Sonntag, 3. November 2019

Griechische Skizzen November 2019

1/11

Ankunft auf Lesbos. Ein Rudel Straßenhunde begrüßt die neu angekommene Fähre.

So viele schlecht gelaunte Gesichter begegnen mir an diesem sonnigen Morgen.

Frühstück im Café Panellino. Omelette und Nescafé. Ich mache meine erste Skizze: Cafébesucher.

Dann ziehe ich meinen Rollkoffer zum Busbahnhof und kaufe mir eine Fahrkarte.

Die so wohlbekannte Fahrt über die Insel. Ich verliere mich in meinem Handy, lese ein paar Seiten in meinem Buch, schaue nur hin und wieder zerstreut aus dem Fenster.

Ich frage mich, wie die Insel ausgesehen hat, als die ersten Menschen dorthin kamen. Waren die Olivenbäume schon da? Wie hat man entdeckt, was man mit den bitteren Früchten alles anstellen kann? Und woher kamen die Schafe? Hat man sie hierher gebracht? Woher kommen Schafe überhaupt? Könnte man die Zeit zurückdrehen, nur für einen kurzen Augenblick, um zu verstehen! Wer hat das erste Haus gebaut? Und wo, wie?

Und könnte ich verstehen, was die Leute im Bus einander zurufen, was sie in ihr Handy reden. Wenn ich etwas auf Griechisch sage, antwortet man mir auf Englisch. Oder ich muss selber nach einem Satz zu Englisch wechseln.

Gehe im kleinen Lebensmittelladen am Dorfeingang ein paar Lebensmittel einkaufen. Tomate, Gurke, Zwiebeln, ein Päckchen Fetakäse, Oliven, eine Flasche Wasser, Milch. Ziehe den Koffer zum Haus. Die Sonne scheint. Es ist warm.

Mache mir Kaffee mit warmer Milch. Die Katzen trudeln ein. Ich schütte Futter in ihre Schalen. Packe meine Sachen aus und verteile sie in Schränken, auf dem Bett. Mache mir einen griechischen Salat und trinke ein Glas Retsina mit Sodawasser dazu.

Gehe nicht ins Dorf. Abends esse ich ein paar Cracker aus dem Schrank mit Käse, den P im Kühlschrank zurückgelassen hat. Lese in meinem Buch, auf dem Bett ausgestreckt.

2/11

Hole mein Fahrrad aus dem Schuppen. Ganz eingewebt von Spinnweben, die Reifen fast platt. Schiebe es zur Tankstelle zum Aufpumpen.

Als ich am Café mit der Plastikplane vorbeiradle, sehe ich Yorgos und Giorgos. Wir winken, ich stelle mein Fahrrad ab, setze mich zu ihnen, bestelle eine Tasse Kaffee. Worüber soll man reden? Giorgos freut sich sichtlich, aber das macht das Reden nicht leichter. Yorgos sagt, dass er gleich noch zum Schwimmen geht. "In Schweden bin ich schon seit einem Monat mit Winterjacke und Handschuhen herumgelaufen", sage ich. Wir lachen. Giorgos blättert mein Skizzenbuch durch und gibt mir ein "Daumen hoch". Yorgos ist mit dem Renovieren seiner Pension kein Stück weiter gekommen in diesem Jahr. Jetzt erntet er seine Oliven. Das dauert, wenn man allein ist. Giorgos sagt, dass die Ikone für F schon fast fertig ist. In drei Tagen kann ich sie abholen. Auf seinem Handy sucht er ein Foto, das er von seinen eingelegten grünen Oliven gemacht hat. Er erklärt mir, wie man dabei vorgeht: Oliven zerquetschen, dann ein paar Tage wässern (das Wasser jeden Tag wechseln!), schließlich salzen. Essen. Yorgos verabschiedet sich und legt zwei Euro für meinen Kaffee auf den Tisch. "Nächstes Mal zahle ich", sagt Giorgos. "Melde dich", sagt er, als wir uns bei meinem Fahrrad trennen. Er fährt jetzt erst einmal ein paar Tage in die Türkei, zu seiner Freundin.

Ich gehe zur Burg, um einen Kaffee zu trinken, aber das Café Byzantinos ist geschlossen. Setze mich auf eine Mauer und nehme mein Skizzenbuch aus dem Rucksack. Eine Gruppe laut schnatternder türkischer Touristen kommt die Straße hoch. Der Reiseführer stellt sich neben mich und schaut mir beim Zeichnen über die Schulter. "Ich bin Amateurin", sage ich entschuldigend. Er sagt etwas Aufmunterndes und wendet sich dann seiner Gruppe zu. Sie schnattern einfach weiter. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand seinen Ausführungen zuhört.

Gehe durchs Dorf hinunter, im Gewusel der türkischen Touristen, die herumschauen, Bilder mit den Handys machen, jetzt auch Fragen an ihren Reiseleiter richten, der sie geduldig beantwortet. Einer von ihnen klettert auf eine niedrige Mauer und pflückt Mandeln von einem Baum, der mir bisher noch nie aufgefallen ist. Die anderen knacken sie mithilfe von aufgeklaubten Steinen und essen sie an Ort und Stelle. Ich bekomme eine geschälte Mandel zum Probieren.

3/11

Spaziergang. Hinter der Tankstelle rechts, über das ausgetrocknete Flussbett, dann auf einem schmalen Weg zwischen Grundstücken. Olivenhaine, bellende Hunde, wiehernde Pferde.

Die Sonne scheint. Ich habe ein langärmliges T-Shirt und eine Leinenhose an, aber es ist mir zu warm.

Olivenernte. Es ist immer die gesamte Familie daran beteiligt. Die Männer schlagen die Oliven herunter. Die Frauen klauben die Blätter und Zweige weg und füllen die Säcke.

(Denke gerade daran, dass ich morgen Wasser holen muss.)

Muss über ein paar provisorische Wegabsperrungen steigen bzw. den Draht aufbiegen, der sie festhält, und sie dann wieder befestigen. Vorbei an privaten Müllhalden, einer Schafshütte. Zäune aus rostigen Bettgestellen. Zusammengenagelte Wände. Upcycling auf griechische Art. Überall, wo man sie in Ruhe lässt, bekommt die Natur wieder die Oberhand. Es sprießt und wächst und wuchert.

Ich laufe am Grundstück der albanischen Familie vorbei, die seit Jahren hier am Straßenrand einen Gemüsestand hat. Die Gemüsebeete von damals habens sich zu einem regelrechten Bauernhof gemausert, mit Ziegen, Kühen, Hühnern. Zu einem Haus reicht es aber offensichtlich noch nicht. Die ganze Familie lebt immer noch im Wohnwagen. Ich mag nicht dran denken, welches Schicksal den Kälbern blüht, die sie in einem kleinen Auslauf halten.

Der leuchtend blaue Meerstreifen. Ausgestorbene Hotelanlagen. Irgendwann einmal gebaut, um Touristenträume zu erfüllen. Aber wer will heute noch so Urlaub machen? Außer All-Inclusive-Touristen, denke ich böse.

Das Restaurant von Eftalou ist geschlossen, die Plastikwände sind herunter gelassen, der Schornstein ist eingepackt. Die Katzen scharen sich um die Müllcontainer.

Auch die heiße Quelle ist heute nicht in Betrieb, aber ein paar griechische Badegäste haben die Eisentür aus den Angeln gehoben und liegen in dem Becken mit dem heißen Wasser. Ich ziehe mich um. Dusche kalt unter der Dusche im Freien, lege mich dann in das warme Wasser. Balanciere über die Steine zum Meer, schwimme hinaus.

Ein griechisches Paar geht. Jetzt teile ich das Badehaus mit zwei Männern. Komisch, wie man sich als Frau an den Argwohn gewöhnt, selbst wenn er völlig aus der Luft gegriffen ist. Dreimal tauche ich in das heiße Becken, dreimal gehe ich ins Meer. Dann ziehe ich mich um. Die Männer sind inzwischen schon gegangen, ich schäme mich wegen meinen Gedanken.

Der Verfall, die Verwahrlosung: Weiße Schimmelkissen an den Wänden, die feuchte Farbe blättert ab. Die Tür geht nicht mehr zu schließen. Das verwitterte, morsche Holz. Darüber hat man leuchtend blauen Lack gepinselt. Die Dichtungswolle um den Türrahmen liegt bloß, quillt vor. Wenn man es sich selbst überlässt, dauert es nicht lang, bevor es von der Natur in ihre Arme genommen wird. Plötzlich das innere Bild: Das Badehaus fällt in sich zusammen. Ein Haufen Steine, ein paar verfaulende Holzlatten bleiben übrig. Reste, die von Menschenhand zeugen. Ein paar Badeschuhe, eine Badehose aus Synthetikmaterial. Eine zerbrochene Matte aus Plastik. Ein paar Sonnenliegen. Nur das Wasser sprudelt immer noch heiß aus dem Inneren der Erde, wie seit Tausenden von Jahren.

Die schwarzweiße Katze, die schon seit Jahren zu diesem Platz gehört, begleitet mich, als ich gehe. Den ganzen Winter ist sie sich selber überlassen. Wenn sie Glück hat, kommt jemand einmal am Tag und füttert sie. Wir gehen ein Stück zusammen. Irgendwann bleibt sie stehen, neben einem Müllcontainer, der vielleicht das Ende von ihrem Revier markiert. Nach einer Weile drehe ich mich nach ihr um. Sie sitzt immer noch da und schaut mir nach. Keine Ahnung, was in einem Katzenkopf vor sich geht.

Auf dem Sandweg begegne ich einem Rudel Schafen, die hier ausschwärmen dürfen, von ihrem Menschen begleitet. Eines stellt sich auf zwei Hinterbeine, pflückt Blätter von einem Baum. Sie drehen um, als ich komme, laufen in einer Staubwolke vor mir her, in den Sonnenuntergang hinein.

Als ich heimkomme, ist es schon dunkel. Ich hänge die Badekleider auf. Mache mir etwas zu essen. Setze mich auf die Terrasse, an einen der blauen Tische. Trinke etwas Retsina mit Sodawasser. Füge der Skizze, die ich der heißen Quelle gemacht habe, noch ein paar Pinselstriche hinzu.

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