Montag, 2. Dezember 2013

Inselmenschen I

1. Die drei Schuljungen, die ich im Auto von Kalloní nach Petra mitnehme. Ich frage sie nach einer Weile, was sie für Lieblingsfächer haben. Der Junge mit der Zahnspange, der neben mir sitzt, sagt: "Geographie. Geschichte. Mathematik." Einer der beiden Jungen auf der Rückbank sagt: "Sport." Der dritte, der am wenigsten redet, weil sein Englisch am schlechtesten ist und der später meinen Autofahrstil mit einer überraschenden Vokabel "drifty" nennt, was ich für ein Kompliment halte, sagt: "Autos reparieren." Ich versuche herauszufinden, ob das ein Schulfach ist, komme aber nicht zu einer eindeutigen Antwort.

2. Der Nachbar Giannis, der mir sagt, dass er den ganzen November lang mit seiner Frau Eleni Oliven erntet. Er schlägt die Oliven mit langen Stöcken von den Ästen, dann werden sie aufgesammelt, sortiert. Das werden 10 000 Liter feinsten Olivenöls. Wir arbeiten jeden Tag so lange wir Lust haben, sagt er. Manchmal bis um zwei, manchmal bis um drei. Und so lange der Körper mitmacht.

3. Peter oder Panagotis, den ich in einem Café in Agiasos treffe, wo er mich auf englisch anspricht, sich an meinen Tisch setzt, mir von seinem Leben erzählt. Innerhalb zwanzig Minuten erfahre ich, dass er in New York, wo er 22 Jahre gelebt hat, 350 Dollar am Tag verdiente, dass er hier zwar keine Arbeit, aber Eigentum hat, dass er zwei Kinder hat, die in Amerika leben und beide "doctors" sind, dass er vom Beruf her eigentlich Koch ist, aber in New York mit "Construction" gearbeitet hat. Dass er seit vier Jahren von seiner amerikanischen Frau geschieden ist, dass ihn das aber nicht mehr juckt. Dass in diesem kleinen Bergdorf die meisten Bewohner Arschlöcher sind, bis auf die wenigen Freunde, von denen er in der kurzen Zeit zwei vorstellt. Der eine davon ein Gemüsehändler, der mich mit dem Pickup in den Ort mitnimmt, in dem mein Mietauto steht. Peter schreibt mir seine Telefonnummer auf und sagt, wenn ich einmal seine ganze Geschichte hören will, soll ich ihn anrufen.

4. Die junge Frau in Marys Café, die vor vier Jahren von Athen nach Molyvos gezogen ist. Es ist im Winter besser hier als im Sommer, sagt sie. Sie sagt, im Sommer dürfen die Touristen die Insel lieben. Im Winter darf ich sie selber lieben.

5. Eine Frau, die ich in Mandamados in einem Café treffe, wo sie an einem Tisch am Computer sitzt, weshalb ich sie für einen Gast halte. Ich wollte eigentlich etwas zu essen haben, aber sie sagte, sie machten erst abends auf. In dem kurzen Gespräch, das sich daraufhin entspinnt, erfahre ich, dass sie eigentlich aus Kanada ist, aber seit zehn Jahren auf der Insel lebt. Es gefällt mir, sagt sie, dass meine Kinder in einem Dorf aufwachsen, und es gibt überhaupt vieles, was mir an dem Leben hier gefällt. Trotzdem, sagt sie, kann ich nie aufhören, darüber nachzudenken, ob es besser wäre, zurück nach Kanada zu ziehen. Es ist mein ewiges Dilemma. Ich habe eigentlich immer Heimweh. Als das Wort gefallen ist, "homesick", ist es, als sei sie selber davon überrascht, als habe sie bisher nicht gewagt, es so deutlich zu denken.

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