Montag, 3. August 2020

2. August -

2020/08/02 13:49 

Drei Tage später, jetzt in meiner Wohnung in Schweden. Diese Aufzeichnungen sind mein Pro Memoria, damit die letzten Tage und die Erlebnisse auf der Reise nicht ins Vergessen absinken. 

Die Nacht nach den Chips und dem Wein war schlecht, und ich ging übermüdet in meinen letzten Tag auf Lesbos. Beim Morgenbad begegnete mir niemand. Ich frühstückte Reste aus dem Kühlschrank(Ei, Gurke, Tomate, Ladotiri, Oliven) und Käseplätzchen. 

Trug die restlichen Sachen über die Leiter nach oben unters Dach, fegte den Keller, schaltete die Heizungsanlage aus, schrieb einen Zettel mit Anweisungen für die nächsten Bewohner. Wusch den Kühlschrank aus. Packte den Koffer. 

Entdeckte, dass Caesarion eine Wunde am Kopf hatte. Wusch sie notdürftig aus und mache mir seitdem Sorgen. Ein loses Ende. Diesen Schmerz, diese Einsamkeit annehmen. 

Fuhr noch einmal in den Ort, um mich von Theodos zu verabschieden, kaufte Retsina und Sodawasser für P, wenn sie das nächste Mal ankommt, aß auf der Terrasse eine Linsensuppe zu Mittag. Schob mein Fahrrad in den Schuppen, schloss es ab, verschloss den Schuppen, ließ aber den Schlüssel im Schloss für Anna. Stellte Katzenfutterschalen auf die Terrasse, füllte eine Schale mit frischem Wasser. 

In der Nachmittagshitze zum Bus. Kein Mensch begegnete mir. Die Katzen waren auch nicht da. Sie fühlen es schon Tage vorher, wenn man wieder abreist und verschwinden gewöhnlich am Abreisetag. 

In Mytilini teile ich ein Taxi mit einer jungen Frau. Da der Taxifahrer keine Kreditkarten akzeptiert, muss ich am Flughafen noch einmal Euros zu einem horrenden Wechselkurs herauslassen, um der jungen Frau den Anteil zu geben, den sie für mich ausgelegt hat. Dann hat sie schließlich kein Wechselgeld für meinen 20 Euro-Schein und winkt ab: "Es sind ja nur 5 Euro". 

Der kürzlich renovierte Flughafen weckt in mir das Gefühl, an einem fremden Ort zu sein. Es gibt Maskenpflicht und Markierungen auf dem Fußboden, die den Abstand anzeigen, den man einhalten soll. Das Einchecken wird nach Sitzplätzen organisiert, aber die Ansage ist so schnell, dass ich nie verstehe, wer gerade dran ist, und ich stelle mich einfach in eine Schlange. 

Der Gedanke, dass ich in Athen ein Hotel haben werde, beruhigt mich. Doch als ich nach der Landung wie vereinbart dort anrufe, sagt mir eine Männerstimme, dass er meine Reservierung nicht finden kann. Das ist unmöglich, sage ich. Der Sammelbus hat aber gerade den Flughafen verlassen. Ich soll jetzt "10-12 Minuten" warten. Halten Sie Ausschau nach einem großen Typen mit einem roten Käppi. Die 10-12 Minuten wachsen sich zu 40 Minuten aus. Schließlich kommt ein großgewachsener Mann mit einem roten Käppi und winkt mir, ihm zu folgen. Es fängt schon an, dunkel zu werden. Eine deutsche Familie mit einem kleinen Jungen und ein englisches Paar werden mit mir in den schwarzen Kleinbus geladen. Die Fahrt geht erst über die Autobahn. Dann biegt der Fahrer ab und plötzlich ist man in einer anderen Welt. Enge Straßen, Wohnhäuser, Grundstücke hinter Mauern. Man lädt uns und unser Gepäck aus. Das "Hotel" hat eine unpersönliche "Loggia", eine Art Schalter, hinter der ein junger Mann vor seinem Buchungsschema sitzt. Ein geschmackloser Springbrunnen plätschert hinter einer Schiebetür. 

Das Hotel heißt "Tina's Apartments", aber es sind nur Männer zu sehen. Wir werden registriert und bezahlen. Sie machen offensichtlich ein gutes Geschäft mit den Fluggästen, die sich ganz einfach nur nach einer ruhigen Nacht sehnen. Wegen Covid ist es außerdem zurzeit gar nicht erlaubt, auf dem Flughafen zu schlafen. Da dieses Haus voll ist, soll ich mit der deutschen Familie zu einem Haus mit "Beachview" gefahren werden. Das englische Paar findet, dass das gut klingt und schließt sich an. Wieder eine wilde und verwirrende Fahrt, wir kommen in einen Ort mit Läden und Restaurants und Straßenständen. Zur rechten Seite ein Strand mit Bastschirmen und Menschen, die ein Abendbad vor dem dunkelblauen Abendhimmel nehmen. An einem Straßenstand werden Maiskolben gegrillt. Alte Männer sitzen vor gesichtslosen Cafés mit Neonbeleuchtung um Tische herum, reden wahrscheinlich über Politik, aber vielleicht nicht so viel über Erdogan, wie man das auf Lesbos tut. 

Das Auto hält vor einem dunklen Haus, wo ein weiterer junger Mann bereitsteht. Alle außer mir sollen dort untergebracht werden. Ich warte mit meinem Koffer beim Auto, doch das englische Paar kommt auch wieder zurück. Es gab Probleme mit dem Schlüssel. Wir sollen woandershin gebracht werden. Ich habe Flashbacks, fühle mich an Indien erinnert. Mein Gepäck soll ich wieder in den Minibus einladen, dann entscheiden sie aber, dass wir doch mit dem Personenwagen des anderen fahren sollen. 

Nach ein paar Minuten Autofahrt kommen wir in ein anderes Viertel, halten in einer Geschäftsstraße zwischen zwei Souvlaki-Grills vor einer weißen Tür, die in einen dunklen Treppenaufgang geht. Ich bin froh, dass ich in Gesellschaft des englischen Paares bin. Wir steigen die enge Treppe hoch, ein Stockwerk, zwei Stockwerke. Dann öffnet der junge Mann, der uns begleitet (Aki), zwei Türen, in denen bereits Schlüssel stecken. 

Zwei Stunden nach meiner Ankunft habe ich endlich ein Zimmer. Ich bin so erleichtert, dass ich vergesse, nach dem Klo und der Dusche zu fragen. Erkundige mich aber nach dem Frühstück, das mir versprochen wurde. Aki sagt, er kommt später mit etwas vorbei. Ich sage, falls ich nicht da bin, kann er es auch an die Tür hängen. Ich öffne die Balkontür und habe einen phantastischen Blick aufs Meer. Aber von oben blicke ich auch auf eine Bar, in der zwar keine Besucher zu sehen sind, aber trotzdem laute Musik gespielt wird. 

Die Engländer helfen mir, ein Klo mit Dusche ausfindig zu machen, das offensichtlich zu meinem Zimmer gehört. Ich schalte die Klimaanlage ein, schließe das Zimmer ab und gehe die schmale Treppe hinunter und hinaus auf die Straße, um mir etwas zu essen und zu trinken zu kaufen. Bewege mich vorsichtig, weil ich fürchte, ich könnte nicht wieder zurückfinden. Die Situation und die Stimmung auf der vermüllten Straße erinnern mich an Indien. Alles wirkt heruntergekommen und etwas chaotisch. An einer Straßenecke steht eine Gruppe Polizisten, die scheinbar irgendeinen Auftrag haben. Bin unbeschreiblich müde und kaufe schließlich nur einen Toast, eine Dose Bier und eine große Flasche Wasser, die ich mit ins Zimmer nehme. 

Aki ist (natürlich?) nicht mit dem Frühstück gekommen. Ich beschließe, mich nicht darum zu kümmern, mache das Licht aus und lasse die Klimaanlage laufen. Der Wecker ist auf 5:45 gestellt, das Auto soll um 6:30 kommen. Angeblich sind es 10 Minuten bis zum Flughafen. Was tue ich, wenn es nicht kommt? Kurz vor fünf bin ich schon wieder wach und stehe auf, mache die Türen zum Balkon auf, gehe hinaus, atme die Meeresluft. Direkt vor dem Fenster liegt ein Badestrand, mit mehreren Reihen von Bastschirmen. Ich höre, dass die Engländer mit ihren Koffern die Treppe hinunter gehen. Sie fliegen schon eine Stunde früher als ich. 

Ich nehme eine ausgiebige Dusche in dem winzigen Klo, in dem es zwar keine Duschkabine gibt, aber einen Schlauch mit Duschkopf, der aus der Wand kommt. Kleine Fläschchen mit Shampoo und Duschgel stehen auf der Ablage vor dem Spiegel, was mir trotz allem das Gefühl gibt, dass ich in einem Hotel bin. Auf dem Bett lagen zwei frisch gewaschene Handtücher, und alles war sauber, auch die Wände frisch geweißt. Die Nachttischlampe von Ikea. In der Ecke hing ein Fernseher und auf dem neuen Kühlschrank stand eine Minikochplatte, auf die man eine Espressokanne oder ein griechisches Kaffeekännchen stellen könnte. 

Als ich um 20 nach 6 die Treppe hinunter gehe, kommt mir Aki schon entgegen. Kein Wort wegen dem Frühstück, und ich lasse es auf sich beruhen. Auf der Fahrt zeigt er mir seine Fahrtenliste. Er ist schon seit vier Uhr unterwegs, Leute zum Flughafen bringen. Jetzt ist er müde. Ich sage, dass ich fünf Monate auf Lesbos war, er lacht entzückt. Am Flughafen ein Händedruck (gehe mir dann sofort die Hände waschen) und ein Kalo taxídi, "Gute Reise". Ich bekomme ein Minifrühstück in einem Steh-Café am Flughafen. Espresso und Toast. Dann gehe ich zum Security Check. Trinke in der Warteschlange das restliche Wasser aus meiner Flasche, das mir das Kinn und den Hals entlang rinnt. 

Am Gate wird mein Handgepäck wird gewogen. 8,6 kg. Das ist zu viel, sagt der Steward. Aha, sage ich. Wollen Sie, dass ich was rausnehme und wegwerfe? Eine Frau vom Bodenpersonal springt ein. Es ist schon in Ordnung. Ich würdige den Steward nachher keines Blicks, selbst als er mir am Scanner eine gute Reise wünscht. Vielleicht hatte er nur die Unruhe in meinen Augen sehen, sich einen kurzen Augenblick der Macht gönnen wollen. Andere Reisende hatten sogar zwei Gepäckstücke dabei, obwohl nur eines erlaubt ist, aber er winkte sie durch. 

Habe jetzt ein Visier über der Maske, wie auch einige andere Passagiere im Flugzeug. Sitze neben einem jungen Mann, der die meiste Zeit schläft. Hinter uns der Notausgang, so dass wir unsere Sitze nach hinten kippen können. Das Flugpersonal verteilt wie auch schon auf dem ersten Flug Papiertüten mit etwas zu essen. Ich finde ein belegtes Sandwich und ein Tütchen mit Schoko-Müsli-Keks in Herzform. Außerdem eine kleine Flasche Wasser. Ein Blatt mit Verhaltensregeln in Coronazeiten. Eine kleine Plastiktüte, in die man seine Maske nach dem Flug stecken soll. Ich bestelle einen Orangensaft und eine Tasse Kaffee. Natürlich müssen alle die Maske von Mund und Nase ziehen, um essen und trinken zu können. Lese Zeitung auf dem IPad, dann "Sonntage im August" von Patrick Modiano und schlafe hin und wieder ein wenig. Der junge Mann neben mir ist still. Er schläft fast die ganze Zeit, lässt sich irgendwann einen Becher Kaffee geben, den er still austrinkt, um dann wieder weiterzuschlafen. 

***

Dann die Landung in Kopenhagen. Ein schöne, angenehme Sommerwärme anstatt der brennenden Hitze der letzten zwei griechischen Monate. Passkontrolle direkt nach dem Aussteigen. Wohnen Sie in Kopenhagen? fragt der Beamte, weil mein deutscher Pass in Kopenhagen ausgestellt ist. Nein, in Malmö, sage ich. Er lächelt und winkt mich weiter. Dann kommt eine weitere Passkontrolle. Wo wollen Sie hin? Nach Schweden, sage ich. Haben Sie eine Fahrkarte? Die Zollbeamtin studiert die Fahrkarte in meinem Handy und reicht es mir dann wieder durch das kleine Fenster. Have a good time. Ein Lächeln. 

"Exit" und Warten auf den Zug. Beinahe verpasse ich den Ausstieg in Malmö, weil ich vertieft bin in irgendeinen Artikel der NYT. Am Ausgang wartet P auf mich, mit dem Fahrrad, im Sommerkleid. Wir gehen nach Hause. 

Und damit ist dieses griechische Abenteuer zu Ende. 

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