Montag, 9. März 2020

Alltag auf Lesbos II (6.März)


Erster richtiger Tag hier. Schlafe, wache auf, schlafe, wache auf. Nach neun Stunden fühle ich mich ausgeruht. Wenn Caesarion rausgehen will, geht er zur Tür und schlägt gegen den Schlüssel, der im Schloss steckt. Wenn er wieder reinkommen will, steht er draußen und  miaut sehr vorsichtig. Ich bilde mir ein, dass eine der Katzen auf die Bettdecke gepinkelt hat und nehme das dann hinein in meinen Traum. 

Sitze jetzt im Café Platanaki. Am Nachbartisch sitzen Männer aus dem Dorf. Sie kennen mich, wir grüßen einander. Ich frage, wie warm das Wasser ist. "Warm", sagt der eine. Ich sehe einen Menschen im Meer schwimmen. Das glitzernde Meer. Die Berge in der Entfernung, im blauen Dunst, je weiter weg, desto blauer. Heute muss man sich in den Schatten setzen, weil es in der Sonne zu warm ist.

Habe die Terrasse gefegt und gewischt, einen schimmligen Joghurt weggeworfen. Eine Ladung Wäsche in die Maschine getan. Anna kommt, um Max zum Fressen zu holen. Nachdem sie ihn dort oben vor ein paar Wochen in den Käfig gesteckt hat und dann mit ihm zum Tierarzt gefahren ist, meidet er das Haus wie die Pest. Er muss zweimal am Tag Antibiotika essen, wegen seinem Bein. Es ist schon viel besser geworden. Vor einer Woche konnte er noch nicht auftreten, jetzt humpelt er nur noch. Was ist passiert? Wahrscheinlich hat ihn jemand geschlagen. Der dicke, gierige Max. Lange habe ich keine Gefühle mehr für ihn gehabt, jetzt tut er mir leid.

Anna will wissen, wie es mit dem Coronavirus in Schweden aussieht. In Südschweden gab es einen Fall, als ich gefahren bin, im Rest des Landes mehr. Ah, gut. Sie sagt, auf Lesbos bisher noch kein Fall. In Griechenland 30 oder 50 (habe es vergessen), in Athen und Thessaloniki. Wir reden über Vorsichtsmaßnahmen. Nicht umarmen. Die Hände waschen. Der Sommer ist endlich da! ruft sie. Kalokieri. Ich sitze auf einem Mäuerchen und esse  mein Frühstück: Haferbrei mit Orange, Rosinen, dickem Joghurt.

Als ich meine Schuhe anziehen will, spüre ich einen Stich - ich schüttele eine Wespe heraus, die offensichtlich diesen Angriff auf ihr Leben nicht überleben wird. Google sofort, drücke dann ein paar in eine Stoffserviette gewickelte Eiswürfel auf die Stichstelle. Träufle Essig drauf. Erinnere mich an die "essigsauren Wickel", die meine Mutter mir um meinen vom alljährlichen Bienenstich dick geschwollenen Fuß legte.

Googelte außerdem: schwarze Flecken auf Katzennasen, Weihrauch in der Schmerzbehandlung.

(Abends)

Nach zwei Gläsern Retsina mit Sodawasser und zwei mit Salami und Käse belegten Broten sowie einem kleinen Gurken-Tomaten-Salat mit Oliven sitze ich jetzt auf dem Bett. Cleo schnurrt neben mir. Es ist schon Viertel vor zwölf.

Lasse den Tag Revue passieren. Zweites Frühstück im Café Platanaki, wo ich eigentlich ein Video-Gespräch mit Anas führen wollte. Er war aber noch nicht aufgestanden, und ich hatte außerdem meine Kopfhörer vergessen. Eine Straßenkatze wollte ein wenig von meinem Spinatpie abhaben. Bei einem ihrer Ohren war die Spitze abgeschnitten, das Zeichen dafür, dass sie kastriert ist. Ich gab ihr die Reste des Pies, als ich fertig gegessen hatte und kraulte sie dann zwischen den Ohren, was sie schnurrend entgegennahm.

Kaufte bei Theodosos ein, der mich fragte, was ich von der Weltlage halte. Das Beste ist, sagte ich vage, wenn wir einen kühlen Kopf und ein warmes Herz bewahren.Ich stimme dir zu, sagte er. Ansonsten weiß ich nicht, was ich sagen soll, sagte ich. Und du? Er wisse es auch nicht. Peace of Mind, sagte er und tippte mein Gemüse in die Kasse. Jemand kaufte ein Brot. Theodosos fragte mich nach meiner Zahnoperation. P hatte ihm davon erzählt. Sie hat allen davon erzählt, lispelte ich und erzählte ihm von meiner provisorischen Prothese. Ich bleckte die Zähne. Er lachte. Es ist gut, dich zu sehen. Gleichfalls. 

Giorgos saß im Alten-Männer-Café hinter der Plastikplane. Er winkte mich hinein, bat mich, mich zu ihm an einen Männertisch zu setzen, an dem gerade über Flüchtlingssituation gesprochen wurde. Trink einen Kaffee! Ich gehorchte.

Er freut sich sichtlich, mich zu sehen. Ich mich auch. Wir sind uns das letzte Mal viel vertrauter geworden. Wie war es in Rom? Ganz einfach toll. Sie haben eine wunderbare Woche gehabt und ALLES gesehen, was es in Rom zu sehen gibt. Er erzählt von einer Treppe im Vatikan, über 500 Stufen, beschreibt, wie es sich anfühlte, da hochzusteigen, in einer Schlange von Touristen. Er wird lyrisch, es war phantastisch. Nur die sixtinischen Kapelle haben wir nicht gesehen, sagt er. Wir haben sie uns bewusst übrig gelassen, damit wir einen Grund haben, zurück nach Rom zu kommen. Inzwischen sind sie auch eine Woche in Athen gewesen, als Touristen. Und er war in der Türkei zu Besuch. 

Ich sage, ich habe "ein paar Probleme" gehabt in der letzten Zeit. So große Probleme wie Griechenland?, ruft er. Natürlich nicht. Alles verblasst, verglichen mit den Problemen der Griechen. Die neue Flüchtlingssituation. Er erzählt mir alles, was ich schon aus den Zeitungen weiß. Was schlägst du als Lösung vor?, frage ich ihn. Was ich vorschlage?, sagt er. Er weiß es nicht. Wir tauschen unsere Telefonnummern aus, weil sein Messenger nicht mehr funktioniert. Mein Telefon ist zu alt, sagt er, ich habe keinen Platz mehr. Seine Zähne hat er nicht machen lassen, weil ihm das Geld dafür fehlt. Er spitzt in meine Tüte mit dem Gemüse, als wir uns verabschieden. Was kochst du heute? Einen Salat, sage ich, Gemüse. Er lacht und schüttelt den Kopf gleichzeitig, ist nicht ganz zufrieden mit mir.

Wieder zuhause, spreche ich mit Anas, der gerade in Berlin ist. Er hat seine Mutter nach Ergänzungen der Familiengeschichte gefragt. Das Problem ist bloß, dass sie dem widersprechen, was er mir schon erzählt hat. Ich bin verwirrt, stelle ihm aber nach einer Weile keine Gegenfragen mehr, denke, wir müssen das später klären. Ich zeige ihm die Katzen, die hinter mir auf dem Bett liegen, laufe hinaus in den Garten, halte das Telefon so, dass er die Schafe auf dem Nachbargrundstück sieht. Ich bin neidisch, sagt er und erzählt, dass seine Katzen gestern so beleidigt deshalb waren, dass er weggefahren ist, dass sie nicht einmal die Katzenleckerlis fressen wollten, die er auf dem Küchenboden vor ihrer Nase ausstreute.

Lese in meinem Katzenkrimi, male ein Bild vom Akanthus. Meine Schwester schickt ein Bild von unserer Mutter beim Bäcker Brunner, vor einer Tasse Kaffee und einer Zwetschgentasche. Sie haben einen Spaziergang gemacht. Vor einer Woche konnte sie kaum vom Bett zum Klo gehen. Die Schmerztherapie mit Weihrauch und Kurkuma scheint anzuschlagen.  

Ich schreibe Giorgos eine Nachricht auf Whatsapp: "Now we are connected." Er antwortet kurz darauf: "Yes we are."

Mache einen Abendspaziergang mit dem Fotoapparat. Fotografiere Schafe, Olivenbäume, finde auf einem Müllhaufen einen aus selbstgezimmerten, morschen Hocker mit vielen Wurmlöchern, den ich gerne mitnehmen würde, aber ich lasse es dann und mache nur viele Fotos davon.

Bin zufrieden mit meinem Tag. Ich bin mit meinem Text weiter gekommen, fühle mich jetzt in meinem Element. Der Krimi, den ich lese, gefällt mir immer besser. Ich muss einfach nur weitermachen mit allem. Der einzige Wehmutstropfen: die Heizung ist ausgefallen, und ich verstehe trotz mehrmaligem Besuch im Keller nicht, was los ist.

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