Sonntag, 14. Juni 2020

LXVI - 10.Juni

2020/06/10 16:41

Der Käfer: Sah einen schwarzen Fleck auf der Terrasse, vor der Terrassentür, als ich am Morgen hinausging, um die Tomaten zu gießen. Mein Gehirn kam nach einer Weile zu dem Schluss, dass es ein toter  Käfer sein musste. Ich gin hin, um ihn wegzuräumen, aber als ich mich bückte, sah ich dass er nur auf dem Rücken lag. Seine Beine bewegten sich. Es war ein riesiger Käfer. Ich drehte ihn um und schaute, ob er auch noch vollständig war, oder ob die Katzen ihn irgendwie beschädigt hatten, während sie ihn (wahrscheinlich) durch die Luft gewirbelt hatten. Es schien noch alles dran zu sein, aber er wollte sich nicht bewegen. Ich hörte einen Laut, wie ein Zischen, und dann dachte ich sofort an Gregor Samsa. Ich hatte noch nie das Zischen eines Käfers gehört, nur bei Kafka davon gelesen. So wie Gregor Samsa kam mir auch dieser Käfer ziemlich einsam, mitgenommen und unglücklich vor. Ich nahm ihn in die Hand und setzte ihn auf das Mäuerchen neben dem Olivenbaum, um zu sehen, ob es ihm dort besser gefallen würde. Er zischte wieder, vor Angst oder Wut, ich weiß es nicht, und blieb einfach unbeweglich sitzen. Vielleicht Hunger, vielleicht Durst, dachte ich. Was frisst ein Käfer? Bienen gibt man Zuckerwasser, wenn man sie erschöpft irgendwo liegen sieht. Ich dachte, Honig und Wasser könnten vielleicht nicht ganz falsch sein. Ging ins Haus, nahm etwas Honig und Wasser auf einen Teelöffel und ging wieder hinaus, um es ihm vor die Nase zu halten. Zischen. Er stieg mit einem Bein in den Löffel, was in mir Hoffnung weckte, aber dann war es schon wieder vorbei mit seinem Tatendrang. Caesarion war neugierig geworden und kam näher, aber er hielt sich zurück. Ich ging wieder ins Haus, dachte, es wird schon einen Grund dafür geben, dass er nicht frisst oder trinkt. Vielleicht ist ihm ja in der Nacht so Übles widerfahren, dass er jetzt ein Trauma hat und ganz einfach sitzen bleibt und vor sich hin stirbt. Vielleicht trinken Käfer auch nicht. Vielleicht fressen sie keinen Honig. Hin und wieder schaute ich nach, ob er noch da saß. Er tat es, bis er dann ganz plötzlich weg war. Hoffentlich ein Happy End, ein vorläufiges jedenfalls.

Die Schildkröte: Ein ungewohntes Rascheln machte mich neugierig. Ich ging aus dem Haus und lauschte. Ich hatte einmal eine Schlange gesehen, die sich aus dem Rosmarinbusch ringelte, und dachte, dass sie es vielleicht sei. Aber das Rascheln klang anders. Vielleicht eine neue Katze, dachte ich. Da tauchte der Panzer einer Schildkröte auf. Weil mich der Anblick so glücklich machte, ging ich etwas zu plötzlich näher. Sie hielt sofort inne. Also zog ich mich wieder zurück. Nach einer Weile fühlte sie sich so sicher, dass sie ihren Spaziergang fortsetzte. Ich saß ganz still auf den Treppenstufen vor dem Haus. Sie ging an mir vorbei. Ich sah ihren Kopf, ihre Augen, hörte das Klicken ihrer Tatzen, fragte mich, wie alt sie wohl schon sei und ob sie schon länger hier wohnte. Ich habe in den letzten Tagen manchmal eine Katze vor dem Rosmarinbusch sitzen sehen, nicht auf dem Sprung, sondern eher neugierig, eine Neugierde, die ich von Lakshmi kenne, wenn sie im Garten einen Igel entdeckt.

Die Schildkröte spazierte dann gemächlich weiter, umrundete das Mäuerchen beim Olivenbaum und machte sich daran, die Schafgarbe abzuzupfen. Im Gehen nahm sie dann noch eine gelbe Löwenzahnblüte mit, die schnell in ihrem Maul verschwand, und dann verschwand sie ihm Gebüsch. Ich stellte ihr einen Untersetzer mit Wasser hin und legte ein Salatblatt hinein, in der Hoffnung, sie eine Weile hier behalten zu können. Leider habe ich sie (das schreib ich einige Tage später) seitdem nicht mehr gesehen.

Später fuhr ich ins Dorf, in den Laden neben der Olivenpresse, der eine Art Bauernmarkt ist. Kaufte Mastix, weil ich heute aus Avocadokernen eine Tinte herstellen wollte und hoffte, dass man Gummi Arabicum durch Mastix ersetzen könne (man kann es nicht, weiß ich jetzt). Außerdem kaufte ich einen weiteren Sack Erde, einen großen Ladotiri und griechische Zitronen (Theodos hat momentan nur welche aus Südafrika). Ich hatte vor, Zitronensirup zu machen, mit einer Mischung aus Salz und Zucker, und die übriggebliebenen Schalen - und Fruchtreste zu einer Mischung zu zerkleinern, die sich als Geschmacksverstärker anwenden lässt. Der Sirup ist gelungen. Vermischt mit Wasser und mit einem Eiswürfel ergibt das ein erfrischendes Getränk, ideal bei dieser Hitze. Die restliche Pampe habe ich mit etwas Sirup und noch mehr Salz vermischt und will sie jetzt noch etwas stehen lassen und sehen, was passiert.

Die Tintenherstellung war ein ziemlicher Reinfall. Ich hatte nicht genau genug nachgeschaut, sonst hätte ich wissen müssen, dass Mastix sich in Wasser nicht auflöst. Am Ende landete der Mastix an der Topfwand und am Rührbesen anstatt in der Tinte. Es wurde eine riesige Abspülerei. Die Tinte kann man verwenden, auch wenn sie vom Papier sofort aufgesaugt wird. Ich habe sie mit Ouzo und Gin haltbar gemacht.

Heute früh öffnete ich einen der großen Olivenölkanister mit dem Dosenöffner, goss die Olivenölschlacke ab und füllte Erde hinein. Inzwischen habe ich sechs Töpfe mit Tomatenpflanzen. Da ich den einen Topf mit der lehmigen Erde vom Grundstück gefüllt habe, die fast keine Nahrung enthält, vergrabe ich dort jeden Tag Teebeutel, Kaffeesatz und zerkleinerte Bananenschalen. Drei Töpfen sind mit der Erde aus der Komposttonne gefüllt, ohne jeglichen anderen Zusatz, und zwei Töpfe mit gekaufter Blumenerde.

Gestern habe ich erfahren, dass am 2.Juli alle Nachbarn anreisen werden. Vielleicht ist es gut so, dass ich mich allmählich daran gewöhne, wieder andere Menschen um mich zu haben, obwohl mich der Gedanke zunächst mit Widerwillen und schlechter Laune erfüllt.


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