Mittwoch, 13. Mai 2020

XLVII - 12.5.


2020/05/12 21:27

Vorgestern sah ich ein gestrandetes Flüchtlingsboot am Delphinia-Strand. Ein Häufchen mit Kleidern daneben. Schwimmringe. Gestern waren es schon drei. Eine Mülltüte mit Kleidern, ein Bootmotor an ein Hinweisschild gelehnt. Weiter draußen auf dem Wasser ein größeres Boot, das ein Gummiboot hinter sich herzieht. Wo ist die Geschichte dazu?

Kam heute zum Strand. "Meine" Holländerinnen waren natürlich da, und der griechische Mann, der auch seit ein paar Tagen mit von der Partie ist, aber Abstand von der Frauengruppe hält. Als ich die Treppe hinunter kam, rief er, dass ich mich nicht aufs Mäuerchen setzen sollte. Ich verstand nicht genau, warum, schloss aber aus seinen Bemerkungen, dass dort irgendetwas gelegen hatte, vielleicht ein Fisch. Der Sand an der Stelle, wo ich normalerweise sitze, war feucht, und der Grieche füllte seine Gummi-Badeschuhe mit Meerwasser und goss es auf den feuchten Fleck. Er bat um Entschuldigung und sagte, er wisse ja, dass das mein Platz ist und auch meine Zeit, er habe gewusst, dass ich jetzt bald käme. Aber ich sollte mich lieber nicht dahin setzen. Ich breitete mein Handtuch auf dem Sand aus und sagte, es ist doch nicht mein Platz, wenn auch vielleicht meine Zeit am Tag. Dann kommentierte ich die Tatsache, dass heute keine Flüchtlingsboote da waren. Er sagte, einige Leute sagen, die Boote kämen leer hier an. Die Menschen würden beim Hafen von der Polizei abgefangen. Andere wieder behaupten, es seien Flüchtlinge hier am Strand angekommen. Er wisse nicht, was stimme.

Ich machte meine Schwimmrunde, legte mich danach entgegen meiner Routine mit dem Badeanzug aufs Handtuch, las Julian Clary: "Briefs Encountered", eines von Ps Lieblingsbüchern hier. Als ich sie vor einiger Zeit fragte, welches der Bücher sie mir empfehlen könne, antwortete sie, dass sie dieses Buch fast jedes Mal lese, wenn sie hier sei. Ich habe es also angefangen und nach einigen Seiten Widerstand bin auch ich gefangen. Dank P lese ich Bücher, die ich sonst nie lesen würde. Oft englische Literatur mit viel Witz und Intelligenz.

Mein Endokrinologe rief mich heute aus Schweden an. Er empfahl mir, mich ans Gesundheitszentrum in Petra zu wenden und sie zu bitten, meine Schilddrüsenhormone zu überprüfen und mir dann ein neues Rezept auszustellen. Wenn es nicht klappen sollte, dann könne er auch dort anrufen, sagte er. Wahrscheinlich haben sie im Moment nicht so viel zu tun, weil keine Touristen auf der Insel sind. Da er selber von Lesbos ist, zog sich unser Gespräch in die Länge. Einmal wurde die Verbindung unterbrochen, und er rief noch einmal an. Er würde es genauso machen wie ich, sagte er. Leider wisse er nicht, ob er in diesem Jahr nach Lesbos kommen könne. Melde dich auf jeden Fall, wie es gelaufen ist, sagte er, bevor wir uns verabschiedeten, mit der gegenseitigen Beteuerung, wie nett es gewesen sei, miteinander zu sprechen.

Umsatzsteuererklärung gemacht, ans Finanzamt geschickt und das Geld überwiesen. Rechnungen geschrieben. Ordnung ins Chaos meiner Finanzdateien gebracht. Die Finanzen für den Rest des Jahres überschlagen. Ich muss eine neue Einschätzung meines Jahreseinkommens einreichen. Im Moment bezahle ich viel zu viel, was aber auch den Vorteil hat, dass ich wahrscheinlich den Rest des Jahres keine Steuern mehr bezahlen muss.

Abendtätigkeiten: Abspülen, Linsensprossen versorgen, Brotteig rühren, Fenster unter dem Dach schließen, gießen.

Seit einigen Tagen mache ich täglich einen Yoga-Kopfstand und bin schon stärker und sicherer geworden. Hoffe auf eine stärker Rücken- und Bauchmuskulatur und darauf, dass meine Rückenschmerzen dadurch besser werden. Heute rieselte Sand aus meinen Hosentaschen, als ich auf dem Kopf stand.

Zum Vergnügen sitze ich abends auf der Terrasse und spreche sinnlose Sätze in Google Translate, die dann auf Griechisch übersetzt werden. Das Programm funktioniert erstaunlich gut, aber nur, wenn man schon ein wenig Ahnung von der Sprache hat und erkennt, wenn Blödsinn rauskommt. Wenn ich griechische Wörter zum Übersetzen eingebe, dann hört man eine deutsche Sprecherstimme, die ein Gefühl von Deutschland vermittelt, wie es dem Stereotyp entspricht: steif, humorlos, kühl, förmlich. 

Die Mücken kommen - es sind die einzigen Insekten, die ich töte (wenn ich sie erwische). Die anderen Insekten, die in großer Vielfalt und Zahl hier hereinspaziert kommen, lasse ich entweder sein oder ich bringe sie nach draußen. Manchmal muss ich eine Spinne aus dem Spülbecken retten oder ein Insekt, das irgendwie im Katzenklo gelandet ist und jetzt die Wand der Schüssel nicht hochklettern kann. Wenn ich eine Schale mit Katzenfutter auf der Terrasse stehen lasse, ist sie jetzt nach kürzester Zeit von Ameisen heimgesucht, die die Katzenfutterstücke schwarz ummanteln. Es gibt Ameisen der verschiedensten Größen. Die kleinsten davon wische ich manchmal gedankenlos von meinen Armen weg.

Ich hätte beinahe die Zecken vergessen. Ich finde sie meistens im Fell der Katzen, aber auch manchmal an meinem Körper und töte sie dann sofort, meistens zwischen Daumen- und Mittelfingernagel. Wenn sie sich schon mit Blut vollgesaugt haben, dann zerdrücke ich sie unter einem Steinbrocken oder unter meinem Schuh.

Wenn ich zum Strand radle, komme ich an einem Grundstück vorbei, auf dem mehrere junge Hunde wohnen. Das Tor zur  Straße steht meistens weit offen, und die Hunde machen sich einen Spaß daraus, herauszuschießen und neben dem Fahrrad herzulaufen. Dabei bellen sie wie verrückt und recken ihre Köpfe in meine Richtung. Es nervt und stört und macht mich nervös, weil ich fürchte, dass mir einer der Hunde vors Rad läuft oder noch schlimmer, von einem Auto angefahren wird. Außerdem bin ich mir nie ganz sicher gewesen, ob ihr Verhalten wirklich nur verspielt ist oder ob in ihrem Kläffen auch eine Drohung mitschwingt, ob dahinter auch ein Knurren zu hören ist. Gestern hat dann schließlich eine Hündin knurrend nach meiner Hose geschnappt und es war fast so, als würde ich mich vor den Hunden (es sind vier oder fünf) auf das Delphinia-Grundstück retten, wo ich die Gartentür hinter mir zuwarf. Auf dem Nachhauseweg schob ich das Fahrrad leise am Gartentor vorbei, um die Hunde nicht auf mich aufmerksam zu machen. Heute versuchte ich, einen anderen Weg zum Strand zu finden, kam aber von einem engen, überwachsenen Weg zu einem fest verzurrten Gitter und kehrte wieder um. Fuhr dann so leise wie möglich an dem Gartentor mit den Hunden vorbei (keine Gangschaltung, kein Bremsen) und wurde tatsächlich in Ruhe gelassen. Auf dem Nachhauseweg versuchte ich die gleiche Strategie anzuwenden, aber als ich den Busfahrer Hippokrates grüßte, der am Straßenrand stand, wachten die Hunde auf und die Kläfferei ging wieder los. Allerdings war ich schon zu weit entfernt, als dass sie mich noch hätten einholen können. Dieser Hundeterror verdirbt mir die Freude an meinen Strandausflügen etwas, aber ich bin sicher, dass ich irgendeine Lösung finden werde. 

Müde. Ich gehe heute ins Bett, ohne etwas gezeichnet zu haben.


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