Dienstag, 12. November 2019

12/11

Steuererklärung auf der Terrasse. Ich krame unter dem Dach einen alten Zeichenblock hervor, auf dem ich die Quittungen festtackere. Lege Steine aufs Papier, damit sie nicht wegfliegen. Es geht schnell, ich unterschreibe elektronisch, schicke sie ab, überweise das Geld, sammle dann alle Papiere zusammen und lege sie in meinen Koffer.

Rufe endlich bei der Tierärztin Myrsini an, nachdem Punxy in der Früh wieder auf den Teppich gekotzt hat. "Komm morgen um 13 Uhr vorbei, dann schaue ich sie mir an."

Kaffeetrinken mit Giorgos im Café am Dorfeingang. Das "Alte-Männer-Café", obwohl es vor ein paar Jahren als ein Café mit einem großen Sortiment Gesundheitstees und Kuchen geöffnet hat. Er sagt, das Jahr ist schlecht gewesen. Wenige Touristen, und sie kaufen weniger, außer den Norwegern. Die kaufen. Die Türken gehen vor allem in die Restaurants. Er sagt, sein Geld reicht noch bis Weihnachten. Dann muss er sich irgendetwas einfallen lassen. Er malt mehr Ikonen jetzt, verkauft sie aber viel zu billig. Ich muss ihn fast zwingen, für eine Ikone 300€ zu nehmen statt 200€. Dafür will er mich dann zum Essen einladen. Das Stück Land mit den Olivenbäumen, das er letztes Jahr noch verkaufen wollte, hat er jetzt doch nicht verkauft. Man hat ihm die Hälfte des Preises geboten, den er haben wollte. Jetzt lässt er einen Albaner die Oliven ernten und teilt die Ernte mit ihm. Sein Öl verkauft er dann an die Olivenpresse, da kriegt er 1,50€ für einen Liter. Er hat vor, das Haus seiner Mutter, die letztes Jahr gestorben ist, als Airbnb herzurichten, bloß fehlt ihm das Geld für die Renovierung. Er stellt es sich aber schön vor. Ein bisschen wie "Wohnen am Bauernhof". Er hat auch vor, ein Atelier einzurichten, in dem er Touristen empfangen kann. Vielleicht Kurse geben. Ich möchte ihn auf Tournee in Deutschland schicken, "Ikonenmalerei für Anfänger", und er sagt nicht nein, aber das muss man auch erstmal in die Wege leiten.

Er zeigt mir einige von seinen neueren Arbeiten auf dem Handy. Eine Skulptur erinnert mich an Picassos Bullenkopf. Und tatsächlich erzählt er, dass er in Izmir gerade eine Picasso-Ausstellung gesehen hat, u.a. den Bullenkopf. Am meisten haben ihm die kleinen Zeichnungen gefallen, "Müll" aus Picassos Atelier, die ein Freund vom Boden aufklaubte. Er fragt mich, ob ich Tagebuch schreibe. Ja. Erzählt dann von dem Tagebuch seines Vaters. Er habe nur die reinen Fakten notiert. Die Arbeit des Tages. Käufe. Das Wetter. Aber das sei heute interessant zu lesen. Giorgos hat im Sommer einen französischen Archäologen kennengelernt. Der sammelt Tagebücher von ganz normalen Menschen zu Forschungszwecken. Alltagsgeschichtsschreibung. Tagebucharchäologie.

Wir reden über unsere Zähne. Er braucht eine neue Brücke, das wird 1700-2000€ kosten. Er könnte es in der Türkei billiger machen, hat aber hier einen Zahnarzt, der sehr genau ist und gründlich. Die Brücke wird den Rest seines Lebens halten, wenn er sie dort machen lässt. Dann beschreibt er, wie es in der Zahnarztpraxis aussieht: schmutzig, überall laufen und liegen Katzen und Hunde herum. "Mit anderen Worten", sage ich, "erst musst du die Behandlung überleben. Dann werden die Zähne ewig halten." Er lacht.

Er schlägt vor, dass er mich morgen zur Tierärztin bringen könnte. Oder ich kann sein Auto leihen.

Bevor ich gehe, lässt er noch seine Wut auf Angela Merkel raus, die "nur die reichen Syrier" wollte, dann habe sie die Grenzen geschlossen. Ich melde Zweifel an. Aber er ist nicht gut auf die deutsche Kanzlerin zu sprechen.

Mache einem kurzen Abstecher zu Theodosos, bei dem ich zwei Kilo Zucker und Zitronensäure für die Quittenpaste kaufe, die ich heute machen will. Er sagt mir, dass er die Quitten einfach so isst, roh, das schmeckt ihm am besten. Er schneidet mit einem imaginären Messer ein imaginäres Stück Quitte ab und führt es zum Mund. Ich sage, dass ich es probieren werde.

Dann gehe ich an den Strand. Heute schwimme ich zweimal, dazwischen mache ich eine Skizze von den Steinen, über die das Wasser spült. Insekten nagen an meinen Fesseln, Ameisen krabbeln in meine Hosenbeine. Ich habe mich schon blutig gekratzt.

Eine Griechin mit Schirmmütze kommt und legt ihre Badekleider auf das Mäuerchen. Wir reden kurz darüber, wie wunderbar das Wetter heute ist, und das Wasser: perfekt zum Schwimmen. Ein Jogger läuft in kurzen Hosen vorbei. Sonst ist es menschenleer. Die gespenstische Hotelanlage mit dem bombastischen, jetzt verkommenen, Garten.

Auf dem Rückweg stecke ich wieder eine Mandel in die Hosentasche. Kein Mensch erntet hier. Kalamata-Oliven, Orangen in rauen Mengen. Ich sammle ein paar Oliven auf, werfe sie aber dann wieder weg. Manchmal habe ich keine Lust, mir noch mehr Arbeit aufzuhalsen.

Zuhause beginne ich mit der langwierigen Arbeit für die Quittenpaste. Georgos schreibt, dass er jetzt noch rausgeht zum Laufen. Er schickt ein Bild von der Ikone, "für deine Träume".

Es ist schon lange dunkel.

Die Quittenpaste köchelt vor sich hin.

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