Sonntag, 24. November 2019

21/11

Der letzte Tag.

Großputz. Ich fange im Badezimmer an. Als ich den Klodeckel putze, bricht am Scharnier ein Stück ab. Ah, also muss ich auch noch einen Klodeckel kaufen. Ausgerechnet heute, wo sie zum Tierarzt soll, will Punxy nichts dringender als rausgehen. Sonst hat sie oft den Vormittag auf dem Bett verbracht. Nichts da. Ich öffne die Klappe nach oben, nach einer Weile verzieht sie sich unters Dach, liegt dort dann als beleidigte Leberwurst den restlichen Vormittag herum.

Alle Regale abwischen, die Bettwäsche wechseln, die Wäsche vorbereiten, die ich zur Waschmaschine bringen will, wenn Punxy im Käfig ist. Einen Haufen auf dem Bett machen. Alles, was ich mitnehmen muss, möchte. Ouzo, Haselüsse, Salz, Olivenöl, Granatapfellikör, Quittenbrot, Oliven, gekaufte und selber eingesalzene, die schon seit zwei Wochen im Baum hingen, in einer durchlöcherten Plastiktüte.

Dann ist es so weit. Mein Herz schlägt wieder mal zum Hals. Muss Punxy erst über die Leiter nach unten treiben, dann mit Futter bestechen. Sie riecht Lunte. Ist misstrauisch, weicht immer wieder vor mir zurück. Dem dicken Schafsjoghurt kann sie dann doch nicht widerstehen. Ich packe sie im Nacken. Die Box steht schon aufrecht und geöffnet da. Klappe zu. Gemaunze. Jetzt kann ich die Tür öffnen, zur Waschmaschine gehen, das Olivenöl in Halbliter-Plastikflaschen pumpen, die bei der Gepräckkontrolle kein Aufsehen erregen. Es ist seit einiger Zeit nicht mehr erlaubt, Olivenöl im eingecheckten Gepäck mitzunehmen - im Handgepäck erst recht nicht.

Fahre zum "Alte-Männer-Café", Giorgos sitzt schon da und gibt mir den Autoschlüssel. "Stell das Auto später vor mein Haus und lass den Schlüssel stecken, wenn ich nicht da bin."

Ich habe den kaputten Klodeckel mitgenommen. Liefere Punxy erst bei der Tierärztin ab, die gerade noch damit beschäftigt ist, Katzen zu sterilisieren. Als ich die Katzenbox auf dem Tisch vor der Praxis abstelle, schenkt Punxy mir durch die Gittertür einen Blick der tiefsten Verachtung. Vier oder fünf frisch operierte Katzen liegen schon in ihren Käfigen herum, noch im Betäubungsschlaf. Bei Karantonis kaufe ich einen neuen Klodeckel, von dem mir versichert wird, dass er auf alle Klos passt. Bin stolz auf meine Effektivität. Zurück zu Punxy, die von der Tierärztin inzwischen (liebevoll) als "Monster" betitelt wird. Die Lunge klingt besser. Myrsini bescheinigt eine 90%-ige Verbesserung. Wäre ich noch eine Woche hier, könnten wir abwarten, wie sie sich entwickelt. Da ich schon morgen fahre, bekommt sie eine weitere Antibiotika-Spritze. Ist das nicht gefährlich? Nein. Na gut, na dann. Ich habe eigentlich keine andere Wahl.

Zurück nach Molyvos. Punxy rennt sofort weg, wie der Blitz, als ich die Box öffne, noch unten beim Auto. Aber eine halbe Minute später sitzt sie schon wieder versöhnt auf der Terrasse und schleckt das Luxus-Katzenfutter, das Myrsini mir mitgegeben hat, aus dem Döschen in Katzenform.

Bringe das Auto zu Giorgos, gehe zu seinem Haus, aber er ist nicht da. Stecke den Schlüssel ins Zündschloss, wie vereinbart. Auf dem Weg nach unten zum Fahrrad begegnet er mir, mit Plastiktüten in der Hand. Er war beim Einkaufen. "Ich habe ein wenig getankt", sage ich ihm. Er wird wütend. "Nein! Aber warum?" "Weil es sich so für mich besser anfühlt. Dass musst du jetzt einfach akzeptieren." "Ich lade dich dafür heute Abend ein." Später wird er mich fragen, wo ich getankt habe. "Ah, bei der Tankstelle." Er zieht die Augenbrauen hoch. Es war die falsche. Er kann die Leute da nicht leiden. Rassisten. Gegen Flüchtlinge. Ok, gut, jetzt weiß ich es.

Der Klodeckel passt natürlich nicht, ist zu klein. Griechen stört so was vielleicht nicht, mich aber schon. Ich denke über eine Lösung nach. Das Geschäft hat schon geschlossen und macht heute auch nicht mehr auf.

Packen, aufräumen, den Boden kehren und wischen. Ich esse Reste: Spiegeleier mit Tomaten und Käse und geröstetes Brot.

Die ganze Zeit schlägt mir das Herz bis zum Hals. Habe ich denn wirklich genug getan? Gibt es etwas, das ich noch hätte tun können?

Abends mit Giorgos auf einen Abschiedstrunk. Bier für mich, Tsiporo für ihn. Er bestellt Souvlaki für uns beide. Er hat irgendwie schlechte Laune heute, zieht über alle möglichen Leute her. Der Mann von der Gyros-Bar z.B., der einem das Wechselgeld so langsam gibt. Der nur an Geld interessiert ist und seine Frau vernachlässigt. Die Männer hier im "Alte-Männer-Café", deren Ansichten ihn auf die Palme bringen. Er kann es nicht erwarten, in Rente zu gehen, auch wenn er kaum Rente bekommen wird. Aus Molyvos rauskommen. Durchatmen. Er erstickt hier. Nicht permanent woanders wohnen, nur immer mal wieder verreisen.

Er teilt seine Beobachtungen zu den verschiedenen Nationalitäten mit. Die Norweger mag er, sie kaufen viel und haben immer gute Laune. Überhaupt mag er die Skandinavier, aber die Schweden können hochnäsig sein. Die Dänen hingegen versteht er nicht wirklich - sie scheinen sich in einem anderen Universum zu befinden. Außerdem sind sie oft fett. Mir bescheinigt er übrigens auch, dass ich gierig bin, weil ich nach den Chips lange, die mit dem Bier gebracht worden sind. "Du magst Junkfood, was!?" - "Isst du denn nie Junkfood?" Er gibt zu, dass er in Athen manchmal zu KFC geht oder einen Hamburger isst. Aber sonst sieht er zu, sich gesund zu ernähren, isst selten Fleisch, nie Wurst oder Salami. Er geht zwei- bis dreimal in der Woche im Stadium gegenüber von seinem Haus laufen. "Fünfeinhalbmal" in der Woche macht er Gymnastik, sein eigenes Programm. Und Push-Ups. Die Holländer findet er oft laut. Die Türken benehmen sich auch hier, als wären sie in einem Bazar: "Was soll das kosten? Fünfzig Euro? Ich gebe dir 20." Er klärt sie dann darüber auf, dass sie in Griechenland sind. "Hier haben wir feste Preise. Auf 47 kann ich runtergehen, höchstens auf 45." Der türkische Kunde: "25!?" Er erlebt sie außerdem nicht als besonders zuverlässig. Wenn sie sagen, dass sie später noch einmal vorbeikommen, schreibt er sie ab. Die Engländer nennt er "phony" - viel Oberfläche, wenig dahinter. Die Amerikaner sind gut, sie lassen auch immer viel Geld in seinem Laden. Am liebsten sind ihm die Deutschen. Viele der deutschen Touristen sind seine Freunde geworden. Zuverlässig. Gebildet. Interessiert, freundlich.

Noch mal kommen wir auf die neue Flüchtlingslage zu sprechen. Ich erzähle von dem Boot, das ich gestern am Strand gesehen habe. Was er und sein Freund gestern über die Pläne der Regierung gesagt haben, stimmt nicht ganz, das habe ich inzwischen auch schon in den Nachrichten gelesen. Es sollen mehrere geschlossene Flüchtlingszentren errichtet werden, auf den bereits betroffenen Inseln. Die Flüchtlinge sollen darauf verteilt werden. "Prisons!" sagt er, immer wieder. Für ihn sind das Gefängnisse. Die Menschen dürfen nicht rausgehen, bis über ihren Antrag auf Asyl entschieden worden ist. Er verabscheut die neue Regierung.

Noch einmal erklärt er mir, warum er in diesem Café gerne verkehrt. Der Besitzer ist freundlich. Er bemüht sich um die Bevölkerung, nicht nur um die Touristen. Er stellt junge Leute aus dem Dorf ein. Ästhetisch spricht es mich nicht an, sagt Giorgos. Menschlich schon. Außerdem schickt der Besitzer einmal im Jahr seine Frau zum Einkaufen in Giorgos' Laden, dann lässt sie ein paar Hundert Euro da. So soll es sein. Leider haben die meisten Dorfbewohner nicht dieselbe Einstellung.

Ich habe ihm die Klodeckel mitgebracht, in einem Ikea-Rucksack. Ob er den falschen Klodeckel vielleicht umtauschen könnte und einen neuen in der richtigen Größe besorgen? Kein Problem. Er versteht die Situation sofort. Natürlich macht er das. "Ich habe keine Quittung bekommen." "Macht nichts."

Wir verabschieden uns. Ich wünsche ihm eine schöne Reise nach Rom. Dorthin fährt er in einigen Wochen, zum ersten Mal in seinem Leben. Seine türkische Freundin wird alles bezahlen, er könnte es sich nicht leisten. Wir umarmen uns. Ich lasse dich jetzt mit zwei Klodeckeln zurück, sage ich. Dann steige ich aufs Fahrrad.

Zurück beim Haus, sitze ich eine Weile davor, mache eine Skizze vom Olivenbaum im Dunkeln, von der beleuchteten Terrasse, der Eingangstür, dem Fahrrad neben dem Schuppen. Plötzlich fühle ich etwas wie einen inneren Frieden, bin ich einverstanden mit meiner bevorstehenden Abreise.

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