Montag, 9. März 2020

Alltag auf Lesbos III (7.März)


Unzufrieden mit mir selber, weil ich mein Abendessen so nachlässig in mich hineingestopft habe. Ungesundes Zeug: Weißbrot, Salami, Butter. (Salami nur, weil P sie hier zurückgelassen hat) Auch Ladotiri - Ziegenhartkäse -, aber das macht diese nährstoff- und vitaminarme Ernährung auch nicht wett. Auch unzufrieden mit meinen Skizzen heute. Meine Ungeduld. Irgendwo stehe ich mir immer im Weg. Und finde keine Linie, keinen eigenen Stil.

In der Wohnung müsste ich auch mal durchgreifen, den Schrank ausräumen, alles neu sortieren. Ich habe mir beim Toasten des Weißbrots eine Brandblase am Daumen zugezogen, ohne es zu merken. Meine Backen glühen. Vielleicht habe ich heute etwas Sonne erwischt, als ich draußen saß und in dem chinesischen Krimi las.

(Der "kleine") Gianni kam, um sich die Heizung anzuschauen. Es zeigte sich, dass eine Sicherung in einer der Wohnungen ausgefallen war. Er musste mit seinem Moped zu Anna fahren, um den Schlüssel zu holen. Als wir den Schalter nach oben kippten, funktionierte wieder alles. Wie das geschehen konnte, ist ein Rätsel, vielleicht war es, als ich Wäsche wusch und Anna gleichzeitig staubsaugte, weil sie Barbaras Apartment für ihre Ankunft vorbereitete. Ich gab Gianni zehn Euro, die er lächelnd entgegennahm. Das Ganze hat nicht länger gedauert als eine halbe Stunde. Ich war froh um seine Hilfe und auch froh darüber, dass es nichts Komplizierteres war.

I erzählte, dass sie gestern bei ihrer Ankunft am Flüchtlingslager Moria vorbei gefahren sind. Menschenunwürdig ist es, wie die Leute dort hausen. In Deutschland stehen die Flüchtlingsheime leer und haben Bereitschaft angemeldet, Flüchtlinge (z.B. alleinreisende Kinder) aufzunehmen, aber es wird vom Bund nicht genehmigt. I meint, die Angst vor der AfD sei so groß, dass Berlin blockiert. Für das geschlossene Flüchtlingsheim, das man hier auf Lesbos bauen wollte, habe man einen Bauer kurzerhand enteignet. Das Land, das seit Generationen seiner Familie gehört hat, sei ihm ganz einfach ohne Entschädigung abgenommen worden, weil er es nicht genutzt hat. Wie kann das sein? Das kann doch nicht sein, sage ich. Doch,sagt I. Das sind rechtlose Zustände.

Das Wetter war seltsam heute und ich war rastlos und gleichzeitig wie gelähmt. Draussen ist es windig. Eine Katze miaut. Revierkämpfe. Afro war im Heizungskeller eingeschlossen, es muss gestern abend passiert sein, als ich mit der Taschenlampe mehrmals hin und her lief. Ich hörte sie miauen, als ich am Vormittag daran vorbeikam. Ich entschuldigte mich bei ihr, aber sie hatte mir schon verziehen und schwänzelte mir um die Beine, froh, endlich wieder im Freien zu sein.

Bekam von I ein Spinatpie, das ich mir zum Mittagessen aufwärmte. Dazu machte ich mir ein Omelette mit einer halben Tomate und aß einen Salat mit Oliven dazu. Ganz ungesund war meine Ernährung heute also doch nicht.

Lief durchs Dorf und war völlig überwältigt von der Schönheit dieses an den Berg geklebten Orts mit seinen steilen Treppen und verschlungenen Wegen. Jedes Haus ist individuell und trotzdem ist der Gesamteindruck harmonisch, einheitlich. Die Häuser vermitteln einen selbstverständlichen Stolz, dachte ich. Die Menschen, die sie bauten, wussten ganz einfach, dass sie es wert sind, so zu leben. Wieso akzeptieren wir Wohnungsmangel, schlechte Wohnverhältnisse? Alle Menschen sollten das Recht auf ein schönes und geräumiges Haus haben. Alles ist von Hand gebaut, verputzt, gezimmert, gemalt. Lebensbejahend, aber nicht protzig. Das ist wirklich etwas anderes als die engen und hässlichen Wohnungen in den Städten Europas, das Gefühl der Wertlosigkeit bei den Menschen, die in ihnen eingepfercht leben. Schlampigkeit im Bau. Minderwertige, gesundheitsschädliche Materialien. So falsch. 

Eine Frau begegnete mir, begleitet von einer Katze mit einem in die Luft gereckten Schwanz. Ich musste bei diesem Anblick lächeln. Die Frau sagte etwas. Wir grüßten uns. Ich rede mit der Katze, sagte sie entschuldigend. Das Normalste von der Welt für mich, aber das konnte ich nicht auf Griechisch sagen.

(Später)

Beschließe, den Tag heute zu beenden, ohne dass ich das getan habe, was ich eigentlich vorhatte (am Anas-Text weiterarbeiten). Es ist besser, morgen früher aufzustehen.    

(Noch später)

Stehe vor der Terrassentür, schaue durch die Glastür in die Dunkelheit und wiederhole die griechischen Phrasen von der Rosetta Stone CD. "Er hat ihr Blumen geschenkt. Sie schenkt ihm Blumen. Er hat letzte Woche eine Fahrkarte gekauft. Hast du ein Lexikon? Brauchst du Briefmarken? Die Kinder haben ihrem Vater eine Krawatte geschenkt.Gestern habe ich Fleisch und Gemüse gekauft. Heute koche ich. Er fährt morgen nach Paris. Hast du einen Briefumschlag? Ja, ich habe gestern einen gekauft." 

Der rothaarige Hamish macht eine Fressvisite auf der Terrasse und schaut mich durch die Tür an. Er sieht so knuddelig aus.

Setze mich mit einem Gedichtband von Mary Oliver aufs Bett, lese ein paar Gedichte und denke, eigentlich ist das doch das einzig Wichtige im Leben der Versuch, das Leben und die Welt und unser Leben in der Welt zu verstehen. Warum hat man dann ständig das Gefühl, man müßte etwas zustandebringen, warum flieht man ständig vor dem, was ist?  

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