Donnerstag, 26. Dezember 2013

Berlin in schwarzweiß

Als ich 23jährig nach Berlin kam, war ich unentschieden, ob ich mich dem Studium widmen sollte oder dem Schreiben. Einmal brach ich das Studium ab und begann in einer Großküche zu jobben, ging aber im nächsten Semester an die Universität zurück. Ich konnte meine Kräfte nie voll auf das richten, was ich tat, war immer abgelenkt, andauernd mit Flucht beschäftigt. Ich lebte in einem anhaltenden "Nein" oder "Vielleicht", einer komischen Denkschleife, in der ich nicht weiterkam. Das Große, von dem ich dachte, dass es auf mich wartete, gab sich nicht zu erkennen. Das, was ich mir wünschte, brachte ich nicht fertig. Immer noch fühlte ich mich wie ein nicht ausgebrütetes Ei, im Warten begriffen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich damals schrieb oder was es war. Ich drückte mich in Papierläden herum, kaufte große Papierbögen, Stifte, Schreibbücher, setzte mich damit in die Universitätsbibliothek, aber nichts von dem, was ich eventuell schrieb, ist heute übrig. In meinem Körper war ich nicht zu Hause, und es fiel mir schwer, Kleidung zu finden, in der ich mich wohlfühlte. Ich versteckte mich. An meine Wohnungstür hängte ich ein Schild mit der Aufschrift "Dr. Franz Kafka".

Mittwoch, 25. Dezember 2013

Ein Traum vom Schreiben

Ich wachte in der Nacht um 3 Uhr auf, hatte Angst, dass ich nicht wieder einschlafen könnte, legte mir wieder die Hände auf das Herz, auf den Bauch. Schlief dann, träumte, dass ich in einem Kurs etwas schreiben sollte, einen Text über meine Kindheit (Kurs unter der Leitung von S und J), dass ich aber keine Ruhe fand, ständig mit dem Computer umzog, obwohl ich eigentlich überzeugt davon war, dass mein Text ganz außerordentlich werden würde und dass es außerdem überhaupt kein Problem für mich wäre, ihn in der vorgegebenen Zeit zu schreiben. Je weiter der Traum fortschritt, desto sicherer schien es jedoch, dass ich den Text nie abschließen, vielleicht nie damit anfangen würde, während alle anderen meiner Kurskameraden ihre Texte schon geschrieben hatten, mit weniger Widerstand, weniger Ehrgeiz, weniger Überzeugung von ihrer eigenen Vortrefflichkeit.

Die Geschichten der Mutter, erzählt am Weihnachtsabend.


1. Wir (meine Schwester und ich) hätten sie geärgert, irgendwann vor vielleicht 35 Jahren. Ständig hatten wir etwas an ihr auszusetzen. Sie fuhr mit dem Auto weg, wollte ein paar Tage in Nürnberg verbringen, sich dort ein Zimmer nehmen, so dass wir merken würden, wie es sich anfühlte, ohne sie zu sein. Auf der Autobahn fing das Auto an zu stottern und sie brachte es in eine Werkstatt. Sie musste das Auto dalassen und mit dem Zug nach Hause fahren. Die Frau des Automechanikers brachte sie (mit Lockenwicklern) zum Bahnhof. Meine Mutter setzte sich zumindestens noch kurz in das Bahnhofscafé, um die Zeit hinauszuzögern, bevor sie mit dem Zug nach Hause fuhr. Mein Vater öffnete ihr die Wohnungstür. Sie ging in die Küche, wo wir (meine Schwester und ich) saßen. Angeblich sagten wir (zueinander), kalt, böse: "Da ist sie wieder." Keine Umarmung, kein "Endlich-bist-du-wieder-zuhause-wir-haben-uns-solche-Sorgen-gemacht".


2. Sie beneidete ihre Klassenkameradin Gertie, die als Einzige der alten Freundinnen keine Kinder hatte, um ihre Freiheit. Stellte sich das Leben ohne Kinder schön vor, sorgenlos, ohne Ärger. "Aber jetzt", sagt sie, "wenn ich Gertie sehe, dann denke ich, was für ein armes Leben." (Ich hörte als Kind und junge Frau immer nur die Kummer-, Ärger-, Sorgenversion, die Version des versäumten Lebens, der Unfreiheit, der ständigen Reue, also beschloss ich, nicht in dieses Karussell einzusteigen, sondern ein familienfreies Leben zu führen, ich ahnte wohl auch, dass ich mich mit dieser Geschichte im Gepäck nicht zur "Glücklichen Mutter" eigne).Tatsächlich habe ich mein Leben auch nicht eine Sekunde lang als arm empfunden, bin ich im Gegenteil oft froh gewesen um dieses kühle, atemberaubende Alleinsein, die Möglichkeit zum ständigen Experiment.


3. Als meine zwei Jahre ältere Schwester in die Schule kam, lernte ich mit ihr. Eines Tages kam ich, vierjährig, mit einem Bilderbuch zu meiner Mutter und las ihr daraus vor. Meine Mutter glaubte zuerst, ich hätte das Buch auswendig gelernt und brachte mir ein anderes Buch, aus dem ich ihr auch vorlesen konnte. Zu dieser Geschichte gehört die Fortsetzungsgeschichte "Bei der Schulärztin". Klein und zart für mein Alter und die Jüngste in der Klasse, sagte die Schulärztin bei der Untersuchung, bei der die Schulreife festgestellt werden sollte, offensichtlich zu mir "Du kleines Mäuschen bleibst vielleicht lieber noch ein Jahr zuhause", worauf angeblich die Lehrerin einwarf, "Nein, sie bleibt nicht zuhause, sie ist mein bestes Stück."


4. Meine Mutter sagt, so oft hätte sie meinen Vater verlassen wollen in all den Jahren, aber jetzt nicht mehr, "jetzt bleibe ich bei ihm". Sie hätten es halt ausgehalten. Das machte ja heute keiner mehr. Es aushalten. Später im Bett lese ich ein Grimms Märchen von den "Drei kleinen Männchen", in dem der Witwer, dem eine Witwe über den Umweg ihrer Tochter einen Heiratsvorschlag macht, verwirrt sagt: "Was soll ich tun? Das Heiraten ist eine Freude und ist auch eine Qual." (Das Märchen endet aber unglücklich für die Witwe und ihre Tochter, die, wie sich zeigt, böse, neidische Menschen sind.)

Samstag, 21. Dezember 2013

Schürfungen (Hautabschürfungen)

"Schon ist diese Wohnung (am dritten Tag) vom Netz unserer Bewegungen durchzogen. Endlich konnten wir in diesem Bett mit dem roten Spannbettuch aus Frottee, vor dem kleinen Fenster am Kopfende, das zu den Gleisen hinausführt, uns berühren, endlich waren unsere Körper aus der Spannung entkommen, die diese neue Umgebung und dieses neue Leben über sie gelegt hatte. Eine Haut hatte sich über der Haut gebildet; in der letzten Nacht sind wir herausgekrochen, die Hände, die Zungen waren überall." (1998)

Freitag, 20. Dezember 2013

Fußbodenthematik (Fortsetzung) + Traum

Ich nahm heute dann doch den großen Pinsel hervor, nutzte die Abwesenheit der Katzen aus, die vorübergehend bei P untergebracht sind, und übermalte einen großen Teil des Bodens neu. Fast immer mache ich solche Arbeiten im Vorübergehen, oder eigentlich versehentlich, ich fange irgendwie an (meine Rastlosigkeit), obwohl ich etwas anderes tun sollte (z.B. heute frühstücken, duschen, nach der Heimkehr von der Arbeit am frühen Morgen), habe dann schon mal angefangen und mache also weiter. Die gelassene Freude von Menschen, die zur rechten Zeit tun, was getan werden muss, stellt sich bei mir deshalb normalerweise nicht ein, jedenfalls nicht während der Arbeit, aber eine andere Art der Freude schon. Die Freude über den jetzt weiß glänzenden Fußboden, den ich nicht mehr verschämt unter einem seltsamen Teppich verstecken muss.


Ich träumte auch in der Nacht, mehrere Alpträume hintereinander, kann mich aber genauer nur an einen erinnern, die Ermordung eines Mannes mit langen braunen Haaren. Wer die Mörder waren, weiß ich nicht, ich kannte sie aber. Er wurde durch die Luft geschleudert (Gab es eine Schleuder? Es gab einen Abgrund!) und zwar so, dass er mit den Füßen zuerst am Boden aufkam. Das war an dem Ganzen irgendwie wichtig. Dass er mit den Füßen zuerst aufkam, steigerte die Grausamkeit. Dass er von den Füßen her gestaucht wurde, dass er an seinem eigenen Gewicht starb. Es war so böse, so gemein. Er kam ja mit dem Boden in Kontakt, als hätte er nur einen kleinen Sprung gewagt, als wäre er gerade noch mal davon gekommen. In dem Moment hatte ich Augenkontakt mit ihm. Die Beine verschwanden total. Ich weiß nicht mehr, ob ich vom Traum aufwachte oder davon, dass E meinen Namen rief und mich so rettete.

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Fußbodenthematik




Wie ich mit den Katzenkratz-Stellen im weißen Fußbodenlack umgehen sollte, war übrigens ein mentales Dauerthema der letzten Monate/Wochen. Ich plante, das Ganze gründlich anzugehen, vielleicht das Zimmer auszuräumen, den Boden komplett abschleifen zu lassen oder zumindest die jeweiligen Stellen mit Sandpapier zu bearbeiten etc. Meine jetzige (gestern Abend kurzerhand in Angriff genommene) Lösung besteht darin, dass ich mit einem kleinen Pinsel einfach drübermale. Schluss, fertig. Jetzt nehme ich mir vor (nicht zum ersten Mal), dass ich diesen Pinsel jedes Mal hervornehme, wenn ich das Zimmer sowieso putze. Der Boden sieht sofort viel besser aus, macht mir nicht so viel Sorge, verwandelt sich nicht in Seelenmüll.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

[Nachlese]

[Es bereitet mir übrigens neuerdings Vergnügen, in meinem Blog herumzustreunern. Ich bin dann so im Nachhinein doch irgendwie froh, dass ich all diese kleinen Krumen ausgestreut habe, auch wenn sie mir zum Zeitpunkt ihres Entstehens nichtsnutzig vorkamen und sogar blöd]

Es ist schon ein ziemliches Rätsel

Es ist schon ein ziemliches Rätsel, warum ich immer noch hier lebe. In diesem Land, das mit mir eigentlich nichts anfangen kann, mit dem ich eigentlich nicht besonders viel anfangen kann.

In dieser grauen Trostlosigkeit, diesem niemals endenden inneren November.

Vielleicht ist das die ultimate Trostlosigkeit, die ich gesucht habe, diese maximale Heimatlosigkeit, dieses ungedämpfte Gefühl des Alleinseins. Gibt es überhaupt etwas anderes für mich? (Wenn nein, was die wahrscheinliche Antwort ist, warum eigentlich nicht?)

Irgendwie, so dachte ich mal des Nachts, lebe ich in meiner Wohnung wie ein Asket in seiner Höhle. Kommt von hier aus irgendeine Einsicht, ein heiliger Funke?

Vielleicht habe ich immer Erzählungen von Menschen geliebt, die mit abgeschnittenen Fingerhandschuhen in schlecht geheizten Zimmern in irgendwelchen Industriegebäuden lebten, mit stinkendem Ölofen, einem Schal um den Hals, aber immer mit irgendetwas beschäftigt, nein, nicht beschäftigt, sondern IN ETWAS VERTIEFT.

Es diese VERTIEFUNG, die mir abgeht. Ich komme über die "Beschäftigung" nicht hinaus.

Wann, so fragte ich mich auch, hat mein Leben eigentlich angefangen, hauptsächlich vom Überleben zu handeln? Damit meine ich das finanzielle Überleben, das Dach überm Kopf, das Brot auf dem Tisch.


Montag, 16. Dezember 2013

Nachtwachgedanken

In der Nacht war ich wach. Wörter tauchten auf, die mir irgendwie gut vorkamen, passend, zutreffend auf mein Leben.

Ich dachte: 'Ich müsste all diese Wörter auf blaue Zettel schreiben.'

Warum blaue Zettel? Es erschien mir selbstverständlich, dass diese Zettel blau sein müssten.

Natürlich habe ich die Wörter jetzt vergessen, weil ich sie nicht aufschrieb, sondern nur in ihnen herumlag, in meinen Wortkokons.

Ich legte mir die Hände aufs Herz, dann auf den Bauch, und spürte den Schlaf herankriechen. Diese jahrelange Erfahrung mit Schlaflosigkeit hat mich wirklich gelehrt, den Schlaf zu erkennen, wenn er sich vorsichtig vorwärtstastet.

Der Übergang von Wachsein zu Schlaf: Die Gedanken scheinen "wach", sind aber schon Schlafgedanken.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Was ist los

10 Dinge, die heute gut waren:

(an einem Tag wie heute ist diese Übung eine wirkliche Herausforderung)

1. Der junge indische Medizinstudent mit dem Parka und den weißen AllStar-Schuhen auf der gesamten Bus- und Zugfahrt Lund-Malmö
2. Der Mailwechsel mit dem ebay-Verkäufer, bei dem ich ein fünfzig Jahre altes Fernglas zum Vögel-Schauen auf Lesvos ersteigert habe
3. Der Falafel im guten Brot auf dem Weg von der Hautklinik nach Hause
4. Der Mann in der Fahrradwerkstatt, der mich bat, mich vor eine an seine Tür gezeichnete Messlatte zu stellen, weil er neugierig war, wie groß ich bin
5. Die Tatsache, dass ich das Fahrrad heute zur Rundum-Reparatur in die Werkstatt gebracht habe
6. Dass ich die fürchterliche, grauslige Übersetzung, die ich viel zu übereilt angenommen habe, zu einem beruhigenden Punkt vorwärtsgetrieben habe
7. Eine Viertelstunde Akkordeonspielen, bei der meine Finger die Tasten von selber fanden
8. Dass Maria mein Foto mit der Aussicht von ihrem Café in Molyvos auf ihrer Facebook-Seite geteilt hat
9. Dass ich jetzt weiß, wie man aus zwei Konservendosen einen Holzgaskocher herstellt
10.(Bei diesem Punkt sitze ich lange herum, es fällt mir nichts ein, außer vielleicht der Tatsache, dass ich den Waschkeller für morgen gebucht habe, oder dass ich gleich ein Glas Rotwein trinken werde, aber das liegt ja noch in der Zukunft.)

Sonntag, 8. Dezember 2013

Die Menschen, die ich bewundere,...

...die mir als Vorbild dienen, sind solche, die für etwas brennen, was über ihr kleines Leben hinausgeht, auch über Aufträge oder Pflichten, über Ökonomie und Haushalt. Menschen, die genau hinschauen, kreativ sind (damit meine ich nicht kleinkrämerische, geschäftige "Kreativität"), wirklich schaffend. Und auch Menschen, die anderen vorbehaltlos begegnen, die offen sind, empfänglich, feinfühlig.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Die Augen

Die Augenschmerzen führen mich zu dem Entschluss, am Tag nur eine Stunde am Computer zu verbringen. Ich habe schon einmal so eine Phase durchgemacht, dann ist es lange Zeit besser gewesen. Ich bildete mir schon ein, dass ich die Beschwerden völlig überwunden hatte. Jetzt sind sie zurückgekommen, vielleicht schlimmer als vorher, jedenfalls unangenehm.

Inseltag [Nachlese: unplugged]



"In der Nacht wachte ich öfter auf. Ich schaute auf die Uhr. Es war ein Uhr, dann fünf Uhr. Ich legte mich wieder schlafen, träumte, dass ich in einem Wald spazieren ging. Plötzlich kam aus dem Dickicht eine Stimme. Ich solle still stehen bleiben. Ich blieb still stehen. Ein Mann kam hervor und deutete auf eine Gestalt ganz in der Nähe. Hinter mir. Es war ein Elch, der ruhig und majestätisch daherkam. Ich dachte, der Mann, der offensichtlich ein Jäger war, wolle ihn erschießen. Aber er tat es nicht. Er sagte: "Ich kann den Elch nicht erschießen, weil schon er zu nahe gekommen ist. Ich habe ihm bereits in die Augen gesehen". Ich betrachtete den Mann näher. Er sah so sympathisch aus, mit einem jugendlichen Gesicht und doch deutlichen Lachfältchen um die Augen, ernst und humorvoll zugleich. Er hatte Outdoor-Kleider an in Tarnfarben an und war allem Anschein nach Japaner, was mir in dem Zusammenhang irgendwie bemerkenswert vorkam.


S hatte mir, als sie auf einer unserer Wanderungen völler Enthusiasmus Schafsschädel aufgehoben, begutachtet, in ihren Rucksack gesteckt hatte, als "Geburtstagsgeschenk für meinen Sohn", erzählt, dass ihr Vater, wenn er eine Rindersuppe gemacht hatte, die Wirbelknochen mit bunter Farbe angemalt hatte, so dass sie aussahen wie kleine Tiere.
Ich wusste nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Geschichte von ihrem Vater war.
"Hat dir das gefallen?" fragte ich.
"Es hat mir gefallen. Ich fand, mein Vater war besonders, weil er solche Dinge machte."


Ich öffnete am Morgen die Tür und war erfreut, dass Cleo hereinmarschierte. Den dicken Max, der immer sein rosa Mäulchen aufreißt, selbst wenn er erst einige Minuten vorher eine Riesenschale Futter verdrückt hat, schob ich zur Tür hinaus. Cleo war natürlich hungrig, aber sie sollte nichts fressen, weil ich sie ja zur Operation bringen wollte. Ich fühlte mich aufgeräumt, gut gelaunt, denn ich war die ganze Nacht unruhig gewesen, wie es denn heute Morgen gehen würde, ob ich die Operation wieder absagen müsste, ob ich sie rechtzeitig ins Auto bringen würde, ob es mir überhaupt gelingen würde, sie in den Käfig zu locken.


Ich trinke jetzt Kamillentee, weil ich Bauchschmerzen habe, weil der Tag mich erschöpft hat, weil ich mehrmals den Tränen nahe war, mehrmals unruhig, und weil die Unruhe immer noch nicht vorüber ist. Cleo lief mir frisch operiert weg. Diese kleine wilde Katze hielt es nicht aus, eingesperrt zu sein, selbst als sie von der Betäubung noch ganz wacklig auf den Beinen war, immer wieder umfiel. Sie entschwand durch die Tür, die ich nur einen kurzen Augenblick lang geöffnet hatte, um etwas von der Terrasse zu holen, und ich folgte ihr mit meinen Flipflops und in Socken durch den Dreck, versuchte schneller zu sein als sie, aber sie entkam mir, schlüpfte schließlich unter einem Zaun durch und war außer Reichweite.


Ich ging bedrückt zurück zum Haus, räumte alles weg, was ich für sie vorbereitet hatte, die Decke, die Schüssel mit dem Katzensand, die drei Schüsselchen mit verschiedenen Dingen zum Fressen, Thunfisch, dicker Joghurt, das teuerste Katzenfutter, das sie in der Tierklinik hatten.


Cleo war verschwunden, und ich ging ins Dorf, um ein Bier zu trinken, eine Zigarette zu rauchen und in mein Tagebuch zu schreiben. Am Morgen in Kalloní hatte ich einige Beobachtungen gemacht, die ich niederschreiben wollte. Zum Beispiel die Frau, die mit ihren Röntgenbildern in der Hand durch eine Gasse ging. Das Röntgenbild eines Hundekörpers an der Lichttafel der Tierarztpraxis. Die ungastlichen Käfige mit gefliesten Wänden. Wie Cleo versuchte, an der Wand hochzuklettern, aber zurück fiel, so dass ich sie packen konnte, mit den dicken Greifhandschuhen und sie, die zappelte, versuchte zu beißen, die Krallen in mich zu schlagen, mit festem Griff in die Tierarztpraxis zurückbrachte, wo ich sie in den Behandlungskäfig steckte.

Ich wollte auch von dem Café schreiben, in dem ich saß, als Cleo operiert wurde, trotz seiner gepolsterten Stühle ungemütlich, voller Zigarettenrauch, obwohl auch in griechischen Cafés das Rauchen verboten ist. An einem Tisch saß eine Frau mit einem zuckenden Kopf, die nichts bestellte, und auch eine offensichtlich trauernde Gesellschaft war da, schwarzgekleidete Frauen, die dicht zusammen saßen. Ich ging dreimal zur Toilette im ersten Stock, weil ich mir wegen Cleo solche Sorgen machte. Beim dritten Mal funktionierte die Spülung nicht, und ich musste fliehen.


Die Tierärztin hatte einen schwarzen Rollkragenpullover und schwarze Jeans an. Zwei Risikofaktoren gab es, erklärte sie mir. Der eine, dass die Katze möglicherweise an Speiseresten ersticken könnte, die während der Anästhesie in ihre Lunge wanderten. Der zweite, dass man sie überhaupt nicht operieren könnte, falls sie trächtig wäre. Wir haben so viele Hürden überwunden, denke ich jetzt, wir sind so weit gekommen. Sie war nicht trächtig, sie überlebte die Operation. Ich habe sie in mein Zimmer gebracht, sie aus dem Käfig gelassen. Ich wollte es ihr ermöglichen, dass sie langsam aus der Betäubung aufwacht. Aber sie hat es in dem geschlossenen Raum nicht ausgehalten, es hat sie nach draußen gezogen, und seitdem ist sie auch nicht wieder zurückgekommen.


Ich ging in mein Stammcafé, um ein Bier zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Ein Arbeiter an einem Nachbartisch, der eine Tasche dabei hatte, aus dem eine Wasserwaage herausragte, reichte mir seinen Tabak, Filter, ein Feuerzeug. Die Sonne schien beinahe warm, und ich setzte mich einen kurzen Augenblick auf den Balkon, auf einen Stuhl mit geflochtenem Sitz, ich rauchte, trank mein kaltes Mythos, ich versuchte die kühle Nachmittagsluft tief einzuatmen, mich von der Anspannung des Tages zu befreien.


Es kommen Frauen, stark geschminkt, mit gefärbten Haaren. Sie schließen die Balkontür, weil es kühl geworden ist. Sie rauchen, trinken Kaffee, lachen, reden. Als sie gehen, öffne ich die Tür, damit frische Luft hereinkommt.


Ich muss meine Geschichte jemandem erzählen, gehe zu der Frau an der Theke. Sie erzählt mir dann ihre Geschichte. Dass sie in Athen geboren ist. Dass sie als Kind im Sommer immer mehrere Monate in Molyvos verbracht hat. Dass sie immer hierher zurückkehren wollte. Dass ihre Athener Freunde sie auslachten, ihr prophezeitenn, dass sie es hier nicht aushalten würde. Vor vier Jahren sei sie gekommen, mit ihren Eltern, ihrer jetzt neunjährigen Tochter, mit denen sie in einem Haus wohnt. Sie sei ein völlig anderer Mensch geworden.


"In Athen habe ich putzen gehasst", sagte sie. "Hier liebe ich Putzen."
"Hier habe ich einen kleinen Garten, in dem ich Gemüse ziehe. In Athen hätte ich mir meine Hände nie schmutzig gemacht."
Meine Freunde in Athen können nicht begreifen, dass ich Oliven ernte. Oliven. Sie lacht.
Sie erzählt von ihrem Hund, den sie vor ein paar Monaten aus einem Tierheim in Mytilini geholt hat. Er war ein geschlagener, traumatisierte Hund, man hatte ihn unter einem Auto gefunden, zitternd, abgemagert, voller Angst. Er hat immer noch Angst vor Autos, vor der Farbe Schwarz, vor Männern. Sie zeigt mir ein Bild von ihrem Hund und ihrer Tochter zusammen.


"Ich mache jede Arbeit", sagt sie. "Es ist mir egal. Ich möchte arbeiten, um Geld zu verdienen, aber es ist mir egal, was ich arbeite."


Es fällt in ihrer Gegenwart das Verlangen von mir ab, irgendetwas Besonderes sein zu müssen."

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Inselmenschen II

Petros, der alte Fischer aus Petra, der mich einlädt, Apfelsinen in seinem Garten zu pflücken, die er dann gegen eine Liebesstunde eintauschen möchte ("One Sex", nennt er es und betont, er habe schon einmal mit einer Ärztin Liebe gemacht). Der alte, plumpe Körper, die gierigen Hände, der hungrige Mund, und der resiginierte Blick, als ich gehe, mich verabschiede, das Tor hinter mir schließe, meine Plastiktüte mit den Apfelsinen in der Hand. "I love you", flüstert er durch die Gitterstäbe, ich beeile mich, schnell zu meinem Fahrrad zu kommen.

Traum vor dem Aufwachen

Ich war sehr klein, und die haarige Spinne, die vor mir an ihrem Faden baumelte, war sehr groß. Jemand rief meinen Namen. Erst beim zweiten Mal Rufen wachte ich auf.

Und wieder einmal schlaflos

Im Schlaflostunnel. Kleine Zipfel von Schlaf, die ich erst erhasche, wenn sie schon wieder vorbei sind.

Und plötzlich taucht ein Titel auf: "Die Schwebe". Es kommt mir vor, als könne er eine Zeitlang halten. Voller Tatendrang schwimme ich am Vormittag erst 1000 Meter, kaufe dann 50 Blatt feinstes Papier, die ich im Regen nach Hause balanciere. Ich denke an Beckett, Handke, Auster, Pamuk. Ich gebe hiermit zu, dass ich an sie denke. Die Handschreiber, die mir einfallen.

Am Morgen nehme ich den falschen Ausgang aus dem U-Bahnhof, nach 3 Stunden Schlaf kann ich lenks und richts nicht mehr auseinanderhalten ("lenks" schrieb sich selbst, die Fortsetzung ergab sich dann so). Ich kehre vor den Wachmännern mit den gelben Leuchtjacken wieder um, fahre die Rolltreppe wieder hinab unter die Erde und vergnüge mich eine Weile lang mit dem Gedanken, dass sie glauben, ich hätte etwas zu verbergen.

Ganz unverständlich ist mir, dass ich hin und wieder von dem Drang ergriffen werde, völlig daneben zu greifen im Lebensmittelladen. Würste, Thunfisch, Krabben. Bloß vor der Mayonnaise kann ich noch rechtzeitig halt machen.


Dienstag, 3. Dezember 2013

Diese Kritzelbücher

Überall in der Wohnung stoße ich auf Kritzelbücher. Bücher, in denen ich vielleicht zwanzig Seiten gefüllt habe, bis ich meiner selber überdrüssig war. Wegwerfen konnte ich sie dann doch nicht, erklärte sie aber für unwert.

Zeugnisse meiner inneren Verdrehungen.

Ich träumte, träumte heute nacht...

Es war, als hörte ich mich selber atmen, im Schlaf.

Mehrmals wachte ich auf, glaubte, dass ich noch auf der Insel war, lauschte in die Stille hinein. Es war der Fuchs, der atmete, im Dunkeln, draußen vor der Tür.

Dann sah ich ein, dass ich in meinem Bett lag.

Montag, 2. Dezember 2013

Inselmenschen I

1. Die drei Schuljungen, die ich im Auto von Kalloní nach Petra mitnehme. Ich frage sie nach einer Weile, was sie für Lieblingsfächer haben. Der Junge mit der Zahnspange, der neben mir sitzt, sagt: "Geographie. Geschichte. Mathematik." Einer der beiden Jungen auf der Rückbank sagt: "Sport." Der dritte, der am wenigsten redet, weil sein Englisch am schlechtesten ist und der später meinen Autofahrstil mit einer überraschenden Vokabel "drifty" nennt, was ich für ein Kompliment halte, sagt: "Autos reparieren." Ich versuche herauszufinden, ob das ein Schulfach ist, komme aber nicht zu einer eindeutigen Antwort.

2. Der Nachbar Giannis, der mir sagt, dass er den ganzen November lang mit seiner Frau Eleni Oliven erntet. Er schlägt die Oliven mit langen Stöcken von den Ästen, dann werden sie aufgesammelt, sortiert. Das werden 10 000 Liter feinsten Olivenöls. Wir arbeiten jeden Tag so lange wir Lust haben, sagt er. Manchmal bis um zwei, manchmal bis um drei. Und so lange der Körper mitmacht.

3. Peter oder Panagotis, den ich in einem Café in Agiasos treffe, wo er mich auf englisch anspricht, sich an meinen Tisch setzt, mir von seinem Leben erzählt. Innerhalb zwanzig Minuten erfahre ich, dass er in New York, wo er 22 Jahre gelebt hat, 350 Dollar am Tag verdiente, dass er hier zwar keine Arbeit, aber Eigentum hat, dass er zwei Kinder hat, die in Amerika leben und beide "doctors" sind, dass er vom Beruf her eigentlich Koch ist, aber in New York mit "Construction" gearbeitet hat. Dass er seit vier Jahren von seiner amerikanischen Frau geschieden ist, dass ihn das aber nicht mehr juckt. Dass in diesem kleinen Bergdorf die meisten Bewohner Arschlöcher sind, bis auf die wenigen Freunde, von denen er in der kurzen Zeit zwei vorstellt. Der eine davon ein Gemüsehändler, der mich mit dem Pickup in den Ort mitnimmt, in dem mein Mietauto steht. Peter schreibt mir seine Telefonnummer auf und sagt, wenn ich einmal seine ganze Geschichte hören will, soll ich ihn anrufen.

4. Die junge Frau in Marys Café, die vor vier Jahren von Athen nach Molyvos gezogen ist. Es ist im Winter besser hier als im Sommer, sagt sie. Sie sagt, im Sommer dürfen die Touristen die Insel lieben. Im Winter darf ich sie selber lieben.

5. Eine Frau, die ich in Mandamados in einem Café treffe, wo sie an einem Tisch am Computer sitzt, weshalb ich sie für einen Gast halte. Ich wollte eigentlich etwas zu essen haben, aber sie sagte, sie machten erst abends auf. In dem kurzen Gespräch, das sich daraufhin entspinnt, erfahre ich, dass sie eigentlich aus Kanada ist, aber seit zehn Jahren auf der Insel lebt. Es gefällt mir, sagt sie, dass meine Kinder in einem Dorf aufwachsen, und es gibt überhaupt vieles, was mir an dem Leben hier gefällt. Trotzdem, sagt sie, kann ich nie aufhören, darüber nachzudenken, ob es besser wäre, zurück nach Kanada zu ziehen. Es ist mein ewiges Dilemma. Ich habe eigentlich immer Heimweh. Als das Wort gefallen ist, "homesick", ist es, als sei sie selber davon überrascht, als habe sie bisher nicht gewagt, es so deutlich zu denken.

Neu anfangen

Ich habe mir heute überlegt, ob ich diesen Blog einfach abschließen soll, ihn ins Nichts auslaufen lassen soll und mit einem neuen Blog beginnen.

Wie sollte ich den neuen Blog nennen? Ich dachte an Titel, die ich gleich als albern verwarf, die ich aber jetzt vergessen habe. "Schlamm", denke ich jetzt, aber ich weiß nicht, wie ich auf dieses Wort komme.

Ich möchte, dass mein Blog näher an meinem Leben ist, näher an mir dran. An meinen ständigen Augenschmerzen zum Beispiel. An dem ständigen Zucken meines linken Auges. Ein unmerkliches Zucken, das ein Außenstehender wahrscheinlich nicht wahrnehmen würde.

Ich raschelte im Flugzeug mit den riesigen Zeitungsseiten, las die "Zeit" von vorne nach hinten, klappte sie um, blätterte sie nochmal durch (wie gesagt, ständig mit meinen Schmerzen kämpfend, dem ständigen Druck auf meinen Schläfen), schwelgte in meiner Zeitungsleserei.

Ich nahm heute Abschied von der Insel. Flog von einer Welt in eine andere, mit Zwischenlandung. Schaue mir die Bilder an, die ich gemacht habe, wie Zeugnisse eines Traums.

Ich kritzelte im Flugzeug in mein rotes Buch.

Neugierig auf das, was ich geschrieben habe, finde ich Sätze wie:

"Ich machte mir ein Fresspaket zurecht, warf es aber dann in den Müllcontainer, ganz einfach, weil ich am Athener Flugplatz nicht so armselig auf irgendeiner Treppe sitzen will und meine gekochten Eier essen."

"Gestern abend hatte ich Gesellschaft von dem philosophischen und etwas melancholischen Kater Claudius. Als ich später noch einmal auf die Terrasse ging, sah ich den Fuchs. Alle fürchten den Fuchs. Er stand ganz still im Dunkeln. Drehte den Kopf nach hinten. Blickte mich an."

"Um 4 Uhr wachte ich auf und sah Afro auf der Türmatte liegen, eingerollt. Ich ließ sie herein, sie sprang aufs Bett, rollte sich zusammen, schnurrte. Danach gab es für mich nicht mehr so viel Schlaf, bis um 1/2 sechs der Wecker klingelte, auch wenn ich zweimal bemerkte, dass ich offensichtlich geträumt hatte."

Der dunkelhäutige Schaffner im Zug von Kopenhagen nach Malmö hatte seine Wollmütze tief in die Stirn gezogen. Jede Fahrkarte, die er zu sehen bekam, kommentierte er enthusiastisch mit "Super!". Als ich ausstieg, wünschte er allen Aussteigenden einen schönen Abend.

Mittwoch, 27. November 2013

torcello

Torcello


(diesen kurzen text fand ich auf meiner festplatte)



"ich glaubte damals mehr an mich selber als ich es heute tue

an den abenden saß ich in meinem pensionszimmer und schrieb

an den tagen wanderte ich auf schmalen pfaden über den sumpf

manchmal tauchte aus dem nichts ein hund auf und ging mir mir

an den tagen sammelte ich bilder, abends schrieb ich sie nieder

ich war mutig und gleichzeitig scheu, fürchtete die menschen

ging begegnungen aus dem weg, suchte sie manchmal auf

ließ mich ansprechen, folgte fremden, in die nacht, in die umarmung

ich wusste, zu welchen stunden die schiffe in die stadt fuhren

und dass aus einem bestimmten haus abends opernmusik drang

zwei weißhaarige menschen lebten dort, ganz in schwarz gekleidet

wenn sie das haus verließen, hielten sie einander fest an der hand


gerne hätte ich gewusst, ob es möglich war zu leben ohne zu lügen

oder ob es besser war, das leben zu vermeiden, so gut es ging"

Lesefrucht

"I couldn't bear to spend my life talking to people. It seemed wasteful."

(Susanne Jones: The Earthquake Bird)


Montag, 25. November 2013

und der versuch

und der versuch, immer wieder hier zu sein, als wäre es das erste mal  -  jedes mal das erste mal hier sein  - den weg das erste mal gehen  -  den himmel das erste mal sehen  -  das erste mal ins wasser gehen, über die steine balancieren  -   ich weiß nicht, wohin, ich weiß nur, das ich dieses gefühl bewahren muss  -  dass es nie ein ankommen gibt  -  einfach weiter schreiben  - 

Sonntag, 24. November 2013

Der Traum vom Schreiben

Ich tippe ganz einfach drauf los und weiß nicht, was als Nächstes kommt. Wie wenn man am Abend im Dunkeln an einem fremden Ort ankommt, und am Morgen geht man los und hat keine Ahnung, was einen erwartet. Aber die Angst, die Unruhe, die Schwere vor dem Schreiben ist nicht mit dem Gefühl der frohen Erwartung zu vergleichen, das man hat, wenn man ein Hotel am Morgen verlässt. Das Schreiben ist immer mit Angst verbunden, mit Unruhe, mit Schwere, und gleichzeitig scheint das Schreiben in der Lage, die Angst, die Unruhe, die Schwere zu vertreiben oder in etwas anderes zu verwandeln. Es ist leichter, einen Fuß vor den anderen zu setzen, als die Finger auf der Tastatur loszulassen. Es gibt jedoch beim Schreiben einen Moment, in dem Angst, Unruhe, Schwere umschlagen in ein Gefühl der Neugierde, des Absorbiertseins, es ist vielleicht die Freude am Spiel, der Wunsch, einem Gedanken zu folgen, ihn weiterzuspinnen.

In den Nächten wache ich auf und bin überrascht von meinen Träumen, nehme mir vor, mich an sie zu erinnern, aber oft überdauern sie die Nacht nicht, und wenn ich am Morgen aufstehe, mit dem üblichen Gefühl der Unruhe, der Angst und der Schwere (auch wenn ich sie nicht wahrhaben will), wenn ich die Gardinen zurückschiebe und hinausschaue, wenn ich zum Herd gehe, den Espressokocher vorbereite, den Katzen Futter gebe, dann versuche ich vergeblich, das Traumgefühl eine Weile länger bei mir zu behalten.

Ich denke manchmal, mein Leben wäre so einfach, wenn ich auch im Wachzustand in der Lage wäre zu träumen, wenn ich mein Unterbewusstsein ganz einfach loslassen könnte, ihm dabei folgen, wie es Bilder und Geschichten hervorbringt, die immer etwas Wesentliches zu beinhalten scheinen, irgendeine Essenz, eine Wahrheit. Gestern sagte ich zu jemandem, von all den hunderten von Seiten, die ich geschrieben habe, ist etwa 99,9% Müll, und ich sollte es wegwerfen, aber ich bin nicht in der Lage dazu, weil ich immer noch hoffe, dass ich eines Tages, wenn ich diese Seiten durchblättere, doch etwas finden werde, was ich vielleicht übersehen habe.

Immer wieder habe ich drauflos getippt, mich dabei selber getäuscht, habe den wunden Punkt nicht gefunden, habe mich zerstreuen, ablenken, verwirren, verführen lassen, habe versucht, der Angst, der Unruhe, der Schwere zu entfliehen, sie zu verleugnen. Ich weiß nicht, wie viel vom Schreiben Talent ist. Das ist vielleicht, als würde man fragen, ob es ein Talent zum Leben gibt. Ich wünsche mir manchmal, dass mir das passiert, was man hin und wieder irgendwo lesen oder hören kann. Dass man vom Schreiben ergriffen wird, dass es stattfindet, ohne dass man sich einmischen muss, dass einem die Worte von irgendwoher diktiert werden.

Ich schreibe das, weil mich gestern jemand gefragt hat, ob ich einen Traum habe. Es fiel mir schwer, darauf zu antworten, weil ich es erst nicht zugeben wollte, dass ich den Traum vom Schreiben habe.

Montag, 18. November 2013

Wenn ich arbeite

Ich schalte meinen Kopf aus, wenn ich arbeite. Ich brauche nicht zu denken. Wenn wir zum Supermarkt gehen, nehme ich die Lebensmittel aus den Regalen, die sie mir nennt. Ich zeige nie, was für eine Meinung ich davon habe, außer, wenn sie mich ausdrücklich fragt. Ich nehme das Fleisch entgegen, das über die Theke gereicht wird, aber ich vermeide es, dem Verkäufer in die Augen zu schauen. Er darf nicht auf die Idee kommen, dass an meinen Händen ein Mensch hängt und mich vielleicht fragen "Was darfs noch sein?"

Ich habe nie weniger gewusst

Ich habe nie weniger gewusst, und es hat mich nie weniger gekümmert.


"My home is where my heart is. And my heart is where my books are."

Mr. Cornelius Gurlitt, art lover

When asked if he had ever been in love with a fellow human being, he giggled and said, "Oh, no".

He kept his favourites, a collection of works on paper, in a small suitcase that he would unpack each evening to admire.

"What do these people want from me?" he asked Der Spiegel. "I'm just a very quiet person. All I wanted to do was live with my pictures.

(International New York Times)

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Der Versuch, sich an das Kind zu erinnern

Der Versuch, sich an das Kind zu erinnern


Das beleidigte Kind. Das Kind, das die anderen strafen möchte mit seinem Beleidigtsein. Das Kind, das sich in seinem Zimmer aufs Bett wirft und schreit. Das Kind, das seinen Mund an das Schlüsselloch legt und schreit. Jeder soll es hören, im ganzen Haus. Das Kind, das entdeckt, wie es die Aufmerksamkeit bekommt. Doch nach einer Weile funktioniert es nicht mehr. Der Vater kommt und verbindet die Wunden. Das kann der Vater. Die Mutter schimpft, wenn sie sich schmutzig gemacht hat, unvorsichtig gewesen ist, wild, wenn sie wieder einmal um die Ecke gelaufen ist, ohne sich zu bremsen, wenn sie jetzt wieder ein Hörnchen auf der Stirn hat, und sie nimmt selbst ein Messer aus der Schublade und wiegt es auf dem Hörnchen hin und her, so wie sie es der Mutter abgeschaut hat.

Das Kind, das genügsam mit seinem Honigbrot spielt, auf der Bank am Esstisch liegend. Die Hand tastet sich zu dem in säuberliche Vierecke geschnittenen Brot mit dem Butter und dem Honig. Ihr Mund ist ein Räubermund, sie klaut sich selber das Honigbrot weg, listig und leise, während die Mutter in der Küche das Geschirr spült.

Erwachsensein war eine große Gefahr. Das Erwachsensein würde sie zunichte machen, sie wäre eine andere, und so sah sie ihren Tod schon voraus, ihre komplette Umwandlung in etwas Anderes, nicht Wünschenswertes.

Sie jagt die Treppe hinauf und hinunter, immer auf der Suche nach etwas Aufregendem, nach dem Abenteuer in ihrem gescheitelten Leben. Sie baut sich Höhlen und legt ihre Schätze dort hinein. Sie geht auf den Speicher und blickt auf die kleinen Menschen hinunter. Am liebsten baut sie, legt Landschaften an im Sandkasten, bastelt kleine Brücken, Wege, oder errichtet Dämme im Bach, legt die Umrisse eines Hauses in einer Waldlichtung auf den Boden. Sie kriecht in einen hölzernen Anhänger mit Plastikplane, sie klettert auf Dächer und springt aus den Rohbauten in die Sandhaufen. Spielplätze locken nur die Kletterlust in ihr. Und Bäume benützt sie zum Schaukeln, zum Schwingen, dazu, hoch zu kommen, einfach immer höher zu steigen. Sie reißt Zweige von der Weide ab, bastelt sich eine Pferdepeitsche und treibt ihr imaginäres Pferd an. Oder sie fährt im Hinterhof der Großeltern mit dem Roller im Viereck herum, oder im Sommer mit dem Fahrrad durch den Wald.

Sie ist immer in irgendwelchen Wettbewerben, Olympiaden, in der Weltmeisterschaft des Badezimmerputzens, in der Meisterschaft des Schnellwaschens. Wenn sie bis zehn gezählt hat, muss sie schon fertig gewaschen sein.

Sie trägt später Bücher mit Chemie- und Physikexperimenten aus der Bibliothek nach Hause, stellt sich in die Küche, wenn die Mutter gerade weg ist und macht nur die ersten, einfachsten Experimente im Buch. Für die schwierigen Experimente fehlt ihr das Material, aber auch die Geduld, die Ausdauer. Die Mutter sieht nicht gern, dass sie in der Küche "herumpritschelt". Sie hat einen ungeheuren Bewegungsdrang, kann nicht still sitzen, alles muss schnell gehen, immer möchte sie die Erste sein. Sie findet Essen langweilig und möchte es schnell hinter sich bringen.

Wo sie wohnen, ist wirklich nichts besonders oder schön, aber ihr gefällt es. Sie denkt nie daran, dass sie woanders wohnen sollten. Sie möchte keine Veränderung, alles soll so bleiben, wie es ist, die Mutter zuhause, wenn sie aus der Schule kommt, mit der Schürze in der Küche, die Spüle blankputzend, und im Topf auf dem Herd ist das Essen noch warm.

Jede Jahreszeit hat etwas Schönes. Sie kann im Dunkeln in der Küche sitzen und hinausschauen, während der Schnee im Schein der Straßenlampen wirbelt. Sie leben in einer einfachen Gegend. An den Abenden geht noch ein Mann herum und zündet die Gaslaternen an, aber nicht mehr sehr lange, dann wird das auch elektrisch gehen.

Sie zweifelt nicht an sich selber, ist ganz unbesiegbar, hüpft von Gehsteigplatte zu Gehsteigplatte, versucht, den zerbrochenen Platten auszuweichen. Sie möchte immer bauen, ungewöhnliche Orte finden, und in Gedanken richtet sie sich den Keller als ihr Reich ein, mit einem Bett und einem großen Basteltisch. Im Keller der Freundin machen sie chemische Experimente und dann gehen sie in die Wohnung und blättern im Tagebuch der großen Schwester der Freundin.

Freitag, 18. Oktober 2013

Die Birke, das Haus




Die russische Violonistin und Komponistin erzählt von ihrer Reaktion, als ihre Birke im Hinterhof beim letzten Arbeitstag der Eigentümergemeinschaft umgesägt wurde. Ich befand mich im Schock, sagt sie, ich nahm den Rest des Baums in meine Arme und tanzte mit ihm, ich weinte und schrie. In unserer Tradition, erklärt sie, spielen Bäume eine große Rolle, und vor allem Birken haben eine besondere Kraft, sie können die Aura reinigen. Sie erzählt davon, wie sie ihren Baum grüßte, mit ihm sprach, stolz auf ihn war, ihn betrachtete, ihn manchmal umarmte. Wenn man einen Baum zurücklässt, sagt sie, hat man der Erde etwas Gutes getan. Vor allem ihre Mutter hatte nach dem Zerstören des Baumes das Gefühl, ihr Leben sei verwirkt. Sie ist so alt, dass sie nie wieder einen Baum so groß werden sieht. Nach diesem Ereignis sei ihre Mutter drei Tage nicht aus dem Bett gekommen, ihre Werte seien rapide schlechter geworden, sie habe ununterbrochen geweint. Sie selbst, sagte die russische Violonistin und Komponistin, habe einige Tage lang nicht arbeiten können, sie sei nicht zu kreativer Arbeit in der Lage gewesen, sie habe in Erwägung gezogen, auszuziehen, dieses Haus zu verlassen, in dem man ihr mit so viel Herablassung und mangelndem Respekt begegnet. Ich erwarte nicht, dass man mich liebt, sagt sie, aber ich erwarte, dass ich Fragen stellen darf, ohne Angst zu haben, unfreundlich behandelt zu werden. Sie erzählt von dem kleinen Möwenjungen, das im Frühling auf dem Hof gelebt hat und schließlich von den Hunden der Vorsitzenden der Eigentümervereinigung getötet wurde. Sie ertrage es nicht, dass in diesem Hof die Vögel von den Hunden getötet würden, sie habe auch das Möwenjunge beweint, die ganze Zeit habe sie gehofft, dass die großen Möwen es beschützen würden, denn wenn sie versucht habe, sich dem Möwenjungen zu nähern, seien sie im Sturzflug herabgesaust gekommen vom Dach, aber, sagt die russische Violonistin und Komponistin, ich werfe es mir heute vor, dass ich nicht stärker gegenüber der Vorsitzenden reagiert habe, dass ich nicht mehr Respekt eingefordert habe, hundertmal habe ich mich gefragt, ob mein Baum nicht noch leben würde, wenn ich nicht zu freundlich gewesen wäre, zu unterwürfig (sie zeigt ein unterwürfiges Lächeln). Sie riecht an dem Apfelkuchen, den ich mitgebracht habe, bricht in Begeisterung aus, gießt sich einen dünnen Instantkaffee auf und bittet um Entschuldigung, weil sie nur Teebeutel anzubieten hat. Sie zeigt mir ihr Feng Shui Fensterbrett, auf dem Kerzen stehen und Schnittblumen in Vasen, sie fragt mich, ob ich eine Aloe Vera haben will, die sie aus einem kleinen Steckling gezogen hat, sie habe keinen Platz dafür, bringe es aber auch nicht fertig, sie wegzuwerfen.


Immer mehr wird mein Leben von Transitmenschen bevölkert, und ich stelle fest, dass ich mich in ihrer Gesellschaft wohlfühle. Menschen, die nicht so fraglos im Dasein zu Hause sind, die auf die eine oder andere Weise Fremde darstellen, die sich nicht so selbstverständlich in eine Normalität einpassen können. Die junge Iranerin aus dem Eingang C, so erzählt die russische Violonistin und Komponist, sei nach dem Baummord zu ihr gekommen und habe sie umarmt, das habe ihr so gut getan, sie sei aber nicht in der Lage gewesen zu sprechen, sondern sei in eine tiefe Schwermut verfallen. Die Vorsitzende der Eigentümervereingung sei wortlos die Treppe hinauf verschwunden, ihre Mitbewohnerin M, habe sie angeschrien, so erzählt die russische Violonistin und Komponistin, mit einer fürchterlich grellen Stimme habe sie geschrien, und sie macht das Schreien pantomimisch nach, mit aufgerissenem Mund, einem verzerrten, beinah unmenschlichen Gesicht. Die Tatsache, dass M so krank ist und vielleicht nicht mehr lange leben wird, rechtfertigt nicht, dass die Vorsitzende der Eigentümervereinigung ihre Mitmenschen respektlos und verächtlich behandelt, und wenn sie keine Zeit für die Anliegen der Bewohner hat, dann soll sie ihren Posten abgeben, was sowieso das Beste wäre. Wenn sie es aus eigenem Entschluss tun würde und sich nicht an die Macht klammern. Als ich der russischen Komponistin und Violonistin gegenüber sitze, wird mir plötzlich bewusst, an welchen Wahnsinn wir uns gewöhnt haben, in welchem Alptraum wir uns hier befinden, in einer Eigentümergemeinschaft, in der die Mehrzahl von uns sich nur geduldet fühlt, denn eigentlich sind wir nur lästig mit unseren Wohnproblemen und unserer physischen Gegenwart. Sogar wenn ich im Garten sitzen will, sagt die russische Violonistin und Komponistin zu mir, habe ich den Eindruck, dass ich um Erlaubnis bitten muss.

Montag, 14. Oktober 2013

Erinnerungen an Schmerzen


Beim Balancieren auf dem Metallgestänge am Spielplatz ausrutschen, mit gegrätschten Beinen auf der Stange landen. (Am Abend muss ich mich zum Pinkeln in eine Schüssel mit warmem Wasser setzen.)


Von den Spielkameraden absichtlich beim Spiel "Der Kaiser schickt seine Soldaten aus" fallen gelassen werden, so dass ich platt auf dem Boden lande und ein paar Sekunden lang keine Luft mehr bekomme, lange genug für ein bisschen Todesangst.

Dienstag, 10. September 2013

Irgendwo könnte überall sein (Mark Strand)

"Ich könnte von den Bergen gekommen sein oder aus der Ebene. Ich entsinne mich nicht. Ich könnte aus der Stadt gekommen sein, aber welche Stadt, in welchem Land, ist mir schleierhaft. Ich könnte aus einem Vorort gekommen sein, aus dem andere gekommen sind, oder vielleicht einer Stadt, aus der nur ich gekommen bin. Wer kann das wissen? Wer sollte feststellen, ob es regnete oder die Sonne schien? Wer sollte sich erinnern? Man sagt, an der Grenze geschähen Dinge, doch welche Grenze, ist völlig unklar. Es gäbe dort ein Hotel, wo es egal ist, ob du deinen Koffer vergessen hast, ein anderer wird bereitstehen, groß genug und nur für dich bestimmt."

Montag, 9. September 2013

Träume auf englisch

So many dreams tonight:

1 I should send a wheelbarrow on a boat journey to a very cold and northern country and had to wrap it into plastic (and then I forgot it in the harbour).

2 I went to a toilet at Café Einstein in Berlin and thought I might as well paint it (which I did while two swedish friends were impatiently waiting outside),

3 I brought my bicycle to a lesbian bicycle mechanic in Berlin to get the brakes mended, and she started do mount a very advanced kind of rack under the sadle,

4 while travelling around in Berlin I ended up in a beautiful new city quarter by the sea and thought, 'I could live here', but somebody told me it was not better than Seved, the quarter where I actually live in Sweden.

What do I make of this stuff?

Samstag, 7. September 2013

Griechischer Sonnenuntergang

Ein deutscher Tourist filmt den Sonnenuntergang hinter dem Hafen, dabei gleichzeitig in die Kamera sprechend, den Sonnenuntergang kommentierend, während seine Frau neben ihm steht, geduldig oder schafartig darauf wartet, dass er fertig ist mit seiner Filmerei und sie dann wieder weiter gehen können.



Samstag, 3. August 2013

Donnerstag, 1. August 2013

Du bist jung geworden




Du bist jung geworden, unter deinem grauen Haar.
Am Abend setzt du dich in den Garten.


Plötzlich trillerst du freimütig,
aus vollem Hals.


In der Gesellschaft der Vögel,
jubelst du über das, was du verloren hast
und nie besessen

Ich kann in den Nächten nicht schlafen




Ich kann in den Nächten nicht schlafen.
Die Schritte auf der Straße, nächtliche Worte, die ich nicht verstehe,
nicht, weil sie in einer fremden Sprache gesagt werden,
sondern weil sie auf eine andere Weise fremd sind, unbegreiflich.
Abgehackte Sätze aus dem Leben eines anderen Menschen,
der zufällig in den frühen Morgenstunden vor meinem Fenster vorbeigeht.

Freitag, 12. Juli 2013

Traumcouch

Am Ende dieses Tages fällt mir überhaupt nichts ein, womit ich diesen Tag zusammenfassen könnte.

Ich träumte von einer Couch, für die ich in meiner Wohnung den richtigen Platz suchte, und als ich aufwachte, fiel mir auf, dass die Couch die Farben der schwedischen Flagge hatte. Das gab mir zu denken.

Montag, 24. Juni 2013

Der Erste. (Die Erste.)



Wo zwei Atem sich berühren, zwei Windzüge, zwei Energiefelder. (Sie sagen, das Erste, was du brauchst, ist ein Name! Aber sobald ich den Namen habe, ist die Welt schon ein bisschen kleiner, überschaubar geworden, aufgeteilt in kleine Stückchen Ich-Welt.)

(Es gab Namen, sie waren aber schlangenförmig und sich windend und entwindend, entschlüpfend.)

Immer wieder aufs Neue die Überraschung: was Menschen-möglich ist, berührt.

Geh jetzt, einen Schritt vor den anderen. Es ist ja ein frischer, reingewaschener Tag, der funkelt vor dem Fenster, vor dem Auge.

Immer wieder geht es um Bewusstsein, um das, was wir daraus basteln, unsere Sicherheiten, die abgesteckten Grenzen, ein scheinbarer Zusammenhang, zusammenfaltbar, verstaubar, einfache Raumlösungen.

Samstag, 22. Juni 2013

17/4/93 (vor zwanzig jahren schrieb ich)

als könnte man also sich umdrehen und immer-fort-wischen, in einer rund-um-bewegung, WIE EIN STILLER UND ERNSTER BERG - es war eine Wanderung / Tausendfache Trippelschritte Grotten durchfurchte Steine, Drachengrotten, meine Hundefelljacke,

(Jetzt bin ich nicht mehr dort / jetzt sehe ich, was ich unterließ) Jetzt ist ein Jahr abgestorben, sogar die Erinnerung, die ein Schatz sein sollte.

querdurch-sich-schreibend / tag und nacht jahre um jahre / räume und länder / ein anfang und ende erhastend / in der größten Unordnung / wirklichkeits-schreiben / erinnerungs-gehacktes / ein verweilen auf den rändern /

so schreibt er: vielleicht wird man alt
so schreibt sie: ganz sicher wird man alt

es sind verlorene blicke / die frauen tragen ein tuch in den händen / clutching / das feuchtnasse taschentuch / kurz bevor der kopf / in müdigkeit traurigkeit / herabfällt / sich dreht und wendet / ein ungelenkes vornüber-beugen / blicke fallen vorbei an all dem sichtbaren / glasblicke / in rotbraun / todweiß

der atem hastet . raubfremde dächer . luftschutz . mein begleiter . wenn ich (ohne zu nennen) einfach spreche . es beim wort nehme . das randgetrübte . rückwärts ohne zu schauen . mit siebenmeilenstiefeln . kopfentleerend . stein um stein . die weiße warme landschaft . geknittertes . während ich verliere und um mich streue . lebengeschichte gewichte . diese wanderung der raubflug . die raubfahrt . tausend jahre .

er nahm mich , HANDWARM , wie sein name war , eine verschlungene kalligraphie //

Reise in China - im traum verlor ich . ein rattern . durchsichtig, augengesichtige zeit : plötzliches aufschrecken nachts " als ich etwas durchstöberte , in der hoffnung , zu finden, eine zarte geschichte , eine lebenssicherheit.

baozi
jiaozi
longsheng
guilin
liuzhou

da er es vor mich hinblätterte - glanzpapier - erbrochenes -

warum gibt es eine zeit / die nicht fest wird / schlamschlabberig dahin welkt / geht

Donnerstag, 6. Juni 2013

"Was mich an K störte"


Meine Mutter sagte, was mich K. störte, war, dass er so egoistisch war. Wenn wir einen Ausflug machten und er zwei Schnitzel dabei hatte für unser gemeinsames Picknick, ein kleines und ein großes, dann gab er mir automatisch das kleinere. Er hätte ja wenigstens fragen können, anstandshalber! Und als ich dann euren Vater kennengelernt hatte, passte K. mich eines Tages auf dem Weg von der Arbeit ab und fragte, und, glaubst du, dass du jetzt glücklicher wirst? Und ich sagte, ich weiß es nicht.

Eine Weile hatte ich dann zwei Freunde, sagte sie. Als ich mit deinem Vater über den anderen sprach, sagte er nur, den werden wir auch noch los. Diese Frechheit! Dieses völlig ungetrübte Selbstbewusstsein. Diese Sicherheit, dass ich bei ihm bleiben würde, dass wir bereits zusammengehörten.


Ein Schnitzel

Montag, 8. April 2013

Die Sache mit dem Tod

Die Sache mit dem Tod erschien mir heute plötzlich so verdammt selbstverständlich, so natürlich, ich meine, anders als sonst, wo ich die Selbstverständlichkeit zwar herbeidenken, aber nicht fühlen kann.


Das ganze Leben über sammelt man Tote.


Und außerdem sammelt man Menschen, die zwar nicht tot sind, aber trotzdem aus unserem Leben verschwunden.

Es gibt keine Möglichkeit mehr, mit ihnen zu sprechen, ihnen auch nur etwas Belangloses mitzuteilen, sie anzuschauen, ihnen in die Augen zu sehen.

Wenn einer dieser Menschen einem dann (nach vielen Jahren vielleicht) irgendwann einmal zufällig über den Weg läuft, dann ist die Begegnung oft schmerzhafter als die Abwesenheit. Der Mensch, den es einmal gegeben hat, gibt es nicht mehr, selbst die Erinnerungen werden plötzlich fragwürdig.

Samstag, 6. April 2013

Dauergäste

Ich sprach von den verschiedenen Personen in mir.

Es gibt z.B. eine Person, die offen ist und entspannt und neugierig und schön, die gut riecht, die ihrem Leben einen Sinn verleiht. Es gibt andere Personen in mir, die diese Person nicht respektieren. Aber auch sie wollen nur mein Bestes. Sie wollen mich in die richtige Richtung schubsen, mich fordern, mir etwas abfordern. Sie glauben, dass etwas in mir steckt, sie geben mir einen Tritt in den Hintern.

Es gibt eine Person in mir, die danach dürstet, geliebt zu werden, grenzenlos, vorbehaltlos. So unendlich groß ist ihr Liebesdurst. Er ist völlig unstillbar. Wenn diese Person etwas bekommt, dann will sie gleich mehr davon. Diese Person scannt ihre Umgebung nach Zeichen für Zuneigung ab. Sie sehnt sich nach Zuneigung, fürchtet aber auch Zeichen von Zuneigung, weil diese Zuneigung nicht ausreichen wird oder weil die Zuneigung gefährdet ist, weil sie ihr wieder entzogen werden könnte. Diese Person glaubt hin und wieder (oder ist das eine weitere, eine andere Person?), dass sie sich Zuneigung verdienen muss. Dass sie nicht ausreicht, dass sie nicht verdient hat, dass man sie mag.

Es gibt eine weitere Person. Sie ist am liebsten allein. Sie ist vielleicht identisch mit der liebessüchtigen Person. Denn das Alleinsein schenkt Sicherheit. Wenn man allein ist, ist man nicht gefährdet, zurückgewiesen zu werden. Einsamkeit ist ein Ort der Träume, ein Ort der Möglichkeiten. Diese Person fürchtet das Materialisieren von Gedanken und Gefühlen in Worten. Sie beharrt auf der Unübersetzbarkeit von Gedanken und Gefühlen in Worte. Sie fürchtet sich davor, ihre Ideen in einem Zusammenhang auf ihre Haltbarkeit hin überprüfen.

Es gibt noch weitere, vielleicht unzählige. Ich sagte, ich verspreche, dass ich in der nächsten Zeit ein wenig aufmerksamer sein werde. Ich werde den Lautesten, den Aufdringlichsten ein wenig besser zuhören, damit ich weiß, was ihr Wunsch ist, auf welche Weise sie versuchen, mir zu helfen.

Donnerstag, 7. März 2013

World's End - Lesbos



(3 1/2 Monate danach.)

Das Öffnen alter Ordner 2 (1996)


"Könnte man den Zustand wegwischen, wie eine Fliege von der Wange."


"Ich stopfte mir das Essen in meinen aufgerissenen Mund und schloss ihn sehr schnell wieder, damit es mir nicht gleich wieder herausfiel."

"Das Haus bewegt sich, und ich bewege mich mit ihm."

"Es ist, als würde die Luft endgültig stillstehen und sich nicht mehr erneuern."

Mittwoch, 6. März 2013

Das Öffnen alter Ordner 1 (1996)

"Es gibt eigentlich nur Zufallsprodukte in meinem Schreiben."

"Irgendwo gab es heute einen Satz, der etwas Wichtiges zu sagen schien, aber er ist untergegangen, im Lärm und in der Eile des Tages."

DIALOG:
- Kannst du mir sagen, warum du so wunderbar bist?
- Nicht ich bin wunderbar, du bist es.
- Weil du so wunderbar bist.

"Es ist schon nicht mehr wahr, dass ich am dritten Januar hier ankam und am Bahnhof auf meinen Gepäckstücken saß und du von hinten an mich herantratst und mit deiner Hand in mein Haar, an meinen Nacken fuhrst und sagtest, bist du endlich hier. Da war ich endlich und unauslöschlich hier, und die Zeit der Telefonate, der Briefe hatte ein Ende gefunden, und wir wussten ja beide, dass damit eine schöne Zeit zu Ende ging. Mehrmals hattest du am Telefon gesagt: wir müssen auch dort telefonieren, vielleicht einmal in der Woche ein Telefongespräch führen, als wären wir nicht in der selben Stadt, und ich möchte auch dort Briefe von dir bekommen, ich kann nicht mehr leben, ohne Briefe von dir zu bekommen, kannst du mir nicht schreiben, von Zeit zu Zeit? Und ich sagte, gut, lass uns hin und wieder so tun, als lebten wir nicht in der selben Stadt. Aber natürlich ist alles ganz anders gekommen. Wir sehen uns fast jeden Tag, und wenn ich dich einen Tag lang nicht sehe, meine ich manchmal, es nicht ertragen zu können, aber manchmal kann ich es auch nicht ertragen, dich zu sehen. Und plötzlich sind wir im Alltag gelandet mit seinen seltsamen Gewohnheiten und seinen Verrenkungen."

"Gestern brachte ich ihr gelbe Tulpen. Sie sagte, Gelb sei die Farbe des Wahnsinns und passe deshalb gut zu ihr."



Mittwoch, 20. Februar 2013

Das Leben macht grade Spaß

Ich habe den Tag mit Malen, Griechischlernen, Schreiben, Spazierengehen (mit Hund), Baden (im Meer), Essen und Sauerteigbrot-Vorbereiten verbracht. Ich habe meditiert und Yoga gemacht. Ich habe mit Freunden Tee getrunken und Kardamon-Hefeteilchen gegessen. Ich habe einen Termin beim Arzt vereinbart und das Gemüsefach in meinem Kühlschrank ausgewaschen. Ich habe ein paar Seiten der Iliade angehört und über Iphigenie nachgelesen. Ich war mit meinen Katzen im Hof und habe mindestens zweimal abgespült. Ich fand, dass es Narziss Recht geschieht, dass er dazu verdammt wird, auf ewig sein Spiegelbild zu betrachten. Schließlich hat er die Liebe Echos verschmäht. Beide vergehen, schwinden dahin. Er wird zur Narzisse. Sie wird zum Echo.



Montag, 18. Februar 2013

Angstloch


Dieser Moment gestern, als ich vor einer Gruppe saß, die darauf wartete, dass ich irgendetwas sagte, und ich einfach immer tiefer in ein Loch hinabsank, in dem kein Wort, kein Gedanke, nicht einmal ein Gefühl existierte (außer dem dringenden Wunsch, ganz woanders zu sein)...

Freitag, 8. Februar 2013

Warum ich gern in der Nacht Zug fahre

Die rauhe Nacht, das Rumpeln, ein freundlicher Schaffner, das Gefühl, von einem schicksalshaften Zufall zusammen in dieses Abteil geworfen zu sein. Das beinah Tierhafte, die Abwesenheit von Rollen, Masken. Jeder schläft, schreckt wieder auf, schläft wieder ein, qualvoll verdreht. Füße berühren einander, Atemzüge vermischen sich, die Welt fliegt vor dem Fenster vorbei. Dann wieder steht der Zug lange irgendwo im Dunkeln, unbegreiflich, ohne dass etwas geschieht, ohne dass man weiß, wo er sich befindet. Am Morgen findet man sich langsam und mühsam wieder, setzt sich zusammen, wünscht seinem Gegenüber einen guten Morgen, sammelt sich, geht wacklig hinaus auf den Gang, wäscht sich das Gesicht. Man ist seinen Mitreisenden irgendwie näher gekommen, verabschiedet sich aber auch leicht. Wenn man im Speisewagen sitzt, Kaffee trinkt und ein Croissant isst, ist man schon wieder zurück in der Welt der scharfen Linien. Die Speisewagenschaffnerin arbeitet widerwillig und mürrisch, ein Amerikaner fragt sie, ob sie "angry" sei, aber sie kann ihm nur antworten, wo er Milch und Zucker findet.

(Und das Geräusch des Öffnens und Schließens der Abteiltüren, die Schritte im Gang, das Schlagen von Gepäck gegen die Abteilwände, wenn der Zug gerade in einen Bahnhof eingefahren ist, alte Fahrgäste aus- und neue zusteigen.)

Kurz vor der Abfahrt des Zuges in Frankfurt kam ein Mann an die Abteiltür und sagte auf englisch, es fehlten ihm noch etwa 20 € für seine Fahrkarte nach Budapest. Er zeigte den Fahrplan für einen Zug, der in 40 Minuten abgehen sollte und das Geld, das er bereits hatte, etwa 140 €. Ich gab ihm drei €, fühlte mich geizig, und gleichzeitig dachte ich, dass er mir wahrscheinlich eine Flunkergeschichte erzählte. Die drei € waren für den Fall, dass es doch keine Flunkergeschichte war und dass er einige Leute wie mich brauchte, die so taten, als glaubten sie ihm.

Dienstag, 5. Februar 2013

Rosa Gesicht

Erinnerung an die Zeit vor der Einschulung, als ich mich anstrengte, mit meiner Hand über meinen Kopf das Ohr zu berühren.

Donnerstag, 31. Januar 2013

Der Teller

Der Teller machte eigentlich nichts. Er stand einfach nur herum.
Er musste beim Friseur nie zugeben, dass er sich nur einen Trockenschnitt leisten konnte, er kämpfte nicht gegen Übergewicht. Er hatte keine Schlafschwierigkeiten und kannte auch keine Reue, z.B. aufgrund der Tatsache, dass er nie einen Doktortitel erlangt hatte usw.
Flach, weiß, rund, kühl. So war der Teller. Er war außerdem aus feinem Haus.
Und jetzt werfen wir ihn aus 1,50 m Höhe zu Boden.


Mittwoch, 23. Januar 2013

Du musst dein Leben ändern

"denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht"

 

Archaïscher Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Rainer Maria Rilke

Donnerstag, 17. Januar 2013

Fragmentarische finnische Erinnerungen

In Finnland wohnte ich in einer kleinen Wohnung, Parterre. Ich hatte ein Zimmer, eine kleine Küche und ein Bad, das ich jetzt völlig vergessen habe. Wie sah das Badezimmer aus? In den acht Monaten, die ich dort wohnte, wurde außerdem die Fassade renoviert, und die Fenster waren mit einer Plastikplane geschützt. Ich hatte ein Bett und einen Tisch. Ich hatte einen finnischen Schlüssel. Es gab einen Waschkeller, und ich war in wenigen Minuten im Wald. An den Abenden ging ich anfangs häufig hinaus und lief eine Runde, mit einem pinkfarbenen Sweatshirt. Aber was für eine Hose hatte ich? Was für Schuhe?

Einige Schwarzweißfotos sind von der Zeit noch übrig. Die Dunkelheit, der Schnee. Ich setzte mich in eine Pizzeria, von der ich jetzt erinnere, dass sie sehr viel hellblau enthielt, hellblaue Vorhänge, hellblaue Tischdecken, und aß eine finnische Pizza, mit Emmentaler-Käse. Ein paar Schritte von meiner Wohnung entfernt war ein Café, in dem ich oft saß, Kaffee trank, eine Zimtschnecke aß und las. Ich erinnere mich z.B. daran, dass ich Goethes "Dichtung und Wahrheit" las, mit einer Begeisterung, die mich selber erstaunte.

Wo kaufte ich eigentlich meine Lebensmittel ein? Ich kann mich nicht an einen Lebensmittelladen erinnern, weder daran, wie er von außen, noch, wie er von innen aussah. Ich erinnere mich an das staatliche Alkoholgeschäft, das eingerichtet war wie eine altmodische Apotheke.

Ich erinnere mich an all die Leute mit ihren Trainingsanzügen.

Es gab einen Second-Hand-Laden, in dem ich mir einige scheußliche Blusen kaufte, die ich nie trug.

Es gab ein Kino, das ich nie besuchte, weil dort nur amerikanische Erfolgsfilme liefen. Ich hatte einen kleinen Schwarzweißfernseher von einem Lehrer geliehen bekommen, kann mich aber nicht erinnern, dass ich etwas darauf sah. Das einzige, woran ich mich erinnere, sind Bilder vom Golfkrieg. Es war das Jahr 1990/91.

An den Wochenenden fuhr ich häufig nach Helsinki und setzte mich in den Wagen, in dem die Bildschirme von der Decke herunterhingen, auf denen Videos gezeigt wurden. Ich las die Untertitel, um mein Finnisch zu verbessern.

Es dauerte eine gute Stunde, um nach Helsinki zu kommen. Oft fuhr ich erst am Montag morgen zurück. Ich fuhr mit dem Fahrrad zu den verschiedenen Schulen, oder ich lief zu Fuß. Viele der Lehrerinnen, mit denen ich zu tun hatte, waren alleinstehend, einige von ihnen feierten gerade ihren fünfzigsten Geburtstag, als ich dort war. Ich empfand Mitleid mit ihnen, fühlte mich überlegen, wegen meiner Jugend (ich war neunundzwanzig).

Ich lief durch den Wald, erinnere ich mich, zu einer Schule, die, wie ich später erfuhr, einen schlechten Ruf hatte, weil dort die "schlechteren" Schüler waren. Es lag Schnee. Es lag eigentlich den ganzen Winter lang Schnee.

Gerade geschah es mir, dass ich einen Traum von Lahti mit dem wirklichen Lahti vermischte. Ich muss also von Lahti geträumt haben. Wenn ich von meiner Wohnung geradeaus ging, kam ich zum großen Platz, von dem ich jetzt nicht mehr viel weiß. Ich habe Bilder gemacht, sie sind die einzigen Erinnerungen. In Helsinki war ich auf Jazzkonzerten und in der Konzerthalle, ich habe den Mann Klavier spielen gehört, der später der Kulturminister werden sollte (Claes Andersson).

Ich besuchte alle Kunstmuseen, entdecke Helen Schjerfbeck, Ellen Theslaff und Outi Heiskanen und fuhr mit der orangefarbenen U-Bahn und der grünen Tram durch die Stadt.

Mein erster Besuch in dem polnischen Café in der alten Villa am Rand von Helsinki, mit den getrockneten Rosen im Eingangsraum, den silbernen Teeglashaltern, dem Samovar, der Himbeermarmelade, die man in den Tee löffelte, der Vanillesahne, den Zimtschnecken, die größer waren als ein Dessertteller, dem Pianisten, der am Flügel saß und spielte. (Mein Gefühl von totalem, grenzenlosem Glück und Erstaunen.)

Ich weiß noch, dass ich einmal Spaghetti Bolognese kochte. Dass ich einen schwarzen Rollkragenpullover hatte und eine grüne Hose, und eine rote Brille. Dass ich sehr dünn war. Dass ich mir am ersten Tag einen Teller und eine Tasse und eine kleine Schale kaufte. Ich kaufte mir eine braune Baskenmütze. Zwei Handtücher. Bettwäsche. Einen gebrauchten Wollmantel, den ich jahrelang liebte. Die Handtücher und die Bettwäsche habe ich heute noch.

Ich hatte meinen Wortprozessor mit, ein klobiges Teil, ein Zwischending zwischen elektrischer Schreibmaschine und Computer, bei dem man Texte auf Diskette speichern konnte. Ich wünschte manchmal, ich hätte immer noch so ein Teil, das nur eine einzige Sache kann: schreiben. Der Bildschirm war winzig, und die Schrift war grün auf schwarzem Grund.

In meiner Wohnung hatte ich auch ein Telefon. Am Anfang steckte ich es an den Abenden immer aus, um zu verhindern, dass ich auf einen Anruf wartete, der sowieso nicht kam.

Mittwoch, 16. Januar 2013

Während ich die schwedische Reichstagsdebatte am Radio anhöre









 




Ich habe mich ja mein halbes Leben leiten lassen von Figuren wie Proust (der sich einschloss, die Vorhänge zuzog, die Wände mit Kork tapezierte), Wittgenstein (der sich auf eine Insel zurückzog und dann ins Dorfschullehrerdasein), von Kafka (der früh starb und in einer Art Lebensverweigerung lebte, in einer Angestellten-Unsichtbarkeit), von Pessoa (der zeitlebens in Pensionen verharrte), es haben mich die Geschichten fasziniert von Einsiedlern in ihren Höhlen, von Menschen, die drei oder sieben oder dreizehn Jahre in Isolation und Abgeschiedenheit lebten.

Montag, 14. Januar 2013

Wet leaves


Ich will den Dreck, den Schlamm, den Geruch von vermoderndem Laub, die aufgesprungene Haut an den Händen, die Kälte im Gesicht, den Schmerz in der linken Hüfte, all das Vergehen und Altern um mich herum, all diese Zeugnisse der Vergeblichkeit, die wehmütigen Körper, die schonungslose Ehrlichkeit der Zeit, das Ungeschminkte.

In einem Gespräch gestern sagte ich: "Ich möchte immer beweglicher werden. In jeder Hinsicht. Geistig, körperlich, geographisch, in meinem Schreiben, in meinem Fühlen. Das ist vielleicht das einzige Ziel, das ich habe."

Sonntag, 13. Januar 2013

13.1.2013

In der digitalen Welt gibt es kein Altern, kein Verblühen, kein Welken. Es gibt kein Zerfallen, kein Verfaulen, keinen Gestank, keinen Staub. Es gibt nicht einmal ungewaschene Haare.

Mittwoch, 9. Januar 2013

Tagestuschbild

Tagestuschbild.


Zeichne es schnell auf


Die Pfützen, denen du ausweichst im Dunkeln


Dieser undurchdringliche spiegelnasse Tag


Du sitzt im Verhör,
beide Hände über den Ohren
Du singst ein monotones Lied:
tadam tadam
um deine eigene Stimme
nicht zu hören


("Es war ein Tag,
an dem die Worte
durch die Ritzen in meinem Kopf fielen")


Warte, das Unerwartete wird schon passieren,
es passiert immer dann, wenn du dir sicher bist,
dass das Warten unerträglich geworden ist.


Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...