Montag, 30. März 2020

Corona-Virus-Alltag auf Lesbos XXII (30.März)


08:05   

Gestern Abend habe ich den Kühlschrank zum Abtauen ausgeschaltet und geöffnet, und obwohl ich mich bemühte, das Eis aus dem Eisfach wegzubekommen, war es immer noch am Tröpfeln und Knacksen, als ich mich schon zum Schlafengehen anschickte. Da war es schon nach Mitternacht (Zeitumstellung).

Sitze im Bett, während ich das hier auf meinem Pomera schreibe und mich dranmache, meinen Blog zu aktualisieren. Die Espressokanne brodelt am Herd. Ich habe eine Wolldecke über Bettdecke gelegt. Am Morgen ist es noch kalt. Die Sonne scheint aber schon, und die Vögel zwitschern.

Gestern: Gespräch mit der Familie auf Zoom. Zimmer und Bad geputzt, die Teppiche ausgeschüttelt. Mit U und I geredet (nicht gleichzeitig). Bot ihnen an, ein Bild von einem Motiv ihrer Wahl zu malen, als Dank dafür, dass ich den Teepavillon benützen kann. U erzählt, dass sie sich Lebensmittel von einem Laden im Dorf schicken lassen. Sie kennt den Dorftratsch, weiß, was passiert. Vangelis versucht, den Virus mit Musik zu vertreiben. Mit Maro, der Besitzerin des Lebensmittelladens, hat sie einen Hasapikos getanzt, Maro hinter der Theke, U zwischen den Regalen. U sehnt sich nach ihren Kindern und Enkelkindern.

I erzählt, dass der massive Ausbruch in Italien auf Fußballspiel in Milano mit 5000 Zuschauern zurückzuverfolgen ist. Außerdem liegt es vielleicht daran, so sage ich, dass bei den Italienern der Familienkontakt enger ist als in anderen europäischen Ländern. Später, beim Familiengespräch, ergänzt David, dass Italiener eine größere Körperlichkeit  haben. Marco flicht noch von hinten ein, dass es in der Lombardei große Textilfabriken gibt, die in chinesischem Besitz sind. Es ist gut denkbar, dass der Virus dort über chinesische Angestellte relativ früh anlangte.

Schaue mir den Bericht eines Covid-19-Überlebenden an, ein  Mann zwischen dreißig und vierzig. Er spricht von der Einsamkeit als Patient, davon, dass er lernen musste, Geduld zu haben. Drei Tage lang wurde er künstlich beatmet. Er sagt, das kann man sich nicht vorstellen. Die Zeit vergeht nicht, wenn man in dieser Maschine ist. Und jetzt? Er wird von nun an die kleinen Dinge des Lebens schätzen. In einem anderen Filme (alles auf der Homepage vom Guardian) sind Zusammenschnitte von Appellen italienischer Bürgermeister an ihre Bürger zu sehen. Teilweise laufen sie durch die Orte und schicken die Leute von der Straße nach Hause. „Geht nach Hause und spielt auf euren GameBoys!“ „Hier dürft ihr nicht Tischtennis spielen!“ Sie reden sich teilweise in Rage - "Wenn ihr die Friseuse nach Hause kommen lasst, dann kriegt ihr außer dem Haarspray auch den Coronavirus ins Haar!!" "Idioten!!" schreit einer, mit Verzweiflung in der Stimme.  

Das Lager in Moria müsste spätestens jetzt aufgelöst, die Menschen auf verschiedene europäische Länder verteilt werden, wo sie in Wohnverhältnissen untergebracht werden, in denen es möglich ist, Abstand zu halten. Dort könnte man sie erst einige Wochen in Quarantäne belassen, diejenigen testen, die Symptome zeigen, dann eine Normalisierung ihres Lebens einleiten.  I  sagt, die Journalisten sitzen wie Hyänen vor dem Lager und warten auf eine Hiobsbotschaft. Sie erzählt auch mit Resignation in der Stimme, dass man den Leuten dort jetzt beibringt, wie man sich die Hände richtig wäscht. Ich sage, ich habe das aber auch erst lernen müssen, von einem Video im Internet, wie man das richtig macht. Ja, sagt sie, so hat sie das nicht gemeint. Aber wenn fünftausend Menschen sich einen Wasserhahn teilen, wie sollen sie sich dann andauernd die Hände waschen? Wie soll das gehen?

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