (viel im Wörterbuch geblättert)
2 Auf der Terrasse meditiert und Yoga gemacht
3 Ins Dorf gefahren, auf dem Weg dorthin Gartenabfall in den Müllcontainer geworfen
4 Auf der Post nachgefragt, ob mein Brief angekommen ist (nein)
5 Mich mit der Besitzerin von Tropicana kurz unterhalten (und später mit Mary)
6 Ein Moped gezeichnet, das vor einer Taverne auf der Straße stand
7 Bei Theodos eingekauft, mich mit ihm unterhalten
8 Meine Lebensmittel ausgepackt und eingeräumt
9 Avocadokerne  und -Schalen zerkleinert, um Avocadotinte herzustellen. Drosch auf der Terrasse mit einem Stein auf die hartgewordenen Kerne ein. Die Avocadokernstückchen flogen in alle Richtungen. 
10 Etwas neben Cleo auf dem Bett "geruht"
11 Beim Teepavillon Arbeit für die Wohngenossenschaft gemacht. Protokoll geschrieben und eine Mail wegen Verteilung der Gartenarbeit geschrieben.
12 Mit U geredet, die mir sagte, dass sie einen Sack Erde für mich gekauft hat
13 Den Sack Erde nach Hause geschleppt und Olivenölkanister aus dem Schuppen geholt, für eine Erweiterung meiner Tomatenpflanzung
14 Mit P gesprochen. Wir wissen immer noch nicht, was wir mit dem Tanzkurs im August machen sollen - die Tendenz momentan: eher nicht.
15 Zum Meer gefahren, wieder auf der Straße von den Hunden trakassiert.
16 Im Sonnenuntergang ins Wasser gegangen. Beim Abtrocknen mit dem Mann geredet, der oft in einem Klappstuhl da sitzt und in sein Handy redet oder Musik hört.
17 Nach Hause gefahren, meine Mutter angerufen, die ganz glücklich davon erzählte, dass gerade ein Vogel an ihrem Vogelhäuschen pickte.
18 Brot geröstet und das Moped vom Nachmittag mit Wasserfarben ausgemalt. Dabei das Brot verbrannt.
19 Die verbrannten Stellen vom Brot abgeschnitten, die Auberginensoße von gestern aufgewärmt, Käse darüber gerieben
20 Gegessen und abgespült
21 Im Dunkeln zum Brunnen gegangen und einen Kanister Wasser geholt.
22 Das hier geschrieben

(Nachtrag: Den Reservoir-Pinsel repariert, mit Hilfe einer Sicherheitsnadel, die ich nur den dünnen Wasserkanal stach. Er war nämlich verkalkt und ließ kein Wasser mehr durch.)


LXIV - 8.Juni

2020/06/08 11:46

Punxy kotzt hinter meinen Koffer unter dem Bett. Auf dem Bauch robbend, analysiere ich die Kotze: ein Grashalm war der Schurke. Während Punxy schon wieder auf der Terrasse rumstolziert, wische ich in Bauchlage die Kotze mit viel Klopapier und hinterher mit Spülmittelwasser auf. Erleichtert, dass es nicht Cleo war und dass es eine klare Ursache gab.

Mache ein "Akkordeonbuch", aus einem A1-Bogen. Jeden Tag eine Seite füllen, einen Monat lang. Ein Tagebuch. Keine Ambitionen! Immer leichter gesagt als getan.

Heute früh, als ich in der Morgensonne auf dem Wifi-Mäuerchen saß, auf meinem IPad die New York Times las und gleichzeitig Bibi seine Streicheleinheiten gab, bekam ich mit, dass die Heizungsanlage im Keller sich abschaltete, kurz nachdem sie gemäß Timer angesprungen war. Ich schloss daraus, dass es möglich sein müsste, die Anlage während des ganzen Tages eingeschaltet zu lassen, nicht nur am Morgen eine halbe Stunde für die Dusche. Die Heizung erkennt, dass es für sie nichts zu tun gibt, weil das Thermostat auf Null steht, und die Solaranlage am Dach bekommt freie Fahrt. Es entstehen keine Kosten dadurch. Wenn die Heizungsanlage hingegen ganz ausgeschaltet ist, funktioniert auch die Solaranlage nicht. So habe ich das jetzt verstanden. Wieder ein Fortschritt in meinem Insel-Alltag und gleichzeitig eine kleine Enttäuschung. Pausenlos warmes Wasser: wie langweilig! Schluss mit meinen Kannenduschen, Schluss damit, dass ich jedes Mal vor dem Abspülen den Wasserkocher füllen und einschalten muss. Sofort dusche ich länger als nötig. Komfort macht träge.

P und ich sind gestern darauf gekommen, dass ich so viel fürs Mähen bezahlt habe, weil ein großes, ödes Stück des Nachbargrundstücks auch auf unsere Rechnung gesetzt wurde (es gab natürlich keine Rechnung). Es ist die Schuld von niemand. Ich wusste nicht über die (unlogischen) Grundstücksgrenzen Bescheid und die neue Besitzerin des Nachbargrundstücks offensichtlich auch nicht. Der neue Gärtner weiß sowieso nichts. Er mähte nach den Anweisungen der Nachbarin, die Griechisch spricht, und ich konnte nicht mit ihm kommunizieren. Da ich gerade erst neue Büsche auf dem Brachland gepflanzt habe, sage ich jetzt erstmal nichts. Keiner hat sich in den vergangenen Jahren um diesen Landzipfel gekümmert. Nur das Unkraut hat sich darauf ausgebreitet.

Von anderen Inselbewohnern weiß ich, dass zwischen Nachbarn oft nach Jahrzehnten Streits über die Grundstücksgrenzen entbrennen. Die streitenden Parteien gehen vor Gericht, alte Zeichnungen werden hervorgekramt und als Beweise vorgelegt. Landmarkierungen werden gesucht. Es werden neue, unüberwindbare Zäune hochgezogen. Ja, wem gehört das Land?

Der Steuerbescheid kam gestern, Sonntag, in meinem elektronischen Briefkasten an. Alles ist bewilligt worden, ich bekomme eine Summe Geld erstattet, die mir für drei Monate Leben reichen müsste. Pia versucht derweilen auch, meine Wohnung in Schweden für kurze Zeit zu vermieten.


LXIII - 7.Juni

2020/06/07 15:14

Gestern Abend noch in der Dämmerung eine Reinigungsaktion bei den Topfpflanzen. Versuchte, einen kleinen Busch von dem Topf zu befreien, in dem er beinahe erstickte, aber die Erde war so durchwachsen von Wurzeln, dass ich ihn nicht herausbekam. Nahm die Hacke und zerschlug den Topf. Heute in der Vormittagssonne gab ich dem kleinen unansehnlichen Busch einen neuen Platz im freien Land. Goss erst einige Kannen Wasser auf die Stelle, um den lehmigen Boden aufzuweichen, grub mich durch Queckenwurzeln und Steine, senkte den Wurzel-Erdballen hinein. Einen  kleinen Oleander-Ableger aus demselben Topf grub ich ein paar Meter davon entfernt ein. Außerdem hatte ich noch einen winzigen Hanf-Ableger entdeckt, der auch einen Platz bekam und einen kleinen Steinring, damit er nicht versehentlich einem Rasenmäher zum Opfer fällt. Hinterher total erledigt.

Mehrere Probleme gelöst: Das Problem des nicht funktionierenden Warm-Wasser-Tanks auf dem Dach. Ein Telefongespräch mit D gestern führte zum Erfolg. Ich drehte das Thermostat der Wärmepumpe auf Null und schaltete die Zeitschaltuhr auf eine Stunde am Morgen ein. Zwar verstehe ich die Logik nicht, aber ich hatte heute zum ersten Mal seit Wochen eine warme Dusche aus dem Wasserhahn. Das zweite Problem war die nicht-funktionierende Bewässerungsanlage. Wenn ich die antike Pumpe im Pumpenhäuschen einschaltete, die das Wasser aus dem Wassertank zu unseren Bewässerungsschläuchen transportieren sollte, passierte nichts. Ein "Rütteln" der Pumpe, wie von P empfohlen, führte auch nicht zum Erfolg. Das Ganze ist nervig, weil eine Menge Rennerei damit verbunden ist. Vom Pumpenhäuschen zu unserem Grundstück. Hinunter zum Brunnen, von dem Wasser zum Bewässerungstank gepumpt werden soll. Timer einstellen. Hochrennen, nachschauen, ob die  Hähne auch richtig rum standen und das Wasser im richtigen Wassertank ankommt. Dann wieder zum Haus. Kommt Wasser? Nein? Dann wieder hinunter zum Brunnen, Timer ausschalten, damit der Wassertank nicht überläuft. Eine gute Konditionsübung, aber frustrierend. Heute erwischte ich Frans, der gerade Es Grundstück wässerte. Eeine andere Pumpe ist dafür zuständig, im selben Pumpenhäuschen, und ein anderer Sicherungsschalter, aber derselbe Brunnen. Das System ist kompliziert. 

Frans erklärte mir:
1. Erst den Wasserhahn bei mir aufdrehen, dann die Pumpe einschalten.
2. Die Wasserhähne auf allen anderen Grundstücken zudrehen, die über die gleiche Pumpe laufen, weil sonst der Wasserdruck zu niedrig ist.
3. Bei Problemen an der Pumpe rütteln.
4. Um eine Explosion zu vermeiden, am Brunnen immer erst den Hahn umstellen, der das Wasser öffnet, und dann den Hahn, der das Wasser schließt.
(Da D den Brunnen auch für sein Gelände benützt, muss man darauf achten, dass die Hähne richtig stehen, sonst kommt es bei D zu einer Überschwemmung. )

Frans erzählte auch, dass er im August zurück nach Holland gehen muss, weil er hier keine Arbeit mehr findet. Der Freund, der eine Kneipe in Petra finanzieren wollte, ist Alkoholiker und ändert jeden Tag seine Meinung. In Holland hofft er, dass er das bedingungslose Grundeinkommen bekommen kann. Er ist für arbeitsunfähig erklärt worden, bevor er nach Lesbos zog, hatte aber damals zu viel Geld, um vom Staat ökonomische Hilfe zu bekommen. Und was passiert mit deinem Hund? Der muss hierbleiben. Eine schwanzlose Streunerin, die er irgendwann einmal aufgegabelt hat und die ihm überallhin folgt. Sie ist es gewöhnt, frei herumzulaufen. Im Dorf kennen die Leute sie, füttern sie, rufen sie beim Namen. Sie ist in ihrem Leben noch nie an der Leine gelaufen und jetzt vierzehn Jahre alt. Er ist im Kontakt mit den "Tierfreunden Lesbos" und hat schon angefangen zu packen. Traurig, sage ich. Ja, traurig, sagt er, aber was soll man machen.

22:59

Die Tage verstreichen.

Als ich im Garten verzweifelt gegen die Ausbreitung der Schafgarbe gekämpft hatte, suchte ich auf Google nach Information über die Pflanze und kam schnell zu dem Ergebnis, dass sie als eine ganz besondere Heilpflanze angesehen wird. Umschläge, Tees, Tinkturen. Gegen Blutungen, Stresssymptome, .... Und schon wieder wurde ich von einem schlechten Gewissen wegen meiner Wut auf die Natur ergriffen, meinem Wunsch, eine Ordnung herzustellen, die es nicht gibt. Von jetzt an darf die Schafgarbe wachsen.

Abendessen: Ofengemüse mit geriebenem Käse und als Vorspeise Oliven, Ladotiri und der Rest der Bohnen in Tomatensosse.

Ein Topf Kichererbsen ist mir heute während meines Gesprächs mit Frans angebrannt. Ich musste alles wegwerfen und den Topf mit Sodawasser auf der Herdplatte ziehen lassen, um das Verkohlte wegzukriegen. Vielleicht hätte ich eine schwarze Farbe daraus herstellen können?

Lese "Das Geheimnis der Farben" von Victoria Finlay, mit zahlreichen Geschichten, die von der Herstellung, der Entdeckung und Verwendung von Farben handeln. Es ist nicht nur eine Kulturgeschichte, sondern auch ein Reisebericht, der sich von Australien über Chile nach Italien etc. zieht. Es geht auch nicht nur um die Farben als solche, sondern auch um die Menschen, die sie herstellten und die sie verwendeten. Es geht um den Diebstahl von Farbengeheimnissen, es geht um giftige Farben, denen nicht nur die Arbeiter, die sie herstellten, sondern auch die Menschen, die ihre Wohnräume (oder ihre Wangen) damit bemalten, zum Opfer fielen, es geht um Geld, es geht um Ruhm.

Seit ich mit dem Malen angefangen habe, hat das Thema Farbe ein ganz anderes Gewicht für mich bekommen. Es geht jetzt nicht nur um den gut gefüllten Farbenkasten, sondern auch um die Frage, wo die Farbe herkommt, wie sie hergestellt wurde, ob die Pigmente natürlich sind oder chemisch hergestellt, ob sie lichtecht ist, deckend, usw.


LXII - 6.Juni

2020/06/06 23:24

Auf dem Bett und müde. Zwei Ladungen Wäsche gewaschen. Im Garten gearbeitet. Mit Giorgos auf einen „Ouzo“ (mit Essen) in Petra. Er hatte sich in der Zeit vertan, und ich saß eine halbe Stunde in der prallen Sonne an unserem Treffpunkt und las, bevor sein weißes Auto neben mir anhielt. Hinterher fragte ich ihn, ob er auf einen Kaffee hierher kommen wolle, aber er schüttelte ungeduldig den Kopf. Ich bin ein alter Mann, weißt du. Wenn ich Ouzo getrunken habe, muss ich hinterher erstmal schlafen. Er erklärte mir dann sein Ritual: Nach dem Mittagessen trinkt er Kaffee. Dann schaut er sich, auf dem Sofa liegend, eine alte griechische Komödie (schwarzweiß) an, dabei nickt er ein und schläft dann 30 oder 40 Minuten. Er sagte, er lebt gern allein, aber es ist zeitraubend, wenn man alles selber machen muss. Nie kann man sich mit jemandem die Arbeit teilen. Deshalb, so sagte er, sagt man, dass eins nichts ist, zwei ist stark, und drei ist unbesiegbar. Ich fuhr nach Hause und legte mich hin, räumte dann auf, ging in den Garten. Stach etwas Akanthus. Am Morgen habe ich einige Tomatenpflanzen eingetopft, aber ich habe nur nahrungsarme Erde. Muss etwas Erde kaufen nächste Woche.

Zwei Tage hintereinander war ich in der Mittagshitze beim Schwimmen. Ging zum Badestrand im Dorf, zog mich in einer unappetitlichen Umkleidekabine um. Zwei griechische Frauen unterhielten sich laut, zeternd. 

Versuche, Motorräder / Mopeds zu zeichnen, und Stühle. Es ist aber leichter, im Dorf Motorräder zu finden als Stühle, die auf der Straße herumstehen.


LXI - 2.Juni

2020/06/02 17:20

Je länger ich hier bin, desto mehr werde ich ein Teil des Dorfs. Kenne die Wege, erkenne die Leute wieder, sehe, in welchem Haus sie wohnen. Heute ein seltsames Gefühl von Normalität. Restaurants und Cafés haben geöffnet. (Fast) niemand trägt einen Mundschutz, ich selber muss mich dazu überwinden. Als ich Theodos frage, ob der Virus jetzt auf magische Weise verschwunden ist, kommt er nicht dazu zu antworten, denn seine Frau, die heute im Laden ist, möchte unbedingt das Rezept für das Brot haben, das ich ihm vor ein paar Wochen gebracht habe. In höchsten Tönen spricht sie von meinem Brot. Möchte wissen, was die kleinen „Nüsschen“ im Teig waren. Sonnenblumenkerne. Wir stehen vor dem Mehlregal, und ich zeige ihr, welches Mehl ich verwendet habe. Dann versuche ich, ihr das Rezept zu erklären, aber es ist zu viel Information auf einmal. Schlage vor, dass sie eine Portion Sauerteig bekommen kann. Erfreut nimmt sie mein Angebot an.

Heute ist #blackouttuesday, d.h. das einzige Bild, das man heute auf Instagram und anderen sozialen Medien postet, um seine Solidarität mit Black Lives Matter auszudrücken, ist ein tiefschwarzes Viereck. Es war gar nicht so leicht, das zustande zu bringen. Nach einigem Hin und her habe ich das Kameraauge meines Iphones an die Rückwand meines schwarzen Rucksacks gelegt, den Timer eingestellt und den Rucksack zugemacht.

Wieder im Postamt. Die Postsäcke wurden gerade geliefert, als ich ankam, man schlug mir also vor, dass ich in einer Stunde wiederkommen sollte. In ergriff die Gelegenheit beim Schopf und ging zur Polizei. Zigarettenrauch schlug mir entgegen, als ich das heruntergekommene Haus am Dorfrand betrat. Zwei Polizisten unterhielten sich in einem Büro, der eine sitzend, der andere stehend, und sie baten mich zu warten und schlossen die Tür (lehnten sie an), damit ich sie nicht belauschen konnte. Ich hatte also etwas Zeit, mich im Eingangsbereich umzuschauen. An der Wand stand ein mitgenommen aussehendes Regal mit Fächern für alle möglichen vergilbten und von der Feuchtigkeit gewellte Formulare, an den Wänden hingen Plakate mit Aufrufen und Ermahnungen, die man auf einer Polizeiwache erwarten würde, aber auch Heiligenbilder und touristische Motive von der Insel. Durch eine offen stehende Tür konnte ich ein Regal mit Akten sehen, in handbeschriebene Dokumentensammlern aus Pappe. Ich weiß nicht, wie Polizeistationen sonst eigentlich aussehen. Hier bekam man jedenfalls nicht den Eindruck, dass man sich hier für den Fall wappnete, dass jemand mit gezogener  Pistole hereingestürmt käme. Wieder einmal hatte ich das Gefühl, dass ich mich in einem sehr alten Film befand und hätte mich nicht gewundert, wenn das Bild schwarzweiß gewesen wäre.

Keiner der beiden anwesenden Beamten sprach englisch. Der Beamte am Schreibtisch bat mich, Platz zu nehmen. Dann rief er jemanden auf seinem Handy an, die dolmetschen sollte. Ich habe keine Ahnung, ob das ihr Job ist oder ob sie einfach eine gute Bekannte ist, die in solchen Angelegenheiten einspringt. Er stellte sein Handy laut und hielt es in meine Richtung. Als ich mein Anliegen vorgebracht hatte (bin jetzt seit drei Monaten hier und möchte wissen, ob ich im Rahmen der EU-Bestimmungen mich offiziell anmelden muss), bekam ich schnell und undramatisch die Antwort: „oxi“ - "nein". Ich weiß nicht, ob er das aus menschlichem Ermessen sagte oder ob die EU-Gesetze weniger streng sind als ich gedacht habe. Nun ja, jedenfalls verließ ich die Polizeiwache gut gelaunt. Es kommt ja nicht oft vor, dass ich im Kontakt mit Behörden nicht das Gefühl habe, dass ich vielleicht irgendwas ausgefressen habe, von dem ich noch nicht einmal weiß. Ich war auch erleichtert, weil die Frage jetzt vom Tisch war.

Im "Alte-Männer-Cafe" am Dorfeingang sah ich Giorgos wieder. "Wo bist du?", rief er. "Hier", antwortete ich und hielt an. Er deutete auf die Maske, die mir um den Hals baumelte. "Meine Maske", sagte ich. "Ich bin schließlich eine gute Deutsche." Es sollte selbstironisch klingen, und ich hoffe, dass es so ankam. "Wir müssen uns treffen und einen Kaffee zusammen trinken", sagte er. "Melde dich." Er habe schon gehört, dass ich meine Zeit hier genieße. Von wem? Giorgos (der andere Giorgos, den ich letzte Woche auf der Straße getroffen habe) hat es ihm erzählt.

Es fühlte sich seltsam an, nach dieser Begegnung nach Hause zu fahren. Es war, als wäre die Zeit, die ich hier verbracht habe, nur ein Traum gewesen, eine Einbildung. Als hätte ich Giorgos erst gestern hier im "Alte-Männer-Café" getroffen und ihm gesagt, dass ich nur zwei Wochen bleibe. "Ich bleibe noch zwei Monate", sagte ich heute. "Ohoo", antwortete er und lachte.


LX - 1.Juni

2020/06/01 23:05

Kühlerer Abend. Agnes ist mutig und kommt ins Haus, jedenfalls drei Schritte. Dann tänzelt sie wieder zurück. Keine Sekunde der Unaufmerksamkeit.

Erster Tag ohne Mobilfunknetz. Das Resultat war, dass ich ständig zum nächsten Wifi-Empfang rannte. New York Times: die Unruhen, Proteste, friedlich und gewaltsam, ausgelöst vom Mord an Georges Floyd. Die Wut, die Verzweiflung, die dahinter steckt, ist angestaut, alt. Brennende Autos, geplünderte Geschäfte. Jeder glaubt zu wissen, dass Provokateure aus dem anderen politischen Lager die Situation auszunützen versuchen. Ganz sicher gibt es auch Trittbrettfahrer, die ganz einfach habgierig sind.

Als die Lage vor dem Weißen Haus sich verschärfte, schaltete man die Lichter aus und das Haus lag im Dunkel. („Bereits am 20.1.2017 ist im Weißen Haus das Licht ausgegangen“, schrieb jemand in der Kommentarsektion der NYT.). Angeblich hat Trump sich in den Schutzbunker des Hauses zurückgezogen. Man denkt an Parallelen der Geschichte.

Man stelle sich vor, Trump wäre eine Frau. Wie ungnädig diejenigen, die jetzt hinter ihm her schwänzeln, da mit ihm umgehen würden.

In den Medien sieht man Bilder von Polizisten, die sich hinknien und ihre Helme abnehmen. Trump twittert aus seinem sicheren Versteck: LAW AND ORDER!

Nach einem neuen Buch gesucht. Schwanke zwischen einem Sachbuch über "Farbe" und einem Krimi, der in viktorianischen Zeiten spielt. Vielleicht beide. 

Stach eine Stunde lang Akanthus. Am Freitag müsste ich mit dem Beet fertig sein. Und dann? Was für eine Aufgabe wartet dann?

Es ist seltsam dass der gesäte Salat aussieht wie Tomatenpflanzen, ganz und gar nicht wie Salat.

Mit dem Zeichnen ist es das Gleiche wie mit allem anderen: Ich ahme nur nach, habe keine eigene Idee, keinen eigenen Gedanken, keine Kreativität. Ich bin nur gut darin, mich hinzusetzen und es zu tun.

Las den Anfang eines Texts von James Baldwin über sein Heranwachsen in Harlem. Morgen weiterlesen.

Am Vormittag Regen und Gewitter, am Nachmittag Sonnenschein. Ich buk ein Brot. Lernte wieder etwas Griechisch. Was bleibt hängen?

Einfach nur da sein. Keine Ambitionen. In der Gesellschaft dieser wunderbaren Wesen, die nie irgendwelche Ambitionen haben. Die einfach nur da sind, selbstverständlich, sich nie Sorgen um die Zukunft machen, immer den Augenblick als das nehmen, was er ist.


LIX - 31.Mai

2020/05/31 23:47

Fragte mich heute, was ich im Mai eigentlich gemacht habe.

Es kommt mir vor, als hätte ich den Monat im Halbschlaf verbracht.

Heute Morgen lag ich lange im Bett und las Maurice Dekobra: The Madonna of the Sleeping Cars, das mich dann nach einigen Tagen doch gepackt hat. Dann endlich wieder Griechisch. Einige Dinge mussten erledigt werden mit dem Ipad. Sah dann ein Interview von Trevor Noah mit Anders Tegnell, dem Chefepidemologen Schwedens. Dann machte ich den Fehler, die Kommentare zu lesen, die ins Hysterische abglitten. Schlechter Nachgeschmack.

Dann Mittagessen auf der Terrasse: ein großer Salat mit Feta, gekochte Rote-Bete-Blätter, gebratene Zucchinischeiben, ein Kartoffelfladen. Abspülen und der Versuch, etwas zu schlafen, leider vergeblich.

Akanthus-Schlacht und als der Timer klingelte, die Fahrt zum Meer. Ich saß eine Weile auf dem Mäürchen und las in meinem Buch. Dann fuhr ich nach Hause.

Habe mein Handy-Abo auf Pause gestellt, weil ich erst klären will, ob irgendeine Zeitbegrenzung im europäischen Ausland gibt. Richtete ein Skype-Konto ein, um meine Mutter anrufen zu können, für den Fall des Falles.

Abends gemalt. Katzen gefüttert. Das Buch ausgelesen, jetzt mit großer Rührung und mit Abschiedsschmerz. Jetzt muss ich mich wieder für eine neue Lektüre entscheiden.


LVIII - 30.Mai

2020/05/30 09:34

Wachte wieder viel zu früh auf, in den schönen rosa Morgenstunden, aber da ich das Licht wieder so spät ausgemacht hatte, war ich nicht ausgeschlafen. Las weiter über den Aufruhr in den USA in der New York Times. Meistens bleibe ich in der Leserbriefsektion hängen, scrolle endlos weiter, lese Kommentar um Kommentar, sehnsüchtig nach Zeichen von Menschlichkeit und Verstand, Bildung und Nachdenklichkeit. Muss mich dazu zwingen, das iPhone aus der Hand zu legen. Das hat Trumps Präsidentschaft aus mir gemacht - einen Nachrichtenjunkie. Seit bald vier Jahren ist jede Andeutung der Hoffnung auf ein Ende dieses Alptraums zerschlagen worden, bisher hat er alle Skandale unbeschadet überstanden. Wenn überhaupt, dann wird er hinterher noch gewagter, noch ätzender, noch hetzerischer. Seine Basis frisst alles, was er ihnen vorsetzt, weil er ihnen das Gefühl gibt, in ihrer Schäbigkeit etwas Besonderes zu sein. Er gießt Benzin in jedes Feuer, und sie jubeln, weil sie sich endlich lebendig fühlen, weil endlich Hass und Rassismus und rüpelhaftes Verhalten einen Anführer gefunden haben.

Und was findet er an ihnen? Er ist getrieben von einer unendlich großen, nie zu sättigenden Gier nach Bestätigung. Er hat entdeckt, dass sein Ton bei einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung ankommt, und jetzt tut er alles, um sie nicht zu verlieren. Aus seiner gähnenden inneren Leere kann er nur Anschuldigungen, Verschwörungstheorien, Lügen speien. Die Republikaner schauen zu, mit verschränkten Armen. Letztlich geht es um Geld, um Macht.

In ein paar Tagen habe ich vielleicht gar keine Mobile Data mehr und muss alles übers Wifi machen. Vielleicht wird mein Leben dann ruhiger, gelassener. Vielleicht renne ich aber auch wie ein Jojo zwischen dem Haus und dem Teepavillon hin und her.

Die Jalousie, die ich vor ein paar Tagen vom Dachfenster abgeschraubt habe, um sie zu reparieren, ist jetzt im Limbo gelagert. Stundenlang kann ich darüber nachdenken, was für eine Lösung ich dafür finden könnte (sie darf ja nichts oder kaum etwas kosten). In Kalloní wurde ich gestern nicht fündig - es war, als wüsste niemand, wovon ich eigentlich sprach.

Manchmal höre ich den Gesang der Vögel, das Gurren der Tauben, das Geschrei der Möwen. Ich höre die Motorgeräusche von der Straße, die blecherne Stimme eines Verkäufers, der seine Ware über den Auto-Lautsprecher anpreist. Ich höre die Geräusche, die ich selber mache, wenn ich z.B. Wasser einschenke, die Katzenfutterschalen auffülle, ein Schraubglas öffne, etwas aus dem Kühlschrank  nehme. In solchen Augenblicken wird mir deutlich, wie sehr ich die allermeiste Zeit meines Lebens in Gedanken versunken bin (sogar wenn ich auf dem Meditationskissen sitze).

Mein großes Problem im Zusammenhang mit meinen Schreibkursen ist, dass ich mit einem ständigen Legitimitätsproblem kämpfe. Woher nehme ich das Recht, den anderen zu sagen, was sie zu tun haben? Was weiß ich denn schon? Da ich mich nicht als ein leuchtendes und erfolgreiches Beispiel eines schreibenden Menschen sehe, sondern eher als ein ziemlich missglücktes Exemplar, habe ich manchmal die Angst, ich könnte sie in den Abgrund ziehen, in dem ich mich bereits befinde.

Ganz ohne Kommentar respektierten die Passagiere im Bus gestern die Abstandsregeln. Es fällt mir aber erst jetzt, im Nachhinein, auf.

Ich saß abends am Tisch und zeichnete und pantschte mit den Farben. Auch was zwischendurch völlig unmöglich aussieht, gefällt mir hinterher, zu meiner eigenen Überraschung.


LVII - 29.Mai

2020/05/29 09:25

Die Schreibroutine funktionierte natürlich nicht - der Erfolg war, dass ich fast nichts gemacht habe, außer einem Treffen mit C bei Ignatios. Versuchte mein Griechisch vorzuführen, fiel aber auf die Nase. Vorbereitung für den Internetkurs. Jahresversammlung unseres Wohnvereins. Ich bin auf Zoom mit dabei. Wir sitzen ein weiteres Jahr im Vorstand. Abends zeichnen. Ein Haus in Molyvos.

Gegen Mitternacht hat Cleo eine Kotzepisode, die nicht nur mich, sondern auch sie völlig erschöpft. Am Ende kommt nur noch schaumige Flüssigkeit. Ich fürchte, dass sie irgendwo Gift gefressen hat, dass mir hier vor der Nase wegstirbt (ich habe das von anderen gehört), aber nach zahllosen Konvulsionen beruhigt sie sich und setzt sich auf den Tisch, während ich mit Klopapier, Spülwasser und Schwammtuch durch die Wohnung robbe, Bettwäsche und Bettüberwurf unter dem Dach abziehe und zur Waschmaschine bringe (Julia rennt mir im Stockdunkeln zwischen den Beinen herum), und mich dann mühsam beruhige. Es ist schon nach eins, als ich das Licht ausmache. Über Nacht war Cleo draußen, und in der Früh war ich etwas unruhig, dass sie vielleicht die Nacht nicht überlebt hat. Sie saß nicht, wie üblich, auf der Sonnenliege direkt neben der Tür. Aber nach einer Weile tauchte sie auf der Terrasse auf, kam herein und fraß hungrig aus der Friskies-Schale. Das Spezialfutter beschnuppert sie jetzt nur misstrauisch.

P war in der Nacht eingeschaltet (bei ihr war es eine Stunde früher) und googelte, dass vereinzeltes Übergeben darauf hinweist, dass die Katze etwas Unpassendes gegessen hat. Nur wiederholtes Übergeben kann auf eine Krankheit hinweisen. Cleo sieht mitgenommen aus und hat sich jetzt zum Schlafen unters Dach zurückgezogen.

23:43

Mit dem Fahrrad nach Kalloní. Hinter Petra sah ich die schwarzen Wolken, und irgendwann fing es dann an zu regnen. Viel schieben, dann das Fahrrad wieder laufen lassen, aber immer die Bremsen gezogen. Einmal längere Pause, weil mein Herz verrückt spielte. Alle Szenarien, die man im Kopf so durchgeht.

Die Zeit in Kalloní war dann eher von Stress gekennzeichnet. Am Ende hatte ich viele Kilo Katzenfutter, Katzensand und einen Handmixer am Fahrrad hängen. Mein Lieblingsgeschäft, Agrotiki Stegi, für mich immer noch mit dem Drama um Cleos Sterilisation verbunden. Ich warf einen Blick in den Behandlungsraum hinein und kriegte noch nach fast acht Jahren einen Hieb in die Magengegend. Es ist ein Riesenladen, im dem die Schaffarmer, die Olivenbauern, die Pferdebesitzer einkaufen. Ich nahm einen Löwenzahnstecher, der in der Gartenabteilung herumlag, aber an der Kasse wusste niemand, was er kostete. Bestimmt zehn Minuten wartete ich, bis endlich ein Preis ermittelt war - zum Glück hatte ich es nicht eilig.

Beschloss, den Bus zurück zu nehmen. Kaufte mir in einem Café am Busbahnhof einen guten Cappuccino und ein Schokoladencroissant. Es fing an, richtig zu schütten. Die meisten der wartenden Busgäste hatten sich ins Café zurückgezogen. Ich schob mein Fahrrad und meine schweren Tüten in den Gepäckraum und setzte mich dann mit Mundschutz in den hinteren Teil des Busses. Später im sonnigen und trockenen Molyvos war es schwer zu begreifen, dass ich heute schon solche Strapazen hinter mich gebracht hatte. Jätete einige kleine Akanthus-Schößlinge. Machte die neugekauften Griffe an die Lenkstange des Fahrrads. Räumte das Zimmer auf. Klebte die alte Sonnenblende provisorisch ans Dachfenster, mit neugekauftem extrastarkem Klebeband. Machte Spaghetti mit Auberginensoße und gerösteten Brotcroutons. Kurs-Update, in der letzten Minute. Holte mit der Taschenlampe Wasser vom Brunnen. Las die New York Times, die unter dem Bann des ungehemmten Idioten steht, der es geschafft hat, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden und dessen einziges Ziel, immer wieder die Aufmerksamkeit auf seine Person zu ziehen, leider auch immer wieder gelingt.

Ein unmotiviert brutaler Übergriff eines weißen Polizisten in Minneapolis auf einen Schwarzen (George Floyd), der zum Tod des Mannes geführt hat, hat jetzt über das ganze Land meist friedliche Proteste ausgelöst, die aber auch immer wieder zu Straßenkämpfen und Plünderungen entarten. Inzwischen ist der verantwortliche Polizist wegen Mord dritten Grads verhaftet worden, viele sind aber der Meinung, dass das nicht reicht. Der Handyfilm eines Passanten zeigt, wie er auf dem Hals des Festgenommenen kniet, die Hand lässig in einer Hosentasche. Er verändert die Position nicht, selbst als der Mann wimmert, dass er nicht atmen kann und schließlich schlaff daliegt. Trump heizt die Stimmung auf Twitter an, droht mit harter Gewalt. Twitter reagiert zum ersten Mal und markiert diesen Tweet als gewaltverherrlichend. In der Zwischenzeit haben Trumps Anhänger seinen hetzerischen Tweet aber schon in großer Zahl geteilt.

Der Busfahrer mit den langen Haaren im Pferdeschwanz, den muskulösen Armen, dem Mundschutz, den er zuerst unter die Nase gezogen hatte. Woher ich komme, fragte er, als in Petra alle anderen Passagiere ausgestiegen waren, um in einen Bus Richtung Anaxos einzusteigen, der aussah wie ein 60er-Jahre-Modell, etwas aus einem alten Film. Ich dachte auch daran, dass er aussah wie ein Bus, der seine Passagiere in eine Art Phantasieland bringt.  Deutschland, antwortete ich dem Busfahrer. Er sagte nichts weiter, aber das Schweigen, in dem wir weiterfuhren, war freundlich. In Molyvos half er mir, das Fahrrad aus dem Gepäckraum zu hieven.


LVI - 28.Mai

2020/05/28 10:20

Schlief lange. Las die New York Times auf dem Telefon. Ich folge nur dem Geschwätz, vertiefe mich eigentlich selten in einen Artikel.

Finde einen Zeichner auf Instagram, der das verkörpert, was ich erreichen möchte - Leichtigkeit, Helligkeit, Transparenz und Lebensnähe, Beobachtungsgabe. @sumdolian

Habe bereits ein paar Akanthuspflänzchen gestochen, die sich in der Wiese verbreiten. Katzen gefüttert.

Julia: steht fordernd vor der Tür, faucht alle anderen Katzen an, frisst dann zerstreut, will eigentlich vor allem ins Haus und benützt jede Gelegenheit dazu. Ich kann gar nicht piep sagen und schon schwänzelt sie mir hier zwischen den Füssen herum. Heute sah ich sie plötzlich auf dem Katzenfutterregal, mit beiden Vordertatzen im Friskies-Behälter, glücklich vom Reichtum knabbernd. Ich glaube aber nicht, dass sie sehr hungrig ist.

Hamish kommt fordernd, rüpelhaft. Er drängt die anderen von ihren Futterschalen weg, frisst aber selber kaum etwas, nur pro forma, wenn ich komme, um ihm die Schale wegzunehmen.

Bibi kommt von hinten herangeschlichen. Er weiß, dass keine der anderen Katzen ihn duldet. Ich gehe immer mit ihm und dem Futter in sein "geheimes Eck", so dass er in Ruhe fressen kann. Er dankt mir mit viel Körperkontakt und damit, dass er mit einem Kopfstupser an meine Hand das Futter, das ich gerade in die Schale geben will, in alle Richtungen verteilt.

Sumo kommt. Da ich weiß, dass er bei D Futter gibt, gebe ich ihm nichts, und er zieht nach einer Weile gutmütig wieder ab. Er hat ein Ohrenproblem, und vor einigen Tagen habe ich mit vier Ohrenstäbchen massenweise stinkende Flüssigkeit aus dem rechten Ohr geholt. Ich möchte mich nicht in Ds Katzenhaltung einmischen, habe aber jetzt Sumos Ohrenreinigung zu meinen täglichen Pflichten gelegt.

Agnes kommt still, elegant und wohlerzogen an und zieht sich zurück, sobald ihr jemand dumm kommt. Da sie nicht mager ist, glaube ich, dass sie auch woanders Futter bekommt. Ich betrachte mich aber als eine ihrer Futtermamis.

Beschließe heute, meine Tagesroutine zu ändern. Fange mit dem Schreiben an und mache alles andere erst hinterher. 


LV - 27. Mai

2020/05/27 07:55

Tief und fest geschlafen. Juckende Stiche an den Beinen und Füßen, aber ich schlief weiter.

Bewölkt. Ideales Fahrradwetter.

Wenn Punxy und Caesarion einander sehen, stoßen sie kleine Freudenlaute aus, selbst wenn sie nur fünf Minuten durch die geschlossene Tür getrennt waren. Dann streifen sie aneinander entlang, stoßen die Köpfe sanft zusammen, und wenn sie eng nebeneinander durch die Gegend laufen, bilden ihre hochgereckten Schwänze manchmal ein kleines Herz. Ich habe noch nie erwachsene Katzen gesehen, die so sehr die Nähe der anderen gesucht haben. Selbst wenn sie draußen sind und sich nebeneinander auf dem Zementboden sonnen, dann berührt eine Tatze die Tatze der anderen. Von der Persönlichkeit könnten sie verschiedener nicht sein. Ich habe den Eindruck, dass Punxy Caesarion gewählt hat. Manchmal zieht Caesarion meine Nähe der Punxys vor, manchmal liegt Punxy mit Cleo eng umschlungen unter dem Dach. Das ist auch ungewöhnlich, weil Cleo zu allen anderen Abstand hält und auch ihrem Sohn Caesarion manchmal einen Tatzenhieb auf die Nase verpasst, wenn er sie nervt. Es muss also die Magie von Punxy sein. Die wiederum stampert alle anderen Katzen von der Terrasse weg, mit ihrem wütenden, entschlossenen Blick und ihrem schrillen Geschrei und flitzt dann hinter ihnen her, bis sie sie aus dem Revier ums Haus vertrieben hat (natürlich kommen sie fünf Minuten später wieder zurück).

08:29

Punxy macht eine kleine Vorführung für Caesarion, der auf der Sonnenliege liegt. Eigentlich ist sie zur Hälfte Eichhörnchen, mit ihrem buschigen Schwanz und dem federleichten Körper. In Nullkommanichts ist sie auf den Olivenbaum geklettert, von dem sie in einem eleganten Sprung auf der Steinumrandung landet, um dann über den Platz vor dem Haus zu flitzen. Immer wieder hält sie inne und vergewissert sich, dass Caesarion auch zu ihr hinschaut.

Ich kann mich in ihrem Verhalten wiedererkennen. Wie ich als Kind in Bäumen kletterte, nach meiner Mutter gerufen habe. Sie sollte mich sehen und bewundern. Und viel später: Wenn ich verliebt war (was oft vorkam), wünschte ich mir, dass die geliebte Person plötzlich vor dem Fenster zum Aikidodojo stehen und mir zuschauen würde. Es geschah aber nie.

(Später)

Der Regen macht einen Strich durch meine Fahrrad-Pläne. Ich verliere mich in einem Bericht der New York Times:

Junge Frau lässt ihren Hund in einem Teil von Central Park, in dem Leinenpflicht besteht, weil er für Vogelbeobachter reserviert, frei laufen. Ein (schwarzer) Vogelbeobachter weist sie darauf hin. Sie weigert sich, den Hund an die Leine zu nehmen. Er fängt an, das Geschehen zu filmen. Sie droht ihm damit, dass sie die Polizei anrufen wird und sagen wird, dass ein Afro-Amerikaner sie bedroht. Er fährt damit fort, sie zu filmen. Während des Anrufs hält sie ihren Hund am Halsband fest und zieht daran, so dass dem Hund offensichtlich die Gurgel abgedrückt wird. Der Hund kämpft gegen die Behandlung an, sie packt härter zu. Im Gespräch mit der Polizei geht sie dazu über, eine unmittelbare Gefahr vorzutäuschen, indem sie atemlos ins Telefon schreit: „Ein Afro-Amerikaner bedroht mich und meinen Hund!“ Erst als das Telefongespräch zu Ende ist, klickt sie die Leine in das Halsband des Hundes, und der Vogelbeobachter bedankt sich bei ihr. Die Frau verliert am selben Tag den Hund. Das Tierheim, bei dem sie ihn vor zwei Jahren adoptiert hat, fordert ihn aufgrund ihres Verhaltens auf dem Video zurück. Am nächsten Tag verliert sie ihren Job bei einer prestigeträchtigen New Yorker Finanz-Firma. Bei den NYT-Lesern entbrennen Diskussionen darüber, wer Schuld hat, und ob der Vogelbeobachter einen Teil der Verantwortung für die Eskalation hat. Man könnte seine Worte "Wenn Sie das nicht tun wollen (den Hund an die Leine nehmen), dann könnte ich tun, was ich will, und es wird ihnen nicht gefallen." als eine Drohung verstehen. Andere fragen, ob es dem Rassismus in den USA abhelfen wird, wenn man das Leben der jungen Frau zerstört. Darauf erwidern andere, dass sie schließlich keine Sekunde zögerte, sein Leben zu zerstören. In einer öffentlichen Entschuldigung hat die junge Frau beteuert, dass sie nicht rassistisch ist. Der Vogelbeobachter weist darauf hin, dass es nichts bringt, ihr Leben zu zerstören, da Rassismus ein systemisches Problem ist.

Erinnerung daran, dass ich in Berlin einmal eine Gebührenaufforderung von der Polizei erhielt, weil ich meinen Hund im "Rübezahl-Park" ohne Leine laufen lassen hatte. Nachdem ich bei der Polizei angerufen hatte, wurde der Vorwurf fallen gelassen. Ich besaß nicht einmal einen Hund. Hinterher beschäftigte mich kurz die Frage, wer sich meines Namens (meiner Daten) bedient haben könnte, aber das Rätsel wurde nie geklärt.

(Abends)23:48

Es regnete fast den ganzen Tag und regnete durchs Dachfenster. Zum Glück fing meine Yogamatte einen Teil des Wassers auf. So wurde ich darauf aufmerksam, dass der Sonnenschutz am Dachfenster herunterhängt. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich nicht darum zu kümmern, aber da ich heute eine Aufgabe gesucht hatte, machte ich mich daran, ihn zu reparieren. Nach ich weiß nicht wie vielen Stunden und Versuchen gab ich auf, hatte den Rahmen aber demontiert und die Jalousie ausgebaut, so dass ich im Prinzip im richtigen Geschäft Ersatz bekommen könnte. Bloß wie findet man jetzt das richtige Geschäft? Manchmal habe ich das Gefühl, mich am Ende der Welt zu befinden.

Telefongespräch mit meiner Mutter, die zum Geburtstag ein Vogelhäuschen bekommen hat. Kein Vogel hat sich bisher blicken lassen, beschwert sie sich, klingt dabei aber gut gelaunt. Die müssen das erst lernen, dass es da was zu futtern gibt, sage ich. Sie ist jedes Mal wieder erstaunt und erfreut, dass ich sie von Lesbos anrufe. Von wo rufst du an? Von Lesbos, sagte ich. Das ist aber sehr nett von dir. Ich weiß nicht, ob sie es seit dem letzten Gespräch schon wieder vergessen hat. Inzwischen bin ich schon fast seit drei Monaten hier.

Malte meine Ansicht von Molyvos fertig. Zufrieden, dass ich sie zu Ende gebracht habe. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu sehr hinter der Wirklichkeit her hetze und dann die Freude am Malen verliere.

Am Abend saß der wilde schwarzweiße Kater vor der Tür und fraß heißhungrig aus der fast leeren Katzenschale. Ich gab ihm einen ordentlichen Haufen von dem Futter, das  die anderen Katzen ausnahmslos verschmähen. Ein Beweis dafür, dass keine von ihnen wirklich hungrig ist. Er blickte mich immer wieder durch die Glasscheibe an, wie um mich abzuschätzen. Ein Blick voller Misstrauen und Angst. Sobald ich mich bewegte, rannte er ein Stück davon, kam aber nach einer kurzen Weile wieder zurück und fraß weiter. Vielleicht gelingt es mir, ihn in den nächsten Wochen etwas zu zähmen und zutraulicher zu machen. Dann muss ich auch einen Namen für ihn finden.


LIV - 26. Mai

2020/05/26 07:38

Endlich wieder gut geschlafen. Irgendwann am frühen Morgen kamen Caesarion und Punxy. Cleo saß draußen auf der Sonnenliege, als ich aufstand, und verzog sich nach dem Fressen gleich unters Dach.

Träumte davon, dass jemand über mich herausgefunden hatte, was ich beruflich alles gemacht hatte. Es war eine beeindruckende Liste, hatte aber, wenn ich jetzt darüber nachdenke, nichts mit meinem eigentlichen Leben zu tun. Das Einzige, was ich von meiner beruflichen Laufbahn sagen kann, ist, dass ich alle Rollen, alle Identitäten, ständig abgeschüttelt habe, um in einem undefinierten Zustand zu landen. Das ist nichts, worauf ich stolz bin. Aber ich bin meiner Intuition gefolgt.

(Abends)

Punxy liegt auf dem Bett. Sieht wie fast immer, wenn sie mit mir alleine ist, etwas indigniert aus, etwas misstrauisch. Ständig auf der Wacht.

Schneller Glockenschlag von der Kirche, dann etwas wie Böller. Ich weiß nicht, was es bedeutet.

Mit dem Fahrrad nach Petra, im Supermarkt einkaufen. Ich kaufte eingelegte Fischchen und große grüne Oliven. So viel Gemüse, dass ich mit dem Fahrrad den Berg beinahe nicht mehr hochkam. Die nette Frau an der Frischwarentheke gab mir Oliven zum probieren, und ich musste den Mundschutz lösen, um sie in den Mund stecken zu können.

Machte am späten Nachmittag weiter im Akanthus-Beet sauber.

Den scheußlichen Rotwein verkochte ich in einem Eintopf mit Rote Beete und Linsen und grobgeschnittenen Zwiebeln. Dazu Schafskäse und eine Scheibe Brot. Es war gut und reicht noch mindestens für drei Mahlzeiten.

Müde. Bett.


LIII - 25. Mai

2020/05/25 21:57

Um 5 Uhr morgens kotzte Cleo. An Weiterschlafen war nicht mehr zu denken. Beim Saubermachen fiel mir die Citronellaflasche auf den Boden und zerbrach auf dem harten Fliesenboden in tausend Scherben. Also lag ich bald auf den Knien und sanierte den Boden mit Hilfe von Klopapier, einem alten Geschirrlappen, Spülmittel und kochendem Wasser. Ein leichter Citronellageruch blieb in der Luft.

Traf im Dorf Mary. Sie hielt gerade mit ihrem Moped vor Theodos' Laden. Ich hatte vorher nach ihr gesucht, um endlich etwas auszumachen, aber der Laden war leer und bei ihr zu Hause lag nur der traurige Hund bei offener Kellertür in seinem Bettchen. Wenn du magst, kannst du mir beim Ausmalen helfen, sagt sie. Ich koche dann etwas für uns. Gerne, sage ich.

Schickte einen selbstgenähten Mund-Nasen-Schutz zu P nach Schweden, weil sie sich das gewünscht hat.

Der Rest des Tages verging mit Schlafen und Nähen. Besserte alle Klamotten aus, die Löcher und Risse hatten, jedenfalls alle, die mir einfielen. Legte Flicken dahinter und nähte dann mit der Nähmaschine darüber. So habe ich wenigstens das Gefühl, heute etwas gemacht zu haben, trotz Müdigkeit und Schlappheit.

Nach dem Citronella-Unglück malte ich übrigens 5 Bilder, abgezeichnet von den Fotos, die ich gestern auf meinem langen Spaziergang durch das Dorf und die Olivenhaine gemacht habe. Ich war zwar einerseits zufrieden mit dieser Produktivität, andererseits auch erschöpft und ausgelaugt davon.

Abendessen: Hühnchen in Zitronensoße. Es ist nicht gut geworden. Ich bin heute zum Metzger gegangen, weil mir mein Speiseplan zu eintönig geworden war. Es war ein Fehler. Einen Hühnerschenkel habe ich jetzt noch für morgen und werde ihn auch essen, aber dann ist wieder Schluss. Aus einem momentanen Gedächtnisverlust heraus kaufte ich auch eine Flasche Rotwein. Billig war er nicht. Aber er ist untrinkbar. Woran liegt es, dass die Griechen keinen guten (Rot-)Wein hinkriegen?

Ließ die Akanthus-Schlacht heute aus und auch das Bad im Meer.

Beschloss, in dieser Woche mit dem Fahrrad nach Kalloní zu fahren. Eine zweistündige Fahrt einfach. Keine gerade Strecken, alles ist entweder bergauf oder bergab. Vorher muss ich aber meine Bremsen nachziehen und die Kette ölen. Reifen aufpumpen.


LII - 24. Mai

2020/05/24 13:15

Sitze mit dem Pomera unter dem Olivenbaum.

[Einige Worte über den Pomera: Er ist ein eine Art elektronisches Notizbuch, entwickelt und produziert in Japan, und wird mit AA-Batterien betrieben. Der Pomera ist etwa so groß wie ein Operntäschchen (das Operntäschchen meiner Mutter, mit dem ich als Kind so gern gespielt habe - der glitzernde Klickverschluss, das seidige Material) und leichter als ein Taschenbuch. Er kann nur eine Sache: Schreiben.

Man braucht den Pomera nicht langatmig hochzufahren - man öffnet ihn einfach und hat sofort den Text vor Augen. Hinterher klappt man ihn zu, und der Text ist automatisch gespeichert. Zwei Batterien reichen mehrere Wochen, auch bei täglichem Gebrauch.

Ich bestellte vor zwei Jahren ein gebrauchtes Gerät in Japan, weil ich verzweifelt war darüber, dass ich mich beim "Schreiben" ständig auf irgendwelchen Internetseiten wiederfand. Es kam wie neu an, und ich habe den Kauf nie bereut, obwohl ich trotzdem kein Buch geschrieben habe.]

Blog-Update: Heute mit P hin- und hergeschrieben. Sie findet, ich soll hier so lange bleiben, wie es nur geht. Es gibt keinen Grund, nach Schweden zurückzukommen. Aber wie lange geht es? Mein Geld reicht, wenn ich vorsichtig bin, bis Ende des Jahres. Aber dann bin ich total pleite. Keine Sorge, schreibt sie. Wir kriegen das hin. Wenn du länger bleibst, kann ich z.B. deine Wohnung vermieten.

Bald bin ich drei Monate hier und muss eine EU-Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Mein Handy-Vertrag verliert nach drei Monaten im Ausland seine Gültigkeit, und auch wenn ich wegen Corona eine Verlängerung bekomme, muss ich mir bald ein griechisches Abo besorgen, alternativ alle Kommunikation über Wifi laufen lassen, was natürlich denkbar ist, aber auch unpraktisch. Das größte Problem dieser Variante ist, dass ich dann meine Mutter nicht mehr anrufen kann.

Die ursprüngliche Corona-Erregung ist abgeflaut. Ich schaue mir in der Süddeutschen Zeitung oder in der New York Times keine Zahlen mehr an. Ich habe in den letzten Tagen auch damit aufgehört, die politische Sektion der NYT zu lesen, weil ich das Theater nicht mehr ertrage, und gehe sofort zur Kultur.

Da überall die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden, was natürlich unumgänglich ist, schnellt das Risiko der Ansteckung global wieder in die Höhe. Hier auf der Insel ist man immer noch relativ sicher, aber das kann sich schnell ändern. Seit ein paar Tagen fliegen wieder Flugzeuge über die Insel. (Plötzlich wurde deutlich, in welcher Stille wir in den letzten Monaten gelebt haben.)

Im Moment habe ich nur einen einzigen Internetkurs. Es ist eine gewisse Internet-(Zoom-) Müdigkeit eingetreten bei den Menschen, auch bei mir.

Seit über einer Woche habe ich die Heizung (die auch das Wasser wärmt), ganz abgeschaltet. Es gibt einen Boiler auf dem Dach, in dem das Wasser von der Sonnenwärme angeheizt wird. Momentan reicht aber die Sonnenwärme noch nicht für eine Warmwasser-Dusche oder fürs Abspülen. Deshalb mache ich jeden Morgen eine "Bucket Shower". Fülle eine Waschschüssel mit Wasser aus der Wasserleitung und schütte kochend heißes Wasser drauf, bis eine angenehme Temperatur erreicht ist. Dann schöpfe ich das Wasser mit einer (in Indien gekauften) Plastikkanne über mich. Der einzige Nachteil ist die Enge in der Duschkabine, wenn außer mir da auch noch eine Waschschüssel steht. Ansonsten gefällt mir diese Art des Duschens. Sie ist auch sparsam, weil man nicht in Versuchung kommen kann, länger als nötig unter dem warmen Wasserstrahl zu stehen.

Bin immer noch in der Chatgruppe meines alten Arbeitsplatzes, was hin und wieder unterhaltsam ist, mich aber auch manchmal unangenehm in die alte Irritation zurückversetzt. Eigentlich würde ich jetzt die Chatgruppe gerne auf Zehenspitzen verlassen, aber das geht ja leider nicht. Also tue ich lieber so, als würde ich nicht existieren. Ein Zaungucker.

R ist heute mit Halsschmerzen aufgewacht. Er schickt ein Bild vom letzten Kartenspielabend: dick eingepackt sitzen sie um einen Tisch auf dem Hinterhof. Es war kalt und hat später geregnet, schreibt er, aber wir haben bis 23 Uhr ausgehalten. Kein Wunder, dass du heute Halsschmerzen hast. schreibe ich. Werde bald wieder gesund. Er antwortet: Du fehlst mir. Die Freundschaft zu diesem jungen Mann aus Afghanistan ist eine Bereicherung meines schwedischen Lebens.

Das tote, schweigende Haus auf dem Nachbargrundstück. Die ersten Jahre war hier nur eine Schafswiese. Wir hatten zwar von den "englischen oder holländischen" Eigentümern gehört, hofften aber, dass sie nie auftauchen würden. Vor einigen Jahren jedoch ging es mit den Bauarbeiten los. Der Lärm, die Bagger, das Hämmern, das Klopfen. Und bei jedem Besuch war das Ungetüm höher, nahm uns mehr von unserer Aussicht, drängte sich vor, im deutlichen Ehrgeiz, selber so viel Aussicht wie möglich in Anspruch zu nehmen. Der englische Besitzer stolzierte auf dem Grundstück herum, völlig von sich und seinem Projekt eingenommen. Er sprach immer nur von "seinem" Haus, obwohl seine Frau, die Ärztin ist, für den größten Teil der Kosten steht. Das Endprodukt ist ein völlig unproportionierter Bau, der zudem die gesetzlich zugelassene Gebäudehöhe überschreitet. Jeder weiß das. Wusste er das auch oder war Unwissenheit/Dummheit im Spiel? Musste er hinterher irgendeine Strafe bezahlen oder drückte er einfach nur zum richtigen Zeitpunkt dem richtigen Menschen Geld in die Hand? Die Eingangstreppe ist völlig überdimensioniert. Jeder, der das Haus sieht, staunt über die augenschreiende Hässlichkeit. Die Details - Fenster, Treppengeländer, Türen - sind geschmacklose Fabrikware aus Aluminium und Plastik. Dabei wäre es auf der Insel so leicht gewesen, schöne Holzfenster zu bekommen. Es ist völlig unverständlich, wie jemand im Geschmack so danebengreifen kann.

Mein momentanes selbstgeschaffenes Ziel: das Zähmen der Akanthus-Wildernis. Ps Ansicht nach ist der alte Gärtner daran schuld, dass der Akanthus sich mit so einer Aggressivität vermehrt und ausgebreitet hat. Jedenfalls hat der Akanthus nicht nur auf unserer Seite völlig überhand genommen, sondern, was noch schlimmer ist, auch bei unseren Nachbarinnen U und T. Als ich mich daran machte, dieser Invasion ein Ende zu setzen bzw. sie in Grenzen zu verweisen, die ich selber wählte, wusste ich noch nicht, mit welchem Gegenüber ich es zu tun habe. Jeden Tag um 18:00 widme ich jetzt genau eine Stunde der anstrengenden und frustrierenden Tätigkeit des Akanthus-Stechens, hinterher fahre ich ans Meer, um den Dreck von mir abzuwaschen und auf andere Gedanken zu kommen. P hatte mich davor gewarnt, dass die Wurzeln weit in die Erde hinabreichen, aber sie hatte nichts davon gesagt, dass der Akanthus ein Wurzelgeflecht hat, das von fingerdicken Strangen bis zu dünnen Äderchen reicht und das ganze Erdreich durchzieht.

Mein System besteht momentan darin, dass ich ca. 50 Quadratzentimeter Erde mit Hilfe von zwei bis drei 10l-Kannen Wasser aufweiche und dann mit Hilfe des Wurzelstechers und eines kleinen Spatens versuche, so viel wie möglich von den Wurzeln mitzukriegen. Die Pflanzen, die bereits  blühen, lasse ich stehen, beäuge sie aber täglich misstrauisch, um nicht den Augenblick zu verpassen, in dem verblüht sind und anfangen, ihre Samen in die Umgebung schießen.

Innerhalb von zwei Tagen habe ich PD James' "The Lighthouse" ausgelesen. Faszinierend, weil es darin u.a. um SARS, Tröpfcheninfektion, Mund-Nasen-Schutz, Sauerstoffgeräte, Quarantäne und Tracking geht. Ein Krimi etwas in Agatha Christie-Manier, in der alle Anwesenden als potentielle Mörder dargestellt werden. Ich bin enttäuscht gewesen von der Auflösung und von der Unantastbarkeit des „Commanders“ Adam Dalgliesh.

Ich suchte heute die Bücherregale nach einer neuen Lektüre ab. Dachte an Paul Austers Buch "Moon Palace", in dem die Hauptperson von einem Onkel Bücherkisten erbt, mit denen er seine Wohnung möbliert, und die er allmählich leert, indem er ein Buch nach dem anderen liest.

Katzengeschrei. Hamish, der schlapp unter der Forsythie gelegen hat, macht sich sofort humpelnd auf den Weg dorthin. D war vorgestern hier, um die zweite Katzenbox abzuholen, die ich momentan nicht mehr brauche, und wir redeten ein wenig über Hamish, der bei ihm "Micki" heisst. Es war nett, Katzenbeobachtungen auszutauschen. Ich weiß jetzt auch, dass "Sumo", der etwas traurig aussehende graue Kater mit dem weißen Gesicht, schon 16 oder 18 Jahre alt ist, was natürlich erklären kann, dass er so ein schlechtes Gehör hat. Vor drei Jahren war er wegen Nierenproblemen bei Myrsini in der Klinik und eigentlich gab es nicht viel Hoffnung, aber er hat sich wieder erholt, auch ohne Spezialfutter. Ich denke an Caesarion und hoffe, dass er auch noch ein paar Jahre hat - schließlich ist er erst etwa 9 Jahre alt. Er ist der liebenswürdigste Kater, den ich kenne.


LI - 22.Mai


2020/05/22 07:53

Ein Tag, der eigentlich schon gelaufen ist, bevor er angefangen hat. Es regnete die ganze Nacht. Um kurz nach drei begann die Katzenunruhe. Katze rein, Katze wieder raus. Katze rein. Plötzlich ein ungewohntes tiefes Tönen aus den Katzenregionen, eine ungewohnte Unruhe, Ekstase im Raum. Ich schaltete das Licht ein. Punxy hatte was im Maul. Caesarion hatte eine Maus hereingebracht, und Punxy  hatte die Kontrolle übernommen. Ich scheuchte sie hinaus. Kurze Zeit darauf wollte Caesarion auch hinaus, und Punxy drängte sich wieder hinein, Maus noch im Maul. Das Spiel mit der toten Maus begann, und ich übernahm die Rolle der Spielverderberin, indem ich die Maus am Schwanz packte (mit Klopapier) und sie in den Komposteimer fallen ließ. Komposteimer auf die Terrasse, Katzen hinterher. In Regen und Sturm nach großen Steinen Ausschau gehalten, die ich auf den Deckel legen konnte, zum Beschweren. Dann zurück ins Bett. Katzen wieder im Haus, jetzt unruhig nach ihrem Spielzeug suchend. Ich schaltete das Licht über dem Bett ein und fing an, in meinem Krimi zu lesen, in der Hoffnung, bald so müde zu sein, dass ich wieder schlafen könnte. Bekam die unüberwindliche Lust auf starken schwarzen Kaffee, widerstand ihr zunächst, gab schließlich nach. Es spielte ja keine Rolle. Der Tag war eh schon mehr oder weniger gelaufen. Der Krimi war ausgelesen, und ich fing gleich wieder einen neuen an. Es wurde hell draußen und ich zog die Gardinen zu, damit mich niemand mitten am Tag schlafend im Bett überraschen konnte. Gepeinigt vom Gedanken an meine Unproduktivität und von der Unordnung meines Lebens, beschloss ich, meinen Tag trotz allem mit einer Vortäuschung von Normalität zu beginnen. Wärmte Wasser für eine Dusche, zog mich an, machte das Bett, spülte das Geschirr, fegte den Boden.

Den Rest des Tages kann ich so tun, als wäre ich ein wenig krank. Ich habe genug Lebensmittel und Katzenfutter und brauche mich heute überhaupt nicht von hier wegzubewegen. Kann in dem neuen Krimi lesen. Kann meiner Müdigkeit nachgeben, wenn sie mich überwältigt. Ein gehefteter Mundschutz liegt auf dem Tisch, aber ich bin zu müde, um die Nähmaschine hervorzuholen..


Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...