Freitag, 13. März 2020

Alltag auf Lesbos VI (11.März)


11/03/2020

Der Tag fühlt sich an wie eine Ewigkeit.

Die WHO hat eine Pandemie ausgerufen. Angela Merkel geht davon aus, dass 60-70% der deutschen Bevölkerung  sich mit Covid19 infizieren wird.

Auf dem Handy kommt ein blinkender High Risk Alert von der griechischen Regierung: High-Risk-Personen sollen so weit wie möglich zu  Hause bleiben. Ich habe heute einen neuen Flug gebucht - für in drei Wochen. In dieser Zeit bin ich zwar hier relativ sicher. Aber wie sieht die Welt bis dahin aus? Konzerte und Opernaufführungen werden abgesagt. Fußballspiele finden in leeren Stadions statt. Operationen werden verschoben. Menschen werden aufgefordert, möglichst zu Hause zu bleiben. 

Theodosos dreht sich zur Wand um und hustet, als ich im Supermarkt an der Kasse stehe. Vorher habe ich den Apotheker hustend sein Schild ins Geschäft tragen sehen. Die griechischen Schulen sind ab heute für zwei Wochen geschlossen. Indien schließt seine Grenzen. Dänemark schließt den Reichstag. Vielleicht gibt es bald Engpässe bei der Lebensmittelversorgung? Vielleicht sollte ich trotz allem auch ein wenig bunkern?

Am Vormittag wieder Probleme damit,in die Gänge zu kommen. Stehe zwar früh auf, bin aber dann doch erst wieder gegen zehn in meinem "Meditationsraum". Zum Mittagessen gebratene Champignons und Spiegeleier, dazu Salat mit Fetakäse und Brot mit Olivenöl. Fahre dann ins Dorf zum Einkaufen und setze mich im einer stillen Ecke hin, um ein Bild von einem leerstehenden Haus zu malen. Dieser Prozess des Zeichnens und Malens lässt mich den Augenblick intensiv erleben. Ich blättere im Zeichenbuch zurück. Was ich gestern gezeichnet habe, scheint schon wieder lange her zu sein.

Ach, alles scheint im Moment unsicher. Was, wenn der Virus sich nicht aufhalten, nicht bekämpfen lässt? Wie wird die Welt dann in einem Jahr aussehen? Noch glauben wir an eine wundersame Wende. Und dass wir nicht davon betroffen sein werden und niemand in unserer Nähe. Noch kenne ich niemanden mit dem Virus. Wann wird der erste Name auftauchen? Oder sogar der erste Todesfall? Ist alles wirklich nur unbegründete Panik?

Und alles kommt vom mangelnden Mitgefühl, von der Gier der Menschen, ihrer Dummheit. Wie wir Tiere behandeln, misshandeln, benützen, missachten - ob es jetzt in China angefangen hat oder woanders, spielt vielleicht keine wirklich große Rolle.

Ich muss es jetzt meinen Geschwistern überlassen, eine Entscheidung zu treffen hinsichtlich der Frage, ob es klug ist, am Wochenende einen Familienausflug an den Achensee zu machen. Es lässt sich von hier nicht beurteilen.

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