Mittwoch, 29. April 2020

XXXVI - (22.April)


2020/04/22 18:50

Gestern und vorgestern nichts geschrieben.

Einen angebrochenen A1-Block mit 190g Zeichenpapier von U bekommen, der bei ihr herumlag, in dem mindestens noch zehn Bögen sind. Ein Bogen lässt sich in 16 A5-Stücke zerteilen. Das heißt, dass ich ein halbes Jahr lang jeden Tag ein Bild malen könnte.

Machte meine Steuererklärung. Als ich den Empfehlungen folgte, die für Freiberufler momentan wegen Corona gelten, kam ich zu dem Ergebnis, dass ich so viel Geld zurückbekomme, dass ich meine Schonzeit um zwei Monate verlängern kann. War so schockiert und aufgekratzt von dem Ergebnis, dass ich mich gar nicht traute, die Steuererklärung abzusenden. Irgendwo vermutete ich einen Haken, ein Aber. Es ist natürlich kein geschenktes Geld, denn innerhalb von fünf Jahren muss man es zurückzahlen. Andererseits gehe ich auch kein Risiko ein. Wenn mir Geld übrig bleibt, kann ich es zur Tilgung meiner Wohnungsschulden verwenden.

Um meine Gedanken zu beruhigen, fuhr ich zum Meer, mein erster Ausflug nach fünf Tagen. Lief durch den menschenleeren Park der Delphinia Hotelanlage, streunte zwischen den Bungalows herum, die jetzt geschlossen sind, die Fenster mit Zeitungspapier verklebt, folgte auf dem menschenleeren Strand der Wasserlinie, bis ich zu den Felsen kam, die das Ende des Strands markieren. schaute mich dort ein wenig um, gelangte dann durch ein Loch im Zaun auf eine große Wiese mit Terpentinpistazienbäumen. Ich spazierte dort ziellos herum, bückte mich, um an der Kamille zu riechen, die dort in großen Mengen wächst, gelangte an einen Zaun, der auch bei genauestem Inspizieren kein Loch oder eine Möglichkeit zum Drüberklettern anbot und ging dann wieder am Strand entlang zurück. Hoch zum Fahrrad. Diese ziellosen Spaziergänge machen mir sehr viel Spaß. Ich habe keinen Ehrgeiz, ein Pensum zu absolvieren, ich schaue nicht auf die Uhr, mache keine Fotos. Tatsächlich lasse ich das Handy zu Hause, weil ich sonst die Finger nicht davon lassen kann. Hinterher kam ich gut gelaunt nach Hause zurück. Vangelis hatte in der Zwischenzeit das Gras vor dem Haus gemäht.

Ein Kurs über japanische Aquarellmaleri auf einer Internetplattform. Das wohlige Gefühl, jemandem dabei zuzuschauen, wie sie einen Pinsel in Farbe taucht und dann eine Kontur auf dem Papier ausmalt. Hinterher muss ich mein neu gewonnenes Wissen ausprobieren, mit dem Ergebnis, dass ich nicht merke, wie die Zeit vergeht und erst nach Eins ins Bett komme.

Die beste Zeit des Tages ist das Frühstück. Wahrscheinlich habe ich schon davon geschrieben. Ich setze Kaffee auf, schneide Scheiben von meinem selbstgebackenen Brot ab, schalte den Computer ein. Während ich Milchkaffee trinke und Honigbrote esse, gehe ich durch ein paar Abschnitte meiner Griechischlektionen.  Allerdings wird das, was ich da lerne, nie im Alltag auf die Probe gestellt.

Das schwierige Autothema - meine Schwester bittet mich, mit unserer Mutter darüber zu reden, dass sie das Autofahren jetzt sein lassen soll. Sonst ist sie die "Böse". Ich rufe meine Mutter an. Berufe mich auf unseren Vater. Er hat doch auch ungefähr im gleichen Alter aufgehört zu fahren - allerdings hatte er eine Frau, die daran gewöhnt war, hinter dem Steuer zu sitzen. Sie scheint es zu akzeptieren. Aber morgen kann alles schon wieder ganz anders aussehen.

Heute Vormittag Meditieren unter dem Dach und hinterher eine Runde geleitetes Yoga. Es ist angenehm, einfach den Anweisungen von jemand anderem zu folgen, ohne mir selber Gedanken machen zu müssen. Den ganzen Tag muss ich mir selber Anweisungen geben und ihnen dann auch folgen. Das ist oft eine zähe Angelegenheit. Manchmal bin ich von einem vagen Gefühl der Unruhe und Unzufriedenheit erfüllt. Dann fange ich mich wieder. Stillhalten, einfach wahrnehmen, was ist.

Video-Gespräch mit A, der unverschämt gut aussieht. Sitzt mit seiner Sonnenbrille unter dem Apfelbaum auf dem Hinterhof, die Haare frisch abrasiert. Dagegen komme ich mir verwahrlost vor, mit meiner Notbrille, meiner herausgewachsenen Frisur und meiner provisorischen Prothese. Wir konstatieren, dass wir beide im Moment keine große Motivation haben, am Text weiterzuarbeiten. Er erzählt von der Corona-Situation in Malmö. Eigentlich kein großer Unterschied zu vorher, behauptet er. Die Leute sitzen in Cafés als wäre nichts. Er kennt auch niemanden, der den Virus hat. Die Leute, die sie aus der urologischen Abteilung zur Covid-19-Station überweisen, weil sie Fieber haben oder husten, kommen in der Regel mit einem negativen Testergebnis zurück.

Wir vereinbaren, dass ich ihm Fragen schicke und er sie dann mündlich beantwortet.

Fast zwei Stunden am Meer, in der späten Nachmittagssonne, mit Alex Garland "The Beach". Die Stimmung des Buchs springt auf mich über. Dieses vage Unbehagen, aber auch die Lust daran, dem Unheil zu folgen.




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