Donnerstag, 19. Mai 2016

Stimmungstagebuch, vielleicht

12:05
Lese Richard Fords "Canada", und dann lese ich Lesermeinungen zum Buch, weil ich mich von dem Buch nicht trennen kann. Es gibt zwei Gruppen von Lesern: Die einen macht das Buch glücklich (dazu gehöre ich), die anderen halten es vor Langeweile kaum aus. Aber wenn man Ford vorwirft, dass er schon im ersten Satz das Geschehen vorwegnimmt, dann hat man vielleicht nicht wirklich verstanden, dass es Ford nicht um diese Art von billiger Spannung geht. 

12:11
Meine Kollegin M. sagt mir, das Brot, das ich gestern wegwarf, weil es während des Entfrostens des Gefrierschranks weich und schwammig geworden war, sei völlig neu gekauft gewesen, und Brot könne man immer ohne Probleme wieder einfrieren, auch wenn es schon mal aufgetaut gewesen ist, und ich übe mich in meiner neuen Kunst, nichts persönlich zu nehmen.

Ich schlafe so gut wie schon lange nicht mehr und finde das Leben ohne Katzen entspannend und angenehm. Endlich kann ich Sachen auf dem Bügelbrett ablegen, ohne dass ich hinterher das Bügebrett umgekippt auf dem Boden finde und alle Sachen rundherum auf dem Teppich verstreut. (Da ich weiss, dass es den Katzen in ihrer Sommerfrische gut geht, gibt es überhaupt keinen Grund, über ihre Abwesenheit traurig zu sein.)

13:06
Meine immer schwarz gekleidete Kollegin S. steht mit einem Kaffeebecher vor meinem Schreibtisch und sagt, dass sie eigentlich gegen allgemeine Geldeinsammlungen für Hochzeiten und Geburten ist. Sie redet eine Weile darum herum, bis sie es auf den Punkt bringt: sie lehnt die "Normativität" an, die in dieser Geste liegt.

14:03
Ein paar Meter von mir entfernt stehen zwei Kollegen im Gespräch. Sie unterhalten sich über Spanien. Eigentlich höre ich nur die Stimme des einen Kollegen, etwas schleppend und einschläfernd, langatmig alle Fakten und Ansichten reproduzierend, die er über Spanien in sich angesammelt hat. Die Kollegin bekräftigt seine Auslegungen mit eingeworfenen "Ahs" und "Hms", sie stellt manchmal eine höfliche Folgefrage, und sein eintöniges Reden fährt fort. "Du bist ja ein wahres Lexikon", höre ich meine Kollegin sagen, und ziehe daraus den Schluss, dass sie dabei ist, das Gespräch zu beenden. 

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