Freitag, 3. Dezember 2021

Lesbos 27/12/2021

 2021/11/27 12:37


Gestern Nachmittag kam erst Regen, dann Sturm und schließlich noch mehr Regen. Gerade als ich das Haus verlassen wollte (hatte mich schon fertig gemacht), fing es an zu tröpfeln, und ich blieb dann doch auf der Terrasse, las in meinem Buch ("The Mighty Dead - why Homer matters" von Adam Nicolson) und trank eine Tasse Tee. Als ich schon wieder im Haus war und an meinem "Mal- und Esstisch" ein paar Skizzen machte, fiel der Strom im ganzen Dorf aus, eine Stunde vor einem geplanten Zoom-Treffen. Schnell (so lange ich noch Internetanschluss und genug Batterie in meinem iPhone hatte), warnte ich die Teilnehmerinnen meines Schreibkurses, dass ich möglicherweise zur verabredeten Zeit nicht online sein können würde. Dann kam der Strom zurück, aber das mobile Netz war nun ausgefallen. Ich fing gerade an, mich darüber zu freuen, dass ich um das Treffen herumkommen würde, da tauchte das 4G-Signal im Handy plötzlich wieder auf. Das war drei Minuten vor dem Zoom-Beginn. Am Ende war es doch gut so, sonst hätte ich das Treffen auf einen anderen Tag verschieben müssen.

Hinterher das Bedürfnis, in die Nacht hinauszugehen. Der Regen hatte seit Längerem aufgehört. Ich nahm die Taschenlampe, vorsichtshalber einen Schirm und machte mich auf den Weg. Erst da konnte ich sehen, wie stark es geregnet hatte. Der Abflussgraben neben dem Weg war übergelaufen und es sah so aus, als wäre der halbe Weg weggespült - das Regenwasser hatte tiefe Furchen gegraben. Und das Flussbett war ein rauschender Strom aus braunem Wasser.

Im Dorf steuerte ich das Gyros-Lokal an, in dem alles aussah wie sonst, außer dass weniger Kunden da waren. Allein saß ich in dem hell erleuchteten Lokal. Einige Männer kamen und holten sich Bestelltes in Plastiktüten ab. Beim Betreten des Raums war ich gefragt worden, ob ich geimpft sei. Ja, bin ich. Wollen Sie den Nachweis sehen? Nein. Ich las weiter in Adam Nicolsons Buch, stopfte den Gyros viel zu schnell in mich hinein, weil ich solchen Hunger hatte, und ging dann in der seltsam warmen Nachtluft wieder nach Hause. Der Abschluss eines eigentümlichen Tages.

Ich malte noch ein Bild fertig, das ich vor dem Stromabbruch angefangen hatte, und dann blieb ich an irgendetwas hängen, ich weiß nicht mehr genau, woran, im Zweifelsfall in sozialen Medien, und es wurde plötzlich sehr spät. Als ich das Licht ausmachte, war es schon nach zwölf. Dafür war die Nacht dann nicht gut. Der Gyros lag mir schwer im Magen, die drückende Wärme fühlte sich falsch an. Ich musste die Wolldecke abstrampeln. Plötzlich wachte ich davon auf, dass die grelle Lampe vom Ventilator sich wieder eingeschaltet hatte, was sie immer tut, wenn nach einem Stromausfall der Strom wieder zurückkommt. Um halb fünf Uhr versuchte ich, meine nutzlosen Gedanken loszuwerden, indem ich Yoga Nidra machte, und muss wohl eingeschlafen sein, weil es halb acht war, als ich wieder auf die Uhr schaute.

Am Morgen schaffe ich jeden Tag wieder Ordnung in dem kleinen Zuhause. Mache das Bett, räume die Kleider weg, fege, schüttle die Teppiche aus, spüle ab, was eventuell vom Abend noch dasteht. Schaufle die Klumpen der Nacht aus dem Katzenklo. Mache mir Kaffee in der Espressokanne und esse Honigbrote dazu, während ich auf dem iPad Nachrichten lese. Was ist passiert? Eine neue Variante des Covid19-Virus wurde in Südafrika entdeckt. 46 Millionen Truthähne mussten ihr Leben für das amerikanische Thanksgiving geben - eigentlich haben sie nur für diesen Tag gelebt, sind darauf hin gezüchtet worden.

War bereits beim Einkaufen, habe Sauerteig und Wasserkefir angesetzt. Vage habe ich heute den Wunsch, eine Wanderung machen, in die Natur zu kommen. Sind auch meine Wanderungen eine Flucht? Aber was ist eigentlich keine Flucht? Wovor? Vor dem Schmerz.



22:15

Fühle mich etwas krank, nicht ganz wohl in meiner Haut. Vielleicht ist es nur Übermüdung. Noch eine Zoom-Sitzung hinter mich gebracht. Ab nächster Woche ist meine Zukunft ein unbeschriebenes Blatt.

Schreibe von jetzt an täglich fünf griechische Wörter auf, heute waren es: "verärgern/aufregen", "spazierengehen", "gehen/trampeln", "dann", "Vogel", "fliegen".

Das Bad geputzt, mit Soda und Essig. Den Boden vor der Küchenzeile gewischt. Das Katzenklo wieder saubergemacht. Ich verpasse Louis eine Entwurmungstablette und hoffe, dass sein Durchfall dadurch besser wird. Seine Brustwunde habe ich wieder gereinigt und es sieht jetzt aus, als wäre sie am Abheilen.

Begab mich am Nachmittag in das halb graue, halb sonnige Wetter, fuhr mit dem Fahrrad bis zum "end of asphalt". Es war schon halbdrei, also zu spät für eine längere Wanderung, aber ich wollte einfach in die Natur kommen, mich vielleicht irgendwo hinsetzen und etwas malen. Bald begegneten mir die Fotografin E und die Tierschützerin Ch, die mit vier Hunden unterwegs waren, und später noch J und C, die im Rucksack einen Live-Vortrag eines Yogananda-Lehrers mit sich herumtrugen, der während unseres kurzen Gespräches aus seinem Versteck gedämpft weiter redete. Der Weg hatte sich nach dem Regen in einen Bach verwandelt, und da ich meine dünnen Barfuß-Schuhe anhatte, versuchte ich mich am Rand entlang zu hanteln, hielt mich dabei an morschen Ästen und an Gestrüpp fest und sagte mir, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass ich nasse Füße bekäme. Als der Weg aber nicht besser, sondern nur schlimmer wurde, beschloss ich umzukehren.

Die Wolken hingen tief. Auf einem Felsen sitzend, machte ich eine schnelle Aquarellskizze von der Aussicht. Dann packte ich zusammen. Es war wieder Wind aufgekommen und die Dunkelheit kam schlagartig. Ein weiß leuchtender Schafsschädel lag vor meinen Füssen. Es nieselte.

Gerade sehe ich durch die Terrassentür, dass Louis die Scheibe Hundewurst frisst, die ich eigentlich für den Fuchs hingelegt hatte. Ständig sind die Katzen zum Fressen bereit, wahrscheinlich haben sie wie Menschen Angst vor dem Hunger.

Schon wieder Stromabbruch. Nur der kleine Bildschirm des Pomera leuchtet. Ich muss jetzt eine Taschenlampe finden und mich dann für die Nacht fertig machen.


Keine Kommentare:

Lesbos 13/12 2021

Am Morgen wachte ich zum Plätschern des Regens auf. Machte mir Kaffee, schmierte mir Brote, packte eine Portion gesalzene Oliven in den Ruck...