Sonntag, 14. Juni 2020

LVIII - 30.Mai

2020/05/30 09:34

Wachte wieder viel zu früh auf, in den schönen rosa Morgenstunden, aber da ich das Licht wieder so spät ausgemacht hatte, war ich nicht ausgeschlafen. Las weiter über den Aufruhr in den USA in der New York Times. Meistens bleibe ich in der Leserbriefsektion hängen, scrolle endlos weiter, lese Kommentar um Kommentar, sehnsüchtig nach Zeichen von Menschlichkeit und Verstand, Bildung und Nachdenklichkeit. Muss mich dazu zwingen, das iPhone aus der Hand zu legen. Das hat Trumps Präsidentschaft aus mir gemacht - einen Nachrichtenjunkie. Seit bald vier Jahren ist jede Andeutung der Hoffnung auf ein Ende dieses Alptraums zerschlagen worden, bisher hat er alle Skandale unbeschadet überstanden. Wenn überhaupt, dann wird er hinterher noch gewagter, noch ätzender, noch hetzerischer. Seine Basis frisst alles, was er ihnen vorsetzt, weil er ihnen das Gefühl gibt, in ihrer Schäbigkeit etwas Besonderes zu sein. Er gießt Benzin in jedes Feuer, und sie jubeln, weil sie sich endlich lebendig fühlen, weil endlich Hass und Rassismus und rüpelhaftes Verhalten einen Anführer gefunden haben.

Und was findet er an ihnen? Er ist getrieben von einer unendlich großen, nie zu sättigenden Gier nach Bestätigung. Er hat entdeckt, dass sein Ton bei einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung ankommt, und jetzt tut er alles, um sie nicht zu verlieren. Aus seiner gähnenden inneren Leere kann er nur Anschuldigungen, Verschwörungstheorien, Lügen speien. Die Republikaner schauen zu, mit verschränkten Armen. Letztlich geht es um Geld, um Macht.

In ein paar Tagen habe ich vielleicht gar keine Mobile Data mehr und muss alles übers Wifi machen. Vielleicht wird mein Leben dann ruhiger, gelassener. Vielleicht renne ich aber auch wie ein Jojo zwischen dem Haus und dem Teepavillon hin und her.

Die Jalousie, die ich vor ein paar Tagen vom Dachfenster abgeschraubt habe, um sie zu reparieren, ist jetzt im Limbo gelagert. Stundenlang kann ich darüber nachdenken, was für eine Lösung ich dafür finden könnte (sie darf ja nichts oder kaum etwas kosten). In Kalloní wurde ich gestern nicht fündig - es war, als wüsste niemand, wovon ich eigentlich sprach.

Manchmal höre ich den Gesang der Vögel, das Gurren der Tauben, das Geschrei der Möwen. Ich höre die Motorgeräusche von der Straße, die blecherne Stimme eines Verkäufers, der seine Ware über den Auto-Lautsprecher anpreist. Ich höre die Geräusche, die ich selber mache, wenn ich z.B. Wasser einschenke, die Katzenfutterschalen auffülle, ein Schraubglas öffne, etwas aus dem Kühlschrank  nehme. In solchen Augenblicken wird mir deutlich, wie sehr ich die allermeiste Zeit meines Lebens in Gedanken versunken bin (sogar wenn ich auf dem Meditationskissen sitze).

Mein großes Problem im Zusammenhang mit meinen Schreibkursen ist, dass ich mit einem ständigen Legitimitätsproblem kämpfe. Woher nehme ich das Recht, den anderen zu sagen, was sie zu tun haben? Was weiß ich denn schon? Da ich mich nicht als ein leuchtendes und erfolgreiches Beispiel eines schreibenden Menschen sehe, sondern eher als ein ziemlich missglücktes Exemplar, habe ich manchmal die Angst, ich könnte sie in den Abgrund ziehen, in dem ich mich bereits befinde.

Ganz ohne Kommentar respektierten die Passagiere im Bus gestern die Abstandsregeln. Es fällt mir aber erst jetzt, im Nachhinein, auf.

Ich saß abends am Tisch und zeichnete und pantschte mit den Farben. Auch was zwischendurch völlig unmöglich aussieht, gefällt mir hinterher, zu meiner eigenen Überraschung.


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