Montag, 3. August 2020

30. Juli -

2020/07/30 23:44

Letzter ganzer Tag. Morgens Kaffee, dann ans Meer. Traf Artemis, wir redeten über ihre Töchter. Die eine studiert schon in England (Norfolk) Psychologie, die andere möchte gerne Kriminalistik studieren, ist aber auch unentschlossen. Einen Studienplatz in Edinburgh, der ihr schon zugesagt worden war, hat sie abgelehnt. Nach Frankfurt zu ihrem Onkel will sie auch nicht. Bei der Schwester in England wohnen hat irgendwelche andere Haken. Ach ja, es ist teuer. Sie hängen den ganzen Tag vor dem Computer, so Artemis, die trotzdem leicht klingt und ihr Lächeln nie verliert, deshalb besteht sie darauf, dass sie wenigstens abends den Hund ausführen.

35 Grad Höchsttemperatur heute. In Schweden ist "Hochsommer" angesagt für das Wochenende: 20 Grad... P hat heute ihren Corona-Test gemacht. Ich verstehe ihre Symptome nicht, ihre Gelassenheit, wenn sie darüber spricht.

Anna kommt um 10 Uhr. Eigentlich hoffe ich, dass es nicht länger als zwei Stunden dauert, aber obwohl Anna eine halbe Stunde länger bleibt, muss ich den ganzen Nachmittag weiter putzen. Wie kannst du in der kleinen Wohnung nur so viel putzen? fragt Giorgos, mit dem ich zum Mittagessen in einem wunderschönen Lokal am Meer zwischen Petra und Anaxos sitze. Eigentlich wollten wir bei Katarina essen, zu den bewährten 10 Euro, aber dann wurde es eine richtige Taverne und eine hohe Rechnung, obwohl der Besitzer uns auf den Ouzo einlud. Giorgos wirft mir vor, dass ich faul sei, weil ich Anna um Hilfe gebeten habe. Sie braucht Geld, sage ich. Ich brauche auch Geld, erwidert er. Du hättest mich fragen können. Dann lacht er. Redet von seiner türkischen Freundin und den Träumen, die er hat. Ich möchte kochen. Ich möchte ein großes Zimmer, in dem ich malen kann. Ich habe bisher nie Platz gehabt zum Malen. Er erklärt mir dann seine Philosophie, was Beziehungen angeht. Man sollte in einem Konflikt nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen und dann lieber zu einem anderen Thema überwechseln. Er stimmt mir auch zu in meiner Diagnose der Ausländer, die in Molyvos leben. Sie folgen einem Traum und sind dann darin gefangen. Die Frauen, die sich in einen Griechen verlieben, sind schlimm dran, sagt er. Er möchte mit seiner Freundin in Istanbul, in Molyvos, in Ayvalik leben, und dann reisen, reisen. Im Februar wird er Rente beantragen, es wird dann ein halbes Jahr dauern, bis sein Antrag durch ist. Wieder regt er sich über seine Landsleute auf. Über die Dorfbewohner. Er hat ausländische Freunde, die wegen dieser Situation nicht mehr nach Molyvos kommen. Er seufzt. Die Kunst in Molyvos kann nur nachahmen, da gibt es nichts Eigenes, Authentischen. Er möchte gar nicht hören, was ich von der Ausstellung in der Bibliothek zu berichten habe, die ich gestern besucht habe, es macht ihn ganz krank, daran zu denken. Er sieht uns in der gleichen Kategorie. Wir haben zwar kein Geld, aber alles dreht sich nicht ums Geld, sagt er und öffnet die Mappe mit der Rechnung, die der Kellner gebracht hat. Ich sage, lass uns die Rechnung teilen. Es ist undenkbar für ihn. Ich bin wie eine alte Münze, sagt er, ich bin ganz einfach so geprägt. An einem Punkt im Gespräch versuchte ich, ihn daran zu erinnern, dass er nicht so arm ist, wie er es oft darstellt. Er hat Besitz, will ihn bloß nicht verkaufen, weil er vor zehn Jahren mehr als das Doppelte dafür gekriegt hätte. So geht es im Moment vielen.

Fahre nach Hause, liege müde in der Hitze auf dem Bett, raffe mich dann zu einem weiteren Putzumgang auf. Schleppe Sachen unters Dach, räume die Schränke um, obwohl es ganz unsicher, ob im August wirklich jemand hier wohnen wird. Lese die Bedingungen der Fluggesellschaft und sehe ein, dass ich wirklich nur 8kg mitnehmen kann. Außer dem, was ich am Körper trage, ist das nicht viel. Abends bei Giorgos kaufe ich ein Armband für meinen Bruder, und er macht mir wieder einen guten Preis. (Als ich dann noch etwas in die Hand nehme, ruft er: "Kauf das nicht! Dann muss ich dir wieder einen guten Preis machen!" - Ich hätte sagen sollen: "Hör endlich damit auf, mir gute Preise zu machen!")

Haareschneiden bei Rania, die einfach auf Griechisch drauflos plappert. Was hast du bezahlt? fragt Giorgos mich hinterher und ist wieder mal unzufrieden mit mir. Er bezahlt die Hälfte bei seinem "Barber". Ja, sage ich, aber du bist ein Mann. Na und? Aber wir haben denselben Haarschnitt.

Zwei Ladungen Wäsche, noch ein letztes Mal Garten gießen. Alles ist plötzlich ganz anders. Ich fühle mich im Zimmer, als wäre ich ein Hotelgast. Es ist gut, dass ich morgen keine Eile habe, keinen Wecker stellen muss. Ich bin jetzt fertig mit Molyvos, mit der Hitze, sagte ich heute zu P. Es ist nur schade, dass ich die Katzen sich selber überlassen muss. Aber ich habe wirklich alles getan, was ich konnte.

Lese auf der Terrasse in der NYT über die Beerdigung von John Lewis. Ein schöner, ein gewaltiger Mensch, über den ich jetzt mehr wissen und lesen möchte. Trump sinniert unterdessen (wahrscheinlich aus Eifersucht) darüber nach, dass er die Wahl gerne verschieben würde, das garantiert ihm natürlich Aufmerksamkeit. Zum Glück geht das nicht einfach so.

Mary lädt mich auf ein Glas Wein ein und schenkt mir ein Fläschchen Ouzo und einen Luftkuss hinter der Maske. Anni und ich formen Herzchen mit unseren Händen und machen erst einen Ellenbogen- und dann einen Hüft-Bump. Ich verabschiede mich von Theodos' Frau und sage ihr, dass ich mich morgen auch von ihrem Mann verabschieden werde. Er mag dich wirklich sehr, sehr gerne, sagt sie nachdrücklich, und ich sage, ich mag ihn auch. 

Sogar Giannis von Tropicana traf ich heute zufällig. Du siehst aus wie ein Holiday Boy, sagte ich, weil er mit einem Strohhut am Steuer seines Jeeps saß. Das bin ich erst im November, sagte er, aber ich tue auch jetzt das Beste, um das Leben zu genießen. Er reicht mir seine Hand durch das geöffnete Fenster. Es hat ihn sehr gefreut, mich kennenzulernen. Ich meine es ernst, als ich ihm erwidere, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.

Wenig konstruktiv stopfe ich auf der Terrasse Chips in mich hinein und trinke noch ein Glas Weißwein, während ich auf meinem Telefon einen Essay lese, den John Lewis einige Tage vor seinem Tod geschrieben hat. Beeindruckend und inspirierend. 

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