Sonntag, 14. Juni 2020

LV - 27. Mai

2020/05/27 07:55

Tief und fest geschlafen. Juckende Stiche an den Beinen und Füßen, aber ich schlief weiter.

Bewölkt. Ideales Fahrradwetter.

Wenn Punxy und Caesarion einander sehen, stoßen sie kleine Freudenlaute aus, selbst wenn sie nur fünf Minuten durch die geschlossene Tür getrennt waren. Dann streifen sie aneinander entlang, stoßen die Köpfe sanft zusammen, und wenn sie eng nebeneinander durch die Gegend laufen, bilden ihre hochgereckten Schwänze manchmal ein kleines Herz. Ich habe noch nie erwachsene Katzen gesehen, die so sehr die Nähe der anderen gesucht haben. Selbst wenn sie draußen sind und sich nebeneinander auf dem Zementboden sonnen, dann berührt eine Tatze die Tatze der anderen. Von der Persönlichkeit könnten sie verschiedener nicht sein. Ich habe den Eindruck, dass Punxy Caesarion gewählt hat. Manchmal zieht Caesarion meine Nähe der Punxys vor, manchmal liegt Punxy mit Cleo eng umschlungen unter dem Dach. Das ist auch ungewöhnlich, weil Cleo zu allen anderen Abstand hält und auch ihrem Sohn Caesarion manchmal einen Tatzenhieb auf die Nase verpasst, wenn er sie nervt. Es muss also die Magie von Punxy sein. Die wiederum stampert alle anderen Katzen von der Terrasse weg, mit ihrem wütenden, entschlossenen Blick und ihrem schrillen Geschrei und flitzt dann hinter ihnen her, bis sie sie aus dem Revier ums Haus vertrieben hat (natürlich kommen sie fünf Minuten später wieder zurück).

08:29

Punxy macht eine kleine Vorführung für Caesarion, der auf der Sonnenliege liegt. Eigentlich ist sie zur Hälfte Eichhörnchen, mit ihrem buschigen Schwanz und dem federleichten Körper. In Nullkommanichts ist sie auf den Olivenbaum geklettert, von dem sie in einem eleganten Sprung auf der Steinumrandung landet, um dann über den Platz vor dem Haus zu flitzen. Immer wieder hält sie inne und vergewissert sich, dass Caesarion auch zu ihr hinschaut.

Ich kann mich in ihrem Verhalten wiedererkennen. Wie ich als Kind in Bäumen kletterte, nach meiner Mutter gerufen habe. Sie sollte mich sehen und bewundern. Und viel später: Wenn ich verliebt war (was oft vorkam), wünschte ich mir, dass die geliebte Person plötzlich vor dem Fenster zum Aikidodojo stehen und mir zuschauen würde. Es geschah aber nie.

(Später)

Der Regen macht einen Strich durch meine Fahrrad-Pläne. Ich verliere mich in einem Bericht der New York Times:

Junge Frau lässt ihren Hund in einem Teil von Central Park, in dem Leinenpflicht besteht, weil er für Vogelbeobachter reserviert, frei laufen. Ein (schwarzer) Vogelbeobachter weist sie darauf hin. Sie weigert sich, den Hund an die Leine zu nehmen. Er fängt an, das Geschehen zu filmen. Sie droht ihm damit, dass sie die Polizei anrufen wird und sagen wird, dass ein Afro-Amerikaner sie bedroht. Er fährt damit fort, sie zu filmen. Während des Anrufs hält sie ihren Hund am Halsband fest und zieht daran, so dass dem Hund offensichtlich die Gurgel abgedrückt wird. Der Hund kämpft gegen die Behandlung an, sie packt härter zu. Im Gespräch mit der Polizei geht sie dazu über, eine unmittelbare Gefahr vorzutäuschen, indem sie atemlos ins Telefon schreit: „Ein Afro-Amerikaner bedroht mich und meinen Hund!“ Erst als das Telefongespräch zu Ende ist, klickt sie die Leine in das Halsband des Hundes, und der Vogelbeobachter bedankt sich bei ihr. Die Frau verliert am selben Tag den Hund. Das Tierheim, bei dem sie ihn vor zwei Jahren adoptiert hat, fordert ihn aufgrund ihres Verhaltens auf dem Video zurück. Am nächsten Tag verliert sie ihren Job bei einer prestigeträchtigen New Yorker Finanz-Firma. Bei den NYT-Lesern entbrennen Diskussionen darüber, wer Schuld hat, und ob der Vogelbeobachter einen Teil der Verantwortung für die Eskalation hat. Man könnte seine Worte "Wenn Sie das nicht tun wollen (den Hund an die Leine nehmen), dann könnte ich tun, was ich will, und es wird ihnen nicht gefallen." als eine Drohung verstehen. Andere fragen, ob es dem Rassismus in den USA abhelfen wird, wenn man das Leben der jungen Frau zerstört. Darauf erwidern andere, dass sie schließlich keine Sekunde zögerte, sein Leben zu zerstören. In einer öffentlichen Entschuldigung hat die junge Frau beteuert, dass sie nicht rassistisch ist. Der Vogelbeobachter weist darauf hin, dass es nichts bringt, ihr Leben zu zerstören, da Rassismus ein systemisches Problem ist.

Erinnerung daran, dass ich in Berlin einmal eine Gebührenaufforderung von der Polizei erhielt, weil ich meinen Hund im "Rübezahl-Park" ohne Leine laufen lassen hatte. Nachdem ich bei der Polizei angerufen hatte, wurde der Vorwurf fallen gelassen. Ich besaß nicht einmal einen Hund. Hinterher beschäftigte mich kurz die Frage, wer sich meines Namens (meiner Daten) bedient haben könnte, aber das Rätsel wurde nie geklärt.

(Abends)23:48

Es regnete fast den ganzen Tag und regnete durchs Dachfenster. Zum Glück fing meine Yogamatte einen Teil des Wassers auf. So wurde ich darauf aufmerksam, dass der Sonnenschutz am Dachfenster herunterhängt. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich nicht darum zu kümmern, aber da ich heute eine Aufgabe gesucht hatte, machte ich mich daran, ihn zu reparieren. Nach ich weiß nicht wie vielen Stunden und Versuchen gab ich auf, hatte den Rahmen aber demontiert und die Jalousie ausgebaut, so dass ich im Prinzip im richtigen Geschäft Ersatz bekommen könnte. Bloß wie findet man jetzt das richtige Geschäft? Manchmal habe ich das Gefühl, mich am Ende der Welt zu befinden.

Telefongespräch mit meiner Mutter, die zum Geburtstag ein Vogelhäuschen bekommen hat. Kein Vogel hat sich bisher blicken lassen, beschwert sie sich, klingt dabei aber gut gelaunt. Die müssen das erst lernen, dass es da was zu futtern gibt, sage ich. Sie ist jedes Mal wieder erstaunt und erfreut, dass ich sie von Lesbos anrufe. Von wo rufst du an? Von Lesbos, sagte ich. Das ist aber sehr nett von dir. Ich weiß nicht, ob sie es seit dem letzten Gespräch schon wieder vergessen hat. Inzwischen bin ich schon fast seit drei Monaten hier.

Malte meine Ansicht von Molyvos fertig. Zufrieden, dass ich sie zu Ende gebracht habe. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu sehr hinter der Wirklichkeit her hetze und dann die Freude am Malen verliere.

Am Abend saß der wilde schwarzweiße Kater vor der Tür und fraß heißhungrig aus der fast leeren Katzenschale. Ich gab ihm einen ordentlichen Haufen von dem Futter, das  die anderen Katzen ausnahmslos verschmähen. Ein Beweis dafür, dass keine von ihnen wirklich hungrig ist. Er blickte mich immer wieder durch die Glasscheibe an, wie um mich abzuschätzen. Ein Blick voller Misstrauen und Angst. Sobald ich mich bewegte, rannte er ein Stück davon, kam aber nach einer kurzen Weile wieder zurück und fraß weiter. Vielleicht gelingt es mir, ihn in den nächsten Wochen etwas zu zähmen und zutraulicher zu machen. Dann muss ich auch einen Namen für ihn finden.


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