Sonntag, 14. Juni 2020

LVII - 29.Mai

2020/05/29 09:25

Die Schreibroutine funktionierte natürlich nicht - der Erfolg war, dass ich fast nichts gemacht habe, außer einem Treffen mit C bei Ignatios. Versuchte mein Griechisch vorzuführen, fiel aber auf die Nase. Vorbereitung für den Internetkurs. Jahresversammlung unseres Wohnvereins. Ich bin auf Zoom mit dabei. Wir sitzen ein weiteres Jahr im Vorstand. Abends zeichnen. Ein Haus in Molyvos.

Gegen Mitternacht hat Cleo eine Kotzepisode, die nicht nur mich, sondern auch sie völlig erschöpft. Am Ende kommt nur noch schaumige Flüssigkeit. Ich fürchte, dass sie irgendwo Gift gefressen hat, dass mir hier vor der Nase wegstirbt (ich habe das von anderen gehört), aber nach zahllosen Konvulsionen beruhigt sie sich und setzt sich auf den Tisch, während ich mit Klopapier, Spülwasser und Schwammtuch durch die Wohnung robbe, Bettwäsche und Bettüberwurf unter dem Dach abziehe und zur Waschmaschine bringe (Julia rennt mir im Stockdunkeln zwischen den Beinen herum), und mich dann mühsam beruhige. Es ist schon nach eins, als ich das Licht ausmache. Über Nacht war Cleo draußen, und in der Früh war ich etwas unruhig, dass sie vielleicht die Nacht nicht überlebt hat. Sie saß nicht, wie üblich, auf der Sonnenliege direkt neben der Tür. Aber nach einer Weile tauchte sie auf der Terrasse auf, kam herein und fraß hungrig aus der Friskies-Schale. Das Spezialfutter beschnuppert sie jetzt nur misstrauisch.

P war in der Nacht eingeschaltet (bei ihr war es eine Stunde früher) und googelte, dass vereinzeltes Übergeben darauf hinweist, dass die Katze etwas Unpassendes gegessen hat. Nur wiederholtes Übergeben kann auf eine Krankheit hinweisen. Cleo sieht mitgenommen aus und hat sich jetzt zum Schlafen unters Dach zurückgezogen.

23:43

Mit dem Fahrrad nach Kalloní. Hinter Petra sah ich die schwarzen Wolken, und irgendwann fing es dann an zu regnen. Viel schieben, dann das Fahrrad wieder laufen lassen, aber immer die Bremsen gezogen. Einmal längere Pause, weil mein Herz verrückt spielte. Alle Szenarien, die man im Kopf so durchgeht.

Die Zeit in Kalloní war dann eher von Stress gekennzeichnet. Am Ende hatte ich viele Kilo Katzenfutter, Katzensand und einen Handmixer am Fahrrad hängen. Mein Lieblingsgeschäft, Agrotiki Stegi, für mich immer noch mit dem Drama um Cleos Sterilisation verbunden. Ich warf einen Blick in den Behandlungsraum hinein und kriegte noch nach fast acht Jahren einen Hieb in die Magengegend. Es ist ein Riesenladen, im dem die Schaffarmer, die Olivenbauern, die Pferdebesitzer einkaufen. Ich nahm einen Löwenzahnstecher, der in der Gartenabteilung herumlag, aber an der Kasse wusste niemand, was er kostete. Bestimmt zehn Minuten wartete ich, bis endlich ein Preis ermittelt war - zum Glück hatte ich es nicht eilig.

Beschloss, den Bus zurück zu nehmen. Kaufte mir in einem Café am Busbahnhof einen guten Cappuccino und ein Schokoladencroissant. Es fing an, richtig zu schütten. Die meisten der wartenden Busgäste hatten sich ins Café zurückgezogen. Ich schob mein Fahrrad und meine schweren Tüten in den Gepäckraum und setzte mich dann mit Mundschutz in den hinteren Teil des Busses. Später im sonnigen und trockenen Molyvos war es schwer zu begreifen, dass ich heute schon solche Strapazen hinter mich gebracht hatte. Jätete einige kleine Akanthus-Schößlinge. Machte die neugekauften Griffe an die Lenkstange des Fahrrads. Räumte das Zimmer auf. Klebte die alte Sonnenblende provisorisch ans Dachfenster, mit neugekauftem extrastarkem Klebeband. Machte Spaghetti mit Auberginensoße und gerösteten Brotcroutons. Kurs-Update, in der letzten Minute. Holte mit der Taschenlampe Wasser vom Brunnen. Las die New York Times, die unter dem Bann des ungehemmten Idioten steht, der es geschafft hat, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden und dessen einziges Ziel, immer wieder die Aufmerksamkeit auf seine Person zu ziehen, leider auch immer wieder gelingt.

Ein unmotiviert brutaler Übergriff eines weißen Polizisten in Minneapolis auf einen Schwarzen (George Floyd), der zum Tod des Mannes geführt hat, hat jetzt über das ganze Land meist friedliche Proteste ausgelöst, die aber auch immer wieder zu Straßenkämpfen und Plünderungen entarten. Inzwischen ist der verantwortliche Polizist wegen Mord dritten Grads verhaftet worden, viele sind aber der Meinung, dass das nicht reicht. Der Handyfilm eines Passanten zeigt, wie er auf dem Hals des Festgenommenen kniet, die Hand lässig in einer Hosentasche. Er verändert die Position nicht, selbst als der Mann wimmert, dass er nicht atmen kann und schließlich schlaff daliegt. Trump heizt die Stimmung auf Twitter an, droht mit harter Gewalt. Twitter reagiert zum ersten Mal und markiert diesen Tweet als gewaltverherrlichend. In der Zwischenzeit haben Trumps Anhänger seinen hetzerischen Tweet aber schon in großer Zahl geteilt.

Der Busfahrer mit den langen Haaren im Pferdeschwanz, den muskulösen Armen, dem Mundschutz, den er zuerst unter die Nase gezogen hatte. Woher ich komme, fragte er, als in Petra alle anderen Passagiere ausgestiegen waren, um in einen Bus Richtung Anaxos einzusteigen, der aussah wie ein 60er-Jahre-Modell, etwas aus einem alten Film. Ich dachte auch daran, dass er aussah wie ein Bus, der seine Passagiere in eine Art Phantasieland bringt.  Deutschland, antwortete ich dem Busfahrer. Er sagte nichts weiter, aber das Schweigen, in dem wir weiterfuhren, war freundlich. In Molyvos half er mir, das Fahrrad aus dem Gepäckraum zu hieven.


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