Sonntag, 14. Juni 2020

LII - 24. Mai

2020/05/24 13:15

Sitze mit dem Pomera unter dem Olivenbaum.

[Einige Worte über den Pomera: Er ist ein eine Art elektronisches Notizbuch, entwickelt und produziert in Japan, und wird mit AA-Batterien betrieben. Der Pomera ist etwa so groß wie ein Operntäschchen (das Operntäschchen meiner Mutter, mit dem ich als Kind so gern gespielt habe - der glitzernde Klickverschluss, das seidige Material) und leichter als ein Taschenbuch. Er kann nur eine Sache: Schreiben.

Man braucht den Pomera nicht langatmig hochzufahren - man öffnet ihn einfach und hat sofort den Text vor Augen. Hinterher klappt man ihn zu, und der Text ist automatisch gespeichert. Zwei Batterien reichen mehrere Wochen, auch bei täglichem Gebrauch.

Ich bestellte vor zwei Jahren ein gebrauchtes Gerät in Japan, weil ich verzweifelt war darüber, dass ich mich beim "Schreiben" ständig auf irgendwelchen Internetseiten wiederfand. Es kam wie neu an, und ich habe den Kauf nie bereut, obwohl ich trotzdem kein Buch geschrieben habe.]

Blog-Update: Heute mit P hin- und hergeschrieben. Sie findet, ich soll hier so lange bleiben, wie es nur geht. Es gibt keinen Grund, nach Schweden zurückzukommen. Aber wie lange geht es? Mein Geld reicht, wenn ich vorsichtig bin, bis Ende des Jahres. Aber dann bin ich total pleite. Keine Sorge, schreibt sie. Wir kriegen das hin. Wenn du länger bleibst, kann ich z.B. deine Wohnung vermieten.

Bald bin ich drei Monate hier und muss eine EU-Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Mein Handy-Vertrag verliert nach drei Monaten im Ausland seine Gültigkeit, und auch wenn ich wegen Corona eine Verlängerung bekomme, muss ich mir bald ein griechisches Abo besorgen, alternativ alle Kommunikation über Wifi laufen lassen, was natürlich denkbar ist, aber auch unpraktisch. Das größte Problem dieser Variante ist, dass ich dann meine Mutter nicht mehr anrufen kann.

Die ursprüngliche Corona-Erregung ist abgeflaut. Ich schaue mir in der Süddeutschen Zeitung oder in der New York Times keine Zahlen mehr an. Ich habe in den letzten Tagen auch damit aufgehört, die politische Sektion der NYT zu lesen, weil ich das Theater nicht mehr ertrage, und gehe sofort zur Kultur.

Da überall die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden, was natürlich unumgänglich ist, schnellt das Risiko der Ansteckung global wieder in die Höhe. Hier auf der Insel ist man immer noch relativ sicher, aber das kann sich schnell ändern. Seit ein paar Tagen fliegen wieder Flugzeuge über die Insel. (Plötzlich wurde deutlich, in welcher Stille wir in den letzten Monaten gelebt haben.)

Im Moment habe ich nur einen einzigen Internetkurs. Es ist eine gewisse Internet-(Zoom-) Müdigkeit eingetreten bei den Menschen, auch bei mir.

Seit über einer Woche habe ich die Heizung (die auch das Wasser wärmt), ganz abgeschaltet. Es gibt einen Boiler auf dem Dach, in dem das Wasser von der Sonnenwärme angeheizt wird. Momentan reicht aber die Sonnenwärme noch nicht für eine Warmwasser-Dusche oder fürs Abspülen. Deshalb mache ich jeden Morgen eine "Bucket Shower". Fülle eine Waschschüssel mit Wasser aus der Wasserleitung und schütte kochend heißes Wasser drauf, bis eine angenehme Temperatur erreicht ist. Dann schöpfe ich das Wasser mit einer (in Indien gekauften) Plastikkanne über mich. Der einzige Nachteil ist die Enge in der Duschkabine, wenn außer mir da auch noch eine Waschschüssel steht. Ansonsten gefällt mir diese Art des Duschens. Sie ist auch sparsam, weil man nicht in Versuchung kommen kann, länger als nötig unter dem warmen Wasserstrahl zu stehen.

Bin immer noch in der Chatgruppe meines alten Arbeitsplatzes, was hin und wieder unterhaltsam ist, mich aber auch manchmal unangenehm in die alte Irritation zurückversetzt. Eigentlich würde ich jetzt die Chatgruppe gerne auf Zehenspitzen verlassen, aber das geht ja leider nicht. Also tue ich lieber so, als würde ich nicht existieren. Ein Zaungucker.

R ist heute mit Halsschmerzen aufgewacht. Er schickt ein Bild vom letzten Kartenspielabend: dick eingepackt sitzen sie um einen Tisch auf dem Hinterhof. Es war kalt und hat später geregnet, schreibt er, aber wir haben bis 23 Uhr ausgehalten. Kein Wunder, dass du heute Halsschmerzen hast. schreibe ich. Werde bald wieder gesund. Er antwortet: Du fehlst mir. Die Freundschaft zu diesem jungen Mann aus Afghanistan ist eine Bereicherung meines schwedischen Lebens.

Das tote, schweigende Haus auf dem Nachbargrundstück. Die ersten Jahre war hier nur eine Schafswiese. Wir hatten zwar von den "englischen oder holländischen" Eigentümern gehört, hofften aber, dass sie nie auftauchen würden. Vor einigen Jahren jedoch ging es mit den Bauarbeiten los. Der Lärm, die Bagger, das Hämmern, das Klopfen. Und bei jedem Besuch war das Ungetüm höher, nahm uns mehr von unserer Aussicht, drängte sich vor, im deutlichen Ehrgeiz, selber so viel Aussicht wie möglich in Anspruch zu nehmen. Der englische Besitzer stolzierte auf dem Grundstück herum, völlig von sich und seinem Projekt eingenommen. Er sprach immer nur von "seinem" Haus, obwohl seine Frau, die Ärztin ist, für den größten Teil der Kosten steht. Das Endprodukt ist ein völlig unproportionierter Bau, der zudem die gesetzlich zugelassene Gebäudehöhe überschreitet. Jeder weiß das. Wusste er das auch oder war Unwissenheit/Dummheit im Spiel? Musste er hinterher irgendeine Strafe bezahlen oder drückte er einfach nur zum richtigen Zeitpunkt dem richtigen Menschen Geld in die Hand? Die Eingangstreppe ist völlig überdimensioniert. Jeder, der das Haus sieht, staunt über die augenschreiende Hässlichkeit. Die Details - Fenster, Treppengeländer, Türen - sind geschmacklose Fabrikware aus Aluminium und Plastik. Dabei wäre es auf der Insel so leicht gewesen, schöne Holzfenster zu bekommen. Es ist völlig unverständlich, wie jemand im Geschmack so danebengreifen kann.

Mein momentanes selbstgeschaffenes Ziel: das Zähmen der Akanthus-Wildernis. Ps Ansicht nach ist der alte Gärtner daran schuld, dass der Akanthus sich mit so einer Aggressivität vermehrt und ausgebreitet hat. Jedenfalls hat der Akanthus nicht nur auf unserer Seite völlig überhand genommen, sondern, was noch schlimmer ist, auch bei unseren Nachbarinnen U und T. Als ich mich daran machte, dieser Invasion ein Ende zu setzen bzw. sie in Grenzen zu verweisen, die ich selber wählte, wusste ich noch nicht, mit welchem Gegenüber ich es zu tun habe. Jeden Tag um 18:00 widme ich jetzt genau eine Stunde der anstrengenden und frustrierenden Tätigkeit des Akanthus-Stechens, hinterher fahre ich ans Meer, um den Dreck von mir abzuwaschen und auf andere Gedanken zu kommen. P hatte mich davor gewarnt, dass die Wurzeln weit in die Erde hinabreichen, aber sie hatte nichts davon gesagt, dass der Akanthus ein Wurzelgeflecht hat, das von fingerdicken Strangen bis zu dünnen Äderchen reicht und das ganze Erdreich durchzieht.

Mein System besteht momentan darin, dass ich ca. 50 Quadratzentimeter Erde mit Hilfe von zwei bis drei 10l-Kannen Wasser aufweiche und dann mit Hilfe des Wurzelstechers und eines kleinen Spatens versuche, so viel wie möglich von den Wurzeln mitzukriegen. Die Pflanzen, die bereits  blühen, lasse ich stehen, beäuge sie aber täglich misstrauisch, um nicht den Augenblick zu verpassen, in dem verblüht sind und anfangen, ihre Samen in die Umgebung schießen.

Innerhalb von zwei Tagen habe ich PD James' "The Lighthouse" ausgelesen. Faszinierend, weil es darin u.a. um SARS, Tröpfcheninfektion, Mund-Nasen-Schutz, Sauerstoffgeräte, Quarantäne und Tracking geht. Ein Krimi etwas in Agatha Christie-Manier, in der alle Anwesenden als potentielle Mörder dargestellt werden. Ich bin enttäuscht gewesen von der Auflösung und von der Unantastbarkeit des „Commanders“ Adam Dalgliesh.

Ich suchte heute die Bücherregale nach einer neuen Lektüre ab. Dachte an Paul Austers Buch "Moon Palace", in dem die Hauptperson von einem Onkel Bücherkisten erbt, mit denen er seine Wohnung möbliert, und die er allmählich leert, indem er ein Buch nach dem anderen liest.

Katzengeschrei. Hamish, der schlapp unter der Forsythie gelegen hat, macht sich sofort humpelnd auf den Weg dorthin. D war vorgestern hier, um die zweite Katzenbox abzuholen, die ich momentan nicht mehr brauche, und wir redeten ein wenig über Hamish, der bei ihm "Micki" heisst. Es war nett, Katzenbeobachtungen auszutauschen. Ich weiß jetzt auch, dass "Sumo", der etwas traurig aussehende graue Kater mit dem weißen Gesicht, schon 16 oder 18 Jahre alt ist, was natürlich erklären kann, dass er so ein schlechtes Gehör hat. Vor drei Jahren war er wegen Nierenproblemen bei Myrsini in der Klinik und eigentlich gab es nicht viel Hoffnung, aber er hat sich wieder erholt, auch ohne Spezialfutter. Ich denke an Caesarion und hoffe, dass er auch noch ein paar Jahre hat - schließlich ist er erst etwa 9 Jahre alt. Er ist der liebenswürdigste Kater, den ich kenne.


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