Freitag, 15. November 2019

15/11

Das Schlafen ist momentan eine schwere Arbeit. Ich kann zwar meine Träume am Tag nicht rekonstruieren, aber sie sind komplex und anstrengend wie das wirkliche Leben. Hin und wieder wache ich aus ihnen auf und erhole mich ein wenig.

Die Luft ist nach dem gestrigen Regen etwas kühler, aber nur etwas. Ich gehe den ganzen Tag mit einer ärmellosen Bluse herum.

Ich habe einen Beschluss gefasst und mache mich heute daran, ihn in die Wirklichkeit umzusetzen: Organisiere jemanden, der die Katzen in den nächsten drei Monaten täglich füttert und bestelle bei Theodosos 20 kg Trockenfutter. Nachdem ich das gemacht habe, kann ich mich zum ersten Mal seit Tagen wieder freuen, kriege sogar eine Weile das Lächeln nicht mehr von meinem Gesicht weg. Zwar habe ich auch jetzt keine Lust, von hier wegzufahren, aber es zerreißt mir wenigstens nicht das Herz.

Schreibtischarbeit am Vormittag, dann nehme ich das Fahrrad ins Dorf. Radle am "Alten-Männer-Café" vorbei, wo ich Giorgos in ein Gespräch vertieft an einem der Tische sitzen sehe, aber ich habe nicht vor, mich jetzt aufhalten zu lassen.

Als ich auf dem Weg durch das Dorf an Marys Lokal vorbeilaufe, sehe ich zu meinem Erstaunen, dass sie geöffnet hat und an der Theke steht. "Wie lange bist du schon da?" "Zwei Wochen", sage ich, "aber jedes Mal wenn ich vorbei gekommen bin, war geschlossen". Sie sagt, dass sie jetzt noch zwei Abende geöffnet hat, dann fährt sie nach Athen, für ihre jährlichen Nachsorgeuntersuchungen. Sie bleibt einen Monat bei ihrer Schwester, wie jedes Jahr. Ist alles in Ordnung? Alles in Ordnung, es sind nur Routineuntersuchungen.

Ich gehe zur Burg, esse auf einer Bank in der Sonne ein Spinatpie, das ich mir in der Bäckerei gekauft habe, und mache eine Skizze. Ein Moped kommt den gepflasterten Weg hochgefahren. Es ist der Mann, der bei Theodosos im Supermarkt die Lebensmittel in die Regale verteilt. Ich habe die ganzen Jahre gedacht, dass er gehörlos ist, weil er nie reagierte, wenn ich ihn grüßte. Kaum hat er jetzt den Motor abgestellt, schaltet er ein Radio ein und geht mit zwei Plastiktüten zu einem Haus. Kommt noch einmal zurück, wieder mit laufendem Radio. Ich muss mein Bild dieses Mannes komplett ändern. Plötzlich denke ich, was für eine gute Idee, so zu tun, als würde man nicht hören, was andere sagen! Ich könnte sie kopieren.

Mein Versuch, die Burg zu besichtigen, wird von einer missmutigen Wärterin abgewehrt. "In einer Viertelstunde machen wir zu!" Ich trolle mich wieder und sehe sie gleich darauf mit einem vollbärtigen Mann die Burganlage verlassen, eine Plastiktüte mit Fischen in der Hand. Das Tor wird abgeschlossen. Ende eines sicherlich recht ereignislosen Arbeitstags.

Trinke bei Mary einen Cappuccino. Sitze auf dem Balkon und lese. Das Meer glitzert in der Sonne. Mary kommt und stützt sich auf die Balkonumrandung. Ich sage etwas über das Wetter und die phantastische Aussicht. Aber Mary steckt in ihrer Sorge fest. Es kommen zu wenig Gäste. Sie muss das Restaurant ein paar Abende in der Woche aufmachen, um etwas Geld hereinzubekommen, auch wenn fast niemand kommt. Die wenigen Tagestouristen gehen meistens im Hafen essen. Ich würde das ja auch tun, sagt sie. Viel Essen muss sie wegwerfen. Sie ist allmählich zu müde, schafft es nicht mehr. Könntest du in Rente gehen?, frage ich. Ach nein. Sie würde keine Rente bekommen.

Ich kann mich noch an ihren Enthusiasmus erinnern, als sie dieses große Lokal gemietet hat und ausmalen hat lassen. Von acht oder zehn Sitzplätzen hat sie sich auf vielleicht vierzig oder sechzig erweitert. Aber nur bei seltenen Gelegenheiten ist das Lokal voll und nur im Sommer. Es liegt auch an den Preisen. Wegen der hohen Miete musste sie die Preise anheben, worauf die Griechen weggeblieben sind. Das große Restaurant verlangt viel Vorbereitung. Wenn sie schon aufmacht, muss sie sich ja darauf einstellen, dass Gäste kommen.

Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, weil ich nur einen Cappuccino trinke, aber sie ist herzlich wie immer.

Beeile mich, nach Hause zu kommen und werfe meine Badekleider in den Fahrradkorb, damit ich noch vor dem Sonnenuntergang eine Runde schwimmen kann. Das Licht von der untergehenden Sonne, der Dunst am Horizont. Ein paar kleine Fischerboote sind schon unterwegs. Ich sitze noch ein wenig auf einer Holzbohle, beschäftige mich mit meiner Skizze.

Abendessen: Imam und Fava, dazu gemischter Salat, etwas Retsina.

Erst halbneun, und schon so müde. 

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