Dienstag, 11. Oktober 2011

Ist das ein Krankheitszustand? (Aus dem Archiv)

"Kaum hatte ich die Augen geöffnet, war um mich herum alles grau und kalt, was bedeutete, Zeit zum Aufstehn, Katzenfutter aus der Packung löffeln, Kaffee aufgießen, anziehen, Haferbrei löffeln mit der Hand auf der Zeitung, wo ich heute nur die Zwischenräume zwischen den Zeilen lese, Zähneputzen, Tasche packen und tschüs, denn Monica wartet am andern Ende der Stadt auf mich, damit ich mich in ihren Sessel plumpsen lasse und ihr die Ohren vollquassele. Wie es jetzt aussieht in meinem Leben, fragt sie: gut alles sehr gut triumphiere ich aber warte schon darauf, dass hinten das Geröll nachrutscht in der Grube, wo ich jeden Tag vor mich hinschufte mit meiner Stirnlampe, und dann besteht die Gefahr von Einsturz und Absturz, ein Absacken oder Hinuntergleiten, was mir Angst macht, Monica. Deshalb trug ich heute auch meine Arbeitshosen mit insgesamt achtzehn Taschen für Schraubenzieher, Hammer, Zollstock, Telefon, Taschentuch und Zange etc. 


Ich kenn das Muster auf Monicas Teppich auswendig, inklusive Zentimeter- und Millimeterangabe und Materialstärke und Abnutzungsgrad, und vor dem Fenster bauschen sich die Bäume vorm künstlichen Himmel. Fünfundvierzig Minuten lang hab ich ihre Ohren gemietet und der Minutenzeiger hat es verdammt eilig, die 270° hinter sich zu legen. Wieso ich plötzlich Kopfweh krieg, als wäre alles, was aus meinem Mund hinausspaziert, eine große Lüge, Verzeihung, Monica, aber mir wird übel, und nehme eines der säuberlich aufgetürmten Taschentücher, die für Tränen gedacht sind, wische mir aber damit den Schweiß von der Stirn, die Diagnose kann ich mir schon selber stellen, aber können Sie mich verstehn Monica, ich meine wirklich und tief? Eigentlich möchte ich irgendwann mit Ihnen diskutieren, woher mein Bedürfnis kommt, beinahe jedes geschriebene Wort wieder durchzustreichen, so dass es ganz unsichtbar wird, mit kräftigen schwarzen Kreisen und Strichen und einer Hand, die die Kraft zum Töten hätte. Meine Schrift ist nicht schön, nie schön gewesen, und ich habe in der Schule alles versucht, um eine schöne Schrift zu bekommen, jedoch ohne Erfolg.


Kennen Sie die Schülerinnen, die die Überschriften in Farbe schrieben und dann mit Lineal unterstrichen oder auch die (es waren oft die gleichen), die Herze oder Blumen oder Kreise statt der I-Punkte malten? Ich wollte sein wie sie, scheiterte aber, und meine Schulhefte sahen aus wie Kriegsgebiete und nicht wie ein Blumenbeet. Ich sehe alles doppelt so deutlich, als wären meine Augen ein Vergrößerungsglas, ist das ein Krankheitszustand und als solcher heilbar? Und wo kommt diese ganze Traurigkeit her?

Alicia: Hast du ihr wieder nur erzählt, wie toll alles ist, dass du den Rasen gemäht und ein Regal gebaut hast und dass die Rosen immer noch so schön blühen? Ich: Ich hab nichts von deinen alten Rosen gesagt, spinnst du. Alicia: Sind es jetzt auf einmal meine Rosen, dankeschön. Ich: Na und, was willst du eigentlich damit sagen. Alicia: Da hast du auch wieder recht."

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