Freitag, 10. Dezember 2010

Ein leeres Haus (oder: Ich fand in meinen Papieren ein altes Gedicht)




Schon wieder sitze ich im Dunkeln
Schon wieder zweifel ich
an allem was ich je tat
Ich öffne die Hand
und mein Leben fällt hindurch
Es ist eine Handvoll Wasser
und vergebens bemühe ich mich
etwas zurückzubehalten

Einmal glaubte ich
ich würde etwas besitzen,
ich wäre ein Jemand
der mir ähnlich sah
und sich im Spiegel übermütig bewegte
Aber ich habe ja nichts
was ich mein eigen nennen könnte
Immer schreibe ich
was ich achtlos beiseitelege
Immer warte ich
auf einen besseren Tag
eine bessere Stunde
Ich bin ja nicht
Meine Reise hat nie begonnen
und findet kein Ende
Ich kenne keine Variationen
Ich kenne nicht die Vielfalt
nur die unendlichen Wiederholungen
An den Tagesfäden entlang
spinnt und webt sich mein Text

Ich höre die anderen sprechen
sie sprechen so gut, so gut
Ich höre sie singen
sie singen so gut, so gut
Ich allein kann weder sprechen noch singen
An die Schwerfälligkeit meiner Zunge
bin ich gefesselt
Und sitze immer noch
in dieser großen Erwartung
wie ein Gelähmter im Rollstuhl sitzt
jederzeit bereit, aufzuspringen und zu gehen
Und keiner ist da, der sagt:
JETZT GEH! oder JETZT SPRICH!
Keiner ist da
der hinter die Wortlosigkeit
blickt und erkennt

Warum bin ich immer müde, so müde?
Woher kommt diese Traurigkeit, sie kommt dahergekrochen!
Ich kann ja nicht die Worte der anderen sprechen
nur meine eigenen
bilderlosen
kargen
hölzernen
leeren Räume
So sind meine Sätze: sie sind ein leeres Haus
So bin ich: ich bin ein ungeschriebener Text

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