Sonntag, 14. Juni 2020

LXVII - 13.Juni

2020/06/13 07:22

Der Geruch war unmissverständlich. Ich hasse mich selber, war mein erster Gedanke. Es geschah jetzt zum zweiten Mal diese Woche, dass ich aus Gedankenlosigkeit die Kichererbsen auf dem Herd vergaß. Obwohl Gedankenlosigkeit nicht das richtige Wort ist. Es sind zu viele Gedanken. Zerstreutheit. Ich stand grade mit dem Handy in der Hand neben dem Schuppen mit dem Handy und schaute nach, wer meine Facebook-Einlage von gestern geliked hatte. "Geliked". So ein Wort. "Gemocht". Es klingt gleich lächerlich, entlarvend, wenn man es auf Deutsch sagt. Das Handy hatte ich gestern vor dem Schlafengehen in eine der Gepäcktaschen am Fahrrad gesteckt, das im Schuppen steht. Ps Fahrrad, von Spinnweben überzogen. Ich schlief bis fünf und stand dann auf, mit dem festen Entschluss, mein Leben heute in die richtigen Bahnen zu lenken.

"Du kriegst nichts fertig." Der Fluch meiner Mutter. Meine hilflose Liebe zu ihr verwandelte sich in Wut. Dann das Urteil: "Du bist böse."

Es war noch dunkel im Zimmer, ich schaltete das Licht ein. Die Katzen strichen um meine Beine. Hinein, hinaus. Wenn ich Agnes füttere, jagen die anderen sie weg. Sind Katzen böse? Moralische Kategorien sind ihnen egal. Sie handeln ohne zu denken, ohne schlechtes Gewissen, ohne über sich selber zu urteilen. Es scheint jedenfalls so.

Die Bilder, die ich gestern auf Facebook in der Gruppe "Molyvos Friends" teilte, wurden so oft geliked, dass ich ganz erschöpft war. Es freute mich, aber ich fühlte mich von den gutgemeinten Kommentaren vereinnahmt, in die Zange genommen. Als würde meine wunderbare Isolation, die Anonymität, in der ich mich so wohlfühle, bedroht. Dabei habe ich mich in der letzten Zeit hin und wieder "einsam" gefühlt, etwas melancholisch, in der Zwickmühle. Die Hitze. Die Eintönigkeit meiner Tage. Meine Probleme damit, die Finger vom Handy zu lassen. Es juckt irgendwo in mir, ich gebe nach, scrolle, klicke, lasse mich treiben, und schon ist wieder eine halbe Stunde vergangen. Es fällt mir offensichtlich schwer, so eine Welle von Zuneigung und Begeisterung ganz einfach anzunehmen. Das Moped, das ich am Abend malte, wurde dann auch nichts. Die Proportionen stimmten nicht, ich verschüttete etwas von meiner wertvollen Tinte auf dem Tisch, versuchte die Pfütze mit meinem Füller aufzusaugen, aber das meiste musste ich wegwischen, in den Abfall werfen.

Mehrere Male am Tag muss ich das Katzenfutter, das noch auf der Terrasse ist, von Ameisen befreien. Jedes Trockenfutterstückchen klaube ich auf, blase die Ameise(n) davon weg, lege sie dann in den Messlöffel, mit dem ich das Futter abmesse. Dann fege ich die Ameisen von der Terrasse. Meine Vorsicht und Zurückhaltung den Insekten gegenüber hat sich gewandelt. Wenn ich mich im Bett von krabbelnden, schwirrenden, brummenden, flatternden Insekten vereinnahmt fühle, schlage ich manchmal um mich. Klaube ein Tier auf, das unter mein T-Shirt gekrabbelt ist. Mein Körper ist voller aufgekratzter Stiche, Beulen und Beißwunden. Ich schlage ein Buch zu, auf dessen Seiten eines der winzigen Insekten krabbelt, die ich im Verdacht habe, für einen großen Teil meines nächtlichen Unbehagens zu stehen. Ich habe mir ein Mückenspray gekauft, das die Mücken zwar dazu bringt, kurz vor  dem Ziel zu wenden, aber nicht davon abhält, um mich herum zu surren. Gibt es ein Verb für das Geräusch, das Mücken machen? Es fällt mir gerade nicht ein. Es ist auch sinnlos, sie zu erschlagen. Es kommen ja neue nach. Man tut es nur in einem Impuls der Selbstverteidigung. Ich werde sinnlos angegriffen, ausgesaugt. Warum nicht einfach mein Blut trinken, warum eine juckende Stelle hinterlassen, die mich hinterher eine Woche plagt, die sich entzündet, auswächst zu einer Geschwulst?

Und Ps Mail, in der sie eine Zukunft ausmalt, in der wir uns hier auf Lesbos abwechseln. Mir ist in den letzten Tagen klar geworden, was P und meine Beziehung für mich bedeutet: bedingungsloser Rückhalt. Normalität. Eine Erlösung von meinem Getriebensein, von den Dramen der Leidenschaft und der ständigen Angst, wieder fallen gelassen zu werden. Oder vereinnahmt, was schlimmer ist. Ich muss mich nur gegen ihre Planungssucht wehren. Sie ist nicht die beste Zuhörerin, aber sie lässt mich trotzdem immer reden. Ein interessanter Widerspruch.

3 Tage hintereinander habe ich mich nicht wohl gefühlt. Ich muss es mir erlauben, den Tag auf dem Bett zu verbringen, ohne deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben. Noch immer habe ich ein Schlafdefizit und fühle mich zu schwach, um irgendeine Initiative zu ergreifen. Wenigstens habe ich grüne Bohnen gekocht und mir einen Salat mit Thunfisch gemacht, den ich  auf der Terrasse gegessen habe.

Cleo: Es fällt mir schwer, mein Gefühl der Zuneigung für diese kleine, stille Katze in Worte zu fassen. Vielleicht ist sie der Grund dafür, dass ich es nicht fertig bringe, an meine Heimreise zu denken.


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