Sonntag, 10. November 2019

9-10/11


Zwei ertragreiche Tage: Gestern mit U zur Olivenpresse. Während wir warten, mache ich eine Skizze von den Olivensäcken, die vor der Presse in der Schlange liegen. Wir dürfen uns dazwischen drängen, mit unseren popeligen 160 kg Oliven. Der Chef sagt das. Der Gabelstapelfahrer ist aber sauer auf uns (oder auf den Chef) und kippt demonstrativ erstmal andere Fuhren in den Trichter. Zuckt mit den Schultern, als U protestiert. Dahergelaufenes Pack, sagt seine Körpersprache.

In der warmen olivenölschweren Luft der Halle. Ohrenbetäubender Lärm. In Schweden müsste man Gehörschutz tragen, von Gesetz wegen. Wir sitzen auf der "Wartebank" und unterhalten uns von Mund zu Ohr. Immer wieder grüßt U Bekannte, macht Small Talk. Eine Griechin packt ein Stück Weißbrot aus und hält es feierlich unter den Olivenölstrahl. "Göttlich", teilt uns ihre Mimik mit. Der "Chemiker" tropft ein paar Tropfen von einer blauen Chemikalie in ein Reagenzglas, mischt sie mit ein paar Tropfen von unserem frischen Olivenöl. Die Säure liegt bei 1, lässt er uns wissen. U sagt, die meisten haben eine Säure um die 1,8. Wir waren gründlich beim Rausklauben der Zweige. Musterschüler.

Die 48 kg von Ps und meinem Baum ergaben 12 Liter. Mit diesem Gefühl des Reichtums und einem Kanister nach Hause kommen. Mache mich, nach einem Mittagessen, das aus Eiern, Salat und in Olivenöl geröstetem Brot besteht, an den Schuppen. Klettere aufs Dach. Dichte die Fugen mit grauem Silikon ab. Eine Drecksarbeit.

Das Buch von Colson Whitehead ist jetzt ausgelesen. Melancholie, ein Gefühl des Verlorenseins, weil es mir nicht richtig vorkommt, jetzt einfach nahtlos etwas anderes zu lesen.

Punxy hat eine Entwurmungstablette in einem Stück Souvlaki bekommen. Ich hoffe, dass ihr Zustand sich bald bessert. Der Gedanke, am Montag ein Auto zu mieten und mit ihr zum Tierarzt zu fahren, muntert mich nicht gerade auf.

Abends wie immer eine Viertelstunde Griechisch gelernt. Auch am Morgen, während der Espressokocher auf dem Herd steht.

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Heute nach einer Vormittagsskizze eine Wanderung gemacht. Erst mit dem Fahrrad zum Reservoir, dann weiter gegangen. Es war heiß. Schafgatter öffnen, schließen. Darüber klettern. Es sind meistens Armierungsgitter, mit einem Stück Seil oder mit Draht zusammengebunden.

Verlief mich auf dem Weg durchs Tal von Ligona. Was aussah wie ein Wanderweg, war ein Schafspfad, der sich dann zu Hunderten von Schafspfaden verzweigte. Teilweise ging ich fast auf allen Vieren, fühlte mich selber wie ein Schaf, steil den Berg hoch, kam aber dann in eine Sackgasse, musste wieder zurück gehen. Die Schafe hielten im Grasen inne und schauten mich unbewegt an. Ich kletterte weiter, kroch, hielt mich an Ästen fest.

Endlich ein Weg, den ich wiedererkenne. Die Schafe drehen ihre Köpfe in meine Richtung. Als ich näher komme, rennen sie (nach einer kurzen Denkpause) in Staubwolken davon. Widderschädel mit gedrehten Hörnern, an den Zaun gezurrt, wahrscheinlich als Schutz gegen das Böse oder als Warnung an die unrechtmäßigen Eindringlinge.

Petri. Die Taverne, in der ich etwas essen und mit A skypen wollte, ist geschlossen. Nicht nur geschlossen, sondern weg. An der Stelle gähnt ein Loch. Ein Mann, der daneben ein Auto mit Feuerholz entlädt, reibt Daumen und Zeigefinger aneinander, als ich frage, warum. Das Geld. Es reichte nicht.

Überall das Gleiche: Die Touristen bleiben weg. Erst wegen der Krise, dann wegen den Flüchtlingen. Die Charterunternehmen haben Konkurs gemacht, die Flüge sind zu ungünstigen Zeiten, auch teurer geworden. Dieses Gefühl der Auswegslosigkeit. So viele wichtige Ziele (für Einheimische und Touristen), die plötzlich geschlossen sind.

Die Frau mit dem Weißbrot in der Olivenpresse sagte, sie könne die Jammerei nicht mehr ausstehen. Sobald jemand anfängt zu jammern, geht sie.

Ich setze mich auf eine Mauer und skype mit A. Er sitzt noch im Morgenmantel auf dem Bett und isst Frühstück. Wir reden über seine Ankunft auf Kos. Über seine Angst, von den Schleppern reingelegt zu werden. Sie mussten sich selber in Izmir Gummireifen und Schwimmwesten kaufen. Als er dann in Bodrum im Gummiboot saß, war plötzlich alle Angst wie weggeblasen.

Es ist unbequem, ohne feste Unterlage mitzuschreiben. Manchmal drehe ich das Telefon um und zeige A die Aussicht. Ein kleiner Hund liegt mitten auf der Straße und ruht sich aus. A lacht. Vom Bellen hat er darauf geschlossen, dass der Hund viel größer ist.

Auf dem Rückweg folge ich der Markierung. Balanciere über die Felsen. Laufe vorbei an Walnussbäumen, Quittenbäumen. Eine alte Kulturlandschaft, jetzt Wald. Setze mich zweimal, um eine kurze Skizze zu machen.

Dann das Fahrrad aufgabeln, nach Hause rollen.

Dusche, Abendessen, Wein, Abspülen. Diese Notizen.

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