Dienstag, 19. November 2019

18/11


Es regnet. Ich packe am Morgen mein Regencape und fahre los. Ein fröhlicher Hund begleitet mich, der sich offensichtlich von seiner Kette losgerissen hat. Die Kette schleift neben ihm her, mit einem klirrenden Geräusch. Dann plötzlich hört das Geräusch auf. Anscheinend ist er dann doch "nach Hause" gelaufen.

Besuch bei der Bank, wo ich Geld abhebe. Ich bin auf lange Wartezeiten gefasst, habe ein Buch mit dabei und will mich schon auf einen der massiven Holzstühle setzen, komme aber nicht dazu. Heute ist offensichtlich nicht der Banktag der Griechen. Meine Nummer ist schon dran, wird von der digitalen Leuchttafel angezeigt. Man unterschreibt jetzt auf einer elektronischen Platte neben dem Schalter. Ich packe das Geld in mein Ledertäschchen, drücke auf den Knopf neben der Tür, der grün aufleuchtet, wenn die Tür entsperrt ist.

Bei Theodosos einkaufen (Yoghurt, Fetakäse, eine Gurke), dann nach Hause fahren, ein wenig arbeiten.

Ich treffe Giorgos im "Alte-Männer-Café", wir trinken Kaffee. Ich frage ihn, warum die Männer sich ausgerechnet in diesem Café treffen. Erstens, so sagt er, ist es praktisch. Alle kommen hier vorbei, man braucht nicht bergauf gehen, die Bank ist um die Ecke, der Supermarkt. Zweitens, es ist günstiger als die anderen Cafés im Dorf, wenigstens wenn man ein Grieche ist. Ich frage ihn wegen meines Erlebnisses am Morgen, ob es in Griechenland erlaubt ist, Hunde anzuketten. Es ist nicht mehr erlaubt, sagt er, nur für kurze Zeiten. Früher gab es die sogenannten "Tonnenhunde", Hunde, die ihr ganzes Leben angekettet verbracht haben. Damit ist jetzt Schluss. Die Polizei schert sich zwar nicht darum, aber es gibt eine Tierschutzorganisation, die man in solchen Fällen kontaktieren kann. Es ist auch verboten, die Beine von Pferden zusammenzubinden (so wie vermutlich auch von den Ziegen, denn ich habe keine Ziegen mit zusammengebundenen Beinen mehr gesehen). Mögen die Griechen Tiere?, frage ich. Ja, die meisten. Vieles hat sich auch geändert. Als er ein Junge war, war es noch üblich, dass die Jungs nach den Katzen traten, die ihnen begegneten. So hatten sie es gelernt. Er hat es schon damals nicht gemacht, aber es war nichts dabei. Die meisten Griechen haben ein Verständnis dafür, dass es eine gegenseitige Abhängigkeit gibt zwischen Tieren und Menschen.

Selber hat er 18 Katzen, die er füttert, um die er sich kümmert. Wenn er mal ein paar Tage weg ist, kommt sein Cousin und füttert die Katzen. Es kostet ihn 4 Euro am Tag, sagt er und seufzt.

Das Stadtbild, das er vor ein paar Tagen in einer nächtlichen Sitzung angefangen hat, ist jetzt fertig. Er zeigt mir ein Foto. Es gefällt mir, es ist klar und licht. Er hat schon einen Käufer, einen alten Freund in Deutschland. Wieder musste der Käufer seinen Preis in die Höhe treiben, weil er zu wenig verlangte.

Ob ich Lust auf einen Ausflug habe, fragt er, oder ob ich beschäftigt bin. Wir könnten nach Filia fahren, dort essen und in der Käsefabrik einkaufen. Na? Ich bin dabei, sage ich.

Erst fahren wir zum Eisenwarenhändler in Petra. Er braucht eine Neonröhre. Ich treibe mich im Laden herum, bei den Gartenwerkzeugen, schaue mir elektronische Waagen an, eine kleine Espressokanne, verschiedene Abdichtungspasten und Silikonspritzen. Er redet mit dem Besitzer über einen kleinen Traktor, der am Ausgang steht. Sie entdecken eine dicke Spinne am Lenker. Georgos gabelt sie mit der Neonröhre auf, der Besitzer geht damit vor die Tür und schüttelt sie, so dass die Spinne zu Boden fällt.
He! Hallo!, denke ich. Nicht hier, direkt vor dem Eingang!, aber ich sage nichts.
Du hättest sie zum Gebüsch bringen sollen, sagt Giorgos zu dem Mann. Vor der Tür kann jemand drauftreten.
Was meinst du damit?, sagt der Besitzer. Es ist eine Spinne!
[Die Wörter "gehen" und "Spinne" verstehe ich, den Rest schließe ich aus dem Kontext und der Körpersprache]
Da sie immer noch bei dem Traktor rumstehen, gehe ich hinaus, klaube die Spinne auf und bringe sie zum Gebüsch.
Giorgos hat es gesehen.
Diese Sache mit der Spinne, sagt er später im Auto, ist in meinen Augen bezeichnend für die Leute, die die ultrarechte Partei unterstützen. Es klingt vielleicht blöd, sagt er, aber ich finde, dass Leute, die politisch links stehen, sich allgemein menschlicher verhalten.

Wir fahren im Regen nach Filia. Er möchte mich auf ein Ouzo-Mittagessen einladen. Außerdem können wir dort ein paar Kilo Katzenfutter kaufen. Es ist etwas billiger als in Molyvos.

Wir sitzen in einer Taverne, die sonst nur mit vereinzelten Männern an ihren Tischen besetzt ist. Über der Tür läut ein Fernseher. Er bestellt Mezes: verschiedene Fischsorten, Tzatziki, Käsepasteten, gekochten Blumenkohl. Hinterher kriegen wir Joghurt mit eingelegten Kirschen und trinken jeder einen riesigen griechischen Kaffee.

Ich frage ihn zu Molyvos aus, zu Lesbos. Er erzählt von seiner Kindheit, von seiner Ausbildung und wie es eigentlich kam, dass er Ikonenmaler wurde.
Er erzählt von den Anfängen des Tourismus und von dem Kommunalpolitiker, der wollte, dass Molyvos sich von anderen Touristenorten abheben sollte. Hohe Hotelbauten waren verboten. Man versuchte, Berühmtheiten in den Ort zu locken, die dann die richtige Klientel mit sich ziehen würde. Es hat damals geklappt. Molyvos hatte seine Hochzeit. Sein Vater, der Bauer war, hat angefangen Eselstouren anzubieten. Er hatte selber einige Esel und mietete in der Saison einige mit dazu. Giorgos übernahm das nach einer Weile. Er machte Besorgungen für einen griechischen Schriftsteller, der im Sommer in Eftalou wohnte, und verdiente ziemlich gutes Geld. Seine Eltern hatten oft deutsche oder holländische Gäste, die Mutter bewirtete alle, es war ganz einfach Gastfreundschaft, kein Geschäft. Es entstanden Freundschaften. Als sein Vater bei einem Traktorunfall ein Bein verlor, brachten ihn ausländische Freunde zweimal nach Holland, wo einer eine leichte Prothese aus Aluminium bekam anstatt des schweren Modells, das man ihm in Griechenland verpasst hatte. Dann kamen der Massentourismus, die billigen Souvenirläden, die Charterflüge. Das Niveau sank. Die Bewohner des Ortes waren plötzlich mehr an schnellem Geld interessiert als an einer langfristigen und haltbaren Perspektive. Die griechische Krise vor einigen Jahren war ein harter Schlag für die meisten. Und dazu kamen die Flüchtlinge. Von höherer Stelle wollte man sie am liebsten unter den Teppich kehren, weil sie das Bild störten. Man wollte sie verstecken, unsichtbar machen. Er findet, man hätte damals anders handeln sollen. Lesbos hätte sich als gastfreundliche Insel ins Licht setzen sollen, man hätte eine Zusammenarbeit suchen können mit Medien. Auf diese Weise hätte man Lesbos weltbekannt machen können. Als der Papst nach Lesbos kam, waren die meisten der griechischen Inselbewohner empört. 'Was will der hier?' Eine falsche Einstellung, findet Georgos. Man hätte ihn mit Freundlichkeit empfangen sollen. Jetzt ist der All-Inclusive-Tourismus nach Lesbos gekommen. Billige Touristen, die ihre Urlaubswochen in einer Hotelburg verbringen. Wir brauchen so Leute wie dich, sagt er. Naja, ich bringe aber nicht viel Geld auf die Insel. Das macht nichts, sagt er. Es ist viel wert, dass du kommst. Wir brauchen gute Leute, die hierher kommen.

Ich mache ein paar Vorschläge - Festivals auf der Insel, Musik, Film, vielleicht junge Filmemacher einladen, Künstler. Warum nicht das Gleiche machen wie Ende der 60er Jahre und bekannte Künstler auf die Insel einladen? Er hat die Hoffnung verloren, sagt er. Die Griechen verstehen ihr eigenes Bestes nicht. Haben jetzt diese ultrarechte Regierung gewählt. Dann sagt er, dass Griechenland das bräuchte, was man damals "Tyrann" nannte. Ein Alleinherrscher, der das Gute der Menschen und des Landes im Sinn hat. Der Begriff ruft heute andere Assoziationen hervor. Natürlich ist ihm auch klar, dass das nicht geht.

Seine türkischen Bekannten sind neidisch auf Griechenland - 'wie kommt es, dass ihr in der EU sein dürft?' Seine türkische Freundin verdient ihr Geld mit Immobilien, hat mehrere Hotels. Die meisten Touristen dort sind selber Türken. Sie ist gut gestellt, fährt einen Audi 4, "ein tolles Auto". Und die Straßen in der Türkei haben ihn auch begeistert - es gibt dort ein gut ausgebautes Straßennetz.

Die Straßen in Filia sind voller Löcher und holprig, die Häuser in schlechtem Zustand - sobald die Sonne nicht scheint, kommt die Verwahrlosung durch. Wir kurven über die Landstraße, auf dem Weg zurück in seinem alten Seat. Die Käsefabrik hatte Mittagspause. "Wir lassen uns jetzt davon die Laune nicht verderben", sagt er. Er hat eine Kassette eingelegt, Bluesrock, er dreht die Lautstärke auf. Der junge Georgios. Er ist 65.

Mein Tag endet mit Schreiben und Zeichnen. Sitze auf dem Bett und mache Skizzen von den drei Katzen. Caesarion, Punxy, Cleo. Schwermut, gemischt mit Dankbarkeit.

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